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Tagebuch Oktober 2023

1. Oktober 2023


Anderthalb Wochen später, erst in der 39. Kalenderwoche, hatte der eine WG-Bewohner, nachdem er in der Woche davor auf der Terrasse das Bewusstsein verloren hatte, einen Zahnarzttermin. Am rechten Kiefer hatte er Schmerzen beim Kauen, so intensiv, dass er nur noch an wenigen Stellen an der linken Seite kauen konnte. Der Zahnarzt stellte fest, dass mindestens zwei Ärzte vor ihm schlimmes übersehen hatten: der WG-Bewohner hatte nämlich den rechten Kiefer gebrochen. Es hätte noch schlimmer kommen können, denn die Bruchstelle hatte sich nicht verschoben und die auseinander gebrochenen Stellen saßen noch fest beieinander. Einen Monat lang sollte er an der anderen Seite kauen, aber nur weiche sowie leichte Kost. Das war fatal und auch dilettantisch, dass sowohl der Hausarzt wie die Notaufnahme nicht genau hingeschaut hatten. Der Kieferbereich mochte zwar dem Betätigungsfeld eines Zahnarztes zugeordnet werden, aber eine ganzheitliche Medizin sah anders aus. Beim Sturz auf der Terrasse hätte man auch den Kiefer in Betracht ziehen müssen, zumal es im Mund von innen geblutet hatte. Es half nichts, über oberflächliche Mediziner zu fluchen, womöglich hatte ihnen der WG-Bewohner auch keine Indikation in dieser Richtung gegeben. Anfangs, als die Betreuerin sich um ihn gekümmert hatte, hatte er nämlich signalisiert, alles sei in Ordnung und das Aufsuchen von Ärzten sei eigentlich gar nicht notwendig. Wir hofften, dass der Heilungsprozess in einem Monat so sehr fortschreiten würde, dass er wieder normale Mahlzeiten zu sich nehmen könnte. Ansonsten hat sich in der Dreier-WG das Chaos so eingestellt, wie wir es nach der Auflösung der WG-Kasse befürchtet hatten. Gruppeneinkäufe wie etwa Spülmittel, Waschpulver, Seife, WC-Reiniger und so weiter sollte jeder WG-Bewohner mit seinem Betreuer für die Gruppe selbst organisieren, wobei wir zweifelten, dass die richtigen Dinge eingekauft würden, wenn jeder für sich selbst mit dem Betreuer losrennen würde. So wurden Massen an Spülschwämmen gekauft, während an Klopapier niemand gedacht hatte. Dieser Mangel an Klopapier wurde erst kurz vor dem Wochenende erkannt, so dass einer von den drei WG-Bewohnern hätte Klopapier kaufen müssen. Dies tat über das Wochenende aber niemand, und genauso wenig weiß niemand, wie sich die drei WG-Bewohner übers Wochenende auf der Toilette den Hintern abgeputzt haben. In der 39. Kalenderwoche haben wir es seit längerer Zeit geschafft, bei einer Fernsehaufzeichnung mit dabei zu sein. Diesmal war es die ultimative Chart-Show mit Oliver Geissen, die sich an diesem Abend mit den längsten Dauerbrennern aller Zeiten befasste. Getrennt nach Singles und LPs waren damit die Platzierungen in der Hitparade gemeint, die sich über mehrere Jahre erstreckten. Unter meinen Lieblingsinterpreten hätte ich Dauerbrenner erwartet wie U2, Led Zeppelin, Deep Purple oder Genesis, doch diese kamen unter den obersten 25 erst gar nicht vor. Wenigstens waren Pink Floyd, Queen oder Santana dabei. Die Zählweise war verzerrt. Gezählt wurde ich den letzten Jahren das Streamen, vor dem Zeitalter des Internet waren die verkauften Vinylplatten oder CDs gezählt worden. Diese wurden einmal gekauft und immer wieder angehört, gestreamed wurde aber mehrfach je Interpret und je Stück. So tauchten unter den besten Dauerbrennern Interpreten auf, die ich nie und nimmer dorthin verortet hätte: so etwa den Shanty „Weather Man“ oder Interpreten wie Cro und Peter Fox. Apache 207 war mir vollkommen unbekannt, Schlagerstars wie Helene Fischer oder Andrea Berg waren vielleicht zu erwarten gewesen. Unfassbar fand ich, dass das Stück „I came for you“ nicht in der Version von Manfred Mann’s Earth Band unter den Top 25 war, sondern in einer verpoppten Cover-Version von Disco Boys. Die Stimme des Sängers war zwar gut und ziemlich identisch zu derjenigen von Chris Thompson, aber der verpoppte gleichmachende Sound nervte einfach nur. Dennoch: die Fernsehaufzeichnung war unterhaltsam, unter anderem war Wigald Boning als Star-Gast dabei. Er überraschte in einem Nebensatz, dass er kürzlich erst Vater geworden sei und sich mit Wickeln und Fläschchen geben wieder neu befassen würde. Mit ein paar netten Spielchen unterhielten die anwesenden Gäste. Sie eiferten Brian May von den Queen nach, dessen Hobby es war, Steine von einem viereckigen Stapel heraus zu ziehen und obenauf zu stapeln. Wigald Boning war derjenige, der dieses Spiel verlor, als der Stapel beim Herausziehen eines Steines in sich zusammen brach. Nach 22 Uhr verließen wir diesen unterhaltsamen Abend, in Wesseling bogen wir ab nach Mc Donald’s, denn wir hatten Hunger, nachdem wir nicht zu Abend gegessen hatten. In der 39. Kalenderwoche hatte die Hebamme meiner Frau sie und unsere Tochter zum Kaffeetrinken eingeladen. Sie selbst war nicht mehr als Hebamme tätig, sie hatte aber Kontakt zu anderen Hebammen und uns die Hebamme für unsere Tochter vermittelt, die sie über die Schwangerschaft begleitete. Sie erzählte, dass sukzessive Geburtsstationen in den Krankenhäusern geschlossen worden seien, wenn die Anzahl der Geburten im zeitlichen Verlauf zurückgegangen seien. Stark seien die Geburten hingegen in der Universitätsklinik angestiegen. Allerdings seien die Hebammen nicht in dem Umfang aufgestockt worden, wie die Geburten gestiegen seien. So seien die Bedingungen in der Universitätsklinik schlecht – sowohl für das Personal wie für die entbindenden Frauen. Sie nannte die Zahl der Geburten und die Zahl der Hebammen, die total auseinander klafften. Die Universitätsklinik bot Entbindungen in Spezialfällen an – wie etwa bei psychischen Erkrankungen – sie riet ab davon ab, dort zu entbinden. Zum 1. Oktober gab es in unserer Familie eine berufliche Neuorientierung. Bis einschließlich August hatte unsere ältere Tochter eine auf drei Monate befristete Teilzeitstelle in der Universitätsklinik Freiburg gehabt. Zum 1. Oktober hatte sie nun einen neuen Job, und zwar diesmal in Vollzeit ebenso in der Universitätsklinik. Ihre Tätigkeit bestand darin, Patienten mit genetischen Erkrankungen zu beraten.


2. Oktober 2023


Unsere Gefühlswelten schwankten in einem munteren Auf und Ab, was die Ausbildung unserer Tochter betraf. Wir freuten uns und bangten ein paar Tage später. Letzten Donnerstag hatte sie ihre erste Klausur geschrieben, einen Tag später hatte sie diese mit einer höchst erfreulichen Zweier-Note zurück erhalten, zumal sie zwischenzeitlich krankheitsbedingt eine Woche gefehlt hatte. Dann, am Wochenende, nahm sie die nächste erfreuliche Botschaft im Online-Banking wahr: ihr erstes selbst verdientes Geld war auf ihrem Bankkonto eingegangen. Ein einigermaßen hoher dreistelliger Betrag hatte ihre Mühe belohnt, trotz Schwangerschaft den schulischen Teil der Berufsausbildung zu absolvieren. Dann, zu Beginn der darauf folgenden Woche, wurden die Gefühlswelten nach unten gezogen. Ihr Kreislauf war am Boden, sie verspürte Schmerzen in der Bauchgegend und musste sich krank melden. Dies geschah ausgerechnet am ersten Tag ihres Praxiseinsatzes. Die Ansprechpartner des zuständigen Krankenhauses stellten sich vor, die Auszubildenden selbst sollten sich vorstellen, eine Präsentation über das Krankenhaus wurde gezeigt, die Auszubildenden wurden auf den Stationen, wo sie arbeiten sollten, eingeführt. Unsere Tochter meldete sich bei der Ansprechpartnerin in der Berufsschule krank, doch vormittags erhielt sie eine Textnachricht, sie fehle unentschuldigt. Daraufhin kramte sie die Rufnummer einer Ansprechpartnerin heraus, bei der sie sich vielleicht hätte krank melden können. Sie verbuchte die Krankmeldung in ihrem System, die eigentliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die unsere Tochter noch nicht hatte, müsse aber der Personalabteilung vorgelegt werden. Diese Ansprechpartnerin müsse unsere Tochter kennen, unsere Tochter nickte, aber dennoch wusste sie nicht, wohin mit der noch nicht vorliegenden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Ein weiteres Problem bestand darin, dass wegen der Schwangerschaft noch eine sogenannte Gefährdungsbeurteilung zu erstellen war, welche Tätigkeiten sie erledigen durfte und welche wiederum nicht. Einen Termin für die Gefährdungsbeurteilung gab es erst am Donnerstag, und so lange sollte man sie am besten nicht beschäftigen. Montag war unsere Tochter krank, Dienstag hatte sie wegen des Feiertages frei, am Mittwoch, der unklar war, buchte die Mitarbeiterin ihre Anwesenheitsstunden ins Minus, am Donnerstag war die Gefährdungsbeurteilung. Fürs erste war die Verbuchung der Anwesenheit unserer Tochter geregelt. Bis zu dem ungeklärten Mittwoch mit den Minusstunden wollte sich unsere Tochter krank schreiben lassen, aber dort wartete das nächste Problem. Ihr Frauenarzt hatte es bei vorherigen Terminen abgelehnt, sie krank zu schreiben, dies müsse der Hausarzt machen. Wegen der Krankschreibung suchte sie nun den Hausarzt, dort meinte aber die Sprechstundenhilfe, sie müsse zum Frauenarzt gehen, da die Beschwerden im Bauchbereich nur ein Gynäkologe beurteilen könne. Er stellte fest, dass es sich um übliche Dehnungen handele infolge der Bewegungen des Kindes, dies habe nichts mit etwaigen Wehen zu tun. Er schrieb sie aber nicht krank. Nachmittags war unsere Tochter dann nochmals zum Hausarzt, der sie nun krank schrieb. Wir waren jedenfalls der Verzweiflung nahe. Ein Ausbildungsleiter, der mit dem unentschuldigten Fehlen vor den Kopf gestoßen wurde, ein sperriger Frauenarzt, der ein Hin- und Herrennen zwischen zweierlei Ärzten verursachte, die Krankschreibung für den Mittwoch, die noch an die richtige Mitarbeiterin zu kommunizieren war, sowie Ort und Ansprechpartner, wo die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung abzugeben war. Unklar war des weiteren noch der Raum am Donnerstag, wo die Gefährdungsbeurteilung statt finden sollte und unklar war ebenso am Donnerstag die Arbeitszeit unserer Tochter, die um 16 Uhr einen Termin beim Frauenarzt hatte. Wir verfluchten die Krankmeldung unserer Tochter und äußerten ihr gegenüber mehrfach, dass sie sich dafür keinen schlechteren Tag hätte aussuchen können. Einen Tag nach dem Feiertag, dem Mittwoch, fand unsere Tochter schließlich heraus, dass die zuständige Personalabteilung, die die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen einsammelte, in Troisdorf saß. Um allem gerecht zu werden, fuhr meine Frau mit unserer Tochter dorthin und gab beim Pförtner die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ab.

