Tagebuch September 2024
1. September 2024
In der 35. Kalenderwoche wurde unser Enkelkind beim Kinderarzt geimpft, was eine ziemliche Tortur für ihn war. Mit zwei Spritzen wurde er in seinen Allerwertesten gestochen, was bei ihm ein heftiges Schreien verursachte. Abends hatte er eine etwas erhöhte Temperatur, er war ziemlich knatschig und quengelig. Am Tag darauf war er wieder normal fit, mobil und musste bei allen Dingen dabei sein. In der 33. Kalenderwoche war der Chef meiner Frau, der Inhaber eines Gartenmarktes ist, an der Galle operiert werden. Rund eine Woche war er krank und fühlte sich noch nicht ausreichend fit für den Gartenmarkt, so dass seine Frau ihn vertreten musste, die gleichzeitig in der Postagentur tätig war. In dieser einen Woche mussten die drei Damen von der Postagentur sicherstellen, dass der Betrieb im Gartenmarkt sowie in der Postagentur aufrecht erhalten wurde. In der 35. Kalenderwoche hatte er seine volle Leistungsfähigkeit wieder erreicht, so dass der Stress für die Damen nachließ. Im Garten kann derweil fleißig geerntet werden. Wie in den Vorjahren, fällt die Ernte mal besser und mal schlechter aus. Positiv hat sich der ausreichende Regen ausgewirkt, da ich es bevorzuge, mich mit dem allseits sprießenden Unkraut herum zu schlagen, anstatt bei einem ausgedörrten Erdboden allabendlich alles im Garten permanent gießen zu müssen. Besonders groß und besonders üppig ist in diesem Jahr der Blumenkohl gewachsen, wir haben richtig große Kohlköpfe, wie man sie im Supermarkt bekommt. Einen solchen prächtig großen Blumenkohl hatte ich zuletzt abgekocht, als Beilage hatten wir ihn zu marinierten Hähnchenschnitzeln mit Fritten gegessen. Die Blumenkohlröschen schmeckten vom Prinzip her ausgezeichnet, bis meine Frau eine Raupe darin entdeckte. Wo sollten die Raupen auch hin ? Ich hatte den ganzen Blumenkohl abgekocht, und mit dem Löffel nahmen wir uns portionsweise die Röschen. Ich hätte den Blumenkohl komplett zerpflücken müssen, um die Raupen heraus nehmen zu können. So hatte an diesem Tag der leckere Geschmack des Blumenkohls den bitteren Nachgeschmack einer Fleischbeilage, die wir eigentlich nicht haben wollten.
2. September 2024
Dass ganz viele Orte der Sehnsucht in Belgien zu suchen sind, das ist mir beim diesjährigen Ausflug mit Freunden in das niederländisch-belgische Grenzgebiet jenseits der Maas bewusst geworden. Getroffen hatten wir uns im Besucherzentrum „De Wissen“ in Dilsen-Stokkem, wo Wanderwege an zwei renaturierten Kiesgruben vorbei führten. Ohne nennenswerten Schatten, war es an diesem Tag brüllend heiß. Nachdem wir einen See bei diesen schweißtreibenden Temperaturen umrundet hatten, entschieden wir uns, den kürzesten Weg zurück zum Besucherzentrum zu nehmen. Dabei führte uns der Weg vorbei an mehreren kleineren Seen, Tümpeln oder Teichen, wo jede Menge Enten, Gänse, schwarze Galloway-Rinder und auch Pferde die hohe biologische Diversität belebten. Dass Belgien ganz viele Orte der Sehnsucht verinnerlichte, das wurde mir beim Spaziergang über den Deich bewusst. Vieles war im Verlauf von Jahrzehnten aufgeräumter geworden, die natürliche Unordnung entsprach aber weiterhin meinem Gemüt. Oberirdische Stromleitungen hingen in der Luft, die Formen der Gebäude variierten stets, die Uhren an den Kirchtürmen mussten nicht zwingend die richtige Uhrzeit anzeigen. So, als wären wir Einheimische, grüßten uns jedermann und jederfrau. Wir konnten auf das Gebiet hinter dem Deich schauen, das zunächst einmal flach war, wenngleich in der Ferne die Kohlehalden rund um Genk zu sehen waren. Ausladende Bauernhöfe prägten dieses Hinterland, eingefangen in diesem Netz von oberirdischen Stromleitungen und begleitet von den stark wechselnden Farbtönen der Hausfassaden. Was an diesen Stellen fehlte, waren die Kanäle. Vor sehr langer Zeit, als ich von zu Hause aus diese Gegend mit dem Fahrrad erkundet hatte, war ich fasziniert von der Umgebung von Neeroeteren, das ein Stück weiter nördlich lag. Kanäle mit langen Pappelreihen erstreckten sich durch die Felder, das war ein intensives Erlebnis auf dem Fahrrad. All diese Erlebnisse kamen wieder hoch an dieses unkonventionelle Belgien, das sich den eingefahrenen Gedankengängen widersetzte. Die brüllend heißen Temperaturen drückten dieses höherwertige Gefühl von Freiheit, das ich mit diesen Orten der Sehnsucht in Belgien verband.

