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Tagebuch März 2021

1. März 2021


Es war erst die zweite Fahrt in diesem Jahr mit dem Rennrad ins Büro und ein allmähliches Herantasten, wie mein Körper nach der winterlichen Untätigkeit auf die Bewegung reagierte, die ich mir so sehr herbei gesehnt hatte. Es war gefroren, Rauhreif bedeckte Wiesen und Felder, die Fahrt war bei klarem Himmel eine kalte Angelegenheit. Das Gras wie mit Zucker überzogen, nahm die Streuobstwiese Züge anmutiger Schönheit an. Rauhreiflandschaften tun es Schneelandschaften gleich: im Vorbeifahren verzücken sie einen, sie ziehen die Blicke an, sie überzeichnen ihr Aussehen, weil die weißen Farbtöne in hellerem und klarerem Licht erscheinen lassen. Ich musste mich warm einpacken in meiner Fahrradbekleidung. Schal und dicken Pullover hatte ich unter mein Oberteil gesteckt, meine Finger schützten sich in den dicken Handschuhe vor der Kälte. Ein wenig milderte die aufgehende Sonne die morgenkalte Stimmung. Die Sonnenstrahlen glitten sachte daher und entwickelten eine Andeutung von Wärme am ersten Märztag.

2. März 2021


Der Blick vorher und nachher in den Spiegel des Friseursalons. Ich hatte wahnsinniges Glück, einen solchen frühen Friseurtermin bekommen zu haben, weil mich die Inhaberin des Friseursalons mit dem wüsten Zustand meiner Frisur im Ort gesehen hatte und mich daraufhin angerufen hatte. Vierzehn Tage Vorlauf hätten die Termine, das erzählte mir die Friseuse. Der wüste Zustand meiner Frisur war so schlimm geworden, weil bereits Mitte Dezember ein Haarschnitt nötig gewesen wäre. Bevor alle Läden schließen mussten, hatte ich es zeitlich nicht auf die Reihe gekriegt, auf den letzten Drücker einen Termin wahrzunehmen. Vielleicht hätte es zu diesem Zeitpunkt doch noch klappen können, weil der Friseursalon kurz vor dem totalen Lockdown bis elf Uhr Termine vergeben hatte. Sei es drum. So durfte ich über den Winter beobachten, wie mir die Haare immer mehr zu Berge standen. Die Haare wuchsen und wuchsen, keinerlei Form und Schnitt war mehr erkennbar. Vom Prinzip her hätte ich mich kaum in die Öffentlichkeit trauen können. So war die Erleichterung groß, dass die Friseure wieder öffnen durften. Der Blick in den Spiegel nach dem Haareschneiden stimmte mich äußerst zufrieden.

3. März 2021


Der Friseurbesuch als Mahnung vor dem Corona-Virus. Als das Stichwort „Quarantäne“ fiel, dass sich meine Friseuse in Quarantäne begeben musste, wurde ich hellhörig und fasste nach. Ja, sie hatte sich tatsächlich infiziert, aber wo ? Ihr Fall warf sämtliche Strategien, Abstand zu halten, Kontakte zu vermeiden und möglichst zu Hause zu bleiben, über den Haufen. Passiert war es während des Lockdowns, und sie war durchgängig zu Hause geblieben. Selbst die Einkäufe hätte ihr Mann wahrgenommen. Irgendwann kamen die typischen Erkältungssymptome, der Test fiel positiv aus. Bei ihrem Mann war der Test merkwürdigerweise negativ, ihre Kinder waren längst ausgezogen. Den Ärzten fiel lediglich eine einzige Erklärung ein: dass ihr Mann als Träger fungiert habe. Er habe das Virus von anderen Infizierten übertragen bekommen, er habe sich aber selbst nicht infiziert, weil das Virus nicht in den Mund-, Nasen- oder Rachenraum gelangt sei. Eine Erklärung, die ich mir schwer vorstellen konnte, weil es in irgendwelchen anderen Erklärungen geheißen hatte, wenn eine Person das Corona-Virus in eine Familie hinein bringen würde, dass sich dann automatisch alle anderen infizieren würden. Von den Symptomen her war die Erkältung heftig, der Husten war besonders schlimm. Nach vier bis fünf Tagen war dann alles vorbei, aber es waren Folgeschäden hängen geblieben. Das Geschmacksgefühl im Mund war abgestorben. Das war äußerst unangenehm, nichts mehr schmecken zu können. Zudem stellte sich ein Gefühl der Erschöpfung schnell ein. Ihr Leistungsvermögen war eingeschränkt, sie musste sich häufig ausruhen. Wir mussten also alle ganz schön auf uns aufpassen.

4. März 2021


„Essen to go“ aus einem Restaurant mitzunehmen, das ließ kaum romantische Gefühle aufkommen. Die Begegnung mit dem Restaurant war ein Déjà-vu-Erlebnis, bei dem man so schnell verschwunden war, wie man gekommen war. Dabei war der Anlass eigentlich ein schöner: meine Frau hatte Geburtstag, und anstelle Essen zu gehen, holten wir „Essen to go“ in einem griechischen Restaurant in der Mitte unseres Ortes. An der Glocke musste ich vor der Eingangstüre klingeln, und der mitten in den Eingangsbereich gestellte Stuhl riegelte das Innenleben des Restaurants ab wie einen Hochsicherheitstrakt. Verriegelt, abgesperrt, abgeschottet, abgewiesen: so erschien der Kellner mit zwei dick aufgebauschten Plastiktüten, die das telefonisch vorbestellte Essen enthielten. Ich bezahlte kontaktlos mit der EC-Karte, schob Trinkgeld über die Tischplatte herüber, wünschte einen schönen Abend und verließ den hermetisch abgeriegelten Restaurantbetrieb, der das Essenserlebnis nach Hause verschob. In Zeiten von Corona muss man sich bescheiden, die Lösungen sind allenfalls suboptimal. Man kann nirgendwo hin. Worauf man sich freuen kann, schrumpft gegen Null. Ohne Lust und ohne Freude, verteilten wir die in reichlich Plastikverpackungen eingepackten Speisen auf unserem Esstisch, die nach dem Verspeisen in einem Berg von Plastikmüll verschwinden sollten. Zusammen mit dem Geburtstagskind schmeckte das Essen wenigstens vorzüglich. Die Zeiten sind schon traurig. Das Virus verbietet Geburtstagsfeiern. Die feierlichen Anlässe verkümmern, zwischenmenschliche Kontakte werden eingestampft, alles wird nur noch Online ins Netz geschoben. Willenlos ließen wir all den Plastikmüll über uns ergehen, nachdem wir aufgegessen hatten. Mit all den Verboten, Beschränkungen, Zurückweisungen, Regularien und Durchsetzung von staatlicher Gewalt kam keine wirkliche Feierstimmung an diesem Geburtstag auf.

