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Bahnhofsvorplatz - die Kölner Silvesternacht

Vor gut zweieinhalb Jahren raufte ich mir die Haare, als eine gute Freundin sich weigerte, über den Bahnhofsvorplatz am Kölner Hauptbahnhof und über die Domplatte zu schreiten. Eine Führung durch das unterirdische Köln hatten wir ihr zum 50. Geburtstag geschenkt, an jenem 7. Juli 2013 feierten Schwule und Lesben ihren Christopher Street Day. Um deren Umzug nicht zu kreuzen, schlug ich vor, mit der S-Bahn anzureisen und uns über den Bahnhofsvorplatz und die Domplatte zum Treffpunkt neues Rathaus durch das Menschgetümmele hindurch zu wursteln. Bahnhofsvorplatz ? Das war zu verrufen, da traue sie sich nicht hin, vor lauter Angst und Beklemmungen.

Was mich damals zu organisatorischen Verrenkungen trieb, das hat im Lichte der letzten Kölner Silvesternacht eine komplett andere Wendung erfahren. Plätze vor Bahnhöfen, egal, ob Düsseldorf, Bonn, Düren, Aachen oder Leverkusen, verflüchtigen sich stets in der Hetze des Alltags. Fremd, abweisend, anonym, kalt, formlos, herzlos, gefühlslos, strahlen sie keinerlei Sympathie aus. Es sind abwesende Orte, wo angestrengte Gesichter in hastigen Bewegungen im Strom der Menschen untergehen. In Düsseldorf oder Bonn kommen noch die Aussätzigen unserer Gesellschaft, Drogenjunkies und Drogendealer, mit ihren krummen und entstellten Gesichtszügen dazu.

Bahnhofsvorplatz Kölner Hauptbahnhof

Die Dimension verschlägt einem schlichtweg die Sprache, was sich in der Kölner Silvesternacht ereignet hat. Der Bahnhofsvorplatz als Aufmarschfeld für Kriminelle, Täter und sexuelle Exzesse ? Dass der Mob die Regie auf dem Bahnhofsvorplatz übernommen hatte, war allerdings nicht das erste Mal. Bereits im Oktober 2014 war es zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen gekommen, als die Vereinigung „Hooligans gegen Salafisten“ mit 4.000 Teilnehmern, dessen Übergang zum Rechtsextremismus fließend ist, eine Demonstration angemeldet hatte. Im Verlauf der Demonstration kam es zu Schlägereien mit der Polizei, wobei die Demonstranten alles klein schlugen, was sich ihnen in den Weg stellte. Es flogen Flaschen, Messer, Stühle, Feuerwerkskörper, und die 1.000 Polizisten hatten allergrößte Mühe, die Eskalation der Gewalt in den Griff zu bekommen. Der Bahnhofsvorplatz als Tummelfeld für den untersten Rand unserer Gesellschaft. Der Mob sammelt sich, Drogenjunkies, Besoffene, Randalierer, Prügler, sexuell Erregte, Kriminelle, Täter. Lumpenproletariat, das wäre die Begrifflichkeit eines Karl Marx.

Im Grunde genommen ist in der Kölner Silvesternacht alles schief gelaufen, was schief laufen konnte. Die Stadt Köln, stolz auf seine 2000-jährige Geschichte, den Dom, den rheinischen Humor und die rheinische Gelassenheit, erwachte am Neujahrsmorgen mit diesem miesen Gefühl von Ekel, dass der Staat Recht und Ordnung an den Mob abgegeben hatte und sich außerstande sah, seine Bürger vor dem Zugriff des Mobs zu schützen. Das Faustrecht regierte, Frauen waren nach Lust und Laune begrapscht worden, es kam sogar zu Vergewaltigungen, von Diebstählen ganz zu schweigen.

Nachrichten und Meldungen überstürzten sich seitdem, weil die Polizei nur scheibchenweise falsche, halbwahre, getürkte oder widersprüchliche Informationen heraus rückte. Presse und Medien betrieben indes ihre Aufklärungsarbeit wesentlich seriöser, ihre Berichte erschütterten eine ganze Nation, die Silvesternacht weitet sich mittlerweile zu einer Affäre des Bundes aus. In die Black Box von abgeschotteten Behörden wird nun hinein gestochen, was das Zeug hält. Köpfe rollten, als heute der NRW-Innenminister den Kölner Polizeipräsidenten in den vorläufigen Ruhestand versetzte.

Schlagzeile Express

Doch damit alleine ist es nicht getan. Die Ursachen liegen tiefer. Ein internes Polizei-Protokoll, welches die Bild-Zeitung enthüllte, erschüttert damit, wie ohnmächtig die Kölner Polizei gewesen ist.

Ein Auszug aus dem Protokoll dokumentiert die Hilflosigkeit:

Selbst das Erscheinen der Polizeikräfte und getroffene Maßnahmen hielten die Massen nicht von ihrem Tun ab, sowohl vor dem Bahnhof, wie auch im Bahnhof Köln.

Die Einsatzkräfte konnten nicht allen Ereignissen, Übergriffen, Straftaten usw. Herr werden, dafür waren es einfach zu viele zur gleichen Zeit.