3. Oktober 2023


Es war mehr die Verbindung eines Datums als die Verbindung eines bestimmten Ortes mit einem Song. Die Panzerstraße zum Rhein suchte ich gerne auf, um mich zu zerstreuen, um mich inspirieren zu lassen und um inne zu halten. Hier ließ der Rhein los von der geballten Kraft seiner Industrie, um ein Stück weiter rheinaufwärts die atemberaubende Mittelgebirgslandschaft des Siebengebirges zu begleiten. Der Ort war markant, NATO-Rampe wurde er genannt und steil wie eine Rampe fiel die Straße über das Kopfsteinpflaster in den Rhein hinab. Aber weniger der Ort war besonders, sondern mehr das Datum. Wir schrieben den 3. Oktober, den Tag der Wiedervereinigung, der gleichzeitig ein Feiertag war. Nachdem ich unser Auto getankt hatte, suchte ich am Rhein Zerstreuung, währenddessen lief im Autoradio eine Wunschsendung. Moderatorin auf SWR1 war Uschi Mathes, und passend zur Wiedervereinigung wünschte sich ein Hörer die Scorpions, die im allgemeinen und auch im besonderen mein Musikherz höher schlagen ließen. „Wind of Change“ hatte Klaus Meine in einer Nacht bei einem Konzert in Moskau komponiert. In diesem Stück drückte er seine Vision aus, dass von Osten aus der Wind der Veränderung über den eisernen Vorhang hinaus greifen würde. Den Mauerfall hatte er damit voraus gesehen, als er ein Jahr zuvor dieses Stück komponiert hatte. Obschon „Wind of Change“ nicht unbedingt zu meinen Lieblingsstücken der Scorpions gehörte, passte es perfekt in diesen deutschen Feiertag hinein. Der Rhein floß gemächlich vor sich, die Nachmittagssonne glitzerte zwischen Wolkenpaketen hindurch, Hochspannungsmasten standen wie elektrisiert. Das Pfeifen des Sängers Klaus Meine leitete ein in den Wind der Veränderung, er schilderte seine Begegnung mit Fluss Moskwa, wo er den Song komponiert hatte. Und die Zeitspanne von einem Jahr lag zwischen dem Hotelzimmer, wo er den Text nieder geschrieben hatte, und der gewaltlosen Revolution, welche die Mauer zu Fall gebracht hatte. Gebannt lauschte ich diesem Stück Rockgeschichte, das übergegangen war in reale Geschichte.

4. Oktober 2023


Zufällige Momentaufnahme auf unserem Wohnzimmertisch in der Essecke, was unsere Familie so umtreibt. Uns treiben die Karl-May-Festspiele im nächsten Jahr um, wozu bis Ende Oktober ein Sonderkontingent von Eintrittskarten mit einem Rabatt von 20% verfügbar ist. Wer mitkommen möchte, haben wir zusammen, ebenso haben wir die Karten bestellt. Das Datum im Juli nächsten Jahres steht genauso fest. Wir müssen allerdings noch bezahlen. Die beiden anderen Dinge haben mit unserer Tochter zu tun. Gegen ihre Rückenschmerzen nimmt sie Magnesium-Tabletten, das belegt die angebrochene Tablettenhülle. Der dritte Teil ist ein Zettel, auf den Namen geschrieben sind. Es sind Namensideen für das noch nicht geborene Kind. Nachdem ihr Freund sich von unserer Tochter getrennt hat, muss unsere Tochter nun alleine entscheiden, was bis dahin gemeinsame Entscheidungen gewesen waren. Einerseits vereinfacht dies die Namensauswahl für den noch nicht geborenen Jungen, andererseits kann die Namensauswahl von Neuem beginnen, da all diejenigen Vornamen ausgeblendet worden waren, die ihrem Freund missfallen hatten. Alle Namenskandidaten beginnen mit „L“, was ich grundsätzlich gut finde, da der Vorname unserer Tochter ebenso mit „L“ beginnt. Wir sind überzeugt, dass sie eine gute und richtige Wahl treffen wird.

5. Oktober 2023


Beim heutigen Besuch erkundete ich Koblenz auf etwas anderen Wegen. Der Spaziergang zum Rhein verlief auf gewohnten Wegen geradeaus vom Platz der Jesuiten, zurück wählte ich den Weg durch den Park des kurfürstlichen Schlosses, vorbei am Stadttheater und am Trierer Hof, vorbei am Forum Confluentum zurück in die Innenstadt. Der Park des kurfürstlichen Schlosses, wohin ich noch nie gekommen war, war hübsch und lud ein zum Verweilen. Zum Schloss suchte ich Parallelen zu Neuwied, wo ich zuletzt gewesen war – weil die Bahn es nicht bis Koblenz geschafft hatte. In Neuwied hatten die Fürsten von Neuwied, die aus dem Wiedtal kamen, ihren Herrschaftssitz nach Neuwied verlegt, dort hatten sie ein neues Schloss im Barockstil gebaut. Ein bißchen ähnlich war die Historie der Trierer Kurfürsten. Diese hatten ihren Herrschaftssitz im 17. Jahrhundert nach Koblenz auf die andere Rheinseite verlegt. Trier verlor an Bedeutung, die in demselben Umfang in Koblenz zunahm. Als dieses Schloss den Kurfürsten zu klein wurde, planten sie einen Neubau auf der anderen Rheinseite in der Nähe des Koblenzer Stadtkerns. Das Schloss auf der anderen Rheinseite war im Barockstil erbaut, entsprechend der Epoche zum Ende der 18. Jahrhunderts wurde der Neubau im Stil des Klassizismus gebaut. Mächtige Säulen erhoben sich über dem Eingang, die an griechische oder römische Tempelbauten erinnern sollten. Kurz vor der französischen Revolution, 1793, wurde das Schloss fertig gestellt. In der Nähe des Rheins war die Ruhe im Schlosspark vollkommen. Die in der Nähe liegende Brücke über den Rhein wurde saniert, so dass sich Baumaterialen hinter dem Schlosspark stapelten. Es drang aber kein Baulärm hinüber in den Park. Blumenbeete blühten vor sich hin, Wege schlängelten sich, eine alte Mauer aus rostfarbenen Ziegelsteinen grenzte den Park zum Rhein hin ein. Im Schlosspark vereinigten sich auf dem Sockel eines Denkmals Vater Rhein und Mutter Mosel. Vielleicht war es genau eine solche Idylle, die ich ansonsten so sehr suchte.

6. Oktober 2023


Karl von Görres und sein Denkmal in Koblenz. Das Denkmal atmete den Zeitgeist der 1920er-Jahre ein. 1928 eingeweiht, wirkte es protzig und in seinen Formen unhandlich. Auf hohem Sockel kam er mir vielmehr wie ein Sportler vor, der eine Trainingseinheit absolvieren wollte. Wieso streckte er seine rechte Hand aus ? War es ein Ruf nach Hilfe, weil seine Ansichten den Regierenden zuwider liefen ? Mit Leib und Seele war er ein Kämpfer gewesen für Freiheit und Gerechtigkeit in einer Epoche, in der die Demokratie ihre Anfänge in Frankreich genommen hatte, in Deutschland war diese aber noch nicht reif für die Zeit gewesen. Geboren 1776 in Koblenz, hatte er nie studiert, sondern sich als Autodidakt Kenntnisse in Medizin, in den Naturwissenschaften, in Geschichte und in Philosophie angeeignet. Er teilte die Ideen der französischen Revolution, revidierte diese aber während eines Aufenthaltes in Paris, als Napoleon sich zum Kaiser krönte. Nach seiner Rückkehr suchte er seinen eigenen Gestaltungsansatz im Rheinland als Publizist. Dieses publizistische Werk, das im Schatten anderer literarischer Schwergewichte wie Goethe, Schiller, Herder oder Novalis steht, ist immens und enthält über dreißig Schriften, Abhandlungen und Sachbücher. Sein ständig umtriebiger Geist stellte sich stets der Willkür und der Gewaltherrschaft der Herrschenden entgegen. Er mischte sich ein in die Tagespolitik, er wetterte vor allem gegen die Preußen, er schrieb Leitartikel voller Gift und Galle und er war ein Verfechter der Meinungs- und Pressefreiheit, als er 1814 die liberale Tageszeitung „Rheinischer Merkur“ gründete. Zwei Jahre lang duldeten die Herrscher das aufmüpfige Blatt, dann verboten sie dieses. Noch schlimmer: sie drohten ihm mit Verhaftung, worauf er 1819 nach Straßburg floh, wo Frankreich der Meinungs- und Pressefreiheit offener gegenüberstand. Dort kehrte er in sich, er näherte sich der katholischen Kirche an, er schrieb ein vierbändiges Werk über die christliche Mystik oder auch über fernöstliche Mystik. 1827 kam eine weitere entscheidende Wendung in seinem Leben, als der bayrische König Ludwig I. große Teile der Universität Landshut nach München verlegt hatte. Dort war nun ein Lehrstuhl für Allgemeine und Literaturgeschichte zu besetzen, und den Ruf nach München als Hochschullehrer nahm Görres gerne an. Görres starb 1848 in München, in einem geschichtlich markanten Jahr, als die Ideen von Freiheit und Gleichheit, von Menschenrechten und liberalen Verfassungen sowie von Meinungs- und Pressefreiheit die Menschen auf die Straße riefen. Wenngleich es keine Revolution war, kam man ein Stückchen voran, diese Ideen in die Wirklichkeit umzusetzen. In der Frankfurter Paulskirche gab es einen ersten gesamtdeutschen Bundestag mit demokratisch gewählten Abgeordneten, in Baden schritten die Ideen von Freiheit und Gleichheit weit voran, und auch in den anderen Ländern mussten die Regierenden nach Unruhen und Aufständen Zugeständnisse an die Bevölkerung machen. Karl von Görres, sein Denkmal in Koblenz und sein ganz großer Geist.

7. Oktober 2023


Ein Ereignis, das viel zu selten bis gar nicht statt fand. Am Vormittag hatten wir Stützpfosten für den Zaun zum Nachbarn der Dreier-WG im Baumarkt umgetauscht, ein Stützpfosten hatte beim Umtausch gefehlt, so dass ich am späteren Nachmittag mit unserem Sohn nochmals zum Baumarkt fuhr. Wesentlich war bei der Herumfahrerei aber nicht der Baumarkt, sondern der SATURN im HUMA-Einkaufszentrum, das wir seit der Schließung von real nicht mehr zusammen aufgesucht hatten. Unser Sohn hatte fünf bis sechs Jahre alte Gutscheine, die er einlösen wollte, was im Endeffekt möglich war, da diese nicht verfallen waren. Mit den Gutscheinen wollte unser Sohn eine SSD-Festplatte gekauft haben, die allerdings nicht verfügbar war, da der Elektronikmarkt lediglich zweimal jährlich mit SSD-Festplatten beliefert wurde. Vor Corona seien die Bestell- und Lieferzyklen wesentlich häufiger gewesen, mit Corona habe sich die Verfügbarkeit dermaßen verschlechtert. Unser Sohn kaufte sich kurzerhand etwas IT-mäßig anderes. Auf meine Frage, was denn eine SSD-Festplatte genau sei, blühte er regelrecht auf. Rauf und runter erklärte er mir die Unterschiede zu einer gewöhnlichen Festplatte. Was besser sei, sei gar nicht so einfach zu beantworten, und bei der Fülle von technischen Details hörte ich schnell weg, weil ich diese nicht mehr verstand. Während seine Suche nach der SSD-Festplatte erfolglos blieb, war meine Suche ein ähnlicher Misserfolg. Ich war in den neuen ALDI hinein gegangen, um nach Premium-Katzenfutter für unsere Vierbeiner zu schauen, wo die Lieferschwierigkeiten ähnlich ausgeprägt waren wie bei SSD-Festplatten. Gähnende Leere wie im ALDI-Markt in Ranzel, so dass unsere Katzen häufiger das Katzenfutter von Whiskas verfüttert bekamen, weil sie die andere ALDI-Marke in den großen Dosen nicht mochten. An einem Stehtisch bei Kamps erwartete ich unseren Sohn, wo wir längere Zeit über SATURN, über Halbleiter, über IT, über Einkaufszentren und über Katzenfutter redeten. Bei dem Gespräch wurde mir klar, dass wir sonst viel zu wenig miteinander redeten. Unser Sohn hatte handwerkliche Veranlagungen, die ich nicht besaß, und er hatte Fähigkeiten, sich sein Denken nicht eingrenzen zu lassen. Seine Denkansätze waren unkonventionell, in sehr vielschichtige Probleme konnte er sich hinein denken. In diesen Irrgarten von Alltagsproblemen wagte er sich erst gar nicht hinein. Eigentlich passten unsere Denkwelten und Weltanschauungen sehr gut zusammen, aber wir redeten kaum miteinander. Bevor wir nach Hause fuhren, ging ich mit ihm in die Buchhandlung im Einkaufszentrum. Die Ecke mit Sachbüchern, wo ich herum schmökerte, war nicht sein Metier. Er zog Fantasy-Literatur vor, was wiederum nicht meinen Leseneigungen entsprach. So stöberten wir getrennt, jeder für sich, herum. Als wir im Auto saßen, spürte ich, wie unsere Denkwelten begannen sich zusammen zu fügen. Das Autoradio lief, und wieder einmal redeten wir nicht miteinander, sondern lauschten der Sportsendung auf SWR1.