5. März 2021


Auf dem Nachhauseweg erwischte ich das richtige Haus, als meine Frau Sachen in den Kofferraum unseres PKWs einlud. Ich war mit dem Rennrad unterwegs, und zufälligerweise erblickte ich kurz vor der Rückkehr unseren PKW. Es ging um Gartenmöbel, die meine Frau über das Internet in unserer Nachbarschaft für die 3er-Behinderten-WG organisiert hatte. Ich sollte auf dem Nachhauseweg so unterwegs sein, dass ich bei den Gartenmöbeln mit anpacken konnte. Zweimal war meine Frau bereits hin- und hergefahren, und das dritte Mal packte ich an. Die Beschaffung war nicht unwichtig. Die Gelegenheiten nahmen zu, sich bei schönem Wetter sich auf die Terrasse zu setzen. Stühle und Tische standen nun bereit. Das schöne Wetter konnte auf der Terrasse ausgekostet werden.

6. März 2021


Erste Schritte, um so etwas wie Ordnung und Struktur im Kellerraum der Dreier-WG zu schaffen. Wir sortierten, welche Kartons zu Zügen und Waggons gehörten, die im Zimmer aufbewahrt wurden, und was zum Werkstattbereich gehörte, dessen Größe nicht unerheblich war. Züge und Waggons, die instandgehalten und repariert wurde, das waren Ersatzteile, Steuerungselemente, dazu Werkzeuge, Öle oder Fette. Dieser Werkstattbereich würde dauerhaft im Keller verbleiben. Ein paar Kartons mit persönlichen Dingen waren dabei, die wir dann auch in sein Zimmer verfrachteten. Sämtliche Kartons hatten wir gesichtet, diese hatten wir getrennt nach den WG-Bewohnern, dabei hatten wir die Werkstattkartons an der einen Kellerwand aufgestellt. Die Regalbretter hatten wir bereits nach deren Größen sortiert. Die Mitte des Kellerraums war nach der Umräumerei frei geworden, so dass wir mit dem Zusammenbauen von Regalen beginnen konnten. Mittlerweile waren meiner Frau Fotos von den aufgebauten Regalen in der vorherigen Wohnung zugeschickt worden. Sie zeigten zwar den abgebauten Zustand der Modelleisenbahn in verstauten Kartons, zudem fehlten vier bis fünf Schreibtische aus der Leverkusener Wohnung, auf denen die Regale aufgesetzt hatten. Sie boten aber wenigstens Anhaltspunkte, wie die Regalkonstruktion einst ausgesehen hatte.

7. März 2021


Es war wie so oft an einem Sonntagnachmittag. Ich sehnte herbei, dass wir draußen an der frischen Luft etwas Bewegung haben würden, doch es kam anders. Als wir nur für eine kurze Dauer zum Haus der Dreier-WG herüber fuhren, kamen die Dinge – wie so oft – anders. Wir hielten uns in der Küche auf, und währenddessen machte sich meine Frau daran, Schotter in das verlegte Steinpflaster hinein zu fegen. Das Steinpflaster war bereits seit mehreren Wochen verlegt, und in die Rillen musste noch der Schotter, der etwas größer war als eine Sandkörnung, hinein gefegt werden. Rasch schnappte sich meine Frau einen Besen und legte los. Sie war nicht zu bremsen, die Rillen zu befüllen und sie leitete mich an, wie man richtig mit der Richtung, wie gefegt wurde, nicht den Schotter wieder aus den Rillen heraus fegte. Mehr als eine Stunde befassten wir uns mit der Fegerei, Stück für Stück, und stückchenweise sah man die verschwundenen Lücken zwischen den Steinen, was bei den sehr frischen Temperaturen und einem steifen Wind die Bewegungen verlangsamte. So verlief der Nachmittag äußerst unaufgeregt, indem wir unser Pensum abarbeiteten. Zwei Besen standen vor dem Hauseingang vor der fertigen Rampe, die einen barrierefreien Zugang zum Hauseingang ermöglichte.

8. März 2021


Wenn ich in diesen Tagen mit dem Fahrrad auf dem Weg ins Büro an den Vorgärten vorbei fahre, dann schaue ich mehr zurück als nach vorne. Die Diskussionen über den engagierten Ruhestand, der Herzinfarkt und letztlich auch Corona haben Blickwinkel und Perspektiven verändert. Das Frühjahr mit den aufsprießenden Vorgärten bot stets Anlässe, nach vorne zu schauen. Auf Monate mit einer rasant wachsenden Natur, mit länger werdenden Tagesstunden, mit einer wärmeren Jahreszeit und viel mehr Zeitanteilen im Freien und in der Natur. Vor allem mit einzigartigen Erlebnissen bei Rennradtouren, die mich – soweit zeitlich machbar – in ferne Landschaften geführt hatten. Diese Erlebnisse werden sich komplett neu sortieren müssen. Corona schränkt vieles ein, die Anteile Home Office werden dauerhaft bleiben. Abstecher vom Büro auf den einen oder anderen Kaffee sind derzeit nicht machbar. Vor allem die Rennradtouren werde ich äußerst behutsam angehen müssen, um einen zweiten Infarkt zu vermeiden. So ähnelt im Moment der Blick nach vorne einem Tunnelblick, der all die Blumen in den Vorgärten eingrenzt, was auf vorhandenem Terrain machbar ist und was wiederum nicht. Diesen Tunnelblick mit lauter Schranken und Sperren gab es nie, wenn ich in die Vergangenheit zurück schaue. Zumindest, wenn ich mit dem Fahrrad ins Büro gefahren war, war das Maß an Freiheit groß. Ich hatte Gestaltungsspielräume, mir die Nutzung der Zeit so zurechtzulegen, wie ich sie brauchte. Die Zeitanteile für meine Rennradtouren hatte ich mir kurzerhand vom Büro aus genommen. Nun ist vieles komplett anders. Ich fühle mich so eingegrenzt wie die aufsprießenden Blumen im Viereck des Vorgartens.

9. März 2021


Nach dem Besuch im Elternhaus am vorletzten Sonntag hat das Chaos in unserem Haus wieder zugenommen. Mein Bruder hatte den Speicher ausgemistet, wo noch eine erhebliche Menge von alten Zeitschriften, aber auch alte Akten und auch Vinyl-Schallplatten lagerten. Diese habe ich nun zu Hause mitgenommen, um diese zu sichten. Einstweilen habe ich all den Kram unter die Kellertreppe gestellt, wo wir glücklich waren, nach Flohmarktverkäufen ein bißchen Platz geschaffen zu haben. Dieser Platz ist nunmehr wieder vollgestellt. Das Sichten und Aussortieren wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Von den Zeitschriften wird wohl vieles entsorgt werden, gleichwohl sind viele alte Erinnerungen dabei. Gerade die Zeitschriften sind allesamt aus den 1980er- und 1990er-Jahren. Da werde ich genau hinschauen müssen, wie viele echte Erinnerungsstücke dabei sind. Wertvoll dürften all die Vinyl-LPs sein, die durchaus nachgefragt sind. Zum Beispiel befinden sich Hockaräter wie Led Zeppelin, die Scorpions oder Deep Purple in meiner Sammlung. Die Unordnung und das Chaos dürften aber irgendwann bereinigt sein.

