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Tagebuch Juni 2023

1. Juni 2023


Das Konzept der vier Tugenden ist alt und wurde in Epochen entwickelt, die mehrere Jahrhunderte vor dem Christentum lagen. Im wesentlichen wurde es in der griechischen Philosophie entwickelt, erstmals erwähnt wurde es von Aischylos im 6. Jahrhundert vor Christus. Bei Platon war es Gegenstand seiner Dialoge, wo in seinen Schriften zu Politeia und Nomoi über die Tugenden der Tapferkeit, der Besonnenheit, der Gerechtigkeit und der Klugheit philosophiert wurde. Sokrates führte die vier Tugenden zu den zwei Haupttugenden Frömmigkeit und Gerechtigkeit zusammen, die Stoiker setzten dann wieder auf die Viererschaft von Platon auf. Später übernahmen die Römer mit Cicero die vier Tugenden von Platon, und erst dann kam das Christentum. So erstellte Thomas von Aquin etwa eine Hierarchie von Tugenden, dass Haupttugenden anderen Tugenden übergeordnet sind. Damit überschritt die Grundgesamtheit der Tugenden die Zahl Vier um einiges. Auch andere christliche Denker dachten das Konzept der Tugenden neu, so der Michaelsorden. Seine Aufzählung der Tugenden hat der Orden, der sich auf dem Erzengel Michael gegründet hat, auf dem Koblenzer Tor fest geschrieben. Verglichen mit Platon, ist die Wertehierarchie komplett umsortiert worden, so dass der Michaelsorden seine Tugenden neu definiert hat. Seine Tugenden umfassen die Frömmigkeit, die Ausdauer, die Stärke und die Treue, was genauso sympathisch klingt wie in der griechischen Philosophie. Gewiss, alle Tugenden sind wichtig und erstrebenswert, und wenn die Zahl vier dabei heraus kommen soll, muss man eben auswählen. Beim Vorbeifahren oder Vorbeigehen dürften so manchem Betrachter diese vier Figuren wahrscheinlich eher selten aufgefallen sein. Die vier Figuren stehen übrigens nicht in der oberen Reihe, aus der der Erzengel Michael mit seinem goldenen Schwert heraus ragt, sondern in der mittleren Reihe. Jede Figur beschreibt eine Szene, die typisch ist für die jeweilige Tugend. Im Zeitalter des Barock, als das kurfürstliche Schloss mit dem Koblenzer Tor entstanden ist, suchte man noch nach Mythen, Allegorien und Bildern. Und im Schlossgebäude suchten sich die Herrscher damit zu verewigen.



2. Juni 2023


So wie im letzten Jahr, waren wir als Zuschauer bei der Fernsehaufzeichnung des ZDF Sommer Comedy Festivals. So wie vor einem Jahr, begeisterte die Location, das war der Innenhof einer alten Fabrik. Getränke wurden serviert, und ab 21 Uhr stellten die Kellner ihren Betrieb ein, da diese bei der Fernsehaufzeichnung ab 21.30 Uhr stören würden. Mit dabei waren unter anderem die Comedians Tahnée, Karim Abdelkarim, Moritz Neumeier, Atze Schröder, Orkan Seese und Nikita Miller. Tahnée ließ sich ausgiebig aus über Haare und Frisuren, wobei sie die Frisur von Angela Merkel aus Pispottschnitt bezeichnete. Abdelkarim, aus Marokko stammend, haderte damit, wenn Deutsche die Rachenlaute der arabischen Sprache nachmachen wollten. Man solle ihn besser Achim nennen als eine falsche Arabisierung seines Namens Abdelkarim. Er erzählte darüber, dass er Mandeln viel zu schnell gegessen hatte. Als er dann die Treppenstufen hinauf ging, verschluckte er sich so sehr, dass er fast erstickt wäre. Am besten gefielen mir Atze Schröder und Nikita Miller, ein Ukrainer, der bereits im letzten Jahr dabei gewesen war. Atze Schröder nahm die Musik aufs Korn. So das Abschneiden der Deutschen beim ESC, welches er so kommentierte, dass man Minderheiten eine Chance geben solle. Er entwickelte die Idee, die Amigos zum ESC zu schicken, die zwar keine Punkte bekämen, aber wenigstens einen Rentenbescheid. Rap verglich er mit Hustensaftwerbung, schließlich ahmte er Udo Lindenberg nach, was mit seiner Reibeisenstimme höchst originell klang. Nikita Miller trug mit seiner langen und langatmigen Stimme seine Erfahrungen zum Thema Arbeit vor. Er beschrieb allerlei schlechte Jobs, für die Psyche, für den Geldbeutel und mit weiteren Einschränkungen. Flexible Arbeitszeiten klangen nach Überstunden und seine Vorstellungen von der Arbeit hatten stets negative Assoziationen, und seine Pointen drehten sich um Ausbeutung, Billigjobs, die Grenzen der Belastbarkeit wurden häufig überschritten. Das ZDF Sommer Comedy Festival war auch in diesem Jahr eine rundum feine Sache, wir lachten herzlich und ließen uns in dem außergewöhnlichen Rahmen einer Fabrik bestens unterhalten.  



3. Juni 2023


Die Verletzung unseres Katers Jumbo sollte sich zum Schock entwickeln. Nachdem er in der Nacht von Donnerstag auf Freitag draußen verbracht hatte, versteckte er sich am Donnerstag im Kleiderschrank, er verkroch sich, wurde nicht gesehen und er fraß auch nichts. Meine Frau glaubte zu erkennen, wenn sie ihn denn sah, er hätte Schmerzen und besorgte sich bei der Tierärztin ein Schmerzmittel. Sie bekam es ihm aber nicht gegeben, weil er sich zu sehr wehrte, außerdem waren wir abends zur ZDF Comedy Show in Köln unterwegs, so dass wir uns um ihn nicht weiter kümmern konnten. Weil unser Kater weiterhin apathisch im Bett des Zimmers unserer Tochter lag, wo früher ihr Kinderzimmer war, schnappte ich mir ihn gegen seinen Widerstand und steckte ihn in die Katzenbox. So fuhr ich mit ihm am Samstagmorgen zur Tierärztin, die zuerst feststellte, dass sein rechtes Hinterbein stark geschwollen war. Danach zeigte das Röntgenbild das wahre Ausmaß der Katastrophe auf: Unterschenkel und Oberschenkel standen stark versetzt zueinander, und die Tierärztin urteilte, dass bei einem solchen Schiefstand das Knie quasi ganz kaputt sein dürfte. Sie könne versuchen, es wieder zu richten, sie riet aber dazu, Experten in einer Tierklinik aufzusuchen. Das Problem dürfte sein, dass es mittlerweile Samstag Mittag war, um eine noch geöffnete Tierklinik zu finden. Ich fuhr nach Hause, wartete ab, bis meine Frau gegen halb eins nach Hause kam, dann aßen wir, dann telefonierten wir mit Tierklinken, von denen die meisten einen Anrufbeantworter laufen hatten, dass wir außerhalb der Öffnungszeiten anriefen. So schrumpfte die Auswahl der in Frage kommenden Tierkliniken merklich. Eine Tierklinik in Köln-Raderthal hatte geöffnet, sie konnte uns einen OP-Termin aber erst am Montag anbieten. Kurz nach 14 Uhr hatte eine Tierklinik in Pulheim-Stommeln geöffnet, die uns anbot, sich die Verletzung anzuschauen und zu entscheiden, wie man bei einer OP am besten vorgehen sollte. So fuhren wir denn nach Pulheim-Stommeln, wo wir den großen Teil des Nachmittags verbrachten. Sie gaben uns einen OP-Termin direkt für Montags morgens um 7.45 Uhr und meinten, was noch reponibel sei am Kniegelenk, hänge nicht von einem zwei Tage früheren oder späteren OP-Termin ab. Alles was möglich sei zu reponieren, würde reponiert, darüber hinaus müsste man schauen. Ebenso boten sie eine Amputation an, was wir aber ablehnten. Die Kosten, die auf uns zukamen, waren in jedem Fall beträchtlich: etwa 700 Euro für die Voruntersuchungen und 2.000 bis 2.200 Euro für die OP. Nach unserer Entscheidung für die OP gaben sie uns ein Schmerzmittel mit, ein Opiat, das wir einmal an diesem Abend und dreimal am morgigen Tag in den Mund spritzen mussten. Als wir in Pulheim-Stommeln losfuhren, hatten wir zumindest das Gefühl, richtig gehandelt zu haben und das beste für unseren Kater erreicht zu haben. Dieser hatte während der Hinfahrt heftig miaut und trotz Spritze bei der Tierärztin mussten die Schmerzen schlimm gewesen sein. Während der Rückfahrt hingen wir zwischen Hoffen und Bangen. Am Montag würde es weiter gehen, und zum OP-Termin um 7.45 Uhr mussten wir im Berufsverkehr einmal über den westlichen Kölner Autobahnring.  