8. Oktober 2023


In der 40. Kalenderwoche war bei demjenigen WG-Bewohner, der in vorvorherigen Woche bewusstlos geworden war, eine Kardioversion erfolgreich durchgeführt worden. Sein Herzschlag war unregelmäßig gewesen, und die Kardioversion umfasste ein Verfahren mittels Elektroschock, welches das Herz zum Aussetzen brachte, damit dieses ohne Flimmern oder andere Unregelmäßigkeiten danach normal schlug. Unregelmäßig und unzuverlässig war hingegen der Pflegedienst. Die Kardioversion war im Krankenhaus durchgeführt worden, und nach der Entlassung musste er gegen Thrombose gespritzt werden. Jeweils morgens und abends musste ihm ein Pflegedienst ab dem Wochenende die Spritze setzen. Samstags kam der Pflegedienst um die Mittagszeit, nachmittags wollte der WG-Bewohner auf die Kirmes gehen. Er wartete und wartete und wartete …. bis er gegen 17 Uhr das Haus verließ und auf die Kirmes ging. Während seiner Abwesenheit kam prompt der Pflegedienst, so dass dieser unverrichteter Dinge wieder zurück kehren musste. Genau umgekehrt verlief der Sonntag. Diesmal wartete er nachmittags vergeblich. Er ging nämlich gar nicht zur Kirmes, weil er kein Geld mehr hatte. Er wartete und wartete und wartete, und diesmal kam der Pflegedienst überhaupt nicht. In ihrer Ausbildung setzte sich in der 40. Kalenderwoche der Praxiseinsatz unserer Tochter fort. Bis Mittwoch war sie krank geschrieben, am Donnerstag wurde eine sogenannte Gefährdungsbeurteilung erstellt, welche Tätigkeiten sie in ihrer Schwangerschaft ausführen durfte und welche wiederum nicht. Am Freitag nahm sie auf ihrer Station ihren Dienst wieder auf, aber nur für sehr kurze Zeit. Ihr Kreislauf war nämlich äußerst schwach, so dass sie eine Infusion erhielt. So erhielt ich eine Textnachricht, ob ich sie holen könne. Dies war allerdings nur mit öffentlichen Verkehrsmitteln möglich, da unser Auto in der Werkstatt war. Als ich sie auf der Station abholte, teilte mir die betreuende Krankenschwester mit, sie solle zum Frauenarzt gehen, um sich untersuchen zu lassen. Dort war sie allerdings zwei Tage zuvor zur monatlichen Untersuchung gewesen, bei der alles in Ordnung gewesen war. Außerdem riet die betreuende Krankenschwester unserer Tochter, sie solle sich für die darauf folgende Woche krank schreiben lassen, was sie dann auch tat.


9. Oktober 2023


Wir waren nieder geschlagen, als wir von einer zweiten Krebserkrankung in unserem Freundeskreis erfuhren. Tage zuvor hatten wir uns per Mail mit einer Freundin ausgetauscht, zu ihr und ihrem Mann hatten wir seit mehreren Jahren fast gar keinen Kontakt mehr, seitdem die beiden in einer religiösen Bewegung im Sauerland aktiv geworden waren. Er hatte drei Krebstumore in der Wirbelsäule, die ihm weg operiert worden waren. Dort waren ihm nun drei Metallplatten oder auch künstliche Wirbel eingesetzt worden. Bei dem zweiten Fall einer Krebserkrankung handelte es sich um Bauchspeicheldrüsenkrebs. Es waren Freunde aus Düsseldorf, die wir bestimmt zehn Jahre nicht mehr gesehen hatten. Das letzte Mal hatten wir sie in ihrem Kleingarten im Düsseldorfer Norden besucht. Vor mehreren Wochen war bei ihm, Anfang 70, Bauchspeicheldrüsenkrebs diagnostiziert worden. Der Krebs hatte bereits Metastasen gebildet, und zehn Chemotherapien hatte er bereits erhalten. Wir verstanden die Welt nicht mehr, wieso die Krebserkrankung gerade ihn ausgesucht hatte. Für uns war er ein Musterbeispiel gesunder Lebensart: er hatte stets Sport getrieben, bis er etwa 50 geworden war, hatte er regelmäßig an Wettkämpfen der Leichtathletik teilgenommen. Aber auch danach war er regelmäßig mit seiner Frau gewandert. Er rauchte nicht, Alkohol trank er nur mäßig. Er hatte eine schlanke Gestalt. Alles, wozu Ärzte rieten, wurden mit der Erkrankung über den Haufen geworfen. Dass die Metastasen mit den Chemotherapien leicht zurück gegangen waren, ließ schlimmes befürchten. Irgendwann mussten die Chemotherapien enden, und was wäre dann ? Unsere Freundin hatte mit ihm in diesem Monat eine Kreuzfahrt durch das Nordmeer gebucht, die sie mit ihm in vollen Zügen genießen wollte. Zuletzt waren sie mit ihrem Chor, in dem sie nicht mehr mitsangen, nach Cochem an die Mosel gefahren. Sie waren wenig gelaufen, in einer kleineren Gruppe hatten sie sich vollkommen entspannt, eine zweistündige Schiffstour über die Mosel war auch dabei gewesen. Die Vorahnungen waren schlimm, was noch auf sie zukommen würde. Per E-Mail teilte uns die andere Freundin ihre Verzweiflung mit, als ihr Mann aus dem Krankenhaus zurück gekehrt war. Sie könne nur noch zu 20% arbeiten (sie hat einen Floristik-Laden), den Rest müsse sie sich um Ihren Mann kümmern. Er sitzt nun im Rollstuhl und es gelingt ihm so gerade, im Haus ein paar Schritte im Rollator zu gehen. Krankentherapeuten kämen erst in 4-6 Monaten ins Haus. Ihr fehle die Zeit, e-Mails zu schreiben, so dass wir auf absehbare Zeit nichts mehr von ihr hören würden. So ganz glaubten wir dies nicht. Er müsste Anspruch auf einen Pflegegrad haben, so dass ein Pflegedienst mehrere Stunden in der Woche helfen könnte. Beim Aufstehen, beim Waschen, bei der Körperpflege oder auch um die Bewegungen am Rollator zu üben. Bei der Hilfe durch einen Pflegedienst kamen uns die 20% sehr niedrig vor, dass sie noch ihren Floristik-Laden betreiben konnte. Bei dieser Hilfe hätte man ihn bestimmt längere Zeit alleine lassen können. Und dann war da noch der dritte Fall einer Krebserkrankung in unserem Freundeskreis. Bei der Schwester der eben genannten Freundin war der Brustkrebs wieder gekehrt. Vor vielleicht zwanzig Jahren war ihr wegen des Krebses die Brust abgenommen worden, danach hatte sie Ruhe vor dieser schrecklichen Krankheit gehabt. Nun war ihre andere Brust vom Brustkrebs befallen. Ob auch ihre zweite Brust entfernt werden musste, das wussten wir nicht. Das waren drei Einschläge ganz dicht in unserem Freundeskreis. Den drei Freunden wünschten wir ganz viel Widerstandskraft, dass sie wieder genesen würden oder dieser fürchterlichen Krankheit so lange wie möglich widerstehen würden.

10. Oktober 2023


Zu Wochenbeginn sorgte das fehlende Führungszeugnis unserer Tochter für mächtigen Wirbel. Dazu hatte letzten Freitagnachmittag unsere Tochter eine E-Mail aus der Personalabteilung erhalten, dass dieses nicht vorläge und dringend benötigt würde. Das Führungszeugnis gehörte zu denjenigen Unterlagen, die bereits zu Ausbildungsbeginn hätten vorgelegt werden müssen. Alle Unterlagen waren komplett gewesen – bis auf das Führungszeugnis. Ich hatte mich dadurch irritieren lassen, dass beim Schreiben der Personalabteilung mit dem Ausbildungsvertrag ein Schreiben an das Bürgeramt dabei war, dass ein Führungszeugnis auszustellen sei und an die Privatanschrift zu senden sei. Ich hatte gedacht, dass dieses Schreiben einen Automatismus auslösen würde, ohne dass sich unsere Tochter darum kümmern bräuchte. Doch dem war nicht so. Das Führungszeugnis kam nicht und kam nicht mit der Post, schließlich ging unser Nachfassen, dass unsere Tochter dieses hätte beantragen müssen, in den Turbulenzen ihrer Schwangerschaft unter. Inzwischen hatte ich das Führungszeugnis verdrängt, bis uns die E-Mail aus der Personalabteilung wach rüttelte. Es gäbe Fristen, erläuterte die Personalabteilung unserer Tochter, dass die Ausbildungen bei der Bezirksregierung anzumelden seien. Ohne Führungszeugnis sei keine Anmeldung möglich, und wenn die Anmeldung unterbleibe, könne unsere Tochter die Ausbildung nicht fortführen. Als ich dies las, wurde ich ganz zappelig und nervös. Mit meiner Frau diskutierte ich, dass dies längst hätte geschehen sein müssen. Wir hätten genauer hinsehen sollen, dass der Adressat des Schreibens, ein Führungszeugnis auszustellen, unsere Tochter war und nicht die Stadtverwaltung. So musste unsere Tochter einen Termin beim Bürgeramt machen und hoffen, dass alles ganz schnell ging. Diese Bearbeitungszeiten, wie schnell die Ausstellung eines Führungszeugnisses dauern würde, waren höchst unsicher. Bei meiner Frau hatte es sechs Wochen gedauert, bis sie für ihre Tätigkeit im Behindertenwohnheim ein Führungszeugnis erhalten hatte. Im Internet fand ich eine Bearbeitungszeit von zwei bis drei Wochen. Über ein Kontaktformular fragte ich beim Bundesamt für Justiz nach, das die Führungszeugnisse ausstellte. Zehn Tage, bekam ich als Antwort, bei Beantragung über das Bürgeramt, und vier Wochen bei einer Online-Beantragung. So geduldeten wir uns. Was blieb uns auch anderes übrig ? Um die Nerven zu beruhigen, telefonierte ich mit der Berufsschule unserer Tochter, weil auch ich nicht genau hingeschaut hatte, dass sie sich hätte kümmern müssen. Der 8.11. sei der Vorlagetermin bei der Bezirksregierung, und sollten die zehn Kalendertage stimmen, die das Bundesamt für Justiz mitgeteilt hatte, lag unsere Tochter gut in der Zeit. Diese zehn Kalendertage wurden im Endeffekt sogar unterschritten: am Dienstag hatte unsere Tochter den Termin beim Bürgeramt, am Samstag war das Führungszeugnis bereits in der Post. Das waren mithin fünf Kalendertage. So hatten wir positive Erfahrungen gemacht, wie schnell und flexibel die Mühlen der Bürokratie mahlen können !

11. Oktober 2023


Hilfe, unbürokratisch und schnell, so war die Kommunikation bei den Corona-Hilfsgeldern für Einzelhändler, die von Geschäftsschließungen während der Lockdowns betroffen waren. Das stimmte und stimmte auch wieder nicht, das erfuhr ich beim letzten Friseurbesuch. Den Friseur musste ich ja wechseln, da sich die Inhaberin des Friseursalons, den ich gewöhnlich aufsuche, bei einem Fahrradunfall an der Schulter verletzt hatte. Ihr Friseurgeschäft war bis auf weiteres geschlossen. Gewechselt hatte ich zu einem anderen Friseurgeschäft, das nicht unweit vom Marktplatz in unserem Ort liegt. Wie es nun mal beim Haareschneiden so ist, schweigt man sich nicht gegenseitig an, sondern erzählt sich etwas. Dabei kam ich mit der Friseuse irgendwie auf das Thema Corona. Wir sprachen über Hilfsgelder bei Lockdowns und Geschäftsschließungen. Die Kommunikation der Regierung sei falsch und irreführend gewesen. So wie bei einer Marketingkampagne, dass nur die Hochglanzbroschüre gezeigt würde, aber nicht die ganze Wahrheit erzählt würde. Nie sei erwähnt worden, dass die Soforthilfen zurück zu zahlen waren. Im Endeffekt sei dies so gewesen. Während Corona hätte sich so mancher Händler durch Click & Collect oder Fensterverkäufe mit Mühe und Not über Wasser halten können. Erst jetzt, wenn die Hilfen zurück zu zahlen wären, seien diese Geschäfte in ihrer Existenz bedroht. Ihr Chef habe glücklicherweise von den Reserven gelebt und keine Soforthilfen in Anspruch genommen. Die Friseuse schimpfte über den Staat, sie bezichtigte die Verantwortlichen der Lüge und verurteilte die Spielregeln für die Vergabe der Soforthilfen. Diese Spielregeln besagten, dass die Hilfen dann zurück zu zahlen waren, wenn ein Überschuss entstanden war. So war die Kommunikation der Corona Hilfsgelder doppeldeutig. Dahinter verbarg sich die einigermaßen komplexe Welt der Geschäftszahlen, welche die Aussagen der Regierung verwässerte. Zu Hause angekommen, war die erste Frage meiner Frau, wann ich denn den nächsten Friseurtermin hätte. Die Friseuse war nämlich sehr vorsichtig an meinen Haarschnitt heran gegangen. Zu kurz geschnitten, standen die Haare nämlich in die Höhe, was sie verhindert haben wollte und was bei der vorherigen Friseuse regelmäßig geschehen war. Da meine Haare in wüster Form zu lang gewachsen waren, war ich jedenfalls froh, mich in der Öffentlichkeit wieder blicken lassen zu können.