10. März 2021


Die Überraschung war groß, welche Wendungen die Lockerungen in den Zeiten von Corona genommen hatten. Ich stellte fest, wie sehr sich mein Gehirn auf Inzidenzzahlen verkrampft hatte. Tagtäglich verfolgte ich die Inzidenzzahlen, die Lockerungen sehnten alle herbei und vom Prinzip her waren sie ja auch gekommen. Ich malte mir aus, in Bonner Buchläden wieder herum schmökern zu können, und doch waren die Lockerungen viel näher, als ich gedacht hatte. Mein Augenmerk war starr darauf gerichtet, dass man in Bonn oder Köln nur nach Terminvergabe shoppen konnte. Das Click-and-meet-Verfahren hatte ich bereits im Internet recherchiert, und dennoch hatte ich das näher liegende gar nicht in Betracht gezogen. Im Rhein-Sieg-Kreis lag die Inzidenzzahl nämlich unterhalb der magischen Zahl 50, die die Öffnung von Geschäften erlaubte. Demnach müssten sogar in unserem Ort die Geschäfte geöffnet sein, das schlussfolgerte ich, und genau dies wollte ich erkunden. Die Fahrt auf dem Fahrrad in unsere Ortsmitte war dann ein wahrer Akt der Befreiung. Es war tatsächlich so, dass die Türen offen standen in den Geschäften und Kunden sehnsüchtig erwartet wurden. In Geschäften zu bummeln, bedeutete mir nicht unbedingt viel, aber der heutige Tag war nach dem Lockdown ein besonderer. Ich besann mich auf den Geburtstag meiner Frau in der letzten Woche, an dem der Lockdown kaum eine Möglichkeit geboten hatte, ein Geschenk für meine Frau auszusuchen. Ich hatte die Idee gehabt, in der Modeboutique einer früheren Klassenkameradin ihr einen Gutschein zu schenken. Also trat ich ein und genoss die Freiheit, keine Barrieren, keine geschlossene Ladentüre oder keinen abweisenden Hochsicherheitstrakt der Warenübergabe vorzufinden. Ich schritt über die Türschwelle und redete ganz normal mit der Ladeninhaberin. Wir redeten über den vergangenen Lockdown und den Umstand, dass sie sich mit Verkäufen an der Ladentüre halbwegs hatte über Wasser halten können. Zumindest die Fixkosten hätte sie decken können, darüber hinaus hätte sie sich naturgemäß stark einschränken müssen. Ich solle meiner Frau noch liebe Grüße bestellen, verabschiedete sie mich, und das tat ich dann auch.

11. März 2021


Die Weigerung, bestimmte Gedanken zu denken, könnte man mit dem Begriff der kognitiven Dissonanz beschreiben. Jedenfalls scheue ich mich, beim Blick auf das Haus an der Straßenecke weiter zu denken. Diese fehlende Denklogik ordnete meine Frau dem Fall zu, dass jemand ins Krankenhaus hinein kommt, aber nicht mehr heraus. So geschehen beim Hausbesitzer des Hauses an der Straßenecke. Er kam ins Krankenhaus, wo Leukämie festgestellt wurde. Der Verlauf war so schwer und so fortgeschritten, dass er bis auf weiteres im Krankenhaus bleiben musste. Das hatte seine Frau meiner Frau erzählt. Über die Weihnachtstage sah ich ihn noch einmal. Wenn ich ihn ansonsten gesehen hatte, dann war er wahnsinnig viel im Garten beschäftigt. Stets war der Garten schön aufgeräumt, es grünte und blühte über das gesamte Jahr hinweg. Die Pflanzen hatten stets den richtigen Schnitt, und bis in den Herbst hinein hatte er sich mit all seiner Liebe noch um den Garten kümmern können, bis ihn die Krankheit ereilte. Dieser Strauch zeugt noch von diesem korrekten, akkuraten und einschneidenden Schnitt.

12. März 2021


War es die Angst, die mich trieb, das die Lockerungen nur von kurzer Dauer sein würden ? Zu viele Erwartungen waren gesetzt worden, dass der Lockdown begrenzt sei. Diese Erwartungen waren massiv enttäuscht worden, weil sich Verschärfungen und Verlängerungen über den Winter hinweg überboten hatten. Nun wollte ich den Moment auskosten, in einer Buchhandlung herum stöbern zu können. Buchhandlungen durften öffnen seit dieser Woche, und bevor man es sich wieder anders überlegen konnte, nutzte ich die Gelegenheit. Nur für eine kurze Zeit, vielleicht wenige Tage, konnte man von diesem Schlupfloch profitieren. Die Angst war groß, dass einem die wenigen Lockerungen wieder genommen würden. Dass die Verantwortlichen den Lockdown als alternativlos bezeichneten, dass sie es andererseits aber ablehnten, über jegliche Alternativen nachzudenken. Ohne Terminbuchung und ohne Stolperfallen über irgendwelche Reservierungssysteme schritt ich über die Türschwelle der Buchhandlung am Marktplatz. Ich schritt die Stände und die Abteilungen ab, wo ich sonst herum gestöbert hatte. Erst die Bestseller, dann die Literatur über Regionales und die nähere Umgebung. Ich fuhr die Rolltreppe hinauf, zwei Stockwerke, wo eine große Auswahl zeitgeschichtlicher und geschichtlicher Literatur ausgelegt war. Ich blätterte in grüner Literatur herum, in Biografien, in Wirtschaftsbüchern oder in Büchern über Zeitgeschehen. Das hatte ich lange vermisst, dass sich meine Gedanken in ganz anderen Sphären bewegen konnten. Was die Beweglichkeit der Gedanken betraf, hatte der Lockdown seine sichtbaren Schäden hinterlassen. Ich bewegte mich nur noch in einem gewissen Karree der eigenen vier Wände, weil man sich nicht mehr frei bewegen konnte. Die Gedanken, die Ideen und die Kreativität waren abgestumpft, weil der Blick nach vorne fehlte. Und zu Hause fehlte es dann an der Gelegenheit, überhaupt einmal ein Buch in die Hände zu nehmen. Nachdem ich neugierig registriert hatte, dass es zum Beispiel neue Bücher von Philipp Blom oder Kathrin Hartmann gab, schritt ich die Treppe hinunter, wo die Auswahl an Literatur über die Eifel, die Ahr, das Bergische Land oder die Mosel groß bis riesengroß war. Meine Begeisterung nahm kein Ende, herum zu blättern, ohne dass ich eines dieser Bücher gekauft hätte. Rund eine halbe Stunde verbrachte ich in der Buchhandlung, und beim Verlassen war die Angst groß, dass einem bald diese Möglichkeiten wieder genommen würden.