4. Juni 2023


Am Pfingstmontag, dem ersten Tag der 22. Kalenderwoche, begaben wir uns am frühen Nachmittag zur Dreier-WG. Vor einigen Monaten hatte er ein Hörspiel aufgenommen, das war das Märchen Dornröschen gewesen. Dazu hatten einige Betreuer, seine Freundin und wir Beiträge in sein Mikrofon gesprochen. Nun hatte er ein neues Hörspiel aufgelegt, das war diesmal das Märchen „Schneewittchen und die sieben Zwerge“. In diesem Hörspiel durfte ich den Zwerg Seppl spielen, und meine Frau einen anderen Zwerg. Er fragte mich, wie ich mich so fühlen würde. Ich antwortete, mir sei durstig zumute, so dass ich am liebsten in einen Biergarten flüchten würde. Dann entspann sich ein Dialog, dass sich meine Frau, der andere Zwerg, nicht so wohl fühlen würde und was ich empfehlen könne. Ich empfahl ein kaltes Fußbad, was der andere Zwerg als vollkommen unpassend empfand. Dieser wollte das kalte Wasser über mich ausschütten, so dass ich die Flucht ergreifen wollte. Später gingen wir mit dem Schwager in die Strandbar am Rhein. Als dort Hubschrauber mit einem ziemlichen Lärm den Rhein überflogen, beschlich mich ein grummeliges Gefühl. Am nächsten Tag erfuhren wir aus den Nachrichten, dass sich ein schlimmes Unglück ereignet hatte. Gegenüber von unserem Ort, auf der anderen Rheinseite, hatten Eltern unbeaufsichtigt ihre Kinder am Rhein gelassen, wo der Rhein an einer Landzunge ein sehr seichtes Ufer hat. Die Kinder hatten im Rhein gespielt, an einer Stelle war der Rhein plötzlich tiefer geworden und zwei Kinder waren weggetrieben worden. Ein Vater hatte dies beobachtet, er sprang in den Rhein und konnte aber nicht schwimmen. Ein Kind schaffte es wieder zurück ans Ufer, der Vater und das andere Kind ertranken aber. Nachdem unser kleines Kätzchen die OP mit der Kastration überstanden hatte, fand sie so langsam zu ihrer gewohnten Lebhaftigkeit zurück. Die Fäden waren gezogen waren, aber danach leckte sie die Stelle wieder auf, so dass sich dort eine neue Wunde bildete. Daraufhin zogen wir ihr den Body wieder für drei bis vier Tage an, danach beschlossen wir eine Normalität ohne Body. Wir schauten weg, wenn sie sich an der Stelle der gezogenen Fäden unter ihrem Körper leckte und es funktionierte auch. Die Stelle verheilte, putzmunter rannte unser Kätzchen durch unser Haus und bald würden wir sie draußen, als Freigängerkatze, herum laufen lassen. Zum Wochenende spitzte sich die Situation zu, was den WLAN-Zugang in der Dreier-WG betraf. Der eine WG-Bewohner nutzte den Router des Schwagers, um ins Internet zu kommen, und dafür bezahlte er auch einen gewissen Anteil. Nun war der Zugang gesperrt und er kam mit dem Passwort nicht mehr in das WLAN-Netz hinein. Ebenso konnte der Schwager mit seinem Festnetztelefon nicht mehr telefonieren, weil der WLAN-Router nicht mehr am Netz war. Wir schafften es nicht, uns darum zu kümmern, weil die Verletzung unseres Katers Jumbo weitaus dringlicher war. So ereignete sich während der Wocheneinkäufe ein Kuriosum. Ich war gerade dabei, die Einkäufe in den Kofferraum unseres Autos einzuräumen, da erreichte mich auf dem Handy ein Anruf mit der Vorwahl 02405. Diese Vorwahl 02405 verortete ich irgendwo im Raum Aachen und ich nahm den Anruf an, weil wir wenige Freunde/Bekannte im Raum Aachen haben. Der Anrufer äußerte, dass mein Schwager den Notruf betätigt hätte, er sei aber nicht erreichbar und man wolle uns darüber informieren. Naturgemäß war ich irritiert über den Anruf, zumal ich vor etwa einer Stunde mit dem Schwager telefoniert hatte, als er von einem Spaziergang zurück gekehrt war. Nach den Einkäufen fuhr ich auf direktem Weg zur Dreier-WG, wo der Schwager sich in der Küche fleißig mit einem anderen WG-Bewohner am unterhalten war. Dass er einen Notruf abgesetzt hatte, davon wusste er nichts. Es war alles in Ordnung und es hätte keinen Anlass gegeben, den Notruf zu betätigen. Am Abend kam unser Sohn schließlich dazu, den WLAN-Router neu zu starten, wobei sich gleichzeitig der abgesetzte Notruf klärte. Neben dem Router gab es nämlich eine derjenigen Tasten, um den Notruf zu betätigen. Der andere WG-Bewohner war so verzweifelt, nicht ins Internet zu gelangen, dass er in der Nähe des Routers alles an Tasten drückte, was er gerade vorfand, darunter auch die Notruftaste. So hatte er schließlich den Notruf ausgelöst und nicht der Schwager. Und so klärte sich dieser ominöse Vorfall. In der Nacht von Donnerstag auf Freitag ereignete sich das Drama mit unserem Kater Jumbo, um den wir uns am Freitag unter anderem deswegen nicht kümmern konnten, weil wir abends zur Fernsehaufzeichnung des ZDF Sommer Comedy Festivals unterwegs waren. Das an für sich hervorragende Fernsehaufzeichnung hatte einen negativen Nachklang. Die S-Bahn war nämlich ausgefallen. Um halb 12 Uhr nachts hätte sie planmäßig kommen sollen, ein paar Minuten nach halb 12 kam die Durchsage, dass die S-Bahn wegen eines Lokschadens ausfiel – dieser Lokschaden war bestimmt längere Zeit vorher bekannt. Wir hatten keine Lust, in der nächtlichen Dunkelheit auf die nächste S-Bahn in einer halben Stunde zu warten, so dass wir ein Taxi nahmen. Dieses Taxi kam dann sehr zeitnah und fuhr uns zum S-Bahnhof Porz-Wahn, wo wir unser Auto geparkt hatten. Es kostete aber ordentlich, nämlich 59 Euro. Wir schimpften auf öffentliche Verkehrsmittel, und um eine Verkehrswende herbei zu führen, taugten Busse und Bahnen mit solchen Unzuverlässigkeiten wenig.


5. Juni 2023


Eine sogenannte Mänade auf dem Grabstein eines römischen Soldaten. So wie man es vielleicht aus dem James Bond-Film „Leben und sterben lassen“ mit dem Protagonisten Roger Moore kennt, beginnt dieser Film mit einem Begräbnis in New Orleans, wo sich all die Trauer spontan in ein wildes Fest verwandelt. Der Zug der Trauernden feiert, tanzt auf der Straße und ist so fröhlich, als wollten alle ihre Fröhlichkeit dem Verstorbenen ins Jenseits mitgeben. So ungefähr könnte man eine Mänade verstehen, die an dieser wunderschönen Stelle in der Rheinaue in der Reihe von Steinen aus der Römerzeit zu sehen ist. Sie kennzeichnet den Grabstein eines Soldaten, der aus Illyrien, dem heutigen Kroatien, stammte. Der obere Teil des Grabsteins nennt den Namen des Kriegers „Marcinus“ und sein Todesdatum XXXV in römischen Zahlen, der untere Teil zeigt die Mänade als langhaarige Frau mit einem schweifenden Rock. Die Römer haben diese griechischen Mythen in ihre Kultur übernommen, indem Mänaden als Begleitung des Weingottes Bacchus erscheinen. Bacchus steht für den Wein, die Freude und die Fröhlichkeit, denen es die Mänaden gleich tun. Womöglich ist die Beerdigung dieses Soldaten ähnlich abgelaufen wie diejenige in New Orleans in dem James Bond-Film. Die Römer mochten positiv gedacht haben, nicht nur in ihrer Provinz Niedergermanien. Den Wein hatten sie aus ihrem Kernland des römischen Reiches an den Rhein gebracht, und Bacchus kam eine gleichrangige Stellung zu in der Hierarchie der Götter unter dem Ober-Gott Jupiter. Der römische Soldat war in das Reich der Toten berufen worden, und die Mänade als rechte Hand des Bacchus hauchte ihm Frohsinn, Heiterkeit und Fröhlichkeit aus dem Reich der Lebendigen ein. Diese Erzählung könnte man von dem Grabstein ablesen.



6. Juni 2023


Am Tag nach der Operation hatten wir eine allererste Indikation, dass es mit unserem Kater Jumbo aufwärts gehen könnte. Er fraß nämlich, und zwar machte er sich so sehr über sein Essen her, als wäre er ausgehungert. Er stürzte sich auf seine Freßschale, fiel darüber her und mampfte das Felix-Nassfutter in sich hinein. Am Tag zuvor wollte er seinen Käfig, wo sein Hinterbein in einer Käfighaltung genesen sollte, noch auseinander nehmen. Diesen Käfig hatte meine Frau über eine Whatsapp-Gruppe in der Nachbarschaft organisiert. Er wusste nicht, wohin mit dem sperrigen Verband seines ganzen rechten Hinterbeins. Er wälzte sich von der Kuscheldecke zur Katzentoilette, die sich gleichzeitig im Käfig befand, hin und her. Er miaute wehleidig und war kaum zu beruhigen. Das Horrorerlebnis seines Unfalls, wie er sich denn in der Nacht von Donnerstag auf Freitag auch ereignet haben mochte, hatte ein vorläufiges Ende gefunden. Er war operiert worden, erfolgreich diesmal, beim zweiten OP-Versuch, nachdem er wegen des vorhandenen Asthmas reanimiert werden musste. Davor hatten wir ihn am Tag zuvor in der Tierklinik in Pulheim-Stommeln abgeholt, während der Autofahrt war er ruhig geblieben, und bei der Rückkehr zu Hause bekundete er massiv seinen Unmut, in einem Käfig eingesperrt zu werden. Nun, am Tag danach, hatte er sich deutlich beruhigt. Er kuschelte sich auf seiner Decke, leckte an seinem Fell und schaute die neue, ungewohnte Umgebung an, wo er sechs Wochen würde verbringen müssen. Wir hatten auch keine Probleme gehabt, ihm sein Schmerzmittel zu verabreichen, das er sich willenlos in sein Maul spritzen ließ. Es war süß, so dass er sich eine gewisse Zeit mit der Zunge daran leckte. Vor der Operation musste er irre Schmerzen am rechten Hinterbein gehabt haben, nun, nach der Operation, sollten diese allmählich nachlassen. Wenn man unseren Kater Jumbo im Käfig betrachtete, wurde das Geschehen handhabbar. Er war friedlich, im Käfig liebte er es, gestreichelt zu werden, er fraß und trank und ließ sich sein Schmerzmittel geben, das wir ihm für die Dauer von einer Woche verabreichen mussten. Wir konnten die Situation wieder etwas optimistischer sehen.  



7. Juni 2023


An diesem Tag häuften sich die Ereignisse. Unsere große Tochter war extra aus Freiburg angereist wegen der Abschlussfeier ihrer Schwester in der Realschule. Am Vortag konnte ich sie nicht einmal vom Hauptbahnhof abholen, da ich gleichzeitig unseren Kater Jumbo in der Tierklinik abgeholt hatte. Dieser hatte sich am Morgen etwas beruhigt, nachdem ich ihm sein Felix-Nassfutter zu fressen gegeben hatte, und auch tagsüber bekam er ausreichend Nassfutter, Wasser und seine Katzentoilette wurde sauber gemacht. So konnte dem großen Ereignis am Nachmittag nichts entgegen stehen, das war die Abschlussfeier unserer Tochter in der Realschule. Sie hatte ihren Realschulabschluss geschafft, dazu allerherzlichste Glückwünsche ! Die Feier begann mit einem ökumenischen Gottesdienst in der evangelischen Kirche, danach war in der Aula der Realschule das Festprogramm prall gefüllt: ein Schüler spielte auf dem Klavier, der stellvertretenden Bürgermeister hielt eine Rede, die beiden Abschlussklassen hatten jeweils einen Videofilm über ihre Klassen gedreht, ein Schüler bedankte sich bei ihrem Klassenlehrerinnen und erzählte dabei sehr authentisch über die Höchstleistungen seiner Lehrer und Lehrerinnen, mit was für einer chaotischen Klasse sie sich hatten arrangieren müssen. Im Endeffekt hatte es aber funktioniert mit dem erfolgreichen Realschulabschluss. Dann hielt die Schulleiterin eine Rede, und der persönliche Höhepunkt war für mich ein Sketch, den die beiden Klassenlehrerinnen unserer Tochter als hoch betagte Ü80er-innen spielten, die eine mit einem Rollator und die andere auf einem Gehstock beim Teetrinken zurück rückblickend auf diese 10er-Abschlussklasse. Ironisch beschrieben sie ihre Schüler, dass alle Engelchen gewesen seien, als totale Arbeitstiere seien sie alle fleißig gewesen, dabei fiel der Name einer Schülerin, auf welche dies auch zugetroffen habe. Sie beschrieben die Szene einer Prügelei, dass am zweiten Arbeitstag ein Schüler den anderen mit einem Besen vermöbeln wollte. Nachhaltig erinnerten sie sich an die Klassenfahrt. Dort waren die Fähigkeiten der Schüler, sich beim Kochen selbst zu versorgen, nicht perfekt, denn die Spaghetti waren ein einziger dicker Klumpen. An einem anderen Tag gelang es ihnen aber, Muffins mit Prinzessin Lillifee zu backen, die gut gelungen waren. Die Klassenlehrerinnen beschrieben ihre Klasse als Rekordniveau: mit welcher Schnelligkeit sie durch das Klimahaus in Bremerhaven gerannt waren, ohne etwas zu sehen; Rekorde hatten die Schüler auch bei ihren Abwesenheiten aufgestellt, wie oft sie im Unterricht gefehlt hatten. Rekorde gab es auch beim Ausflug in das Phantasialand zu vermelden, was die lautesten Schreie auf der Achterbahn betraf. Und dann war da noch ein Bobbycar, das abzuholen war. Ein Schüler hatte dieses der Schule für irgendeinen Zweck zur Verfügung gestellt, und anscheinend wollte er es nicht zurück. Als die beiden hoch betagten Damen ihren Plausch beim Tee beendeten, kam ihre Abschlussklasse in der Erinnerung Jahrzehnte zurück doch nicht so schlecht weg. „Dann stoßen wir an auf den netten Haufen“, so gingen die beiden Klassenlehrerinnen auseinander. Beim Schlusspunkt, der Aushändigung der Zeugnisse, konnte ein regelrechtes Fotoshooting losgehen. Ich fotografierte aus mehreren Positionen und Blickwinkeln die Klasse unserer Tochter, alle Schüler und Schülerinnen fein heraus geputzt in schönen Kleidern und adretten Anzügen. Es war eine würdige Abschlussfeier in einem schönen Rahmen !