3. September 2024
Beim Spaziergang rund um die renaturierten Kiesgruben hatten wir die Gelegenheit, einen Aussichtsturm zu besteigen, der aus Lehm gebaut worden war. Die tiefbraune Farbe der Wände aus Lehm war gewöhnungsbedürftig und sah vielleicht etwas komisch aus. Diese braune Farbe unterstrich aber eine Verbundenheit mit der Erde, wie sie etwa Manfred Mann’s Earth Band in ihrem Stück „The Good Earth“ besang: „Give me the good earth that I was born on, give me the sunshine, the grass and the trees. Give me the open skies that I can dream on, Give me the flowers, the birds and the bees … “ Gras wuchs jede Menge um den Turm herum, einige Bienen umkreisten den Klee, insofern war der Turm in eine harmonische Umgebung eingebettet. Was hatte es nun mit dem Lehm auf sich ? Als Baustoff, der allenfalls zwischen Fachwerkbalken lange Zeit zurück verbaut worden war, dürfte er als antiquiert gelten. Er war aus der Mode gekommen, so dass beim Anblick des Aussichtsturms die Wunschvorstellung einer Renaissance des Bauens mit Lehm auflebte, da dies ökologischer sei mit einer besseren Umweltbilanz im Vergleich zu Beton oder Steinen aus Kalksandstein, Bims, Ytong oder sonstwas. Solche Aussagen dürften, wie auf anderen Gebieten, hoch komplex sein. Wurde gebaut, gab es sowieso einen Ressourcen- und Materialverbrauch, der Energie erforderte. Welche Materialien verwendet wurden, war austauschbar. Im Portfolio der Baustoffe stand aber nun eine weitere Materialart zur Verfügung, die zumindest bei der Wiederverwertung Vorteile versprach und dem Erdreich sehr ähnelte. Die Menschheit drehte sich im Kreis. Auf Bauen zu verzichten, war undenkbar. Man behalf sich über Wiederverwertungsquoten, darüber hinaus musste der Staat über Gebote und Verbote eingreifen. Auf den ersten Blick sah der Lehmbau viel versprechend aus.

4. September 2024
Dass die Häuserreihen in Belgien individuell aussahen, das belegten die Straßenzüge in Maaseik. In diesen Straßenzügen sah nichts gleich aus, als wir vom Parkplatz an der Maasbrücke zum Marktplatz und zurück spazierten. Die Vielfalt der Fassaden war immens. Fassaden aus Ziegelsteinen wechselten ab mit welchen, bei denen die Ziegelsteine weiß überstrichen waren. Andere Fassaden dominierten Steinquader aus Grauwacke, die nicht trist oder blass erschienen, sondern hell und freundlich. Die Fenster variierten in ihren gestrichenen Farben und Säulenelementen, die die Rahmen begleiteten. Verputzte Fassaden waren eine Seltenheit, nichts war einheitlich, der Stadtkern übte sich in einer individuellen Note von Hauseingängen, Türen, Fenster und Toren zu Innenhöfen. Zu der Eigenwilligkeit des Erscheinungsbildes in Belgien gehörte auch das Kopfsteinpflaster. Rauh und ruppig war das Gefüge der Pflastersteine, so dass das Vorwärtskommen des Schwagers mit dem Rollator eine schwierige Mühseligkeit war. So ganz individuell und nebenher platzierte sich in die Reihe der wechselnden Fassaden dieser Kiosk. Glaubt man den großen Werbeaufschriften über dem Eingang, so hatten die Belgier den Schwank auf digitale Medien noch nicht vollzogen. Sie lasen gerne die überregionalen Zeitungen „Het Nieuwsblad“ und „Het laatste Nieuws“. Oder auch die regionale Tageszeitung „Het Belang van Limburg“, so der selbst erklärende Name, für die Provinz Limburg, wozu Maaseik gehörte. Die Presse dominierte das Kiosk, eingefügt in ganz viel Ziegelmauerwerk dieser verspielten Fassaden, wo deren Anordnung rauf und runter wechselte. Eine Verspieltheit, die man hierzulande in Touristenorten suchen musste, war in Maaseik an jeder noch so unbedeutenden Ecke zu erkennen.