13. März 2021


Herbe Enttäuschung bei der Ebay-Versteigerung. Unter meinen Habseligkeiten, die auf dem Dachboden meiner Eltern gelagert hatten, hatte ich zuletzt einen größeren Stapel von alten SPIEGEL-Zeitschriften zu uns nach Hause mitgenommen. Seit den 1980er-Jahren hatte ich den SPIEGEL regelmäßig gelesen und ihn als wichtige Informationsquelle betrachtet. Von den alten SPIEGEL-Zeitschriften stammten die meisten aus den 1980er-Jahren. Dass ältere (aber auch neuere) Exemplare zum Kauf angeboten wurden, das hatte ich auf diversen Flohmärkten beobachtet. Da die Ausgaben mittlerweile digital im Netz verfügbar waren, wollte ich diese verkaufen und bot die SPIEGEL-Zeitschriften über Ebay an. Aber ich war enttäuscht, dass das Interesse am Zeitgeschehen in der jüngeren Vergangenheit äußerst gering war. Anscheinend dachten andere so wie ich, dass Printmedien nicht mehr zeitgemäß waren. Im Netz waren die Informationen einfacher nachzulesen, das ersparte zudem Stapel von Papierbergen, in denen man recherchieren musste. So bekam ich kein einziges Angebot auf Ebay, nicht einmal für einen Euro. Den SPIEGEL zu lesen, war out, erst Recht bei älteren Ausgaben.

14. März 2021


Wie unsere Freundin dazu käme, dass sie wusste, wie viel Euro andere verdienen würden. Wie hoch das individuelle Einkommen war, das war aus unserer Sicht aus einer sich öffnenden Schere zwischen Arm und Reich relativ einfach erklärbar. Einerseits hatte der Niedriglohnsektor stetig zugenommen, während die Möglichkeiten, dass Unternehmer Gewinne erwirtschaften konnten, ebenso zugenommen hatten. Das diskutieren wir auf unserem Spaziergang durch die Wahner Heide, als wir unser Auto am früheren Kasernengebäude des Camp Spich geparkt hatten und den König-Baudouin-Weg entlang schritten. Auf dem Teerweg hatte sich nasses Laub gesammelt, und doch waren wir froh wegen des festen Untergrundes, da die Seitenwege wirklich matschig aussahen mit lauter Pfützen, wozu unser Schuhwerk wenig geeignet war. Der Schwager unserer Freundin war Inhaber einer Firma, die 15.000 Mitarbeiter beschäftigte und weltweit tätig war. Unsere Freundin hatte meiner Frau einen Betrag von 45.000 Euro genannt, welcher ihrer Schwester als monatliches Einkommen zur Verfügung stand. War dies aber ein monatlich konstanter Betrag ? Bei einer unternehmerischen Tätigkeit mit einer privaten Entnahme als Geschäftsinhaber sollte dies abhängig sein von der Gewinnsituation, mithin sollte diese Privatentnahme variabel sein. Der Wald lichtete sich bedenklich an großen Freiflächen, wo die Trockenheit und der Borkenkäfer ihr Unwesen getrieben hatten. Kiefern waren massiv abgeholzt worden, und die klein gesägten Stämme stapelten sich am Wegesrand. Aufgemalte Ziffern markierten das Stammende, Ziffern, deren Bedeutung wir uns nicht erklären konnten. Die Straße des Mauspfades begleitete den Kahlschlag, wo der Erdboden noch die Reifenspuren von schweren Fahrzeugen zeigte. Unsere Freundin aus dem Saarland war 60 geworden, das war der Anlass des Telefonanrufes meiner Frau. Wie bei anderen Begegnungen oder Telefonanrufen ging es auch um Ungerechtigkeiten zwischen Arm und Reich, dass die einen finanziell kaum über die Runde kamen, während die anderen nicht wussten, wohin mit all der Kohle. Unsere Freundin hielt sich mit ihrer hauswirtschaftlichen Tätigkeit mit mehreren 450 Euro-Jobs über Wasser, ihr Mann war Lagerist. Einer ihrer 450 Euro-Jobs war zuletzt Corona zum Opfer gefallen. Ein Ehepaar, um dessen Haus sie sich kümmerte, arbeitete nun im Home Office, so dass sie in dessen Anwesenheit eher ein Störfaktor war. Der König-Baudouin-Weg machte wenige Biegungen, ansonsten verlief er mit seiner breiten Schneise so ziemlich geradeaus. Der Weg stieg seicht an und fiel dann genauso seicht wieder ab, und Kiefern und Birken standen nun dicht an dicht beieinander. Als der Weg sich zum Telegrafenberg gabelte, beschlossen wir umzukehren. Blauer Himmel spähte durch die Baumkronen hindurch, während Fetzen von Gewölk umher schwirrten. Bei unserer Freundin ging es so ungerecht zu. Von ihrer vor einigen Jahren verstorbenen Mutter hatte sie ein bißchen geerbt, aber sie hatte ein Sparbuch extra für sie angelegt, weil sie sie gepflegt hatte. Seit dem Tod war aber ein Testamentsverwalter eingesetzt, ein Rechtsanwalt, so dass sie über das Geld nahezu nicht verfügen konnte. Auf dem Weg zurück mussten wir in das blanke Sonnenlicht hinein schauen. Auf dem regennassen Teerweg blendete das grelle Licht, das schräg in die Schneise hinein schien. Zügig schritten wir zurück zu unserem Auto, und auf dem Nachhauseweg von Troisdorf nach Niederkassel mussten wir feststellen, dass wir Glück gehabt hatten. Die Straße war nassgeregnet, und den Pfützen nach zu urteilen, muss der Regen auch intensiver gewesen. So hatten wir unseren Spaziergang wenigstens trocken erleben dürfen.

15. März 2021


In der Intention war es kein Arzttermin, sondern ein Termin, der meinen Nacken entspannen und entkrampfen sollte. Meine Frau hatte darauf beharrt, dass die Hausärztin nach meinem steifen Nacken schauen sollte. Das hatte sie beim letzten Termin auch getan, dabei hatte sie leichte Verspannungserscheinungen festgestellt und mir eine Heißluftmassage beim Physiotherapeuten verordnet. Acht Sitzungen sollten es insgesamt sein, wovon ich nun das erste Mal die Praxis des Physiotherapeuten aufgesucht hatte. Mit dem Skelett an der Wand fühlte ich mich stark an den Biologieunterricht in der Schule erinnert. Ein ähnliches Skelett mussten wir auch in unserem Bio-Unterrichtsraum gehabt haben. Skelette wandeln ihre Bedeutung im Laufe der Zeit. Bedeuteten sie im Bio-Unterricht noch die Robustheit des Körperbaus, wie unumstößlich das Grundgerüst des Menschen war und wie leistungsfähig der Mensch mit seinem Körperbau war, so stellte ich mir nun die Abnutzungen und die Schwächen vor. Im Focus meiner Behandlung sowie derjenigen meiner Frau stand die Wirbelsäule, die mich mit all ihrer Flexibilität und ihrer zentralen Stellung im Körperbau beeindruckte. Wie so manches andere Körperteil, war sie ein Wunderwerk, welche Lasten sie steuern konnte, wie sie die Körperhaltung aufrecht hielt und wie sie Belastungen abfedern konnte. Bei mir war es der Nackenbereich, der sich abgenutzt hatte. Bisweilen fiel es mir schwer, den Kopf komplett zurück zu drehen und zeitweise schmerzte die Nackenpartie, wenn sie allzu steif war. Genau vierzig Minuten dauerte die Behandlung, davon wurde in der ersten Hälfte die nackte Haut meines Rückens, indem ich auf dem Bauch lag, von einer Wärmelampe bestrahlt. Der zweite Teil umfasste eine Rückenmassage, die sich mit kräftigen Handbewegungen an meine Wirbelsäule heran machte. So wurden alle Teile der Wirbelsäule, inklusive der Nackenpartie, kräftig durch geknetet. Das tat gut. Nach der Massage hatte die Wirbelsäule wieder zu ihrer alten Stärke und Robustheit zurück gefunden.