8. Juni 2023


Es war diese glänzende Kombination von Landschaft und Portraitmalerei, von Stilleben und Alltagsszenen sowie von religiösen Motiven und Herrschern, die mich immer wieder faszinierte. Die niederländische Malerei des 17. Jahrhundert und ein wenig später beeindruckte mit der Ausgewogenheit der Motive, der Leidenschaft der Farben und der Authentizität der Szenen. Seitdem ich das Museum der schönen Künste in Antwerpen besucht hatte, ließ mich diese Malerei nicht mehr los, die auch in anderen Museen, in Amsterdam, in Haarlem, in Brüssel oder sonstwo zu besichtigen war. Der Stil dieser niederländischen Malerei war unnachahmlich, und so hatte ich der Ausstellung im Arp-Museum, das im einstigen Bahnhof Rolandseck untergebracht war, fiebernd entgegen gesehen. Die Ausstellung hielt dann auch, was sie versprach, und sie zeigte all die Facetten der niederländischen Malerei, die ich früher kennen gelernt hatte. Einer dieser Facetten war die religiöse Malerei, worüber ich mir im Kontext mit der Neugestaltung des Weltbildes in der Zeit der Renaissance Gedanken machte. Religiöse Motive waren bei der Ausstellung etwa die Figur der Maria mit dem Jesuskind oder der Apostel Petrus. Lange, sehr lange hielt die Kirche an ihrem eigenen Weltbild fest, in dessen Mitte Gott mit seiner Kirche stand. In dieses Weltbild fügte sich eine Maria mit dem Jesuskind oder ein Apostel Petrus ein, deren Malerei als allmächtige Symbole von der Kirche beauftragt wurden. Diese Macht verkörpernde Kirche zentrierte das Weltbild auf Heilige oder Szenen aus der Bibel. Die Macht kam von oben, im Volk scharten sich die gläubigen Christen zusammen. Ein philosophischer Diskurs blieb lange, sehr lange aus. Innerhalb dieses Diskurses sind die Beiträge der Kirche eher dürftig. Große Denker findet man in der Antike und in der Aufklärung, in der Zwischenzeit des Mittelalters musste sich das Denken so ausrichten, dass es zu Gott als letztem Ursprung zurück führte. Kirchliche Denker wie etwa Thomas von Aquin, der Heilige Augustin oder Cusanus gelang es in Teilen, ein gedankliches Gebäude von Schöpfung, Gott und der Kirche zu erstellen, ihr Denken war aber weitaus weniger durchdringend wie etwa Aristoteles oder all die Denker der Aufklärung. Maria mit dem Jesuskind oder der Apostel Petrus stehen in der Malerei dafür, woran sich die Menschen fest klammerten und glaubten. Die naturwissenschaftlichen Denkansätze sollten in der Geschichte noch kommen, so dass diese christlichen Symbole für alles und nichts standen und häufig nichts aussagend. Maria mit dem Jesuskind und der Apostel Petrus sind exzellent gemalt, ihre Farben drücken die Urgewalt ihrer Erscheinung aus. Sie haben eine Vorbildfunktion wie Popstars in unserer heutigen Zeit. In Kirchen wird man auf Gemälden, noch in der übrigen sakralen Kunst kaum christliche Denker wie Thomas von Aquin, Cusanus oder den Heiligen Augustin wieder finden. So hatte die niederländische Malerei mit ihren religiösen Motiven eher eine repräsentative Funktion, Kernaussagen oder wichtige Botschaften verbreiteten sie in der allgemeinen Liturgie des Gottesdienstes. Das Volk glaubte, und die religiöse Kunst stärkte diesen Glauben.



9. Juni 2023


Ich bin heute in meinem Gefühl bestärkt worden, dass ich mit moderner Kunst nichts anzufangen weiß. Nach dem Besuch der Ausstellung über die niederländische Malerei wollte ich die übrigen Ausstellungsräume des Arp-Museums erkunden. Zunächst ging es durch einen langen Tunnel, der unter den Bahngleisen verlief. Der Tunnel war so lang und so geradlinig, dass ich unwillkürlich an einen Schutzbunker dachte, der vor Krieg und Bombeneinschlägen schützen sollte. Wäre ich am Ende des Tunnels nicht anderen Museumsbesuchern gefolgt, wäre ich vollkommen orientierungslos gewesen. Man musste nämlich einen Aufzug nehmen, der einen in immer höhere Sphären zu den anderen Ausstellungsräumen transportierte. Ganz oben hatte man von einer Aussichtsplattform einen phänomenalen Ausblick auf den Rhein und das Siebengebirge, in dem angrenzenden Ausstellungssaal fand ich aber nichts vor, was meine Gedanken anregte und in Gang setzte. Die Exponate schienen weder einem Plan zu folgen, noch erschlossen sich die Bedeutungen. So hingen ganz unsystematisch Fetzen von Textilien von der Decke, eine Wand füllte eine Collage von Kreisen aus. Kissen verteilten sich auf dem Boden, der Buchstabe P ragte aus zerknüddeltem Papier heraus. Gekräuselte Wesen, die Insekten ähnlich waren, krallten sich an eine andere Wand. Allerhand Merkwürdigkeiten, die für mich keinen Sinn ergaben, sammelten sich in diesem Raum an, der auf der anderen Seite einen schönen Ausblick auf die bewaldeten Hänge hinter der Bahnlinie bot. Es war die Künstlerin Franziska Nast, die hier ausstellte, und der Titel der Ausstellung „RRRRReality“ war genauso merkwürdig, wieso man auf einmal Reality mit fünf R schrieb. Lange hielt ich mich nicht auf in der Ausstellung, bis ich zum Ausgang flüchtete. Draußen angekommen, ließ ich die stilvolle Fassade des Bahnhofs Rolandseck auf mich wirken. In dieses stilvolle Ambiente passte die Ausstellung über die niederländische Malerei sehr gut hinein, das unsystematische Sammelsurium einer Franziska Nast etwas weniger.



10. Juni 2023


Bei unseren Bemühungen, die Dreier-WG in unsere Unternehmungen einzubeziehen, haben wir zwei WG-Bewohner an diesem Wochenende zum Street Food Festival mitgenommen. Dieses ist mittlerweile zum regelmäßigen Event in unserem Nachbarort geworden, allerdings in diesem Jahr ohne unsere Freundin Thita mit ihrem thailändischen Imbiss. Ich selbst hatte bei heißen Temperaturen in diesem Jahr nicht den großen Hunger, was ich dazu nutzte, ein schattiges Plätzchen an einem Biertisch zu suchen, als die beiden WG-Bewohner an dem Stand „Allgäu Bully“ in der Warteschlange für Spätzle standen. Die selbst gemachten Spätzle gab es in verschiedenen Variationen, mediterran, mit Trüffeln, mit Speck und Zwiebeln und so weiter, unsere beiden WG-Bewohner wählten das traditionelle Bergkäse-Menü mit Schmelzzwiebeln und Moosbeeren. Während die beiden ihre Spätzle schön im Schatten sitzend verspeisen konnten, werteten meine Frau und ich den Besuch zum Probieren weiterer Street Food-Spezialitäten auf. Es ist ja das schöne an Street Food Festivals, mit mehreren kleine Portionen an mehreren Ständen zu probieren und so das Speiseangebot mit unterschiedlichen Geschmacksrichtungen zu verköstigen. Dazu holte meine Frau Tikka Masala von einem indischen Imbiss, danach probierte ich Fleischbällchen mit Tomatensoße von einer spanischen Speisekarte, beides war exzellent, dabei spülten wir unseren Durst mit mehreren Gläsern Kölsch und Cola herunter. Das Manko des einen WG-Bewohners war stets, dass er nie Geld hatte. Als Einkommen stand ihm gerade die Grundsicherung des Sozialamts zur Verfügung, das auch sein Wohngeld zahlte. In die Behindertenwerkstatt ging er nicht, so dass ihm zudem der Werkstattlohn fehlte. Fünfzig Euro wurden ihm pro Woche zugeteilt, und diese gab er regelmäßig für seine Einkäufe aus, ohne dass er Geldbeträge für das Street Food Festival oder andere Unternehmungen zurück legen konnte. Gleichzeitig kaufte er viel zu viel ein, so dass ihm Obst oder Brot schlecht wurde. Dieses musste dann entsorgt werden. So mussten wir ihm etwa Essen und Trinken beim Street Food Festival bezahlen, was wir das eine oder andere Mal gerne taten, es wurde aber zur Regelmäßigkeit, dass wir ihn aushalten mussten, was wir nicht in Ordnung fanden. Nachdem wir beinahe zwei Stunden beim Street Food Festival verbracht hatten, machten wir uns auf den Weg nach Hause zurück. Als der Schwager und der andere WG-Bewohner mit dem Bus zurück fuhren, verhielt sich der Schwager höchst unaufmerksam. Bei der großen Hitze war sein Mitbewohner nämlich im Bus eingedöst und nicht wieder aufgewacht, als die beiden aussteigen mussten. Er sagte ihm nicht Bescheid und ließ ihn weiter schlafen. Einige Nachbarorte weiter, bemerkte sein Mitbewohner diese erst, er musste aussteigen und den Bus in der Gegenrichtung zurück nehmen. Sicherlich hatte er noch Glück dabei, dass sein Fahrschein nicht kontrolliert wurde, denn seine Geldbörse war leer und er hätte keinen Fahrschein bezahlen können.