12. Oktober 2023


Was das Kinderzimmer des noch nicht geborenen Kindes betrifft, haben wir uns durchgerungen, dieses von einem Raumausstatter aus unserem Ort tapezieren zu lassen. Er hatte sich das Zimmer angesehen, anstelle der Tapete in einem orangenen Farbton sollte er das Zimmer mit einer Rauhfasertapete tapezieren und diese in einem hellen Blauton streichen. Er schlug ein Sternchenmuster auf der Rauhfasertapete vor, welches wir uns im Detail noch ansehen sollten. In der übernächsten Woche sei er in der Lage, dies zu erledigen. Dazu mussten wir allerdings das ganze Zimmer komplett ausräumen, was eine gewisse Herausforderung war. Abzubauen war der Schrank, der im Keller wieder aufzubauen war. Viel zu viele Anziehsachen lagerten in dem Zimmer, außerdem diente dieses als Büro für meinen Home-Office-Arbeitsplatz. Dieser war mit allen Unterlagen, Schmierzetteln und Notizen leer zu räumen, außerdem musste ich mir etwas einfallen lassen, an was für einem Ort ich künftig meine Home-Office-Tätigkeit machen sollte. Klar war, dass ich mich vermehrt ins Büro bewegen würde. Die Oberfläche der Tapete trocken abziehen, die darunter liegende Schicht nass mit viel Wasser ablösen, das erklärte uns der Raumausstatter, wie wir das Tapezieren vorbereiten sollten. Über die ursprüngliche Intention hinaus, das Zimmer zu tapezieren, erzählten wir über seine Mama, die Friseuse war. Den Fahrradunfall mit der Verletzung hatte sie auf der anderen Rheinseite gehabt. Auf dem Radweg am Rheinufer war sie mit ihrem e-Bike mit Anhänger und Hund unterwegs gewesen, auf einer starken Steigung hatte sie sich verschaltet. Sie wollte abgestiegen sein, sie hatte dabei aber einen langsameren Gang mit einem schnelleren Gang verwechselt. Dadurch war sie gestürzt, so dass das e-Bike mit einem hohen Gewicht auf sie gefallen war. Sie hatte bereits ein künstliches Schultergelenk, welches durch den Sturz verletzt worden war und erneuert werden musste. Nach der Operation hatte sie eine riesige Wunde an der Schulter. Seine Mama war in meinem Alter, derzeit hatte sie ihr Friseurgeschäft geschlossen. Er war aber sicher, dass sie dieses wieder öffnen würde, wenn ihre Schulter wieder fit sein würde. Dazu war sie zu aktiv und konnte als künftige Rentnerin nicht den ganzen Tag zu Hause herum sitzen. Ihre Rente habe sie übrigens erst vor kurzem durch gehabt, das hatte ihr die Rentenversicherung mitgeteilt. Nun hofften wir, dass wir so in die Gänge kommen würden, dass der Raumausstatter in der übernächsten Woche loslegen konnte.

13. Oktober 2023


Bei unserer Tochter bemängeln wir allgemein, dass sie zu wenig anpackt im Haushalt. Sie putzt weder das Badezimmer, noch staubsaugt sie die Treppe, allenfalls hilft sie ein wenig bei der Wäsche mit. Sie ist allerdings auch schwanger und in ihrer Bewegungsfähigkeit eingeschränkt. Da es nun um die Herrichtung des Zimmers für ihr Kind ging, hatte meine Frau sie hinzu gebeten, um mitzuhelfen. Sie sollte Tapete abreißen. Hier konnte sie prompt ihr Wissen einbringen, das sie sich im Rahmen ihrer Ausbildung erworben hatte. Über die wenigen Dinge, die sie tun durfte, und über die vielen Dinge, die sie nicht tun durfte, war sie ausführlich aufgeklärt worden. Dokumentiert worden war dies in einer Gefährdungsbeurteilung, die zum gesundheitlichen Schutz von Mutter und Kind erstellt worden war. Unter anderem war dort von Steharbeitsplätzen die Rede. Unsere Tochter musste sich hinsetzen können, reine Steharbeitsplätze waren tabu. Genau diese Argumentation wendete sie nun darauf an, Tapete abreißen zu sollen. Dieses Abreißen finde an einem Steharbeitsplatz statt, was der Gesundheit von Mutter und Kind nicht zuträglich sei. Also dürfe sie dies nur bedingt und mit großen Einschränkungen, quasi also gar nicht tun. Pro forma riss sie ein paar wenige Tapetenstücke ab, dann fand sie auf die im Büro stehenden Hocker eine Sitzfläche. Von dort erhob sie sich nicht mehr, um Steharbeitsplätze machte sie einen großen Bogen.


14. Oktober 2023


In der 41. Kalenderwoche haben wir den Zaun zum Nachbarn der Dreier-WG – bis auf kleinere Restarbeiten - fertig gestellt. Balken und Zaunelemente hatten wir zuvor mit Winkeln befestigt, ein Freund von uns hatte eine Schlagbohrmaschine organisiert, anfangs hatte er den falschen Bohrer für seine Schlagbohrmaschine, was uns etwas in einen zeitlichen Verzug brachte, da er mit dem zu großen Bohrer zu große Löcher gebohrt hatte. Am Ende des Tages bekamen wir aber die vier Zaunelemente gut befestigt. Nun müssen wir die Ritzen noch mit Silikon abdichten, zudem fehlten uns noch ein paar wenige Holzschrauben für die Befestigung der Winkel. Eine gewisse Aktion hatte der Rasenmäher nach sich gezogen. Der neu gelieferte Elektrorasenmäher war zu klein, wobei der letzte Mähvorgang zu meiner Zufriedenheit verlief, wenn der Auffangkorb in kürzeren Abständen geleert wurde. Wir entschlossen uns, diesen Rasenmäher wieder an Amazon als Retoure zurückzugeben. Danach wollte ich den Elektrorasenmäher derselben Marke mit der höchsten Leistungsfähigkeit bestellen, wobei der Motor ein paar Kilowatt stärker war, die Mähbreite etwas breiter und das Auffangvolumen des Korbes etwas größer war. Dazu musste ich die Retoure fertig machen, damit ich diese in dem Originalkarton auf der Post aufgeben konnte. Am zweiten Tag, als ich in der 41. Kalenderwoche Urlaub hatte, hatten wir uns mit einem Freund zum Frühstück verabredet. Von der Schwangerschaft unserer Tochter und von der Dreier-WG hatten wir jede Menge zu erzählen, er erzählte uns im Gegenzug über seine Unternehmungen. Er wanderte weiterhin gerne im Siebengebirge, allerdings wollte sein Knie nicht mehr richtig mitmachen. Leider mussten wir feststellen, dass wir alle älter werden. Wenn es steil den Berg hinunter ging, hatte er Schmerzen im Knie. Bergauf war kein Problem für ihn, so dass er schauen musste, dass der Streckenverlauf nicht allzu sehr rauf und runter ging, zumindest durfte es nicht steil bergabwärts gehen. Er hatte Verwandte in Thüringen, die er mit seiner Schwester zuletzt besucht hatte. Plötzlich bekam seine Schwester ein schlimmes Nasenbluten, und dies genau am Wochenende, wenn kein Hausarzt aufgesucht werden konnte und kaum Notfallpraxen ihren Dienst verrichteten. So mussten sie in die eine Autostunde entfernt liegende Uniklinik nach Jena fahren. Dies geschah am späten Abend, und bis die Schwester in Jena behandelt wurde, war es nach Mitternacht. Nachfolgend musste noch ein Arztbericht ausgedruckt werden, was ebenso eine größere Zeitspanne erforderte. So fuhren sie im Morgengrauen zur Verwandtschaft zurück und waren dermaßen erschöpft, dass sie den Besuch ihrer Verwandten um einen Tag verkürzten. Direkt im Anschluss fuhren sie nach Hause zurück, was die Verwandten überhaupt nicht erfreute. In der 41. Kalenderwoche haben Frau und Tochter mit dem Jugendamt ein Telefonat mit dem Jugendamt wegen eines Platzes im Kindergarten geführt. Sie eröffnete die Perspektive, dass es grundsätzlich Möglichkeiten einer Betreuung ab einem Alter von sechs Monaten in einem städtischen Kindergarten gäbe. Dies seien bestimmte Kindergärten, die über das Stadtgebiet verteilt seien. Dazu müsse der Ausbildungsträger auf einem Formular bestätigen, dass unsere Tochter sich in einer Ausbildung befinde. Um den Antrag zu stellen, vereinbarten Frau und Tochter einen Termin mit dem Jugendamt am 13.11. Innerhalb ihres Freundeskreises hatte unsere Tochter Kontakt zu einem Mädchen gehalten, das sie über die Psychotherapie in St. Augustin kennen gelernt hatte. Einmal hatte sie bei ihrer Freundin in Rösrath übernachtet. Diese Freundin war mittlerweile 20 Jahre alt und ebenso schwanger. Vielleicht ließen sich über die noch nicht geborenen Kinder Kontakte wieder beleben … Bis zur 41. Kalenderwoche hatte sich ein gewisser Notstand beim Katzenfutter zugespitzt. Gewöhnlich holten wir beim ALDI das Premium-Katzenfutter der Marke „Cachet“. Dieses fraßen unsere Katzen gut und es war günstig. Nun war dieses Katzenfutter seit Wochen ausverkauft, und kein neues Katzenfutter von dieser Marke wurde nachgeliefert. Bei Fressnapf hatten wir Paypack-Coupons, wir schafften es aber innerhalb der Geschäftszeiten nicht dorthin, so dass wir das gewünschte Katzenfutter nicht nachkaufen konnten. Bei LIDL hatten wir zwischenzeitlich eine Großpackung von SHEBA im Angebot gekauft, was zur Folge hatte, dass unsere Katzen laufend das SHEBA-Futter mit einem viel zu hohen Zuckergehalt verfüttert bekamen. Wir mussten handeln. Die Angebote in den nächsten Wochen mussten wir genau im Auge behalten.


15. Oktober 2023


In dem Stück „Fifty Ways to leave your Lover” von Art Garfunkel meint man, dass sich eine riesige Menge von Optionen auftut. Wenn Paare sich trennen, steht eine Vielfalt von Möglichkeiten offen. Trennungen können leise oder laut, mit einem großen Krach oder so unfühlbar geschehen, dass niemand etwas von den Dissonanzen mitbekommen hat. Nun sieht es so aus, als habe es meinen Bruder erwischt. Vorahnungen gab es schon, allerdings verlief die Art und Weise der Trennung mit einem gewissen Getose. Meine Mama hatte mich angerufen, dass dieses gewisse Getose in Form eines Möbelwagens vorgefahren war. Beziehungsweise es war ein LKW mit einem größeren Ladevolumen, in den alles, was an Möbeln vorhanden war, eingeladen wurde. Die Frau meines Bruders war mit deren Tochter ausgezogen, indem deren Schlafzimmer, das Wohnzimmer und das Kinderzimmer der Tochter komplett ausgeräumt wurde. Sogar die Waschmaschine und den Trockner hatte die Ehefrau und deren Helfer beim Schleppen und Auseinanderbauen der Möbel mitgenommen. Es war wohl nichts und gar nichts mehr in den Zimmern zurück geblieben. Die Leere sei gespenstisch, so beschrieb die Mama die Räume mit dem nackten Fußboden, wo Wände und Decken ohne Personen und Mobiliar eine Totenstille einatmeten. Staub hätten die beiden Damen allerdings in großer Menge hinterlassen, weil sie nie geputzt hätten. Allzu oft hatten wir meine Familie im Heimatort nicht besucht, es war allerdings auffällig, dass Frau und Tochter durch Abwesenheit glänzten, wenn wir nicht gerade an Weihnachten dort waren. Und selbst am letzten Weihnachtsfest hatten die beiden Damen einen Kurzurlaub in Belgien verbracht. Darüber hinaus waren gemeinsame Urlaube selten geworden. So war mein Bruder alleine zum Metallica-Konzert nach Hamburg gefahren, alleine hatte er Urlaub am Chiemsee gemacht, alleine war er ebenso mit einem Hausboot durch Brandenburg gefahren. Er hatte aber auch über andere gemeinsame Aktivitäten erzählt, so gingen sie gerne gemeinsam essen. Egal. Fürs erste sah es so aus, als gingen die beiden getrennte Wege. Befreie dich einfach, steige in den nächsten Bus ein, gib den Schlüssel ab, so beschreibt Art Garfunkel in seinem Stück „Fifty Ways to leave your Lover“ die Varianten einer Trennung. Bei meinem Bruder war es dieser LKW, der eine heftige Zäsur in seinem Leben setzen sollte.