16. März 2021


Ein Termin beim Rechtsanwalt, der half, den noch nicht eingetretenen Erbfall – meine Mutter lebte ja noch – einzuordnen. Vor längerer Zeit enterbt, vor dem Tod des Vaters gleichberechtigt mit meinem Bruder, vor etwas mehr als zwei Jahren wieder enterbt, so stellte sich meine Position dar. Das lief auf den Pflichtteil hinaus, wobei nicht unbedingt nachvollziehbar war, dass meine Mutter den Erbvertrag deutlich zu meinen Ungunsten geändert hatte. Das rief nicht direkt Zorn und Unverständnis hervor. Das Konstrukt, dass ich bis zu drei Jahren nach dem Tod des Vaters Ansprüche aus dem Erbvertrag hatte, stelle mich vor Herausforderungen, die schwer zu bewältigen sein würden. Der Rechtsanwalt schlug vor, die Fälligkeit in einer Abmachung mit meiner Mutter nach hinten zu verschieben, ansonsten hätte ich sie wegen des Dreijahreszeitraumes verklagen müssen. Meine Frau schlug vor, dass der mir zustehende Anteil ins Grundbuch eingetragen werden sollte. Beides würde zu einem großen Abstimmungs- und Rechercheaufwand führen, dessen Ergebnis äußerst ungewiss sein würde. Dazu zeichnete meine Frau die Konstellationen auf die Rückseite eines Briefumschlages. Mir würden einige schwierige Wochen bevorstehen, die durch gestörte und verstopfte Kommunikationskanäle behindert werden würden.


17. März 2021


Heftiger Streit im Vorfeld des Boys Day/Girls Day. Die erste Schulstunde war von 8 bis 9 Uhr reserviert für ein Berufswahlprojekt, daneben waren jede Menge Schreiben zum Boys Day/Girls Day durchzulesen. Der Boys Day/Girls Day fand am 22. April virtuell statt, dazu sollten sich die Schüler anmelden und die Anmeldung war der Klassenlehrerin vorzulegen. All die Schreiben zum Boys Day/Girls Day interpretierte ich so, dass man im Zeitfenster von 8 bis 9 Uhr das Angebot studieren konnte und die Anmeldung möglich war. Dies klappte dann auch reibungslos. Unsere Tochter suchte sich etwas bei der RWTH Aachen aus, wie man einen Mikrocontroller programmiert. Für dieses Vorhaben waren noch genügend Plätze frei, im Anschluss mussten wir als Eltern noch diverse Erklärungen abgeben. Unsere Tochter und ich betrachteten danach das Thema als erledigt. Noch im Schlafanzug umher tappsend, befasste sich danach unsere Tochter mit anderen Dingen wie Anziehen, Waschen und Frühstücken. Die Zeit verstrich, und irgend wann kam sie langsam mit den ersten Hausaufgaben im Wochenplan in die Gänge. Gegen Mittag las meine Frau den Wochenplan genau und erinnerte mich an das Berufswahlprojekt, was dort gelaufen sei. Mehrere Male redeten wir aneinander vorbei, indem ich von der Girls Day-Anmeldung redete und meine Frau von dem Berufswahlprojekt. Unsere Tochter sei herum getappst, ganz schnell sei sie mit der Anmeldung fertig gewesen und habe danach nichts mehr gemacht. Wir fühlten uns allerdings auch erschlagen von Elternbriefen im Fach Berufswahlvorbereitung, in denen sich fast alles um den Boys Day/Girls Day drehte und wenig um das Berufswahlprojekt. Meine Frau redete sich in eine Nervosität hinein, unsere Tochter hätte ein paar gute Ansätze gezeigt und diese nun zunichte gemacht.

18. März 2021


Die Erleichterung war groß, als unsere Tochter aus unserem Auto ausstieg und vom Parkplatz zum Haupteingang der Realschule schritt. Der Wechselunterricht hatte begonnen, was bedeutete, dass sie Mittwochs und Freitags wieder Schulunterricht als Präsenzunterricht hatte. Die Schulklassen waren in zwei Klassen aufgeteilt, so dass jeweils die Hälfte ihrer Schulklasse unterrichtet wurde. Der Bedarf, unsere Tochter unterstützen zu müssen, sollte sich verringern. Es würde aber definitiv ein Rest verbleiben, dass unsere Tochter nicht alles verstanden hatte, so dass wir ihr trotz Präsenzunterricht weiterhelfen mussten. Im Vorfeld hatten wir zu Hause lebhaft diskutiert, was denn mit den Corona-Tests in der Schule los war. Gerade bei der mutierten Virus-Variante würde der Anteil der Infektionen bei Schülern zunehmen, das hatten Wissenschaftler heraus gefunden. Mithin waren Tests essentiell wichtig, doch diese wurden noch nicht durchgeführt. So verspürten wir einerseits Erleichterung über den Wiederbeginn des Wechselunterrichtes, andererseits hatten wir ein mulmiges Gefühl über den potenziellen Infektionsherd Schule. Wie dem auch sei, bei mir selbst überwog das Gefühl der Erleichterung.