11. Juni 2023


Die 23. Kalenderwoche war dadurch geprägt, dass unsere große Tochter drei ganze Tage bei uns zu Hause verweilte, zusätzlich reiste sie jeweils einen Tag mit der Bahn an und wieder ab. Mit ihrem Besuch beabsichtigte sie, bei der Abschlussfeier ihrer Schwester in der Realschule dabei zu sein. Mit ihren Geschwistern redete sie in diesen Tagen ganz viel, außerdem waren wir an dem Feiertag (Fronleichnam) ins Café Sonnenschein gefahren, was wir für ein langes Gespräch nutzten. Anderthalb Jahre waren wir nicht mehr in Freiburg gewesen, und ich hatte den Plan entwickelt, uns gemeinsam auf ungefähr halber Strecke bei der Bundesgartenschau in Mannheim zu treffen. Am Freitagnachmittag, dem Brückentag, musste meine Frau arbeiten. Ich selbst musste ebenso arbeiten, und nachmittags bin ich mit unseren Töchtern und unserem Kater Jumbo zum Tierarzt im Nachbarort gefahren, die Tierärztin in unserem Ort hatte frei gehabt. Der Tierarzt war ein kleiner, rundlicher, kauziger und netter Typ, und es gelang ihm problemlos, unserem schwer verletzten und operierten Kater den Verband über dem rechten Hinterbein zu wechseln. Der Verband umfasste den kompletten Oberschenkel bis zur Tatze, und unser Kater hielt sehr schön still beim Verbandswechsel. Der Entlassungsbericht hatte dafür zu einer Narkose geraten, was der Tierarzt mit seiner ebenso ruhigen und geduldigen Art umging. In seinem Käfig, wo er sechs Wochen verbringen wollte, war er ruhig und umgänglich, und er hatte kaum Regungen gezeigt, den Käfig verlassen zu wollen. Am Samstagmorgen brachte ich unsere Tochter zum Hauptbahnhof, wo der Zug diesmal pünktlich kam. In der Stadt genehmigte ich mir noch einen Kaffee, dann kehrte ich zur Uni-Garage zurück, zu Hause angekommen erledigte ich die Wocheneinkäufe, nachmittags schafften wir etwas Gartenarbeit. Diesmal machten wir uns daran, die Zucchini in den Hochbeeten zu pflanzen. Wie bei anderen Arbeiten, hatte ich mich auf diesen vier Hochbeeten schwer getan mit der Herrichtung. Was hatte ich falsch gemacht ? Pro Hochbeet müssen drei Schubkarren Kompost hinein geschüttet werden, die Komposterde muss hinaus und zu einem Berg aufgeschüttet werden. Es muss aber nicht alles Erdreich aufgeschüttet werden, sondern ein Rest ist zu sammeln. Die vier aufgeschütteten Hügel müssen oben auf dem Berggipfel flach sein. Wenn man die Zucchinis pflanzt, ist an deren Wurzeln ein Plastiktopf im Erdreich einzubringen. Bestimmte Neuigkeiten verbreiten sich ja über Whatsapp und Whatsapp-Gruppen. So eine, welche die Chefin meiner Frau betraf. Ihre Schildkröte, die Igor heißt, war nämlich ausgebüxt. Einen Stein in der Steinumrandung hatte die Schildkröte verschoben, und durch ein Loch im Zaun kroch die Schildkröte in Nachbars Garten. Dieser fragte nach über eine Whatsapp-Nachbarschaftsgruppe, wem die Schildkröte gehörte – ohne dass jemand antwortete. Da keine Antwort gekommen war, fuhren die Nachbarn die Schildkröte zum Tierheim nach Troisdorf. Meine Frau war zufälligerweise in derselben Whatsapp-Nachbarschaftsgruppe, wo ihr zwar die Schildkröte nicht bekannt vorkam. Sie wusste aber, dass ihre Chefin, die auf derselben Straße wohnte wie die Whatsapp-Absenderin, eine Schildkröte besaß. Und sie fragte nach, ob es sich zufälligerweise um die Schildkröte ihrer Nachbarin handelte. Ja, sie war es. Daraufhin bewegte sich die Chefin meiner Frau aus der Whatsapp-Welt heraus, sie klingelte bei ihrer Nachbarin und die beiden redeten miteinander. Sie war nicht auf die Idee gekommen, dass es die Schildkröte ihrer Nachbarin war, weil diese aus der entgegengesetzten Richtung gekommen war. Im Endergebnis musste sie zum Tierheim Troisdorf fahren, um ihre Schildkröte dort wieder abzuholen. Hätte man nicht nur virtuell miteinander geredet, hätte sich die Fahrerei nach Troisdorf vermeiden lassen.


12. Juni 2023


In diesen Tagen erleben wir umwälzende Ereignisse, die die Gefühlswelten mächtig durcheinander wirbeln. In seinem Käfig geht es mit unserem Kater Jumbo ganz allmählich wieder aufwärts, und in zwei Tagen steht eine Operation bei mir an. Dazu ist heute ein weiteres Top-Ereignis dazu gekommen: unser kleine Tochter ist nämlich schwanger. Das hatte sich angedeutet mit zwei Tests aus der Apotheke, die beide jeweils positiv waren. Davor hatte sie sich ständig, dauernd, ohne Besserung übel gefühlt, ja, sie hatte sich sogar übergeben. Als unsere große Tochter vor und nach der Abschlussfeier bei uns verweilte, kam sie auf die Idee mit dem Schwangerschaftstest. Nun fuhr heute Morgen meine Frau mit unserer kleinen Tochter zur Frauenärztin, sie bestätigte die Schwangerschaft und erkannte den Embryo auf dem Ultraschall in seiner zusammen gekringelten Form als Schnecke. Wir werden also Eltern und freuen uns erst einmal ! Was dies darüber hinaus mit dem Vater, der geplanten Ausbildung ab 1. September und vieles mehr durcheinander wirbeln wird, das können wir momentan noch nicht überschauen. Um Blut abzunehmen, war ich heute Nachmittag dafür zuständig, sie ein zweites Mal zur Frauenärztin zu fahren. Seit einer Blutabnahme in der Kinderklinik St. Augustin, als man sie festgehalten hatte, hat unsere Tochter einen Horror vor Blutabnahmen. Auch diesmal war es eine zeitraubende Aktion, die viel Geduld erforderte. Da unsere Tochter so sehr zurück schreckte, gab sie der Frauenärztin einen Versuch. Doch bei diesem Versuch kam kein Blut. Also war der Stich vergeblich. So müssen wir am Donnerstag nochmals mit ihr dorthin zur Blutabnahme.



13. Juni 2023


Zu seinem Geburtstag hat meine Frau den einen WG-Bewohner und meinen Schwager eingeladen. Am Montagabend hatten wir Schwierigkeiten, eine geöffnete Gaststätte oder einen geöffneten Biergarten zu finden. Viele Lokale haben nämlich montags geschlossen. Die Gaststätte am Marktplatz war geöffnet, und dort konnten wir draußen sitzen. Die Gaststätte an für sich war gemütlich, der Blick auf den Marktplatz weniger, weil er zu fragmentiert und unharmonisch war, da die Wohn- und Geschäftsbebauung sich mit der wenigen alten Bausubstanz widersprach. Die Erzählungen des einen WG-Bewohners, der Geburtstag hatte, waren interessant, wie es zu seiner Behinderung gekommen war. Er war als gesundes Kind geboren worden, und epileptische Anfälle hatten seine Behinderung ausgelöst. Er erzählte von einem epileptischen Anfall auf einer Kellertreppe, als er nicht mehr in der Lage war, die Kellertreppe hoch zu gehen. Dann erzählte er von einer Campingfreizeit in St. Etienne in Frankreich, wo er ständig Anfälle gehabt hatte. Er hatte nur in seinem Zelt gehockt, er konnte nicht an dem Ferienprogramm teilnehmen und kehrte krank und behindert aus der Ferienfreizeit zurück. Die Einschränkungen und Behinderungen blieben dauerhaft, sein Gehirn war massiv geschädigt worden. Im übrigen war er früh in seiner Jugend Vollwaise geworden. Seine Eltern waren davor nach Frankreich gezogen, nach ihrem Tod war er in einem Behindertenwohnheim in unserer Gegend untergekommen. Im Haus der Dreier-WG fügten sich allerhand tragische Schicksale zusammen.



14. Juni 2023


Die Fahrt mit dem Rennrad zum Krankenhaus Köln-Porz entspannte und trug maßgeblich dazu bei, dass die Nervosität im Vorfeld schwand. Vielleicht eine Viertelstunde vor dem vereinbarten Termin um 11 Uhr kam ich an, und dennoch war die Schar der Wartenden vor der Patientenannahme sehr lang. So an die 45 Minuten kamen zusammen, dass ich warten musste und die Prozedur der Patientendaten und jede Menge Formulare, die vor allem den Datenschutz betrafen, über mich ergehen lassen musste. Auch diesmal lernte ich das Krankenhaus Köln-Porz ganz gut organisiert kennen. Die Patientenannahme gab mir eine Mappe mit Formularen und Unterlagen mit zu einer benachbarten Annahme dieser Unterlagen, welche meine Gänge zu den medinischen Fachspezialisten koordinierte. Zunächst empfing mich am Ende des langen Ganges, wo ich nur wenige Minuten warten musste, die Chirurgin, die mich über Details des Eingriffs aufklärte, um den Nabelbruch zu heilen. Ein Netz aus Kunststoff, zehn mal zehn bis fünfzehn mal fünfzehn Zentimeter sollte unter die Bauchdecke genäht werden, das im Bauchnabel angesammelte Sekret sollte abgesaugt werden, der Eingriff sollte minimal-invasiv mit nur kleinen Schnittstellen durchgeführt werden, ansonsten hätte ohne Eingriff die Gefahr darin bestanden, dass sich Teile des Darms in den Resten der Nabelschnur hätten verschlingen können. Die Chirurgin befragte mich nach Besonderheiten, worauf ich den Herzinfarkt nannte sowie die Erkrankung an Morbus Crohn, die ich durch die Einnahme von Azathioprin im Griff hatte. Die Chirurgin nannte mir schließlich ein paar Gefahren, die sich ungefähr im Promillebereich bewegten. Anschließend musste ich zum EKG, wo ich prompt ohne Warteschlange an der Reihe war. Länger warten musste ich hingegen beim Anästhesisten, wo ich einen umfangreichen Bogen mit der persönlichen Krankengeschichte ausfüllen musste. Dort kamen ebenso die Besonderheiten des Herzinfarkts und von Morbus Crohn vor. Eine Gefahr sah der Anästhesist bei mir nicht, da ich regelmäßig die Kontrolluntersuchungen beim Kardiologen wahrgenommen hatte, die Ultraschallaufnahmen und das Langzeit-EKG waren dort unauffällig gewesen. So erläuterte er mir die Durchführung der Vollnarkose, die in der Kernphase in einer künstlichen Beatmung bestand, wobei die Atmung über die menschliche Lunge aussetzte. Er belehrte mich darüber, dass ich nüchtern zur Operation erscheinen müsste: ab Mitternacht durfte ich nur noch Mineralwasser oder Kaffee ohne Milch und Zucker trinken, ab 6 Uhr gar keine Flüssigkeit mehr, allerhöchstens meine Tabletten einnehmen mit wenigen Schlücken Wasser. Danach durfte ich einmal zurück kehren zu der Chirurgin, die sich den Bauchnabel anschaute, dabei tastete sie diesen dahin gehend ab, inwieweit Schmerzen entstanden oder Teile des Darms zu ertasten waren. Beides war bei mir unauffällig. Aus diesem Gesamtbild zog sie den Schluss, dass der Eingriff eigentlich komplikationslos durchführbar sein sollte. Schließlich telefonierte sie wegen der genauen Uhrzeit, die allerdings am frühen Nachmittag noch nicht feststand. Man würde mich später auf meinem Handy anrufen. Genau dies geschah, als ich mit dem Fahrrad in der Porzer Fußgängerzone gelandet war. Dort hatte ich mich im Café Sonnenschein hingesetzt, um einen Apfelpfannkuchen zu essen. Soeben hatte ich diesen verspeist, als mein Handy klingelte und eine Frauenstimme mit osteuropäischem Akzent mir die Uhrzeit von 6.30 Uhr nannte, wann ich mich auf der Station 6 in der zweiten Etage einfinden sollte. Ich fand die Uhrzeit reichlich verfrüht und zu Unzeiten. Dennoch harrte ich, positiv gestimmt und nach dem verspeisten Apfelpfannkuchen weiterhin entspannt, der Dinge aus, die noch kommen würden.  