16. Oktober 2023


In Troisdorf ist am vorvergangenen Wochenende ein Klimawochenende veranstaltet worden. Gleichzeitig gab es einen verkaufsoffenen Sonntag. Klima und Verkauf, eine sinnvolle Kombination ? Ich war nicht da, erwartet hätte ich, dass die Bahn oder die Rhein-Sieg-Verkehrsgesellschaft fleißig Werbung gemacht hätten für das 49 Euro-Ticket. Anbieter von Elektro-Autos hätte ich erwartet, genauso Anbieter von Solarzellen, e-Bikes oder Wärmepumpen. Als ich mir die dazugehörigen Fotos im Internet anschaute, sah es denn so aus, dass die Schwerpunkte anders gesetzt wurden. Die Presse berichtete darüber so: „Fachleute des Abwasserbetriebes, der Rhein-Sieg-Abfallwirtschaftsgesellschaft (RSAG), der Stadtwerke Troisdorf oder des Deponiebetreibers Mineral Plus informierten aus ihren Bereichen. Einzelhändler*innen in Sachen Landschaftsbau und Garten standen Rede und Antwort und einige Angebote aus dem Bereich Gastronomie zeigten Beispiele, wie man Fleischbedarf verringern oder Verpackungsmüll vermeiden kann … „ Das klang weniger nach den gängigen Produkten, die mit Nachhaltigkeit zu tun hatten und zum Verkauf angeboten wurden, sondern mehr nach branchentypischen Themen. Oder Nachhaltigkeit innerhalb des Verkaufes, wobei das Thema Verpackungsvermeidung mit dem Trend auf und ab geht und sich bisweilen gegensätzlich gestalten kann. Als Verbraucher hat man im Einzelhandel ohnehin den überzogenen Eindruck, dass durch Öko-Siegel, den Wegfall von Blister-Verpackungen oder das Recycling von Druckerpatronen wahnsinnig viel für die Nachhaltigkeit getan wird. Je mehr man einkauft, um so besser ist dies für das Klima. Worüber Einzelhändler und Firmen in Troisdorf informiert haben, wird seinen Sinn und Zweck gehabt haben. Ich war ohnehin nicht dabei. die Technologien befinden sich im Fluss, die Einstellungen der Verbraucher genauso. Ein proportioniertes Maß an Aufklärung kann nicht schaden.

17. Oktober 2023


Diese Skulptur in der Troisdorfer Fußgängerzone befasst sich mit den Toten, die Kriege verursacht haben. Kriege sind ein ständig aktuelles Thema. Niemand will sie eigentlich, Krisenherde gibt es reichlich in irgend welchen Ecken unseres Planeten, und irgend wo gibt es Herrscher, die glauben, ihre Ziele und Weltanschauungen nur dann durchsetzen zu können, wenn sie Kriege führen. Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, so hatte es einst Clausewitz formuliert, der als Soldat in den Koalitionskriegen gegen Napoleon gekämpft hatte und über die Theorie des Krieges ein Buch geschrieben hatte. In Clausewitz‘ Theorien geht es auch um Strategie und die Taktik von Kriegsführungen, die sich mit dem technischen Fortschritt und dem Waffenarsenal verändert haben. Spätestens seit dem Ersten Weltkrieg hat die Zerstörungskraft so zugenommen, dass Kriege in der Lage sind, Menschenmassen zu vernichten. Kriege weiten sich auf die Zivilbevölkerung aus und zerstören deren Hab, Gut und Leben. Dies verdeutlichen die Zahlen der Kriegstoten auf dem Sockel der Skulptur. Rechts daneben stehen die Namen der Friedensnobelpreisträger als Gegenpol, dass es auch Gegenbewegungen für den Frieden gibt. Die Kriegstoten steigern sich von der Millionenmarke im Ersten Weltkrieg zu Zehn-Millionen-Sprüngen im Zweiten Weltkrieg, in der Nachkriegsära bis in die Gegenwart. Kriege sind vielleicht in der Anzahl auf der Welt seltener geworden. Es gibt aber weiterhin diese Staatsmänner, die glauben, dass die Macht aus dem Lauf eines Gewehrs kommt. Das sind Verbrecher vom Format eines Putin, aber auch jede Menge andere Staatsmänner, die es schaffen, die Menschenmassen hinter sich zu haben. Und die ganz normale Menschen motivieren können, ein Gewehr in der Hand zu halten und auf andere zu schießen.

18. Oktober 2023


Eigentlich sollte es eine banale Sache sein, den Pegel des Rheins zu messen. In Zeiten von Hochwassern, aber auch von Niedrigwassern, werden diese Messungen zu einem besonderen Ereignis. So werden in Städten wie Köln, Neuwied oder auch Koblenz diese Messungen in besonderen Bauten durchgeführt. In Koblenz entstand die Idee eines Pegelhauses um 1600. So wie es ausgeführt wurde, nahm es gleich mehrere Funktionen wahr, dabei war die Messung denkbar einfach: an einer Pegellatte waren die Maße eingezeichnet, an denen der Wasserstand mit der dazugehörigen Höhe abgelesen wurde. Als Kran wurde das Pegelhaus gebaut, dessen Turmhaube gleichzeitig Teil der Stadtbefestigung war. Zusätzlich war ein Eisbrecher an dem Gebäude angebracht. Später, 1887, wurde die Pegeluhr aufgestellt, die über einen Schwimmer im Rhein den Wasserstand anzeigt. Betritt man den Eingang des Pegelhauses, das heutzutage als Restaurant dient, sind auf der Gebäudewand die Marken der Hochwasser über die Jahrhunderte hinweg eingezeichnet, wobei auffällt, dass sich die Hochwasser um die 1980er- und 1990er Jahre gehäuft haben. Nimmt man die Hochwasserkatastrophe an der Ahr vor zwei Jahren hinzu, wird sich nicht leugnen lassen, dass in Zeiten des Klimawandels die Hochwasser immer häufiger und immer höher werden, wobei Hochwasser am Rhein wenigstens eine gewisse Vorlaufzeit haben, bis das Hochwasser eintritt, um sich selbst und sein Hab und Gut in Sicherheit zu bringen. Um 1900 wurde der Kran abgebaut, und vor der Bundesgartenschau im Jahr 2011 wurde der Gebäudekörper aus dem 17. Jahrhundert nochmals verändert. Das Pegelhaus wurde um ein Stockwerk erweitert, ein Glasdach wurde aufgebaut und in dem Bau richtete man ein Restaurant ein (das allerdings ziemlich stolze Preise hat). All die baulichen Veränderungen über die Jahrhunderte hinweg zeigen, was man alles aus der Messung des Rheinpegels machen kann.

19. Oktober 2023


Es war der vierte Krankenhausaufenthalt unserer Familie in diesem Jahr. Zuerst war ich mit meiner Nabelbruch-Operation im Juni im Krankenhaus, parallel dazu der Sturz meiner Frau, eine Woche verbrachte unsere Tochter mit ihrer Schwangerschaft im Juli im Krankenhaus, nun Herzrhythmusstörungen und Vorhofflimmern bei meiner Frau. Das begann am Wochenende, als sich meine Frau einfach nur Scheiße fühlte, wie sie sagte. Drei Wochen Urlaub endeten, am Montag arbeitete sie nachmittags, abends schlug ihr Puls wie wild. Gestern Abend genauso, als ihr Messgerät einen Puls von etwas über einhundert anzeigte. Heute musste sie den ganzen Tag arbeiten, und sie bat mich, für Donnerstag einen Arzttermin bei Hausarzt zu machen. Als ich im Büro war, überschlugen sich die Ereignisse. Sie war bereits heute zur Hausärztin gegangen. Sie machte ein EKG, das mit einem Puls von 126 wie verrückt nach oben ausschlug. Mit solch einem Puls müsse sie sofort ins Krankenhaus, meinte sie. Autofahren könne sie nicht mehr, so dass sie einen Rettungswagen rief, der sie nach Beuel ins Krankenhaus transportierte. Während ich zwei Stunden im Teammeeting verbrachte, erhielt ich all diese Informationen auf meinem Handy. Kurz nach 16 Uhr schaffte ich es, mit der Straßenbahn ins Krankenhaus zu fahren, wo meine Frau den aktuellen Stand ihrer Herzrhythmusstörungen erzählte. Im Krankenhaus habe sich der Puls sogar auf 150 gesteigert, dann habe sie ein Medikament erhalten, das den Puls etwas abgesenkt habe. Man wolle genau das machen, was man bei ihrem Chef und bei dem einen WG-Bewohner gemacht habe: eine sogenannte Kardioversion, dass man das Herz mit einem elektrischen Impuls zum Stillstand bringen wollte, damit es wieder neu mit einem normalen Puls beginnen solle zu schlagen. Dazu war ein Ultraschall von ihrem Herzen gemacht worden, zusätzlich sollten detailliertere Aufnahmen des Herzens mittels einer Sonde vom Magen aus gemacht werden. Dies sollte am morgigen Tag geschehen, übermorgen sollte sie dann entlassen werden. Wir hofften, dass die Kardioversion gelingen würde und dass sich ihr Herzschlag danach normalisieren würde.

20. Oktober 2023


Es war ein Tag, an dem ich so gut wie nur unterwegs war. Die Kardioversion war bei meiner Frau gelungen, der Puls schlug wieder normal, so dass ich sie gegen viertel nach neun aus dem Krankenhaus abholen konnte. Dies musste koordiniert werden mit einem Betriebsarzttermin der Tochter im Marienhospital um 10.30 Uhr, wohin ich sie fahren wollte. Je nachdem, wie lange die Erstellung des Arztberichtes und der Aufenthaltsbestätigung (Krankschreibung) dauern würde, hätte dies für unsere Tochter eng werden können. So nahm ich sie mit zur Abholung meiner Frau, wobei wir uns die Option behielten, gegebenenfalls vom Krankenhaus in Beuel zum Marienhospital in einer Strecke durch zu fahren. Das war allerdings nicht notwendig. Die Fahrt zurück nach Hause, um meine Frau dort abzusetzen, klappte so gerade. Ich ließ sie aus unserem Auto heraus, gleichzeitig fuhr ich mit unserer Tochter weiter zum Venusberg. Ich beschloss, dort auf sie zu warten, und parkte unser Auto im Parkhaus des Marienhospitals. Während unsere Tochter sich zum Büro des Betriebsarztes begab, ließ ich mich auf den Sitzgelegenheiten im Eingangsbereich nieder, holte mein Laptop aus meinem Rucksack heraus und versuchte, für die Arbeit etwas zu erledigen. Dies gelang allerdings nur in kleinem Umfang, da ich für die WLAN-Anbindung eine Kennung und ein Passwort benötigt hätte. Ich ersparte es mir, am Empfang diesbezüglich nachzufragen. So bekam in dem Eingangsbereich, wo man einen schönen Ausblick in Richtung Tal auf die Innenstadt hatte, nur wenige Berechnungen erstellt, bei denen ich nicht auf das Reporting oder andere Unterlagen im Netz zugreifen musste. Es dauerte ziemlich lange, ungefähr 45 Minuten, bis unsere Tochter aus den langen Gängen zurück kehrte, die eine echte, sterile Krankenhausatmosphäre verkörperten. Unter den hohen Decken drückte diese sterile Atmosphäre, sie wirkte schwer wie Blei und strengte an. Mit den Gesprächen mit den beiden Damen am Empfang bekam ich diverse Krankheitsfälle und Anlässe mit, wieso die Patienten im Krankenhaus verweilten. Ein Arzt wünschte, dass die Damen am Empfang einen Priester anrufen sollte, damit dieser die letzte Ölung durchführen sollte. Ein anderes Ehepaar setzte sich auf das benachbarte Sitzelement, die Frau verschwand, der Mann blieb zurück, dabei blätterte er in Comics herum. Es waren Comics mit kyrillischen Buchstaben, die der Welt entrückt und dennoch selbstverständlich erschienen: lustige Figuren, die sich geschickt über die Titelseite bewegten, die Sprechblasen waren mit kyrillischen Buchstaben. Das als kriegerisch und zerstörerisch wahrgenommene Russland wurde so in ein dezenteres Gesamtbild eingefasst. Der Betriebsarzt habe ein zeitweises Beschäftigungsverbot für unsere Tochter ausgesprochen, das war die wesentliche Botschaft unserer Tochter. Beim Praxiseinsatz gäbe es keine Tätigkeit, die unsere Tochter ausüben dürfe, bei der Berufsschule sei dies noch unklar. Zu Hause angekommen, hatte meine Frau um 12.30 Uhr einen Termin bei der Hausärztin wegen der Krankschreibung am Samstag sowie in der nächsten Woche. Ich beabsichtigte, sie dorthin zu fahren, weil es regnete. Dabei besann ich mich darauf, dass mich ursprünglich an diesem Tag gegen Grippe impfen lassen wollte, so dass ich mitkam zur Sprechstundenhilfe. Dies übernahmen die Sprechstundenhilfen, so dass ich sofort an der Reihe war. Zu Hause angekommen, besorgte ich Brötchen für das Mittagessen, direkt anschließend meldete sich meine Frau, sie habe die Arztpraxis verlassen und sie käme mir auf dem Heimweg entgegen, damit ich sie mit unserem Auto wieder einsammeln könne. Dies tat ich, wir aßen zu Mittag unsere Brötchen, zusammen tranken wir noch eine Tasse Kaffee, erst danach war ich wieder arbeitsfähig. Was ich bis 16 Uhr, als ich mich ausloggte, für die Arbeit erledigt bekam, war eher wenig. Einrichtungen des Gesundheitswesens hatte ich in vielfältigen Situationen kennen gelernt, es war halt ein Tag, an dem das Thema Gesundheit in konzentrierter Form auf der Agenda stand. Was meinen Arbeitsplatz betraf, war es ruhig geblieben. Drei, vier Mails mit unerheblichem Inhalt waren eingegangen, kein Chat, kein Telefonanruf übers Netz. Ebenso kein Telefonanruf auf dem Handy, das ich allerdings dabei gehabt hatte, wenn dringendes zu klären gewesen wäre. Zur rechten Zeit war somit diese Rundreise von Krankenhaus zu Krankenhaus zur Hausarztpraxis entstanden.