19. März 2021


Womöglich kam unsere Tochter mit einer Botschaft aus dem Wechselunterricht, die uns etwas beruhigen könnte. Wenigstens wurde Präsenzunterricht erteilt, dies aber nicht in allen Fächern und dies auch nur an zwei Tagen in der Woche. Die Wochenpläne, die bislang im Distanzunterricht abzuarbeiten waren, sollten künftig über das Internet eingestellt werden. Dazu hatte die Klassenlehrerin im Wechselunterricht an alle ein Schreiben ausgehändigt, wie man auf die Internetseite gelangte, was für eine Kennung und was für ein Passwort es war. Mit unserer Tochter zusammen sichteten wir die Internetseite, wo sogleich Aufgaben in Mathematik und Chemie zu bearbeiten waren. Trotz der Diskussionen über mögliche Infektionen waren wir erleichtert, dass im Präsenzunterricht Unterrichtsinhalte vermittelt wurden, von denen wir als Eltern entlastet wurden. Mit einer guten Nachricht kam unsere Tochter aus dem Wechselunterricht an. Da eine Benotung ohne Präsenzunterricht extrem schwierig war, würden wohl alle Schüler am Ende des Schuljahres versetzt. Wir hofften, dass es wohl so kommen würde, da das Schulzeugnis aus dem 1. Halbjahr sehr viel Luft nach oben hatte. Nachdem unsere Tochter mehrere Schuljahre lang in ihrer alten Klasse gemobbt worden war, fühlte sie sich nun wohl in ihrer Klasse. Sie hatte eine Freundin, mit der sie sich regelmäßig traf und sich gut verstand. Als ich sie zuletzt mit dem Auto zum Wechselunterricht gefahren hatte, umarmte sie sich als erstes ausgiebig mit drei anderen Klassenkameradinnen. Wir hofften, dass dieser Zustand so lange wie möglich andauern sollte.

20. März 2021


Unser Auto hatte es mehr als dringend nötig, sauber gemacht zu werden. Über den gesamten Winter hinweg hatte es als Baustellenfahrzeug fungiert, um Schutt und Abfall und allerhand Müll zu transportieren. Und bis heute hatte uns die Zeit gefehlt, unser Auto einer Reinigung zu unterziehen, um es nicht allzu katastrophal aussehen zu lassen. Besonders schlimm sah der Kofferraum aus. Die Spuren von Bauschutt waren dort nicht zu übersehen. Verdreckt und voller Staub war die Ablagefläche, was die fünf bis sechs Handtücher und Wolldecken nicht zu verdecken vermochten. Ebenso sammelte sich unter den Fußmatten der Dreck. Nachdem ich heute meine Frau zur Arbeit im Behindertenwohnheim gefahren hatte, nutzte ich die Zeit und fuhr direkt durch zur Tankstelle. Zuerst ging es in die Waschanlage, danach verrichtete der Staubsauger seine Arbeit. Mühsam verschlang er all den Staub und Dreck und das Procedere war langwierig, die Ablagefläche im Kofferraum sauber zu bekommen. Der Staubsauger kurvte über Ritzen und Rillen, wo sich der Dreck besonders hartnäckig eingenistet hatte. Schlimm war auch der Zustand unter den Fußmatten im Fahrerraum, wo sich der Dreck massiv angesammelt hatte. Nachdem die Prozedur vorbei war, fühlte ich mich ein ganzes Stück wohler beim Autofahren.

21. März 2021


Dass der Pavillon am Rhein gerade einmal sechs Jahre alt war, erstaunte mich. Er war jedenfalls ein schöner Blickfang, bot einen Panoramablick auf die Schleife des Rheins, die sich bei Porz vom Zentrum der Domstadt Köln bis hin zu der Industriezone von Godorf und Wesseling wand. Die Porzer hatten ihr Identitätsgefühl zum Leben erweckt, das seit der Eingemeindung nach Köln im Jahr 1975 fortbestanden hatte. Die Porzer hatten sich benachteiligt gefühlt: in den 2010er-Jahren wurde in der Kölner Innenstadt ein Prestigeprojekt nach dem anderen vorangetrieben. Die Baustellen im Zentrum nahmen größenwahnsinnige Ausmaße an. Der U-Bahn-Bau, die Oper oder der Neubau des jüdischen Museums verschlangen Unsummen an Geld. Währenddessen gammelte die Porzer Fußgängerzone vor sich hin, die seelenlosen Betonbauten aus den 1970er-Jahren stießen Passanten ab. Das abweisende Gemengelage von Wettbüros, Spielhallen oder Dönerläden sollte aufpoliert werden. Gelungen ist dies nicht unbedingt in der Porzer Fußgängerzone, allerdings konnten am Rhein erste Zeichen gesetzt werden. Der Bürgerverein engagierte sich, einen Pavillon aus dem Jahr 1910 in seinem Originalzustand wieder aufzubauen. Dabei halfen ganz viele Hände von örtlichen Handwerksfirmen mit, außerdem bezuschusste eine Immobilienfirma das Vorhaben mit einem ordentlichen Betrag. Im Gegensatz zur Fußgängerzone, zeigt Porz an der Rheinpromenade seine schöne Seite. Über die Schleife des Rheins hinweg kann man bis zu den Türmen des Kölner Doms schauen. Die exponierte Lage des Pavillons überblickt den breiten Strom des Rheins, den bisweilen Lastkähne mit ihren Schiffsmotoren aufwühlen. Die Gegensätze, die nur wenige Meter auseinander liegen, könnten kaum schärfer sein.

22. März 2021


Die Revolution eines Graffitis. Die weißen und braunen Schriftzüge schreien das heraus, was die menschliche Seele so aufwühlt. Nicht nur in Corona-Zeiten, leben viele Menschen in Zwängen. Die menschliche Freiheit stößt dort an ihren Grenzen, wo die Menschen sich nicht als Individuum verhalten sollen, sondern Pflichten an die Gesellschaft oder anderen Mitmenschen wahrnehmen sollen. Allzu oft werden Träume unterdrückt, Wünsche zu verwirklichen, scheitert an der Realität. Dieses Wunschdenken hat sich nun in den weißen und braunen Schriftzügen entäußert. Mit dem Pfeil durch das Herz und dem Spruch „be your own inspiration“ wirkt das Graffiti nicht einmal zerstörerisch, sondern lässig und charmant. Es transportiert eine Botschaft, ein Ausschrei und Spiegel des inneren Ich. Eine Revolution der eigenen Seele anzustoßen, mag so manchem Menschen weiterhelfen.

23. März 2021


Nun heißt es also wieder: Kommando zurück, Kehrtwendung auf den Anfang, zurück in den Lockdown. Die Perspektiven, die sich vorübergehend aufgetan hatten, sind wieder dahin. Ein Glück, dass ich wenigstens beim Friseur war, ein Glück, dass ich in der Buchhandlung am Marktplatz herumgestöbert hatte und ein Glück, dass meine Frau nach vorheriger Terminbuchung im Baumarkt zwei Badezimmerschränke gekauft hatte. Solche Perspektiven sind für die nächsten Wochen dahin. Museumsbesuche werde ich nicht mehr auf die Reihe kriegen, anstatt dessen werden Corona-Testungen zum Wochenprogramm gehören. Es wird weiter gemogelt und geschummelt werden, die Suche nach der Lücke, was noch erlaubt ist, und vorbei an all den Geboten und Verboten, dass in den eigenen vier Wänden zu Hause niemand sehen kann, dass dennoch gefeiert wird und Partystimmung herrscht. Zurück in den Lockdown: wir werden uns wieder zurückwenden müssen nach dem bißchen, was man noch darf. Ich selbst werde mich nicht daran gewöhnen können, dass man nichts mehr machen kann, worauf man sich freut. Keine Tasse Kaffee mehr in einem Café, keine Freunde treffen, kein Restaurantbesuche, keine niederländischen Fritten in der Innenstadt essen, keine Theaterveranstaltungen und so weiter. Weiterhin werden wir in all die griesgrämigen und schlecht gelaunten Gesichter schauen, die sich in der Fußgängerzone hinter einer Maske verbergen. Wie lange werden wir noch damit klar kommen, dass unsere Emotionen in demselben Maße herunter gefahren werden ? Die Kunst, sich an den kleinen Dingen zu erfreuen, schwindet. Was bleibt, sind Spaziergänge, Arbeiten im eigenen Garten, der Gang durch den Supermarkt ein paar Straßen weiter, Telefonate mit Freunden oder all die virtuellen Kontakte im Netz so fernab von jeglicher Realität. Wie lange noch ?