15. Juni 2023


Es war ein Moment der Zuspitzung, in dem mir bewusst wurde, dass das Leben eine Pause einlegen würde. Lange Momente, die an die anderthalb Stunden dauern würden, sollten den Heilkünsten der Ärzte überlassen werden. So lag ich auf dem OP-Tisch, war vom Krankenbett dorthin umgebettet worden, ich zwängte meinen Körper hinein in die Enge des Tisches, fasste die Hände über den Bauch, musste eine komische grüne Kappe über die Haare stülpen. Zuerst war der Krankenpfleger des Anästhesisten von hinten gekommen, so dass ich nur seine Stimme hörte und seine Gestalt nicht erblicken konnte. Als sein bärtiger Kopf in mein Blickfeld geriet, stellte er sich als „Mo“ oder so ähnlich vor. Vollkommen hilflos war ich in dieser Situation, ich mir alleine dessen bewusst, dass ich irgendwann weg sein würde. Mein Leben würde eine Pause einlegen, es würde sich umstellen auf eine künstliche Beatmung, so wie es mir der andere Anästhesist am Vortag erklärt hatte. Der operative Eingriff würde den Körper mehr oder weniger stark verändern, ein gewünschter, geplanter Eingriff, der das Gefahrenpotenzial des gebrochenen Nabels minimieren würde. Ganz ähnlich, unerkannt und von hinten sich anschleichend, kam der Anästhesist. In der beklemmenden Stille erklärte er, dass ich zunächst über die Maske Sauerstoff einatmen würde, was nicht zur Narkose führen würde. Diese würde über die Nadel in den rechten Arm eingeleitet, indem ein flüssiges Narkosemittel zugeführt würde. Als der Stich der Nadel erfolgt war, wurde ich mir der Unumkehrbarkeit des Geschehens bewusst. Gleich würde ich das Bewusstsein verlieren und Momente nicht miterleben, in denen die Chirurgen zu Höchstleistungen auflaufen würden. Ganz viel High Tech würden sie anwenden und mein Leben auf eine ganz neue Basis stellen. Wunder würden sie vollbringen, was die Menschheit vor mehreren hunderten oder auch Jahrzehnten von Jahren nicht für möglich gehalten hätten. Diese Wunder des technischen Fortschritts würde ich mir erst ganz allmählich in dem Aufwachraum bewusst werden, wo das Bewusstsein langsam aufklarte, so wie bei einem Sonnenaufgang. Ob ich Schmerzen hätte, das war die erste Frage des besorgten Krankenpflegers, als ich mein Bewusstsein wieder erlangt hatte. Nein, ich verspürte keine Schmerzen, ich wusste aber nicht, ob ich in der Liegeposition verharren wollte oder ob ich Beine oder Arme in irgendeine Richtung bewegen sollte. Ich versuchte weiter zu schlafen, was aber nicht hat gelang. Das Gefühl war angenehm, dass der Eingriff vorbei und überstanden war. Der Aufwachraum, der voll lag mit Leidensgenossen und Leidensgenossinnen, erinnerte mich an große Schlafsäle, wie man sie etwa früher in Jugendherbergen vorfand. Es war aber klinisch rein, man wurde umsorgt. Bald würde ich auf die Krankenstation gefahren werden und dort würden sich ganz viele um mich kümmern, dass es mir gut gehen würde.



16. Juni 2023


Dass ich das Krankenhaus verlassen konnte, kam unerwartet plötzlich. Die Chirurgin hatte mir einen Zeitraum von 3-5 Tagen, je nach Heilungsverlauf, genannt. Nun wurden aus diesen 3-5 Tagen 2 Tage, denn bereits am nächsten Tag nach der Operation konnte ich das Krankenhaus wieder verlassen. Der Eingriff war ohne Komplikationen verlaufen, mein Gesundheitszustand war stabil, normales Gehen war ohne Schmerzen möglich, und die Schmerzen traten nur dann auf, wenn ich auf die Stelle mit dem operierten Netz unter der Bauchdecke drückte. Dies waren ganz bestimmte Bewegungen wie etwa beim Bücken, beim Aufrichten und beim Setzen. Meine Bettnachbarn, die ganz andere Sorgen plagten, dürften neidisch gewesen sein, wie schnell ich das Krankenhaus wieder verlassen würde. Der eine Bettnachbar hatte sogenannte Divertikeln im Darm, die an für sich harmlos waren. Das waren Unebenheiten in der Darmaußenwand, wo sich das Essen in der Verdauung staute. Diese wurde dann nicht ausgeschieden, bei ihm war allerdings Blut im Stuhlgang, so dass man sich für die Operation entschied. Bei dieser Operation war die Schnittwunde relativ lang und tief, so dass wenige Tage danach Flüssigkeit aus der vernähten Wunde austrat. Dabei handelte es sich wahrscheinlich um den Inhalt des Darmes, welcher im Zeitverlauf zunahm. Schließlich musste alle anderthalb Stunde ein neuer Verband angelegt werden, der das austretende Sekret aufsaugte. Mitten in der Nacht, um 2 Uhr, war es dann soweit, dass mein Bettnachbar ein zweites Mal operiert wurde. Danach, es war bereits hell, als er auf unser Krankenzimmer zurück kehrte, war die Wunde dicht, und es trat keine Flüssigkeit mehr aus. Ich sollte nicht mehr miterleben, wann er das Krankenhaus verlassen würde. Dasselbe galt für den anderen Bettnachbarn, der Hustenanfälle bekam. Diese dauerten mehrere Minuten und ließen dann nach. Drei bis vier Tage hatte man ihn auf den Kopf gestellt und nichts gefunden. Er war vor längerer Zeit an einer Herzklappe operiert worden und hatte wohl auch einen leichten Herzinfarkt erlitten, den der Hausarzt festgestellt hatte. Seiner Zeit war er aber darauf nicht untersucht worden. Nun wurde bei ihm das komplette Programm von Untersuchungen aufgefahren – EKG, Röntgen, Lungenuntersuchung, MRT und vieles mehr. Allerdings ohne dass man die Ursache fand. Somit war bei ihm, der um die 70 war und osteuropäisch mit starkem Akzent sprach, das Verlassen des Krankenhauses ebenso ungewiss. Ich konnte hingegen meine persönlichen Dinge packen, mir Alltagsklamotten anziehen, den Entlassungsbericht abholen und die zusätzlichen Tabletten in Empfang nehmen, die ich am Tag der Entlassung nehmen sollte. Ich rief meine Frau an, und bald würde sie mich abholen.



17. Juni 2023


Zu Hause angekommen, musste ich mich mehr oder weniger damit arrangieren, nach der Operation in meiner Gesundheit eingeschränkt zu sein. Auf der Wunde trug ich ein dickes Pflaster, und jedesmal, wenn Druck ausgeübt wurde, tat es sehr weh. Dies war weiterhin so beim Bücken, Aufrichten oder beim Hinsetzen. Des weiteren stand im Entlassungsbericht, dass ich einen Monat lang nicht schwerer als fünf Kilogramm heben durfte. Um 10.40 Uhr hatte ich einen Termin beim Hausarzt, und auch dorthin fiel das Fahren mit dem Fahrrad schwer. Beim Auf- und Absteigen wurde die Wunde belastet, während das Treten auf dem Fahrrad im Sitzen halbwegs normal verlief. Der Hausarzt schrieb mich vierzehn Tag lang krank und verschrieb mir weitere Medikamente: ein leichteres und ein stärkeres Schmerzmedikament, ein in Wasser aufzulösendes Pulver, das die Verdauung anregen sollte, und Spritzen gegen Thrombose. Am Mittwoch in der Folgewoche wollte er mir zudem Blut abnehmen. Die Menge von Medikamenten, die ich einnehmen musste, wurde hierdurch noch unübersichtlicher. Ich zählte durch: 6-7 Tabletten musste ich morgens einnehmen, zwei abends, nun kamen acht Schmerztabletten täglich dazu, zweimal dieses Pulver zur Anregung der Verdauung und einmal täglich eine Thrombosespritze. Alleine dies kostete einen gewissen Aufwand zu kontrollieren, die täglich notwendigen Medikamente einzunehmen. Der Abhängigkeit von Medikamenten wurde ich mir in diesem Moment schmerzhaft bewusst. Als ich nach Hause zurück kehrte, aß ich auf Rat des Hausarztes etwas – das waren zwei Scheiben Ananas. Dann trank ich ein Glas Wasser mit dem Pulver, das die Verdauung anregen sollte. Kurz darauf verspürte ich in meiner Darmgegend nur noch Blähungen. Bauchweh regte sich in den unterschiedlichsten Gegenden des Darmtraktes, wühlte hin und her, verschwand kurz wieder und intensivierte sich an anderer Stelle. Ich flüchtete ins Bett und war nicht greifbar, als meine Frau von der Arbeit zurück kehrte. Mal mehr, mal weniger begleiteten mich die Blähungen über den Rest des Tages, und erst am nächsten Tag sollte ich den ersten Stuhlgang haben nach der Operation.   



18. Juni 2023


Operation und Schwangerschaft unserer kleinen Tochter – das waren die dominierenden Themen in der 24. Kalenderwoche. Nach der Operation war ich in den Tätigkeiten eingeschränkt, ich war allerdings auch bis Ende Juni krank geschrieben, einen Monat lang sollte ich nur bis fünf Kilogramm heben. In der Zeit der Krankschreibung sollte ich mich somit zurück halten und die Genesung fortschreiten lassen. Die Schwangerschaft unserer Tochter war nicht nur bei uns angekommen, sondern auch beim Vater und seinen Eltern, die getrennt lebten. Die Reaktionen schwankten von der einen in die komplett andere Richtung. Sie solle abtreiben, meinten der Vater und sein Vater, die in Brandenburg lebten, ein paar Tage später, meinten dieselben Personen, es sei alles vorhanden, was der Nachwuchs brauche, vor allem eine Rutsche im Garten. Seine Mutter, die in unserer Stadt wohnte, wollte mit uns reden, was wir gut fanden. Wegen des Zeitpunktes wollten wir allerdings den Verlauf meiner Operation abwarten. Unsere Grundhaltung war, dass unsere Tochter ihre Ausbildung absolvieren solle. Und es müsse gewährleistet sein, dass sich ständig jemand um das Kind kümmern müsse. Sofern unsere Tochter wegen ihrer Ausbildung nicht zur Verfügung stünde, müsse dies jemand anders ein. Derweil verhielt sich unsere Tochter geradezu lethargisch. Ihre Frauenärztin hatte ihr Tabletten gegen die Übelkeit verschrieben, sie blieb aber viel zu lange im Bett liegen. Einmal gelang es meiner Frau, mit ihr morgens einen Spaziergang zu machen, ebenso abends, tagsüber lag sie häufig auf der Wohnzimmercouch, sie aß wenig und recherchierte viel im Internet, was genau sie essen durfte. Wir mutmaßten, dass sie in dieser Verfassung große Probleme haben würde, ihre Ausbildung zu beginnen und auch durchzuhalten. Es gab aber auch andere Themen außerhalb von Operation und Schwangerschaft. Samstags grillten wir in der Dreier-WG. Die Organisation war ziemlich chaotisch. Über die WG-Kasse wurde für den einen WG-Bewohner vier Steaks, Bauchfleisch, Krautsalat, fertiger Kartoffelsalat von Netto und Kräuterbaguette besorgt, den Rest sollten wir organisieren. Wir hatten vor allem etwas gegen den fertigen Kartoffelsalat, den kaum jemand mochte, und das Kräuterbaguette. Anstatt dessen machten wir selber einen Nudelsalat und besorgten Baguette aus einer Bäckerei, außerdem kauften wir bei LIDL Fleisch zum Grillen sowie Würstchen. In dieser Kombination wurde das Grillen eine gelungene Sache. Wir wurden gelobt für den Nudelsalat, und die Menge an Würstchen, Steaks und Bauchfleisch, die auf dem Holzkohlegrill gegart worden waren, wurde auch ziemlich genau gegessen. Dazu tranken wir Bier und Fassbrause, und gegen 22 Uhr verließen wir die Dreier-WG, nachdem wir alles Geschirr zusammen gestellt hatten. Eine weitere Neuigkeit betraf unsere Katzen. Für sie begann nämlich die Ära als Freigängerin. Nach ihrer Morgenmahlzeit ließen wir sie durch unseren Wintergarten nach draußen in unseren Garten, wo sie sich bis zur Mittagszeit aufhielt. Dann meldete sich der Hunger, sie verlangte nach Essen, was wir ihr auch fütterten, und für den Rest des Tages blieb sie dann drinnen. Wir gehen davon aus, dass es ihr Spass bereitet hat, unseren Garten kennen zu lernen und mit unseren anderen Katzen auf Tour zu gehen.