5. September 2024
Als ich in der Küche zu tun hatte, rief mich meine Frau ins Wohnzimmer, ich solle mir dies unbedingt anschauen. Sie rief mich zu dem Laufstall, wo unser Enkelkind erhebliche Fortschritte gemacht hatte. Einen kurzen Moment, bevor ich gekommen war, waren diese Fortschritte im Laufstall noch sichtbar gewesen, kurz darauf waren sie in sich zusammen gesunken. Unser Enkelkind hat ja einen nicht zu bändigenden Willen, stehen zu wollen. Hielten wir ihn hoch, streckte er stolz seine Beine und stand. Früher oder später reichte die Kraft nicht mehr aus, die Beine sackten in sich zusammen, um dann erneut mit voller Kraft kerzengerade zu stehen. Genau dieser Vorgang hatte sich soeben im Laufstall abgespielt, aber ohne unsere tatkräftige Mithilfe. Seine Arme hatten sich an den Gitterstäben hoch gezogen, die Beine waren gefolgt, und die Kraft von Armen und Beinen hatten ausgereicht, den kleinen Mann alleine zum Stehen zu bringen. Meine Frau war in der Nähe gewesen, sie hatte den Vorgang des Stehens mitverfolgt und unser Enkelkind, stolz über sein eigenes Gelingen, biss auf dem Abschlussholz des oberen Randes herum und schaute darüber hinaus. Ab jetzt mussten wir höllisch aufpassen. Wir konnten den Boden des Laufstalls zwar noch etwas tiefer setzen in Zeit gewinnen. Aber nun hatten wir diesen Punkt erreicht, dass wir ihn nicht aus den Augen verlieren durften. Momentan handhabten wir es so, dass wir in die Küche gingen oder vielleicht in den Keller, ohne dass wir auf ihn achten konnten. Diese Zeiten waren nun vorbei. Einer von uns musste ihn im Auge behalten, und wir anderen konnten nur dann etwas anderweitiges erledigen, wenn dies gewährleistet war. Unser Enkelkind war längst mobil. Ob es nun Krabbeln war, wie er sich fort bewegte, darüber konnte man sich streiten. Sein Radius der Erkundungen wurde größer. Und im Laufstall mussten wir besonders auf ihn aufpassen.

6. September 2024
Krieg und Klimakiller, zwei brennend heiße Themen, die quasi nie zusammen gebracht werden. An diesem Fenster, das auch die Bewegung „Fridays for Future“ für sich beanspruchte, wurde dies nunmehr getan. „Krieg ist der größte Klimakiller“, so lautete die Aussage an diesem Fenster, die zweifellos mehr als wahr war. So durch leuchteten wir alle unsere Abläufe in unserem Alltag, an welchen Punkten wir zu mehr Klimaschutz beitragen konnten. Fahrrad fahren anstelle Auto fahren, in den Räumen dann das Licht ausschalten, wenn es nicht wirklich benötigt wurde, die Wiederverwertung durch bessere Mülltrennung verbessern und so weiter. Das Spektrum von all diesem Kleinkram war groß, was in Summe aller geänderten Verhaltensweisen vielleicht einen einigermaßen großen Gesamteffekt ergeben konnte. Welche Effekte von Klimakillern durch einen Krieg ausgelöst wurden, darüber hatte öffentlich niemand so wirklich nachgedacht. Wie hoch etwa der CO2-Ausstoß eines Panzers war, derjenige eines Kampfjets oder einer Kurzstreckenrakete. Oder der Stromverbrauch einer Kampfdrohne. Dazu der Ressourcenverbrauch: diese Mengen an Stahl, um einen Panzer herzustellen, ebenso die Munition herzustellen, Artilleriegeschosse und was alles zur Kriegsführung gehörte. Betrachtete man die Kriegszerstörungen, kam noch der Materialverbrauch für den Wiederaufbau dazu. Diese Größenordnungen von Klimakillern infolge Krieg würden diejenigen, wenn man seine Verhaltensweisen im Alltag zugunsten eines besseren Klimaschutzes änderte, um ein vielfaches übersteigen. Trotz Fridays for Future und trotz Klimaklebern wuchs uns das Klimaproblem über die Ohren, wir fanden keine Lösung, und wir ließen alles so weiterlaufen, wie es war. Bis auf all diesen Kleinkram, der nur einen Bruchteil der nötigen Transformation ausmachte. Über Klimapläne gab es zum Beispiel Konzepte und Ansätze – egal, wie gut oder schlecht sie sein mögen – aber das ganze Thema Krieg hatte niemand auf seinem Zettel notiert.