21. Oktober 2023


Mit der Zimmergenossin meiner Frau im Krankenhaus umzugehen, bedurfte besonderer Anstrengungen. Sie war nämlich betagt, 87 Jahre alt, und dement. Ihre Erscheinung war durchaus gepflegt, ihr weißes, glattes Haar war sorgfältig nach unten gekämmt, Ihre Haut war tadellos, ein unsteter Blick hing in ihren Augen. Als ich das erste Mal meine Frau besuchte, durfte ich sie zur Toilette begleiten, alleine war sie nicht mehr fähig dazu. Ich wusste nicht, wie ich ihre Hände packen sollte, beim Unterhaken unter ihre Arme war ich mir höchst unsicher. In Trippelschritten, ihr Gewicht auf meines gestützt, schaffte sie es auf die Toilette, wo ich sie alleine ließ. Wir hatten Angst, sie würde ihren Toilettengang nicht schaffen, als sich lange, sehr lange nichts regte. Absolute Stille auf der Toilette, und die Zeit verging und verging. Bei elementaren Dingen des Alltags war sie auf fremde Hilfe angewiesen, und sie lebte im Altenheim in Aegidienberg, wo man sich sicherlich um eine optimale Betreuung sorgte. Hier im Krankenhaus jedenfalls konnte man so etwas nicht leisten. Irgendwann nach einer gefühlten Ewigkeit öffnete sich dann doch die Toilettentüre, und der Weg zurück zu ihrem Krankenbett fühlte sich ähnlich verkrampft an wie der Hinweg zur Toilette. Die Patientin hatte übrigens Wasser in der Lunge gehabt, was man durch Medikamente wieder beseitigen konnte. Mit ihr zu reden, war schwierig. Die Laute, die sie sprach, waren langgezogen, sie formte kaum vollständige Sätze, ihre Sprache war ein Einerlei ohne jegliche Betonungen. Dennoch suchte meine Frau das Gespräch. Die Frage, ob sie denn Kinder habe, beantwortete die alte Dame mit der Anzahl drei. Nur kurze Zeit später fragte sie nach, wo denn ihr Sohn bleibe. Ihre Tochter könne sich nicht um sie kümmern, weil sie ihn Bremen wohne, und ihr Sohn wohne hier in der Stadt und sei für sie da. Meine Frau zählte nach und kam lediglich auf zwei Kinder. Ja, es seien zwei Kinder – von drei Kindern war nicht mehr die Rede. Anstrengend waren auch die beiden Nächte, erzählte meine Frau. Sie habe nicht nur wie verrückt geschnarcht, sondern sie hatte auch ständige Zyklen von Wachphasen. In diesen Phasen fehlte ihr komplett die Orientierung. Wurde sie wach, dann rief sie. Ob denn jemand kommen könne, so laut, dass meine Frau unvermittelt aufwachte. Einmal pro Stunde gefühlt erwachte sie, so dass meine Frau kaum zum Einschlafen kam. Wo sie denn sei, hechelte sie im Schlaf. Aegidienberg, murmelte sie vor sich, so dass sie gar nicht registrierte, dass sie im Krankenhaus lag, sondern sich im Pflegeheim wähnte. Tagsüber bat sie meine Frau, ihr beim Aufstehen zu helfen. Am Bett angekommen, hatte sie vergessen, wieso sie aufstehen wollte. Dann kehrte meine Frau unverrichteter Dinge zurück. Die Belastung war immens, mit solch einer Frau umzugehen. Die Leistung von Pflegern im Pflegeheim und auch Angehörigen ist nicht hoch genug einzuschätzen, tagaus, tagein mit der Krankheit Demenz zu tun zu haben. Wir alle hoffen, dass es unserer eigenen Familie erspart wird, dass wir später selbst von solch einer Krankheit heimgesucht werden.

22. Oktober 2023


In der 42. Kalenderwoche hatte unsere Tochter zum ersten Mal Schwangerschaftsgymnastik. Insgesamt acht Mal sollte der Kurs der Schwangerschaftsgymnastik im Troisdorfer Krankenhaus stattfinden, ich hatte sie dorthin gefahren, hatte mir während des einstündigen Kurses in einem Eiscafé einen Kaffee getrunken, nach Kursende hatte ich unsere Tochter nach Hause zurückgefahren. Im Kurs hat unsere Tochter festgestellt, dass sie mit 18 Jahren die weitaus jüngste ist, alle anderen Teilnehmerinnen waren in einem Alter über 30. Des weiteren hatte unsere Tochter am Samstag einen Termin mit ihrer Hebamme, bei dem es im wesentlichen um Babyausstattung ging. Heiß diskutiert wurde die Anerkennung der Vaterschaft. Das Jugendamt meinte, dies solle am besten vor der Geburt geschehen, der Vater wollte dies aber erst nach der Geburt machen. Dies aber nur unter der Bedingung, dass ein Vaterschaftstest positiv ausfiele. Sein Vater habe dies bei der Anerkennung seiner beiden Vaterschaften ebenso so gehandhabt. Dass der Vater des Vaters des Kindes unserer Tochter für das Kind seiner Ex-Frau und das Kind seiner jetzigen Frau jeweils einen Vaterschaftstest gemacht hatte, hielten wir für krank. Es musste totales Misstrauen geherrscht haben, dass seine Ex- und seine jetzige Frau ihn hätten betrügen können. Das war nicht unsere Welt, und einer Bekannten, der ich dies erzählte, hielt den Typen für „kaputt“. Derweil haben sich die Verhältnisse in der Dreier-WG verändert, nachdem sich der eine WG-Bewohner von seiner Freundin getrennt hatte. Sie sind wieder zusammen, und sie hat am Wochenende wieder bei ihm übernachtet. Gestritten haben sie offensichtlich auch nicht, also scheint alles in bester Ordnung zu sein. Zusammen werden die beiden wieder in den Behindertentreff im Nachbarort gehen, und sie hat bereits nachgefragt, ob wir für sie eine weitere Karte für die Karl-May-Festspiele im nächsten Jahr organisieren können. Im übrigen ist bei ihm der gebrochene Kiefer wieder verheilt, so dass er Brötchen und andere zähe Speisen wieder kauen kann. Beim Schwager hat sich indes merkwürdiges ereignet. Er ist erkältet, hat Schnupfen und ist in die Apotheke gegangen, um sich ein Medikament gegen die Erkältung geben zu lassen. Meine Frau hatte ihm mehrfach das Medikament „Sinupret“ genannt und ihm das Wort nachsprechen lassen. Die Apothekerin hatte ihm aber ein Nasenspray verkauft und kein Sinupret. Ansonsten hat er aber nie Nasenspray genommen. Hatten wir Nasenspray für ihn gekauft, so hatte er dieses auf längere Zeit nicht angerührt. Diesmal sollte dies grundlegend anders sein. Er sprühte sich selbst ohne fremde Hilfe das Nasenspray in die Nase – und die Nase wurde mit dem Schnupfen wieder frei. Welchen Sinneswandel solch ein Nasenspray doch bewirken kann !

23. Oktober 2023


Die Zugfahrt nach Mainz war spontan, um meine Extra-Zeitausgleichs-Tage abzubauen, und ich brauchte solche Tage, um mich inmitten aller Anspannungen wieder zu regenerieren. Vom Hauptbahnhof aus durchquerte ich Mainz über den Dom und die Altstadt zum Rhein. Ich suchte den Rhein als Leitmotiv, der den Heimatort über diesen Fluss mit anderen Städten wie etwa Köln, Bonn, Duisburg oder Koblenz verband. Über eine Brücke aus Stahl gelangte ich an die Landzunge des Victor-Hugo-Ufers, wo ich den Rhein in seiner für Mainz typischen Pose erlebte. „Der Rhein ist der Fluß, von dem alle Welt spricht und den niemand erforscht, den jeder besucht und den keiner kennt, den man im Vorübergehen wahrnimmt und den man schnell vergißt, den jeder Blick streift und der von niemandem geistig durchdrungen wird“, so beschrieb Victor Hugo seine Eindrücke nach den beiden Rheinreisen in den Jahren 1839 und 1840. Die Reiseberichte notierte er in den beiden Bänden „Le Rhin, lettres à un ami“. Auf seiner zweiten Rheinreise fuhr er ab August 1840 mit einem Dampfer von Köln über Koblenz und Bingen auch nach Mainz. An der Landesgrenze von Rheinland-Pfalz nach Hessen war die Topografie hier flach, die Innenstadt von Mainz lag wie in einem Kessel. Auf der anderen Rheinseite war in dem flachen Gelände nichts von der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden zu sehen. Vor der Eisenbahnbrücke mit der mächtigen Bogenkonstruktion aus Stahl mündete der Main in den Rhein, eine Flussmündung, wo all die Rheinromantik in ein mit Weiden und niedrigem Gestrüpp gesäumtes Ufer unspektakulär in sich zusammen fiel. Die Stadt mit dem Dom und all den Fachwerkhäusern in der Innenstadt war eine gewaltige Erscheinung gewesen, diese Eindrücke flauten nun ab auf dem Victor-Hugo-Ufer. Sie lebten aber wieder auf in den folgenden Abschnitten der Rheinpromenade, weil sie doch so verschieden waren und einiges aus der Mainzer Stadtgeschichte erzählten. Die Malakoff-Festung quetschte sich als Rundbau fast bis an den Rhein, daran schloss sich ein Templer-Torbogen an, der noch ein paar Steine aus der Zeit der Kreuzritter enthielt, die ja im Hochmittelalter ihr Unwesen im vorderen Orient getrieben hatten. In Mainz hatten sich diese Kreuzritter der Templer gesammelt, um ihre Schlachten gegen die Ungläubigen zu schlagen, im Rheinland hatte ich jedenfalls solche Spuren der Kreuzritter vergeblich gesucht. Ich passierte den Fischtorplatz mit dem sprudelnden Brunnen aus zwei Fischen, von dort aus verließ ich die Rheinuferpromenade und spazierte zum Dom zurück. In Mainz überwältigte mich nicht der Ausblick auf den Rhein, sondern es war die wahnsinnig hohe Vielfalt und Intensität, die die Stadt zeigte. Diese Vielfalt an Zeichen und die Vielfalt an Zeugnissen jahrtausende alter Kulturen bis in die Gegenwart hinein. Die Wahrnehmungen eines Victor Hugo trafen bei mir mehr auf das Konglomerat der Stadt Mainz als auf den Rhein zu.