19. Juni 2023


Ein vollkommen verquerer Tag, der komplett anders verlaufen war, wie wir es uns vorgestellt hatten. Meine Frau hatte nämlich in der Nacht einen Unfall gehabt, den ich nicht näher rekonstruieren konnte, weil ich im Tiefschlaf geschlafen hatte. Im Tiefschlaf hatte ich Schreie gehört, gleichzeitig stürzte unser Sohn in unser Schlafzimmer, ich solle einen Rettungswagen rufen. Meine Frau war nämlich mitten in der Nacht gestürzt, und aus einer Platzwunde an ihrer Stirn quoll ordentlich Blut. Ich rief die 112 und zeitnah kam der Rettungswagen. Die Rettungssanitäter fuhren meine Frau ins nächst gelegene Krankenhaus, wo sie auch bleiben würde wegen der Gehirnerschütterung, so ihre Prognose. So war es denn auch, so dass ich viel zu viele Dinge parallel auf die Reihe kriegen musste. Permanent rief meine Frau an, was noch fehlte und was ich beim Besuch tagsüber mitbringen sollte. Sie hatte zwar ihr Smartphone mitgenommen, sie hatte aber keine Brille, so dass sie die zu versendenden Sprachnachrichten nicht richtig lesen konnte. Weil sie sich wegen richtigen Verständlichkeit unsicher war, musste ich bei ihrem Arbeitsplatz vorbei schauen und ihren Kolleginnen mitteilen, dass sie nachmittags nicht arbeiten konnte. Auf derselben Fahrradfahrt fuhr ich zum Zahnarzt, weil während es Grillens mit der Dreier-WG ein Stück aus meiner Zahnprothese heraus gebrochen war, die Zahntechniker mussten diese Verblendung wieder anbringen. Ich bekam aber erst einen Termin am nächsten Morgen, so dass ich danach beim Augenarzt vorbei fuhr, um für den Schwager ein Rezept für Augentropfen ausstellen zu lassen. Diese Augentropfen waren aber nicht vorrätig in der Apotheke, sie mussten bestellt werden. Anschließend musste ich zum Haus der Dreier-WG, um Wäsche aus dem Trockner und aus der Waschmaschine heraus zu nehmen. Die Wäsche waren Handtücher und Decken für unsere Katzen, wovon ich die Wäsche aus der Waschmaschine auf der Terrasse aufhing. Als ich mit dem Fahrrad nach Hause zurück kehren wollte, rief mich meine Frau an, ich müsse den Termin des Schwagers beim Hausarzt um 16.30 Uhr absagen, weil er eine so frühe Uhrzeit nicht schaffte. Ich fuhr hin zum Hausarzt und verzweifelte, wie zeitaufwändig eine Überweisung in das Krankenhaus Bonn-Beuel war. Es dauerte und dauerte, genauso dauerte und dauerte es, bis ein Krankentransportschein in dasselbe Krankenhaus ausgestellt war. Die Absage des Termins des Schwagers notierte die Sprechstundenhilfe mit einem Dankeschön, und anschließend war die Warteschlange bis zur Straße angewachsen. Zu Hause zurück gekehrt, musste ich mit unserem Kater Oskar zur Tierärztin, er hatte nämlich zwei größere kahle Stellen an der linken / rechten Halsseite, die in den letzten Tagen auch blutig gewesen waren. Die Tierärztin diagnostizierte, dass er sich selbst ohne äußere Einwirkung die kahlen Stellen zugefügt habe. Dies sei entweder bedingt durch Stress oder durch eine Umstellung der Ernährung – was bei uns geschehen war. Zu Hause zurück gekehrt, fuhr ich mit Sohn und Tochter zu meiner Frau, der ich einen Großteil der Dinge mitbrachte, die sie benötigte. Um die Mittagszeit waren wir wieder zu Hause, wo unser Sohn eingefrorene Tomatensoße auftaute und dies mit Maultaschen zubereitete. Zwischenzeitlich rief meine Frau an, welche weiteren Sachen sie im Krankenhaus benötigte und ob ich noch einmal vorbei käme. Derweil rekapitulierte ich, ob ich alle Medikamente eingenommen hatte. Schmerztabletten gegen den operierten Nabelbruch fehlten noch, außerdem die Wasserlösung zur Anregung der Verdauung, diese nahm ich nun ein. Danach gönnte ich mir eine halbe Stunde Auszeit, in der ich im Café im Nachbarort einen Kaffee trank. Unsere Tochter wollte noch zur Schwester einer Klassenkameradin, die zum Geburtstag eingeladen hatte. Dafür besorgte ich noch Mon Chéri, gab der Tochter Geld, das sie verschenken wollte, dann fuhr sie mit dem Bus dorthin. Mittlerweile war es bereits nach 16 Uhr, und ich entwarf im Kopf die Autofahrt, um die notwendigen Dinge zu erledigen. Ich musste die Augentropfen in der Apotheke abholen, danach musste ich sie dem Schwager verabreichen. Im Haus der Dreier-WG musste ich die Wäschekörbe mit den getrockneten Decken für die Katzen abholen. Für meine Frau musste ich ein anderes T-Shirt, eine andere kurze Hose, einen anderen Schlafanzug, Brillenputztücher, Feuchttücher und Arnika ins Krankenhaus mitnehmen. Dann waren da noch die leeren Kästen Mineralwasser, die ich auf der Wegstrecke im Getränkemarkt zurück geben wollte. So machte ich diese Rundfahrt, während unser Sohn sich um das Essen kümmerte, er kochte Putenfilets mit einer Paprikasoße. Nachdem ich zurück gekehrt war und das Abendessen verspeist hatte, musste ich erst einmal die Beine hoch legen. Den Garten zu gießen sparte ich mir, weil für die Nacht Regen gemeldet war. Dieser fiel aber nicht in der Nacht, so dass ich das Gießen am nächsten Morgen nachholen musste.




20. Juni 2023


Im Moment, als ich meine Frau im Krankenhaus abholte, hatte ich mich mit der vernähten Stelle abgefunden. Die Platzwunde hatte die Stirn meiner Frau entstellt, mit 6-7 Stichen war die Wunde vernäht worden. Diese zog sich quer über die Stirn, machte einen Bogen rauf und runter, eine nicht hübsch aussehende Wunde, die vielleicht 4-5 Zentimeter lang war. Anderen würde die vernähte Stelle bestimmt ins Auge fallen, die Fäden mussten noch gezogen werden, und es würde eine Narbe bleiben, wie sie denn auch aussehen möge. Ein wenig war diese Narbe ein Fluch, so wie Lord Voldemort seine Narbe auf der Stirn von Harry Potter hinterlassen hatte. Ich hingegen akzeptierte diese vernähte Stelle, wohl wissend, dass sich ihr plakatives Aussehen im Zeitverlauf noch stark verbessern würde. Mich interessierte ohnehin nicht, was andere beobachteten, was sie mutmaßten oder an Gerüchten streuten. Meiner Frau ging es gut, die Ärzte hatten ihren Abschlussbericht geschrieben, in dem sie ihre Fakten dargelegt hatten. Sie hatten Schmerzmittel verschrieben und dargelegt, wie es weiter gehen sollte. Meine Allerliebste sollte bald zu Hause sein. Und dies würde das wichtigste für die nächsten Tage, Wochen und Monate sein.



21. Juni 2023


Es war so, als hätte sich die Natur von einem Tag auf den anderen anders entschieden. Bis Anfang Mai war das Wetter nass, viel zu nass. Es hatte immer wieder geregnet, und es hatte kräftig geregnet, so wie wir es in den Vorjahren nicht gekannt hatten. Von einem Tag auf den anderen beschloss die Natur, dass es nicht mehr regnen sollte. Dieser Tag war der 12. Mai 2023. Fortan schirmte ein Dauerhoch über Großbritannien und Skandinavien jeglichen Regen ab, es wich nicht von der Stelle und bescherte uns Sonne ohne Ende. Die Erde trocknete immer mehr aus, zuletzt war sie staubtrocken, und im Garten mussten wir ständig gießen. Anderenorts entzündeten sich Waldbrände, Rasenflächen waren ausgedörrt wie im letzten Sommer, auf dem Rhein hatten wir allerdings noch kein Niedrigwasser. Heute kam dann endlich ein Gewitter, dem am morgigen Tag weitere Gewitter folgten, allerdings ohne die allzu großen Gewittergüsse. In den letzten Wochen der Trockenheit habe ich geschimpft auf all diejenigen, die ihr Auto nicht stehen lassen können. Ich habe geschimpft auf unseren Bundesverkehrsminister, der das Autofahren als einen letzten Hort der Freiheit betrachtet. Ich habe auch geschimpft auf die Verantwortlichen in unserer Stadt, die den schützenden Effekt von Bäumen bei Hitze nicht erkennen und nur eine mickrige Fläche von Wald verbuchen können. Ich habe geschimpft auf die Unpünktlichkeit von öffentlichen Verkehrsmitteln, die einer Verkehrswende entgegen stehen. Ich habe mich gefragt, welchen Mehrwert in unseren Feldern gleich mehrere Golfplätze hintereinander für das Klima bringen. Ebenso habe ich mich gefragt, ob unsere Einkäufe zielführend sind, wenn Waren rund um die Welt transportiert werden. Unser ganzes System, das den CO2-Ausstoß maximiert, ist krank. Das Wetter stellt sich dadurch auf den Kopf, beinahe haben wir ein mediterranes Klima, wie man es zu meiner Schulzeit im Mittelmeerraum vorgefunden hat. Ein unerträglicher Sommer mit langen Perioden von Trockenheit und Hitzewellen wird vor uns liegen. Schuld daran sind unter anderem viel zu viele Autos und unser Bundesverkehrsminister. Man müsste sie an den Pranger stellen können.