7. September 2024
Noch am Vortag hatten wir Schockmomente erlebt, als unser Enkelkind nach seinem Mittagsschlaf aus unserem Ehebett heraus gefallen war. Unsere Tochter hatte ihn schreien gehört, meine Frau war arbeiten, ich selbst war im Home Office. Relativ schnell bekam sie ihn beruhigt, danach war er, so unsere Wahrnehmung, ganz normal rege, munter, aufmerksam und aktiv. Nachdem die Notfallpraxis auf unsere telefonische Anfrage meinte, wir sollten besser vorbei schauen, taten wir dies. Es war aber – glücklicherweise – alles in Ordnung. Die Ärztin tastete den Kopf ab, sie leuchtete in seine Ohren hinein und schaute in seine Augen. Heute hatten wir die Konstellation, dass wir gestern am späten Nachmittag zu wenige Obstgläschen gekauft hatten, so dass wir bei dm weitere Obstgläschen dazu kaufen wollten. Gleichzeitig erledigte ich morgens die Wocheneinkäufe, so dass ich Tochter und Enkelkind im Auto mitnehmen wollte, damit wir die Obstgläschen kaufen konnten. Es kam aber doch anders. Bevor ich losfahren wollte, schlief er beim Stillen ein. Unsere Tochter wollte dann lieber mit dem Kinderwagen und dem Bus fahren. Wir überlegten noch wegen der Hitze – es war so um die 27 Grad – dabei schätzten wir die Wahrscheinlichkeit höher ein, dass er in der Autoschale aufwachen würde gegenüber der Liegeposition im Kinderwagen, dass er dort weiterschlafen würde. Dies führte dann dazu, dass wir so ungefähr gleichzeitig in direkter Nachbarschaft zueinander einkaufen, ich selbst war mit dem Auto unterwegs, Tochter und Sohn mit dem Bus. Ein skeptisches und ein etwas mulmiges Gefühl wurde ich nicht los, dass die Fahrt über fünf bis sechs Bushaltestellen weiter klappen würde, ebenso die Gehstrecke von vielleicht einhundert Metern zu dem dm-Drogeriemarkt. Als ich zurück schritt in den dm-Drogeriemarkt, gelang es mir nicht, mein Gewissen zu beruhigen. Der Zufall trat nicht ein, dass Tochter mit Enkelkind gerade in diesem Moment dort ihre Obstgläschen kauften. Ich fuhr derweil nach Hause zurück und ging davon aus, dass die beiden früher oder später von ihrer Einkaufsfahrt mit dem Bus zurück kehren würden.
8. September 2024
In der 36. Kalenderwoche hatte unsere Tochter nach einer langen Prozedur und nach sehr viel Hin und Her ihren Bescheid zum Elterngeld erhalten. Neben Bürgergeld, Kindergeld und Unterhaltsvorschuss erhielt sie nun Elterngeld. Nach dieser Bewilligung war zu erwarten, dass sich bald das Job-Center bei ihr melden würde, um das wegen der Anrechnung des Elterngeldes überzahlte Bürgergeld wieder zurück zu fordern. Die Elternzeit unserer Tochter lief bis zum 1.3. nächsten Jahres, und für die Zeit danach hatte sie per Post den Ausbildungsvertrag ihres Arbeitsgebers, den GFO Kliniken, zugeschickt bekommen. Ab diesem Zeitpunkt würden wir uns überlegen müssen, wie es mit der Betreuung ihres Sohnes weiter gehen würde. Mein Ruhestand würde erst in einem Jahr beginnen, die Postagentur im Gartenmarkt würde im nächsten Jahr noch betrieben werden und unsere Tochter würde ihre Ausbildung in Teilzeit absolvieren. Wegen eines Kindergartenplatzes hatte sich unsere Tochter lediglich in einem Internetportal für Kindergartenplätze registrieren lassen, sie hatte hingegen keinen konkreten Kindergartenplatz in Aussicht. Womöglich könnte sich aber auch unser Sohn um seinen Neffen kümmern. Die beiden können es sehr gut miteinander. Zuletzt hatten wir die Situation, dass meine Frau ihren Enkel in den Händen hielt und ihn zu seiner Mama abgeben wollte. Gleichzeitig