24. März 2021


Auszeit auf dem Rotweinwanderweg. Seitdem ich arbeitsvertraglich mein Beamtenverhältnis wieder habe aufleben lassen, stehen mir dreizehn sogenannte Erholungs-Zeit-Ausgleichs-Tage zu. Davon habe ich einen Tag nun dringend nötig. Überwiegend im Home Office arbeitend, ist der Druck durch meinen Arbeitgeber, durch die Notwendigkeiten zu Hause und durch das Homescooling (seit letzte Woche ist gottseidank wieder Wechselunterricht !) enorm. Wie bereits vor einem Jahr, ist seit dem Lockdown im November mein Rhythmus vollkommen durcheinander geraten. Um diesen wieder ein bißchen zurecht zu rücken, bin ich mit der Bahn nach Altenahr gefahren und den Rotweinwanderweg entlang gewandert. Die Wanderung war fantastisch, wobei es lange her war, dass wir einst das Stück von Altenahr nach Dernau gewandert waren. Die Ausblicke waren atemberaubend, der Flusslauf der Ahr prägte maßgeblich das Landschaftsbild, steile Felsen ragten fulminant aus dem Tal heraus, der Weinbau dominierte die sonnenbeschienenen Hanglagen, das Landschaftserlebnis war exzellent. In Mayschoss lernte ich an einer Schautafel Zahlen, Daten, Fakten über den Weinbau. Einhundert Weinbauern waren in Mayschoss beheimatet, davon erzeugten vierzig Weinbauern ihren Wein als Vollerwerbsbetrieb. Auf 167 Hektar summierten sich die Anbauflächen, wovon die Hinweistafel auf die drei Hauptlagen wies: Laacherberg, Mönchberg und Burgberg. Von Mayschoss ging es über Rech nach Dernau, von wo aus ich mit der Bahn weiter fuhr. Es kam mir so vor, als hätte ich nach der rund zehn Kilometer langer Wanderung meinen Kopf wieder frei bekommen. Und dabei war es wichtig, dass die Belastung genau richtig war für mein Herz.

25. März 2021


Wie sich das, was man unternimmt, verlagert. Wenigstens haben die Möglichkeiten zugenommen, was man in der Stadt unternehmen kann: nach Voranmeldung kann man in die Geschäfte hinein, die Frittenbude mit den niederländischen Fritten hat geöffnet, ebenso die Buchhandlung am Marktplatz. Wenn die Notbremse greifen wird, werden diese Möglichkeiten aber bald radikal beendet sein. Mit den erneut steigenden Infektionszahlen haben sich meine Aktivitäten verlagert. Vom Bummel in der Stadt zum Covid19-Testzentrum, von den geschlossenen Cafés zum klärenden Testergebnis, von der abwesenden Kultur zum Abstrich im Mund und in der Nase. Man mag derzeit so sehr auf unserem Gesundheitsminister herum meckern: der kostenlose Schnelltest einmal pro Woche ist ein Fortschritt. Dieser Schnelltest kann so manches bewegen, wenn Infizierte sicher ausgemacht werden können. Um im eigenen familiären Umfeld Klarheit zu schaffen, mache ich mit. In der Mittagspause habe ich mich in das Testzentrum auf der Remigiusstraße begeben. Der Andrang war lebhaft, eine Warteschlange hatte sich bis in die Fußgängerzone gebildet. Die Terminbuchung geschah über das Internet, den dazugehörigen Zettel mit dem QR-Code musste ich am Empfangsschalter vorlegen, genauso wie den Personalausweis. Die Testung im Massenbetrieb geschah unaufgeregt. Auf einen Stuhl durfte ich mich hinsetzen, damit eine Mitarbeiterin im weißen Overall den Abstrich vornahm. Ganz tief drang ein weißes Wattestäbchen in Mund und Nase hinein, so tief, dass ich das Gefühl hatte, als würde man durch mein Nasenloch hindurch bohren. Ruckzuck war die Prozedur vorbei, und am Empfangsschalter hatte ich eine Kennung ausgehändigt bekommen, um im Internet das Testergebnis einsehen zu können. Eine dreiviertel Stunde später hatte ich die Gewissheit, als ich in mein Großraumbüro zurück gekehrt war. Negativ. Das Ergebnis des SARS-Covid-2-Antigen-Schnelltests ist negativ, so stand es offiziell in dem Testprotokoll.

26. März 2021


Nun hat die NRW-Landesregierung doch ein Hintertürchen geöffnet, um der Notbremse entkommen zu können. Das Covid19-Spannungsfeld ist immens. Niemand will mehr, das Thema Covid19 kommt allen zu den Ohren heraus. Ein Plan ist nicht mehr auszumachen, weil der innere Widerstand in der Bevölkerung größer ist, als gemeinsame Anstrengungen zu unternehmen. Von Lockdown zu Lockdown hat sich ein Gefühl der Sinnlosigkeit eingestellt, dass die Anstrengungen nichts bringen und dass das eigene individuelle Verhalten keinen Einfluss hat auf das Infektionsgeschehen. Im Moment sieht es so aus, als würde die NRW-Landesregierung dem nachgeben, die Notbremse konsequent zu handhaben. Zuvor hatte die Bundesregierung kapituliert, als sie die Beschlüsse zur 5 Tages-Osterruhe zurückgenommen hatte. Einstweilen habe ich die Gelegenheit genutzt, in der Buchhandlung am Marktplatz zu bummeln und das Buch von Hamel Abdal-Samad zu kaufen. Ein Stück Lebensqualität, an dem die Verantwortlichen nunmehr festhalten wollen. Während die Regierung eingestanden hat, dass sie keinen Plan mehr hat, warnen die Intensivmediziner, dass die Intensivstationen volllaufen werden mit Covid19-Erkrankten. Das setzte dann wiederum eine Spirale der Ratlosigkeit in Gang, dass der Gesundheitsminister etwas von einem kurzen, harten Lockdown von zehn bis vierzehn Tagen gefaselt hatte, der die Wende bringen könnte. Daran glaubt allerdings niemand in der Bevölkerung.