24. Oktober 2023


Ich reflektierte noch einmal die Heterogenität der Mainzer Stadtlandschaft. 2000 Jahre Geschichte trafen auf die Moderne, diese Zeitzeugen der Geschichte musste man sich zum Teil fragmenthaft zusammen setzen. Zum Teil waren sie aber aus einem Guss geschaffen wie der Dom und die Altstadt. Auf dem Weg zum Rhein, auf einer Anhöhe am Rand der Zitadelle, empfand ich den Ausblick typisch in diesem Konglomerat von Kirchen, historischer Bausubstanz und Moderne. Besonders deutlich klafften die Gegensätze auf der Bahnhofstraße, das war die Gehstrecke vom Bahnhof in die Innenstadt. Neben Ein-Euro-Läden, Kiosken und Shisha-Bars dominierten Nagelstudios das Erscheinungsbild dieser Straße. Alles war einfach nur billig, die Schönheit gepflegter Fingernägel vermochte, die Schnelllebigkeit unserer Zeit zu stoppen. Dieses Menschengemisch aus Arabern, Afrikanern und andere ausländische Nationen isolierte sich in diesen Straßenvierteln, eine Annäherung gestaltete sich schwierig. Weitaus einfacher schien diese Annäherung im römischen Mainz vor 2000 Jahren gewesen zu sein, zumindest auf der Ebene der Religionen. So wie im Rheinland bei der Übernahme des germanischen Matronenkultes, hatten man hier im römischen Moguntiacum einen ägyptischen Isis-Tempel gebaut. Bei den Göttern einigte man sich, Römer und Germanen hatte über eine Religion aus dem Orient zusammen gefunden. Um den kulturellen Mix von der Römerzeit bis in die Gegenwart zu erfassen, dazu hatte ich das Buch aus der 111er-Serie von Mainz mitgenommen. Seite für Seite hatte ich im Café Extrablatt gegenüber dem Dom studiert und die Orte heraus gesucht, die ich mir in der wahnsinnig kurzen Zeit von vier Stunden ansehen wollte. Angesehen und Fotos gemacht hatte ich von der Fastrada-Tafel im Dom, vom Fischbrunnen an der Rheinpromenade, von den Hochwassermarken am Holzturm, von einem eingewachsenen Baumstamm in einem Fachwerkhaus oder vom Schillerdenkmal am Schillerplatz. Bei soviel Details, war einfach zu viel zu sortieren. Wie ein Baum, war die Stadt aus ihrer römischen Vergangenheit gewachsen. Die Mosaiksteinchen der Gegenwart waren wahnsinnig zahlreich, sie waren gewachsen an den Ästen der Vergangenheit, die mit den zurück liegenden Zeitepochen dicker wurden. Ganz dick war der Baumstamm des Doms sowie der Epoche der Römerzeit. Dies zu begreifen, war mit allen Facetten der Wahrnehmung in der Stadtlandschaft, eine Herausforderung.

25. Oktober 2023


Erst beim vierten, fünften, sechsten Hinsehen erkannte ich, dass ich mich direkt über einem Abgrund befand. Kein Boden war unter den Füßen, ich stand auf den Holzbohlen der Aussichtsplattform, das Geländer sicherte ein Weiterschreiten ab. Wo sich genau die Abbruchkante der senkrecht abstürzenden Basaltlavasäulen befand, dies verdeckte wucherndes Gestrüpp. Das ungemütliche Wetter erschwerte zudem ein genaues Hinschauen. Regen fiel barsch ins Gesicht, ein strammer Wind formierte sich vor den ansteigenden Hängen des Siebengebirges, an dessen Ausläufer sich gleich mehrere Steinbrüche, die seit vielen Jahrzehnten still gelegt waren, in Bonn-Oberkassel aneinander reihten. Von der Straßenbahnhaltestelle Oberkassel-Mitte hatte ich dieses Stück erwandert zu dieser Aussichtsplattform, wovon ein Facebook-Freund wunderschöne Fotos mit einem herrlichen Ausblick gepostet hatte. Dieser wunderschöne Rahmen sollte mir heute verwehrt bleiben, ohne Sonne, im strömenden Regen, durchnässt, in einer Herbstlandschaft, die in diesem strömenden Regen die bunten bis rostbraunen Farbtöne des Herbstlaubes noch deutlicher zeichnete. Hinter der Bebauung war es am Ortsrand von Oberkassel steil bergauf gegangen, dem Wanderwegsymbol des Rheinsteigs war ich gefolgt, der viereckige Hinweis zur Aussichtsplattform war auf braunem Untergrund spärlich beschildert gewesen. Trotz der regenverhangenen Wolken lohnte der Ausblick. Der Rhein breitete sich in seinem Flussbett aus, wo die Stadtteile Oberkassel, Dollendorf und Königswinter eng an das Siebengebirge gepresst waren. Mit dem Regen war die sich aufsteigende Mittelgebirgslandschaft heute unspektakulär, die Berge gingen unvermittelt in das Grau des Regens über, die Konturen verwischten sich, mehrere zehntausende Jahre altes Vulkangestein sog die Nässe behäbig in sich auf. An dieser Stelle, direkt über dem Abgrund, wurde mir klar, dass man nahezu nichts zeigen konnte von der Fundstelle des 14.000 Jahre alten Skeletts, das Arbeiter im Steinbruch gefunden hatte, als dort noch Basaltgestein abgebaut wurde. Samt zwei Skeletten von Hunden, die im Gegensatz zu heute nicht als Haustier gedient haben dürften. Die Dreiergruppe aus Hunden und menschlichem Skelett konnte die Nachwelt heutzutage im Rheinischen Landesmuseum bestaunen. Es waren menschliche Vorfahren, dessen menschliche Existenz an der täglichen Beschaffung von Jagd und Beute hing. Mit quasi null technischem Fortschritt, gerade mit ein paar primitiven Werkzeugen, ohne Auto, ohne Smartphone oder auch ohne Strom, konnten wir uns deren Alltag vor 14.000 Jahren so gut wie nicht vorstellen. In Erinnerung behielt ich diesen Ausblick, der trotz Regens wunderschön und atemberaubend war. Der Regen hielt mich aber davon ab, lange inne zu halten und solch eine romantische Szene ausgiebig zu betrachten.

26. Oktober 2023


Krefeld ist im Grunde genommen eine abweisende Stadt mit viel Industrie und wenig historischer Bausubstanz wie etwa der Pfarrkirche St. Dionysius, die Stadt hatte ich mir kurz vor Ausbruch der Corona-Epidemie angeschaut. Zudem sind die wenigen historische Kerne in umliegenden Stadtteilen zu suchen. Gleichwohl scheint es kaum eine andere Stadt zu geben, die mich reizt sie wieder zu sehen, obschon ihr Erscheinungsbild so platt, modern und geprägt von der Nachkriegszeit ist. Bei der letzten Radtour von Duisburg nach Krefeld hatte ich bereits gelernt, dass Krefeld vom Stil des Bauhauses geprägt ist, als ich am Businesspark Mies van der Rohe vorbei gekommen war. Nun hatte ich mich im Café Extrablatt niedergelassen und Objekte der Route Industriekultur studiert. Krefeld begriff sich in seiner Werdungsgeschichte als Stadt von Samt und Seide. Händler kauften Rohseide auf, anfangs arbeitete man an Webstühlen in Manufakturen, später wurde die Seide in Textilfabriken verarbeitet, die als edle Stoffe an Kirchen und Adelshäuser in der ganzen Welt verkauft wurden. Krefeld sollte mit seiner Industrie dazu dienen, mein Verhältnis zur Industrie neu zu definieren. Zu Hause hatte ich die Evonik-Werke vor der Nase, andere Werke der petrochemischen Industrie befanden sich in Wesseling auf der anderen Rheinseite, die solch einen Umfang annahmen, dass ich sie als Störung und Bedrohung empfand. Einerseits schuf die Industrie Arbeitsplätze und versorgte die Bevölkerung mit notwendigen Gütern, andererseits stieß sie Kohlendioxid aus und passte mit ihrem Erscheinungsbild ganz und gar nicht in die Landschaft hinein. Die Faszination alter Industrieanlagen hatte ich im Landschaftspark Duisburg-Nord entdeckt. Alte Hochöfen gab es in Krefeld nicht zu besichtigen, aber die eine oder andere Textilfabrik, die Samt und Seide hergestellt hatte, hatte sich erhalten und war nicht abgerissen worden. Die Liste der im Café Extrablatt gesichteten Industriedenkmäler war lang gewesen, so lang, dass ich noch hätte nach Uerdingen fahren müssen oder in die Nordstadt, wozu die Zeit nicht reichte. Ich hatte mir die einstige Samt-, Plüsch und Wollweberei Mottau & Leendertz auf der Lewerentzstraße ausgesucht. Der Gebäudekomplex war ein stattlicher Bau, die Backsteinfassade an der Straßenfront war hübsch, sie war reich gegliedert in einem Wechselspiel von orangen und rostbraunen Klinkersteinen, regelmäßig und gleichförmig war die Anordnung der Rundbogenfenster. Das Textilunternehmen war in den 1830er Jahren in die Samt- und Bandwarenmanufaktur Scheibler & Co übergegangen, in der die Textildynastie von der Leyen Anteile hielte. Bis Anfang der 1970er Jahre wurde hier produziert, in den 1990er Jahren wurde der Mischkonzern Scheibler & Co insolvent. Eine Fabrik vermutete man nicht unbedingt hinter dieser Fassade, doch man konnte durch einen Durchgang hindurch gehen dorthin, wo einst Samt und Seide hergestellt wurden. Das einstige Herz dieser Fabrik formte eine große Halle unter einem Sheddach, wo nun eine Freifläche war. Auf Hinweistafeln las ich, dass 2014 die Fabrik grundlegend saniert worden war. Nach der Sanierung war der Gebäudekomplex in Büros und Wohnungen umgebaut worden, die Freifläche unter der alten Sheddach-Halle diente als Nachbarschaftszentrum, ein Gemeinschaftsgarten war dort angelegt, seitwärts stand ein Bauwagen. Doch dieser Charme alter Industrieromantik hatte nichts mit der Gegenwart zu tun, wenn Industrieanlagen Güter produzierten, Rohstoffe verbrauchten, Schadstoffe ausstießen und das Verhältnis des Menschen zur Arbeit definierten. Stifteten Industrieanlagen Sinn oder war dieser Sinn zu verneinen ? Industrieanlagen hatten ihre Berechtigung, das stellte ich fest. Sei es diese Textilfabrik in Krefeld, bevor sie geschlossen wurde, oder zum Beispiel die Evonik-Werke vor unserer Haustüre. Industrie versorgt die Bevölkerung mit benötigten Gütern, Industrie schafft Wertschöpfung, Industrie bringt Arbeit, Industrie verleiht Fertigkeiten am Arbeitsplatz, ohne solche Inhalte der Arbeit fiele der Mensch in ein riesiges Loch. Die Nachhaltigkeit wäre ein separater Diskurs, ebenso, dass womöglich viel zu viel produziert wird, weil das Marketing den Bedarf künstlich in die Höhe treibt. Es bedurfte eines Korrektivs, wie es etwa Karl Marx formuliert hatte: „Erst wenn der wirkliche individuelle Mensch den abstrakten Staatsbürger in sich zurücknimmt und als individueller Mensch in seinem empirischen Leben, in seiner individuellen Arbeit, in seinen individuellen Verhältnissen, Gattungswesen geworden ist, erst wenn der Mensch seine »forces propres« als gesellschaftliche Kräfte erkannt und organisiert hat und daher die gesellschaftliche Kraft nicht mehr in der Gestalt der politischen Kraft von sich trennt, erst dann ist die menschliche Emanzipation vollbracht.“ Es kam darauf an, zu relativieren, zu ergänzen, zu gestalten, die Perspektiven zu wechseln, beim eigenen Verbraucherverhalten anzusetzen. Dies waren einige wenige schlaglichtartige Erkenntnisse des heutigen Besuchs von Krefeld.

27. Oktober 2023


Vorbild oder nicht ? Die Kirche St. Dionysisus in Krefeld ragt mit ihrem Kirchturm aus dem Stadtzentrum heraus, die 80 Meter Höhe sind weithin zu sehen. 1893-1894 war der heutige Kirchenbau nach den Plänen des Kölner Erzdiözesanbaurats Wilhelm Blanke entstanden. Orientierte sich der Kirchturm von St. Dionysius an denjenigen in den Niederlanden, in Belgien und Nordfrankreich ? Ich erinnerte mich an Belfriede, die an Kirchen, an Rathäusern oder auch frei stehend vorzufinden waren. Ich erinnerte mich an Kirchtürme, die senkrecht in die Höhe stachen, um der Verteidigung zu dienen oder auch dem Repräsentationsbedürfnis der Kirche. Ähnlichkeiten entdeckte ich, was Elemente der Renaissance betraf. So setzte sich der Kirchturm in der Höhe aus unterschiedlichen Ebenen zusammen: zunächst schloss der Kirchturm turmähnlich ab mit Zinnen, diesem folgte ein Achteck in abgerundeter Form, Fialen formten die oberste Spitze des Kirchturms. Genau diese Elemente auf dem hoch nach oben ragenden Turm waren des öfteren bei Kirchenbauten in den Niederlanden, Belgien, Nordfrankreich zu finden, so zum Beispiel in Arras/Nordfrankreich oder Halle/Charleroi/Belgien. Je mehr man sich den Niederlanden näherte, um so stärker waren die Einflüsse – so im Kirchenbau. Der Architekt des Kirchenbaus stammte aus Köln, und auch in Köln waren die Einflüsse aus den Niederlanden und Flandern nicht von der Hand zu weisen.