22. Juni 2023


Mitten in turbulenten Tagen und Wochen, was unsere Familienereignisse betrifft, holt uns die Bürokratie wieder ein. Es ging um die Betreuungsleistungen für den Schwager. Diese hatte die Lebenshilfe gekündigt, weil meine Frau den Auftragnehmer zu sehr auf Mängel hingewiesen hatte. Dies hatte automatisch zur Folge, dass die Finanzierung dieser Fachleistungsstunden durch den Landschaftsverband gekündigt wurde. Die Suche war einigermaßen aufwändig, einen neuen Auftragnehmer für diese Betreuungsleistungen zu finden. Dieser durfte die Leistungen wie Waschen, Putzen oder Einkaufen nicht selbst ausführen, sondern musste den Schwager dazu anleiten. Nachdem meine Frau einen neuen Auftragnehmer gefunden hatte, musste die Finanzierung durch den Landschaftsverband neu beantragt werden. Dies führte zu dem bekannten Papierkrieg, denn der Landschaftsverband wollte einen Stapel von Unterlagen haben: Rentenbescheid, Werkstattlohn, Wohngeldbescheid, Lebensversicherung. Und dann mutmaßte der Landschaftsverband, der Schwager könne noch hier und da weiteres Vermögen verstecken. Er fragte nach Paypal-Konten nach, er vermutete den Besitz eines PKWs, denn es sollte ein KFZ-Brief vorgelegt werden, den es so nicht gab. Unterlagen über Grundbesitz sollten beigebracht werden, was derselbe Quatsch und Unsinn waren. Der Landschaftsverband schwelgte in Phantasien über Vermögenswerte, die so nicht zutrafen. Meine Frau musste aber die Kontobewegungen auf dem Giro- und Sparkonto belegen, welches der Schwager bei der Sparkasse führte. Daraus entstanden größere Stapel von Papier, die allerdings auch fragwürdig waren für den Datenschutz. Musste den Landschaftsverband interessieren, in welchen Supermärkten der Schwager eingekauft hatte oder in welchen Restaurants er gegessen hatte ? So bestanden die Unterlagen aus den Kontobewegungen bei der Sparkasse, dem Rentenbescheid, dem Werkstattlohn, dem Wohngeldbescheid und der Lebensversicherung. So wie andere Behörden, befriedigte sich der Landschaftsverband an Stapeln von Papier. Das war aber wenig zeitgemäß im Zeitalter der Digitalisierung und im Kontext der Klimadebatte, unsere Ressourcen zu schonen – darunter auch Papier. Der Zeitgeist scheint an solchen Institutionen vorbei gegangen zu sein.



23. Juni 2023


Es war ein erstes Treffen mit der Mama und ihrem Sohn, der der Vater des Kindes war, sowie unserer Tochter. Der Ort, ein Imbiss, wo man schwerpunktmäßig Pizza essen konnte, war ungeeignet für dieses Treffen. Drinnen war es brüllend heiß, man konnte die Fenster nicht öffnen, aber die Pizza schmeckte sehr lecker. Wir saßen alleine, die Wände waren in einem eintönigen komischen Rot tapeziert, und überhaupt wirkte das Innere eintönig, einförmig, langweilig, fade, was die brüllende Hitze noch verstärkte. Die Mama begrüßte uns mit einer Zigarette in der Hand, was abweisend auf mich wirkte, darüber hinaus machte sie aber durchaus einen netten Eindruck. Wir redeten darüber, was sie beruflich gemacht hatte. Ursprünglich hatte sie als Friseuse gearbeitet, während Corona hatte sie in einem Testzentrum in Köln-Deutz gearbeitet, aktuell hatte sie sich bei der OGS in unserer Stadt beworben, wo einer ganzen Reihe von Grundschülern wegen eines Fachkräftemangels kein Platz angeboten werden konnte. Die Gespräche gingen an der Schwangerschaft unserer Tochter vorbei, insofern blieben die Worte an einer Oberflächlichkeit haften, die dem ersten Kennenlernen geschuldet war. Epilepsie war ein Thema, denn die Mama und ihr Sohn hatten vereinzelte epileptische Anfälle gehabt. Die Mama hatte als Kind diese Anfälle gehabt, als sie Mitte 20 gewesen war, hatte sie den letzten Anfall, sie nahm Tabletten dagegen und danach waren die Anfälle verschwunden. Ihr Sohn nahm ebenso Tabletten und seit mehreren Jahren hatte er keinen Anfall mehr gehabt. Ihr Sohn ging noch zur Schule, und zwar auf irgendeine Berufsfachschule, wo man das Fachabitur machen konnte. Vor einem Jahr hatte er seinen Realschulabschluss gemacht, und bereits vor drei Jahren war er nach Brandenburg zu seinem Vater umgezogen, weil es solch eine Möglichkeit, das Fachabitur zu machen, nicht in NRW gab. Dass er im Landkreis Oberhavel wohnte, das schlossen wir aus einem Foto von einer Jugendweihe, das er uns zeigte. Im Hintergrund war ein Schild „Jugendweihe Oberhavel“ zu erkennen. Weitere Fotos auf seinem Handy aus Brandenburg zeigte uns der Sohn von seinem Vater, seiner Lebensgefährtin und seiner Oma. Als wir uns trennten, wussten wir nicht so wirklich, was wir von dem Treffen halten sollten. Die Mama war nicht unsympathisch, der Vater des Kindes unserer Tochter wurde erst im August 18 Jahre alt, und solch eine Fernbeziehung über eine Strecke von 600 Kilometern zu führen, betrachteten wir skeptisch. Ein Eindruck festigte sich allerdings auch: dass die beiden Noch-Jugendlichen wahnsinnig verliebt waren.



24. Juni 2023


Grausige und gruselige Orte als beiläufiges Erlebnis: ich war auf dem Weg, um den Leihwagen abzuholen, den wir für den Transport von acht Personen zu den morgigen Karl-May-Festspielen benötigten. Ich war mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs, und ich musste an der Straßenbahnhaltestelle Robert-Kirchhoffstraße aussteigen. Diese Haltestelle war in der Tat ein grausiger und gruseliger Ort. Die Gleise der Straßenbahn zwängten ein, zwischen mehreren Bahngleisen nebeneinander, die sich verzweigten und in das angrenzende Straßenbahndepot einmündeten. Der Beton bedrückte. Treppenstufen gliederten sich hintereinander, sie wuchteten hinauf auf einen Übergang, der die Fußgänger von der Straße zum Bahnsteig geleitete. Wie ein Fremdkörper, grau und schwer lastend, hingen die Treppen in einer Größe nach oben, als würden die Schuhe nicht passen. Dies Gesamtoptik war in diesem Betongrau gehalten, ein Einheitsgrau, das nahtlos in eine Depression überging. An manchen Stellen verschlimmerten Wandschmierereien die Optik, was die Stimmung drückte und diesen Ort zu einer Lieblosigkeit der Funktionalität verkümmern ließ. Das schmucklose Erscheinungsbild ließ auf dem Weg zur Autovermietung nicht nach. Das Gebäude des General-Anzeigers, einer ansonsten sehr geschätzten Tageszeitung, ragte mit seiner Höhe ein wenig aus der Identitätslosigkeit heraus. An der Justus von Liebig-Straße bog ich ab, auch der Rest der Gebäude fügte sich in die Gesamtheit der wirtschaftenden Betriebe innerhalb des Industriegebietes ein. Dieser Gesamtheit hatte sich alles unterzuordnen, für Schönheit und eine individuelle Note war hier kein Platz, und ich schritt weiter zur Autovermietung, wo ich ein wirklich tolles Auto mit einem schönen Fahrerlebnis in Empfang nehmen sollte.    



25. Juni 2023


Beim diesjährigen Besuch der Karl-May-Festspiele fühlte ich mich erschöpfter als in den Vorjahren. Meine Frau hatte in einem erweiterten Kreis nachgefragt, und so kamen insgesamt acht Personen zusammen, davon sechs Menschen mit Behinderung und wir zwei. Alleine um diese acht Menschen zur Freilichtbühne zu transportieren, mussten wir zusätzlich zu unserem PKW einen Leihwagen mieten. Ich fühlte mich deswegen erschöpfter, weil der eine WG-Bewohner mit seiner Freundin dabei war. Die beiden plapperten ständig irgend etwas, sie fuhren hin und zurück im Mietwagen mit, sie beanspruchten meine Aufmerksamkeit und ich musste genau zuhören, um sie zu verstehen. In der Westernstadt und sonstwo mussten wir bisweilen aufpassen, dass alle zusammen blieben, und bisweilen machte der andere WG-Bewohner Alleingänge, dass er irgendwo hin verschwand und niemandem Bescheid sagte. So war es auf dem Gelände der Karl-May-Festspiele ein relatives Hin- und Hergerenne, zusammen zu bleiben, das Rahmenprogramm anzuschauen, Gänge zu den Toiletten und zu den Souvenirshops wahrzunehmen, sich zum Mittagessen im Saloon einzufinden und die Plätze zur Vorstellung „Unter Geiern“ einzunehmen. Wie in den Vorjahren, gefiel mir innerhalb des Rahmenprogramms die Musik-Show am besten, darunter erkannte ich lediglich die Stücke “Don’t cry for me Argentina“, „Money, Money, Money“ und „Memory“ aus dem Musical „Cats“. Über das gesamte Programm hinweg nervten mich diesmal die Menschenmassen, die die Enge des Geländes noch enger erschienen ließen. Das Menschengewimmel störte stets, um unsere Gruppe zusammen halten zu können. Warteschlangen nervten, und das Menschengewimmel verstärkte die Dauerberieselung durch irgendwelche Eindrücke. Die Festspiele an für sich mit der Aufführung zu „Unter Geiern“ waren gesundes Mittelmaß. Lange kam mir das Niveau mit irgendwelchen Prügeleien, der Gut-und-Böse-Aufteilung zwischen Gangstern und Winnetou/Old Shatterhand oder dem Dauerstreit um Terrain der Indianer flach vor, doch im Endeffekt überzeugte mich doch die Geschichte. Die Geier-Bande hatte aus einem Treck alle Siedler getötet mit Ausnahme eines zehnjährigen Jungen, der eine Narbe auf der Stirn behalten sollte. Sehr viele Jahre später zeigte sich die Geier-Bande, wovon der Junge, jetzt Erwachsen, dem Anführer der Bande das Gewehr stahl. Aufgrund der Initialen des Gewehrs konnte der Überlebende nachweisen, dass der Anführer der Bande damals mit dem Gewehr geschossen haben musste und somit seine ganze Familie getötet hatte. Mit Ausnahme des einen WG-Bewohners, der gerne Alleingänge machte und irgendwo hin verschwand, gefiel allen der Besuch der Karl-May-Festspiele. Die anderen waren begeistert, und wir selbst waren auch froh, unseren Teil dazu beigetragen zu haben. Wir gehen davon aus, dass wir im nächsten Jahr in einer ähnlichen Formation die Festspiele wieder besuchen werden.   