27. März 2021


Im eigenen persönlichen Umfeld tut sich indes etwas beim Impfen. Dabei waren meine Frau und mein Schwager in das Astra-Zeneca-Verwirrspiel hinein geraten. Zweimal waren Impftermine mit dem Astra-Zeneca-Impfstoff angesetzt gewesen. Da kamen genau die Diskussionen dazwischen über Todesfälle bei Thrombosen nach Impfungen mit dem AZ-Impfstoff. Zunächst wurde der Impftermin um eine Woche verschoben, dann abgesagt und dann wieder neu terminiert. Letzte Woche war es dann soweit, dass das komplette Behindertenwohnheim geimpft worden ist. Der Impfstoff lagerte im ganz normalen Kühlschrank, er musste aufgeteilt werden auf Impfdosen, die dann verimpft wurden. Durch diese Aufteilungsprozedur dauerte die Impfung des kompletten Wohnheims eine ganze Zeitlang. Nach rund zwei Stunden Wartezeit war meine Frau geimpft. Parallel dazu war mein Schwager in der Behindertenwerkstatt genauso an der Reihe. An einem Tag wurde ebenso die komplette Mannschaft der Behindertenwerkstatt durch geimpft. Bei meiner Frau zeigten sich keinerlei Symptome, beim Schwager ebenso nicht. Bereits am nächsten Tag war er fit, in der Behindertenwerkstatt weiter zu arbeiten.

28. März 2021


Die Grabumrandung wurde aus Übersee heran geschifft, und es sollte mehrere Monate dauern, bis er im Hamburger Hafen ankommen sollte. Die Verzögerung war nicht unbedingt schlimm, weil die Umrandung des Grabes der verstorbenen Schwiegereltern seit mehreren Jahren schadhaft war. Die Umrandung war im Erdboden verrutscht, der Stein war marode, so dass meine Frau und mein Schwager das Grab neu gestalten wollten. Nachdem das Warten vorbei war, sah das Grab wieder richtig hübsch und akkurat aus. Mit vier runden Buchsbäumen und Stiefmütterchen hatten wir es bepflanzen lassen. Die Bepflanzung hatten wir nicht selbst erledigt, denn bei solchen Tätigkeiten würden wir uns allzu oft in die Haare geraten, das meinte meine Frau.

29. März 2021


Das Geräusch, das mich aus der Gartenarbeit heraus riß, war abartig, erdrückend, mißraten wie ein versalzenes Essen. Ich war gerade dabei, die Beete herzurichten, wo im letzten Jahr unsere Tomaten üppig gereift waren. Das Unkraut war ausgerissen, und soeben füllte ich die Beete mit Erde auf, die ich aus Töpfen genommen hatte, in denen im Vorjahr ebenso Tomaten gewachsen waren. Das Geräusch riß mich aus meinen Bewegungen, mit denen ich großflächig Büschel von Unkraut abtrennte. Das Geräusch setzte in Form eines dumpfen Brummens an, das sich verdichtete. Das Brummen schwoll an, wurde ohrenbetäubend, so dass ich glaubte, eine Dampfwalze würde den Garten unseres Nachbarn platt walzen. Doch dem war bei näherem Hinsehen nicht so, als ich durch die Sträucher am Zaun hindurch spähte. Das Gerät, dessen Form einem Rasenmäher ähnelte, identifizierte ich als einen Vertikutierer. Unser Nachbar tobte sich damit in seinem Garten aus. Die Rasenfläche wurde aufgewühlt, Moos und andere unerwünschte Nebenprodukte traten zum Vorschein. So wurde der Rasen ausgedünnt, gesäubert, gelüftet, so dass ihm die Konsistenz als Rasen erhalten blieb. Die Benutzung eines solchen Gartengerätes lag fernab unserer eigenen Gewohnheiten, wie wir mit unserem Rasen umgingen. Weder besaßen wir einen Vertikutierer, noch empfanden wir es als einen Mangel, wenn der akkurate Zustand unseres Rasens außer Rand und Band geraten war. Der Schwerpunkt unserer Gartentätigkeit lag ohnehin auf unserem Nutzgarten, während Unkräuter in den Rest unserer Rasenfläche von allen Seiten wild hinein gewuchert waren. So war uns fremd, dass unser Nachbar mit Vertikutieren versuchte, einen gleichmäßigen und unkrautfreien Wuchs seines Rasens zu erzielen. Dieses Vertikutieren, das in mehreren Arbeitsgängen vor sich her dröhnte, nervte. Das stumpfe und nervende Geräusch schwoll lange Zeit an, dann verstummte es, bis es um so energischer, wie eine alles platt walzende Dampfwalze, wieder auflebte. Ich war froh, als unser Nachbar und ich gleichzeitig unsere Gartenarbeit beendet hatten. Die wesensfremde Tätigkeit des Vertikutierens war verstummt. Am Abend konnte ich mich nun mit Tätigkeiten befassen ohne lästige Nebengeräusche. Die entfallenden lästigen Nebengeräusche hatten allerdings einen schalen Beigeschmack. Um das Haus des verstorbenen Schwiegervaters drum herum war alles vorbereitet, um Rasen zu säen. Das ließ befürchten, dass wir künftig selbst gezwungen sein würden, uns mit dem Vertikutieren befassen zu müssen.

31. März 2021


In diesen Tagen, wenn man in Lockdown-Zeiten durch die Stadt schreitet, erscheint die Maske als Symbol totaler Bedrohung. Alle paar Meter warnt die Maske, dass die Menschen verpflichtet sind, sie in der Fußgängerzone aufzusetzen. Viele empfinden dies als Bevormundung, dass der Staat Gebote und Verbote setzt, an die sich die Bürger zu halten haben, was in anderen Bereichen – wie etwa dem Straßenverkehr – gezwungenermaßen befolgt wird. Diese Maske hat ein Hickhack entfacht: welche Masken es sein sollen oder dürfen, FFP2 ist in, Stoffmasken sind out, was genau medizinische Masken sind, davon will ich keine Ahnung haben. Die Maske überzeichnet: die Symbolik ist bisweilen so entstellt, dass sie mehr an Darth Vader aus Star Wars erinnert als an ein menschliches Gesicht. Niemand will sich so sein Gesicht entstellen, wie es auf den Symbolen in der Fußgängerzone dargestellt ist. Würde man auf dem Mund noch einen Kreis hinzufügen mit ein paar hinein gesprenkelten Punkten, dann wäre die Bedeckung des Gesichtes nicht unähnlich einer Gasmaske, wie sie etwa in den Schützengräben des Ersten Weltkrieges getragen wurde. In diesen Darstellungsformen erhält der Lockdown ein unmenschliches Gesicht. Gesichter mit Masken, die abweisen und in Versatzstücke zerlegt werden, Gesichter, die kein sinnvolles Ganzes ergeben.


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