28. Oktober 2023


Da wir das Tapezieren von einem Raumausstatter haben machen lassen, sind die Arbeiten in einem höheren Tempo durchgeführt worden. So haben wir in etwa vierzehn Tagen das einstige Büro komplett leer geräumt, wo zudem eine große Menge an Anziehsachen herum stand. Dabei musste der Home-Office-Arbeitsplatz weichen, so lange werde ich vermehrt den Büroarbeitsplatz aufsuchen, und wo ich denn eine Home-Office-Tätigkeit ausüben kann, ist weitgehend ungeklärt. Das ist mir allerdings vollkommen egal, weil es um das Wohl des noch nicht geborenen Kindes geht. Den Berg von Anziehsachen im früheren Kinderzimmer unserer kleinen Tochter unterzubringen, war ebenso eine Herausforderung. Nachdem wir die alte Tapete abgerissen hatten, hat es nun von Mittwoch bis Freitag der Raumausstatter geschafft, eine Rauhfasertapete zu tapezieren. Drei Seiten hat er weiß gestrichen, eine Seite in einem dezenten Blau. Nun sieht der Raum schön hell aus. Anzubringen sind noch die Fußleisten, für die Steckdosen müssen wir noch Kindersicherungen besorgen. Um fortzufahren in unseren Bemühungen, die Räume herzurichten, haben wir uns nach Möbeln für das Gästezimmer umgeschaut. Als ein solches soll das einstige Kinderzimmer unserer Tochter fungieren. Nach Bett und Kleiderschrank haben wir uns bei Möbel Porta umgeschaut und sind prompt fündig geworden. Der erste Blick auf ein Bett und einen Kleiderschrank, beides in einem grauen Altholzeffekt, war gleich der richtige. Mit einer Breite von 2,93 Meter war unser künftiges Gästezimmer klein, und der Verkäufer suchte uns die kleinstmöglichen Maße heraus: 1,60 Meter Breite für das Doppelbett und 40 Zentimeter für die Nachttischkonsolen. Er gewährte uns den Rabatt von 20%, der am Tag zuvor für das Moonlight Shopping gegolten hatte, hinzu kamen noch Matratze und Lattenroste. Damit lagen wir bei einem Komplettpreis von etwas unter 3.000 Euro. In dem Zimmer herrschte allerdings noch totales Chaos, das Tapezieren wollten wir uns in diesem Zimmer sparen. Der Liefertermin Anfang Januar nächsten Jahres kam uns so entgegen. Momentan konnten wir durchatmen, um die nächsten Aktivitäten in Angriff zu nehmen.

29. Oktober 2023


Nachdem der eine WG-Bewohner mit seiner Freundin wieder zusammen gefunden hatte, schienen in der 43. Kalenderwoche in der Dreier-WG die Dinge so auszusehen, wie sie vorher waren, doch die Harmonie bekam erste Risse. Am Samstag bereitete der WG-Bewohner für sich und seine Freundin Lasagne im Backofen zu, da hörte ich seine Freundin laut rufen „ich will nicht“, und dies mehrfach hintereinander. Sie hörte nicht auf zu rufen, dass sie nicht wolle, und ich fragte nach. Ihr Nicht-Wollen hatte nichts mit der Lasagne zu tun, sondern mit meiner Frau. Aus irgend einem unerfindlichen Grunde wollte die Freundin nicht, dass meine Frau vorbei kommen sollte. Meine Frau beabsichtigte dies auch nicht – und insofern war die Welt vorläufig in Ordnung. Am Sonntag schaute ich erneut vorbei. Im Zimmer des einen WG-Bewohners hielt sich seine Freundin auf, und er schaltete ihr das Licht aus, als er sich im Flur befand. Was dies solle, ermahnte seine Freundin ihn. Sie brauche kein Licht, es sei hell genug, außerdem müsse er die Stromrechnung bezahlen. Weil sie lediglich beabsichtigte, ein Foto zu machen, gab sie klein bei. Kurz darauf wollte er im Ort nach Zigaretten schauen. Seine Freundin wollte ihn begleiten, und als sie gerade dabei war, ihre Schuhe anzuziehen, hatte er bereits das Haus verlassen, ohne auf sie zu achten. Daraufhin rannte sie in die Richtung, in die er gegangen war, sie fand ihn aber nicht. Es dauerte dann eine geraume Zeit, bis er zurück kehrte. Nachdem in der Dreier-WG mehrere Jahre lang jeder für sich gekocht hatte, hat sich dies nun grundlegend geändert. Die Betreuerinnen der Lebenshilfe haben sich durchgerungen, gemeinsam für alle drei Bewohner zu kochen und diese bei der Essensgestaltung zu beteiligen. In dieser Woche ist Kaiserschmarrn gekocht worden, wovon die drei gut gegessen haben. Des weiteren haben die Betreuerinnen vorgeschlagen, an einem anderen Tag gemeinsam etwas zu unternehmen wie etwa im Eiscafé Eis zu essen. Wir sind gespannt, ob es regelmäßig zu solchen gemeinsamen Aktivitäten kommt, oder ob dies – wie in der Vergangenheit geschehen – rasch wieder einschläft. In dieser 43. Kalenderwoche hat unsere Tochter Erfahrungen mit der deutschen Bürokratie gemacht. Dass sie beim Job-Center für den Monat August einen Antrag auf Bürgergeld gestellt hatte, liegt mittlerweile zwei Monate zurück. Einen telefonischen Beratungstermin hatte das Job Center ihr angeboten, den sie aber absagen musste, weil unsere Tochter Berufsschule hatte. Zwischenzeitlich hatte das Job Center weitere Unterlagen abgefordert: Ausbildungsvertrag, Lohnabrechnungen, Kontoauszüge, Meldebescheinigung und einiges mehr. Nun ein neuer telefonischer Beratungstermin, der von einigen Merkwürdigkeiten geprägt war. Das Job Center hatte unserer Tochter den Termin um 15.30 Uhr mit einem Einwahlcode mitgeteilt. Unsere Tochter hatte sich eingewählt, die Leitung blieb aber stumm, es tat sich nichts. Sie wartete und wartete, schließlich rief sie die Hotline an, was denn mit der telefonischen Beratung sei. Diese würde sich verzögern, meinte der Mitarbeiter an der Hotline. Schließlich, mit einer Verzögerung von einer halben Stunde, kam der telefonische Kontakt zustande. Unsere Tochter würde eine dreijährige Ausbildung absolvieren, meinte die unsere Tochter beratende Männerstimme. Sie klärte den Herren auf, dass die Ausbildung nicht drei Jahre, sondern ein Jahr dauern würde. Sie sei schwanger, informierte unsere Tochter. Davon wusste der Herr nichts. Er führte aus, dass die telefonische Beratung lediglich ein erstes Einlesen in den Vorgang sei, um alle nötigen Informationen zu erhalten. Dies waren so ungefähr die Inhalte des telefonischen Beratungstermins, der Herr verwies auf einen weiteren, vertiefenden Beratungstermin, der noch kommen würde. Weitere Post des Job Centers folgte in den nächsten Tagen. Die Berge von Papier, die dem Job Center bereits vorlagen, sollten sich vergrößern. Unsere Tochter sollte weitere Kontoauszüge, eine Mitgliedsbescheinigung der Krankenkasse und einen Nachweis des Geburtstermines vorlegen. Dies ist inzwischen erledigt. Das beantragte Bürgergeld betrifft zunächst nur den Monat August vor Beginn der Ausbildung. Momentan schaut es so aus, als hätten die Entscheider eine Riesenangst, die paar Euro für das Bürgergeld zu gewähren. Sie zögern, zaudern, sind unentschlossen, wollen weitere Nachweise, sie befriedigen sich an Bergen von Papier. Am letzten Samstag klingelte unerwartet der Freund unserer Tochter an unserer Haustüre. Nächsten Dienstag war in Brandenburg Feiertag (Reformationstag), der gleichzeitig Brückentag mit einem verlängerten Wochenende war. Dieses verlängerte Wochenende verbrachte der Freund bei seiner Mutter, dabei fand er Zeit, bei unserer Tochter vorbei zu schauen. Lange Zeit redeten die beiden miteinander im neu tapezierten und ansonsten leeren Kinderzimmer. Als dieses Gespräch beendet war, hörte ich im Flur Gesprächsfetzen heraus, dass er seinem Kind keine solche Zerrissenheit wie in seiner Kindheit zumuten wollte. In seinem jugendlichen Alter hatten sich seine Eltern getrennt, zuerst wohnte er bei seiner Mutter, später bei seinem Vater. Er wolle, dass das Kind wisse, wohin es gehöre. Er stehe zu seiner Vaterschaft, und es hörte sich so an, dass die beiden wenigstens gute Freunde bleiben wollten. Als er das Haus verließ, sah es so aus, als würden die beiden getrennte Wege gehen.


30. Oktober 2023


Von der Beschränktheit des eigenen Denkens. Tausende Male sind dieselben Orte aufgesucht worden – wie in der Godesberger Fußgängerzone. Dort trifft die Tradition in Form der Burg auf die Moderne in Form einer stadtplanerischen Fehlleistung. Die Gedanken können an die Geschichte anknüpfen oder an die Gegenwart, was sich in dem platten Erscheinungsbild schwierig gestaltet. Gefühlte tausende Male bin ich hier herum spaziert, in der Buchhandlung auf der Alten Bahnhofstraße, im Stadtpark, beim Rundgang auf die Burg oder in der Fußgängerzone habe ich stets Gedankenanstöße erfahren. Heute überwiegt aber die Beschränktheit des eigenen Denkens. Es scheint so, als sei alles ausgedrückt, alles gesagt und als gäbe es nichts Neues mehr zu entdecken. Weitere Narrative sind hinter den nackten Fassaden nicht mehr zu ergründen. Sie lassen sich nicht hinein schauen, allenfalls in die Geschäfte kann man hinein schreiten. Ohne Geschehnisse, ohne Dramatik spielt sich der Alltag hinter dieser undurchdringlichen Fassade ab. Übrig bleibt nur die Burg, wovon Bücher erzählen. Es scheint so, als sei die Geschichte lebendiger als die Gegenwart. Die Burg belegt den Machtbereich der Kölner Erzbischöfe, sie erzählt Verteidigung, Eroberung und Zerstörung. So wie die Menschen dort jahrtausendlang gelebt haben, überstrahlt die Burg die anonyme Menge von Passanten in der Fußgängerzone, deren Haltepunkte Schaufenster sind, das Betreten von Ladenlokalen oder getätigte Einkäufe. Die Burg hat Geschichte geschrieben, die Moderne verkörpert das Banale, Ungeschehene und Selbstverständlichkeiten, die nur für die Statistik thematisiert werden.

31. Oktober 2023


Meditation, Kontemplation, Ruhe, Besinnung, Insichkehren. Ich spürte, dass mein Körper Bewegung brauchte, und so beschloss ich, von Andernach nach Maria Laach zu wandern. Begegnungen mit Maria Laach resultierten aus den Zeiten der Rennradtouren, bis auf ganz wenige Ausnahmen war ich jedes Jahr ab 2006 diese Tour quer durch die Eifel bis Maria Laach und zurück ab Brohl den Rhein entlang geradelt. Mit der Abteikirche aus dem 12. Jahrhundert und dem Biergarten war es ein Ort, mit dem ich Erlebnisse verband. Diesmal nicht mit dem Rennrad, sondern zu Fuß bewältigte ich die fünfzehn Kilometer lange Strecke, die Route suchend mit einer Wanderkarte, ganz viel bergauf in seichten und stetigen Steigungen. Das Landschaftserlebnis durch den Herbstwald war wandernd genauso intensiv wie auf dem Rennrad, nur anders. Meine Füße trugen mich, die Ausblicke waren faszinierend, die Berührungen mit der Natur genauso, und je mehr ich mich dem Laacher See näherte, um so schwerer wurden die Beine. Obschon das Betreten der Landstraße für Fußgänger abschnittsweise verboten war, kürzte ich vor der Abzweigung nach Wassenach das letzte Stück ab über eben diese Landstraße. Durch den Wald schillerte die Oberfläche des Sees bereits durch, da quetschte ich mich weiterhin an der Leitplanke der Landstraße entlang, weil der Weg zum Seeufer in der verkehrten Richtung abbog, abgewandt zur Abtei. Flach am Seeufer vorbei, allerdings verdeckt durch allerlei Gestrüpp, verliefen die letzten zwei Kilometer. Auf Tuchfühlung mit dem See, atmete ich auf diesen letzten Kilometern all die Meditation, Kontemplation, Ruhe, Besinnung ein. Nach dem Besuch der Abtei mit dem Grab des Pfalzgrafen Heinrich II. von Laach, dem Stifter der Abtei, gönnte ich meinen Beinen eine Pause. In der Klostergaststätte trank ich einen Kaffee, während ich die Abfahrtszeiten des Busses nach Andernach studierte. Mein Körper war nun wieder in einem Gleichgewicht.


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