26. Juni 2023


Meine Frau und ich, wir hatten beide unseren Krankenhausaufenthalt hinter uns, nun war heute unsere kleine Tochter an der Reihe. Ihre Schwangerschaft machte uns Sorgen. Es war der Anfang der Schwangerschaft, als es vom Prinzip her normal war, dass man sich übel fühlte. Dies war ständig so, sie nahm auch Tabletten gegen die Übelkeit. Und dennoch ließ die Häufigkeit, wie oft sie sich übergeben musste, effektiv nicht nach. Sie behielt kaum Essen in ihrem Magen, und irgend wann würde dies gefährlich werden, was die Zuführung von Nährstoffen sowie die Dehydrierung des Körpers betraf. Fast den ganzen Tag lag sie, ihr Kreislauf kam nicht in Gang, und heute Morgen waren es die Gurkenscheiben, woran sie sich übergeben hatte. Nicht an jedem Essen übergab sie sich, aber wenigstens einmal am Tag zwang sie das Übergeben auf die Toilette. Am frühen Nachmittag rief sie ihre Frauenärztin an, was sie noch tun könne. Sie zählte ihre Medikamente auf, verwies darauf, dass die auch Cola trinken könne, um den Kreislauf in Gang zu bekommen, schließlich nannte sie die Option des Krankenhauses, sich dort künstlich ernähren zu lassen. Genau so kam es dann, weil wir selbst mit unseren Bordmitteln ebenso nicht weiter kamen. Gegen 16 Uhr fuhr meine Frau unsere Tochter ins Krankenhaus, wo man ihre Schwangerschaft zur Kenntnis nahm. Die Ultraschall-Aufnahmen zeigten in der 9. Schwangerschaftswoche ein Wachstum des Embryos, und die untersuchenden Ärztin kam auf die Idee, ihr Vomex zu verabreichen, ein ganz normales Medikament gegen Übelkeit, wovon wir nicht gewusst hätten, dass er unerheblich war bei einer Schwangerschaft. Mit einer hohen Sensibilität setzte sie eine Nadel, um sie künstlich ernähren zu können. Nun wurde unsere Tochter künstlich ernährt, sie stand unter der Beobachtung der Ärzte und würde einige Tage im Krankenhaus bleiben müssen. Unsere Mittel hatten wenig bis gar nichts bewirkt. Gegen 7 Uhr morgens brachten wir ihr Zwieback und eine Tablette gegen Übelkeit. Spät, erst nach 10 Uhr und mit Mühe stand sie auf. Sie aß mittags und abends, die übrige Zeit verbrachte sie auf der Couch und im Bett, ihre Mobilität war zum Erliegen gekommen. Wir hofften auf eine Kehrtwende im Krankenhaus. Dass sie wieder auf einen halbwegs normalen Tagesablauf umschalten würde.



27. Juni 2023


Es war ein gewisser entscheidender Tag, an dem wir lernten, dass sich der Staat bei bestimmten Fallgruppen um seine Bürger kümmert. Zu diesen Fallgruppen gehören auch Schwangere. Wir hatten nämlich einen Beratungstermin bei Pro Famila in Siegburg wegen der Schwangerschaft unserer Tochter. Unsere Tochter konnte nicht mitkommen, weil sie im Krankenhaus lag, so dass wir ohne sie den Termin wahrnahmen. Die Mitarbeiterin von Pro Familia erläuterte uns, dass bereits ab der 13. Schwangerschaftswoche wir als Eltern nicht mehr unterhaltspflichtig sind. In diesem Punkt kümmert sich der Staat darum, es sei denn, der Vater kommt seiner Unterhaltspflicht nach. So zahlt der Staat ab der 13. Schwangerschaftswoche das Bürgergeld, dazu kommen einmalige Anschaffungen, die mit der Schwangerschaft und der Geburt zusammen hängen. Anschaffungen wie Schwangerschaftsbekleidung, Kinderwagen, Wiege oder Babyschale werden zwar nicht in vollem Umfang übernommen, der Staat gewährt aber einen Zuschuss. Ist das Kind geboren, so kommt zu dem Bürgergeld ein weiterer monatlicher Betrag für das Kind hinzu, das macht rund 800 Euro im Monat aus. Das waren gute Nachrichten, was die finanzielle Grundlage betraf. Unter diesen Rahmenbedingungen sollte unsere Tochter mit dem Ausbildungsträger, den GFO Kliniken, reden, ob man die Ausbildung bis nach der Geburt verschieben könnte. So bummelten wir im Anschluss an die Beratung durch die Siegburger Fußgängerzone. Wir schauten nach einem Schlafanzug für unsere Tochter, nach Unterwäsche und nach einer kurzen Hose für unsere andere Tochter. Auf dem Weg nach C&A spazierten wir durch die Ladenpassage „Am Brauhof“. Die Struktur der Ladenlokale war vielschichtig, das Warenangebot war nicht erdrückend, und ich blieb stehen an einer Auslage mit Weinen aus Spanien und Italien, die allesamt um die Hälfte reduziert waren. Eine Brauerei konnten wir nicht erkennen, doch wir waren ohnehin auf der Suche nach Bekleidung für unsere Tochter.



28. Juni 2023


Genau 5 Tage hatte ich eine solche Langsamkeit gehabt, die mir gut tat. Mittwoch war ich aus dem Krankenhaus entlassen worden, und danach musste ich mich schonen. Der Wundschmerz wurde durch Schmerzmittel unterdrückt, die Nahtstelle zwickte und zwackte in der Bauchgegend. Um dies zu vermeiden, musste ich die Dinge langsam, quasi im Zeitlupentempo, angehen. Bei meinem Tun konnte ich regelrecht meditieren. Die Zeit konnte ich ausschöpfen, für Hausarbeiten wurde ich nur mäßig beansprucht, ab und an konnte ich ein Buch in die Hand nehmen, Langsamkeit bedeutete Lebensqualität. Mit dem Unfall meiner Frau änderte sich dies radikal. Zwei Tage lag sie im Krankenhaus, danach war sie parallel zur mir krank geschrieben, damit endeten die 5 Tage Langsamkeit. So schwenkten die zwei Wochen Krankschreibung, in denen ich gut genesen sollte, in einen Arbeitsrhythmus über, bei dem die Langsamkeit von einen Tag auf den anderen abhanden kam. Schlimm waren die beiden Tage, als meine Frau im Krankenhaus lag, an denen ich nur auf den Beinen und unterwegs war. Termine und To do’s trieben mich vor mir her. Arbeitspakete warteten darauf, abgearbeitet zu werden, wobei unsere kleine Tochter so ganz beiläufig im Krankenhaus lag. Rund um das Haus der Dreier-WG wucherte das Unkraut, drinnen ging es bei uns drunter und drüber, und draußen in unserem Garten waren acht Hochbeete komplett zu erneuern. Die Langsamkeit war dahin, und ich fürchtete diesen Arbeitsrhythmus, von der Arbeit beherrscht zu werden und aus der Unterordnung unter die Arbeit nicht mehr heraus zu kommen. Ich war in diesem ohnmächtigen Gefühl zurück gekehrt, dass die zu erledigende Arbeit ein vielfaches von dem ausmachte, was zu schaffen war. Die Arbeit stapelte sich, und niemand koordinierte, was liegen blieb oder dass andere die Arbeit erledigten.



29. Juni 2023


Meine Frau hatte heute zwei nicht unwichtige Termine. Der eine war mit unserem Kater Jumbo bei der Tierphysiotherapie in Hennef, von dem unser Kater einen wenig begeisterten Eindruck machte. Drei Wochen hielten wir ihn nunmehr im Käfig, um ihm die Heilung seines Kniegelenkes am rechten Hinterbein zu ermöglichen. Andererseits musste er wieder lernen, dieses Knie zu bewegen, damit die Muskulatur nicht erlahmte. So machte die Tierphysiotherapeutin mit ihm Beuge- und Streckübungen an dem operierten Knie, jeweils in die Länge strecken und dann zurück in die Ausgangsposition. Ebenso massierte sie seine Wirbelsäule, indem sie mit den Fingern gegen die Wirbelsäule rieb. Insbesondere das Strecken des Knies missfiel ihm eindeutig, denn er fauchte die Therapeutin an, und er hörte mit seinem Fauchen kaum auf. Als Begleitung hatte meine Frau unser Kätzchen Lilly mitgenommen, die zumindest angetan war, dass man ihr die Wirbelsäule massierte. Den zweiten Termin hatte meine Frau beim Hausarzt, der die Fäden auf der Stirn zog. Die verheilende Wunde sieht nun bei weitem nicht mehr so dramatisch aus. Die Fäden hatten die Wunde überbetont, der halbkreisförmige Verlauf sieht nun moderater aus. Man kann nun erahnen, dass sich die Haut zurück bilden wird und dass sich die Kruste der Wunde Stückchen für Stückchen entfernen wird. Das Problem, sich mit der Wunde auf der Stirn in der Öffentlichkeit zu zeigen, dürfte somit abnehmen. So konnte meine Frau den Verlauf der Heilung allmählich optimistisch sehen. Fünf Tage muss sie noch ein Pflaster auf der Stirn tragen, da eine Stelle an der Wunde etwas tiefer gewesen ist. Aber auch diese Einschränkung wird sie sicherlich überstehen.



30. Juni 2023


In diesen Tagen ist die Suche nach einem eigenen Lebensgefühl schwierig. Externe Faktoren bestimmen den Tagesablauf, mühsam muss ich suchen nach Gestaltungsspielräumen, den Kopf bekomme ich durch das mechanisierte Abarbeiten nicht frei. In dieser Woche habe ich nur im Garten gearbeitet und bin kaum vor die Haustüre gekommen. Heute hat mir bei der Suche nach dem eigenen Lebensgefühl das Medium Fernsehen weiter geholfen. Freitags abends lief ausnahmsweise kein Krimi, sondern es war merkwürdigerweise ein Film über eine Arztpraxis. Schon die Einleitung zog mich in ihren Bann. Frau und Tochter fuhren in einem klapprigen Kleinwagen durch eine rassige Mittelgebirgslandschaft, die sich kurz darauf als die Eifel heraus stellte. Im Autoradio lief ein Stück von Nena, das die beiden laut mitsangen. Sie erreichten das Eifelstädtchen Monschau, das ich sofort anhand des roten Hauses und der verschieferten Hausfassaden erkannte. Ich erinnerte mich an meine eigenen Rennradtouren, die mich mehrere Jahre nacheinander nach Monschau geführt hatten. Die Touren waren irre gewesen, ich war jeweils Punkt 12 Uhr mittags in Monschau angekommen, eine lange Pause hatte ich gemacht, ich hatte gegenüber von dem roten Haus gesessen und mehrere Trappistenbier getrunken und anschließend war ich nach Aachen weiter geradelt. Wie der Zufall es wollte, fuhr die Frau aus dem klapprigen Kleinwagen, der nun in der Werkstatt stand, mit dem Fahrrad durch Monschau, wobei sie sich durch engen und mittelalterlich aussehenden Gassen wand. Auch die Geschichte, die sich um eine Arztpraxis und eine Apotheke drehte, war gut gemacht. Die Mutter der Frau mit dem klapprigen Kleinwagen war Apothekerin, sie führte diese gemeinsam mit ihrem Sohn, und sie litt an einem Taubheitsgefühl in der linken Hand. Um dieses Taubheitsgefühl zu überwinden, nahm sie eine Tinktur aus einem kleinen Fläschchen in einem Hinterzimmer, ohne dass andere es bemerkten. Sie war resistent gegen Arztbesuche, und dennoch kam die Tochter irgend wann, dass diese unbekannte Mischung eine Droge enthielt. Zuerst vermutete man eine multiple Sklerose bei der Apothekerin, schließlich klärte sich die Krankheit auf. Bei einer Urinprobe konnte festgestellt werden, dass sie an einer intermittierenden Porphyrie litt. Das war eine Stoffwechselkrankheit aufgrund eines Enzymdefektes, der behandelbar war. Dieses Enzym musste dem Körper zugeführt werden, was unkompliziert über Tabletten geschehen konnte. Die Kulisse von Monschau, die Landschaft der Eifel, das Fahrradfahren und eine mitreißende Geschichte: beim Schauen des Filmes stellte ich fest, dass diese Elemente Bestandteil meines Lebensgefühls waren, die mich nachhaltig geprägt hatten. Nena gehörte nicht unbedingt zu meinem bevorzugten Musikgeschmack, es fiel mir aber nicht schwer, mir anstatt dessen die Musik von Pink Floyd, Manfred Mann’s Earth Band oder den Scorpions im Autoradio vorzustellen. Beim Schauen des Fernsehfilms „die Eifelpraxis“ hatte ich auf meine Art und Weise die externen Faktoren des Alltags abgeschaltet.



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