Aufgrund der Vielzahl der o. a. Taten beschränkten sich die Einsatzkräfte auf die Lagebereinigung und die notwendigsten Maßnahmen. Da man nicht jedem Opfer einer Straftat helfen und den Täter dingfest machen konnte, kamen die eingesetzten Beamten an die Grenze zur Frustration. Zu Spitzenzeiten war es den eingesetzten Kräften nicht möglich, angefallene Strafanzeigen aufzunehmen.

Wurden Hilferufe von Geschädigten wahrgenommen, wurde ein Einschreiten der Kräfte durch herumstehende (Mitglieder?) z. B. durch verdichten des Personenringes/Massenbildung daran gehindert, an die Betreffenden (Geschädigte/Zeugen/Täter) zu gelangen.

Der viel zu geringe Kräfteeinsatz (…) brachte alle eingesetzten Kräfte ziemlich schnell an die Leistungsgrenze.

Den Polizisten selbst kann sicherlich kein Vorwurf gemacht werden, es waren effektiv viel zu wenige. Einhundert Polizisten gegen eintausend Randalierer, die, respektlos vor der Polizei, wild und entfesselt drauf los prügelten. Fakt ist, dass der Staat sich an anderer Stelle dermaßen kaputt spart, dass er für seine originären Leistungen zu wenig Personal hat. So betragen etwa die Wartezeiten zwei Monate für einen Personalausweis in den Bonner Bürgerbüros. Noch schlechtere Bearbeitungszeiten kenne ich persönlich beim Siegburger Finanzamt: sechs Monate warte ich nun auf meinen Steuerbescheid, nachdem ich Widerspruch eingelegt habe – offiziell heißt es, dass zu wenig Personal an Bord ist. Das zieht sich durch über Steuerschulden, die nicht beigetrieben werden können wegen Pesonalmangel.

Schlagzeile Bild-Zeitung

Da müssen wir uns in der Tat fragen, wo die Schmerzgrenze liegt, wenn bei Planstellen gegeizt und geknausert wird, was das Zeug hält. Jedenfalls nicht im Bereich der öffentlichen Sicherheit. Es gehört zu den ureigenen Bedürfnissen von Staatsbürgern, vor Straftätern geschützt zu werden. Zudem zahlen wir als Bürger für solche Leistungen Steuern. Dazu wird wohl auch der NRW-Innenminister in Erklärungsnöte geraten.

Aber der Kreis der Ursachen geht weiter. Ausländer und Asylanten sind, historisch vorbelastet, solch ein heikles Thema, dass alle die Spirale des Rechtsextremismus vor Augen haben. Meinung lässt sich durch Propaganda steuern. Und genau das scheint die Polizei zu versuchen, nämlich zurückzuhalten, welche Nationen zu welchem Täterkreis gehören. Offensichtlich ist es ein Unterschied, ob in der Schlagzeile der Bild-Zeitung steht: „1000 Nordafrikaner haben deutsche Frauen angegriffen“, „1000 Syrer haben deutsche Frauen angegriffen“ oder „eine Gruppe von 1000 Deutschen und Ausländern“ oder vielleicht „nur Deutsche haben deutsche Frauen angegriffen“. Zweifelsfrei, sitzt die Polizei auf diesen Informationen, wenn Personen festgenommen wurden oder anderweitig die Personalien festgestellt wurde.

Die Wahrheit, so unangenehm sie ist, sollte die Öffentlichkeit verkraften können. Es gibt Regelkreise unseres Rechtsstaates. Demokratische Meinungsvielfalt beförderte differenzierte Betrachtungen. Eine Ja-Nein-Aussage gibt es erfahrungsgemäß eher selten. Es kann nicht sein, dass sich dumpfe, schwarz-weiß-denkende, pauschalisierende Meinungsmacher durchsetzen, die dann die Hetzlust eröffnen.

Dann besteht die Gefahr, dass der nächste Mob den Bahnhofsvorplatz stürmt. Unsere Zeiten sind instabiler geworden. Wir gehen hilflos mit den Ereignissen der Kölner Silvesternacht um. Der Staat schaut hilflos zu. Gezielt werden Informationen zurück gehalten. Die Verantwortlichen drucksen herum und scheuen Klartext.

Genau solch eine Herumdruckserei spielt den extremen Kräften in die Karten. Wenn der nächste Mob den Bahnhofsvorplatz stürmen wird, haben wir die Macht des Volkes an die Ränder der Gesellschaft abgegeben. Dann nähern wir uns Zeiten, dass polarisiertes Denken in Extremen zu periodischen Unruhen, Straßenschlachten, Plünderungen, Rassenunruhen und politischen Verfolgungen führen kann – wie in den 1920er-Jahren. Die Demokratie löst sich dann von ihren Rändern aus auf – weil sich dort Hooligans, Rechtsextremisten, Salafisten, Gotteskrieger und auch der Mob aus der Kölner Silvesternacht wieder finden. Die Wahrheit sollte das Maß aller Dinge sein, nicht die Vertuschung der Wahrheit.

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