war unser Sohn in der Nähe. Sie fragte ihn mehrfach hintereinander, ob er zu seiner Mama wollte, darauf zeigte er eine verhaltene bis zögernde Reaktion. Ob er zu seinem Onkel wollte, darauf reagierte er mit Begeisterung und öffnete seine Arme. In der Dreier-WG wuchs das Unkraut und der Rasen musste gemäht werden, wozu mir hinten und vorne die Zeit fehlte. Wenn ich mich irgendwo betätigte, dann in unserem Garten. Hier konnte einiges geerntet werden, Stangenbohnen, Buschbohnen, Tomaten, Kartoffeln, Blumenkohl, Paprika, so viel, dass ich auch hier nicht alles auf einmal schaffen kann. In der Dreier-WG hatte aber wenigstens jemand nach der doppelflügeligen Türe zur Terrasse geschaut. Der Türgriff ließ sich nur noch zu zwei Dritteln nach unten drücken. Die Ursache war, dass der Türrahmen aus Kunststoff Wind und Wetter und heißen und kalten Temperaturen ausgesetzt ist. Dadurch konnten sich die einzelnen Türelemente verziehen, so dass diese schwergängig wurden. Der Monteur ölte die Türelemente an verschiedenen Stellen wieder ein, gleichzeitig drehte er an mehreren Schrauben, danach ließ sich der Türgriff wieder problemlos bewegen.
9. September 2024
Das Köln Ding der Woche, eine Geschichte der Stadt Köln, 111 Orte in Köln, die man gesehen haben muss, dazu vielerlei Fakten, Jahreszahlen, Anekdoten und weitere Podcasts, die ich im Internet recherchiert hatte. Der Aufwand war groß, um mir das historische Wissen über die Stadt Köln anzueignen, um mich als Stadtführer gegenüber der Gruppe von vierzehn Interessierten zu betätigen, die sich an diesem Sonntag versammelt hatten. Meine Zettelwirtschaft von Exzerpten und Ausdrucken hatte ich in einer Heftmappe zusammengestellt, in dieser Zettelwirtschaft stand alles Wissenswerte, was ich an Zahlen und Fakten und Anekdoten brauchte. Nervös und verwirrt war ich, nachdem wir wegen des Schienenersatzverkehrs auf der S-Bahnlinie unseren Treffpunkt von Porz-Wahn nach Zündorf verlagert hatten, um mit der Straßenbahn in die Stadt zu fahren. Vom Ergebnis her funktionierte es. Ich stellte fest, dass es schwierig war, wenn ich nach einer Jahreszahl, einem Zitat oder einer Begebenheit rang, genau diese auf dem Zettel wieder zu finden. Umgekehrt saßen die Erzählstränge, die ich weitgehend flüssig ohne Unterbrechungen herunter erzählen konnte, ohne auf die Zettel schauen zu müssen. Von den 15 Stationen in der Kölner Altstadt, wozu ich etwas erzählen wollte, schaffte ich 11 Stationen in dem zur Verfügung stehenden Zeitrahmen. Wir begannen vor dem Kölner Dom am Torbogen des römischen Nordtores, an der letzten Station erzählte ich von der Herstellung des Eau de Cologne durch einen Herrn Farina, von 4711 und von Marken- und Patentrechten. Das wichtigste war: die Gruppe hörte zu, wenig bis gar nicht wurde untereinander geredet, und ich erhielt von allen Seiten Lob, dass es allen gefallen hatte. Das motivierte. Als wir im Brauhaus Sion zur gemeinsamen Einkehr zusammen saßen, war ich froh, nicht mehr reden zu müssen. Meine Mappe mit all der Zettelwirtschaft konnte ich im Rucksack verstauen, und in diesem Kreis konnte ich diskutieren, welches unsere nächsten Aktivitäten sein würden.
10. September 2024
Nachdem wir uns das letzte Mal in der Vorweihnachtszeit gesehen hatten, traf ich gestern wieder den früheren Arbeitskollegen, den ich in der Anfangszeit bei der Deutschen Bundespost kennen gelernt hatte. Da es hätte sein können, dass ich wegen unseres Enkelkindes gebraucht wurde, hatte ich etwas gezögert, um mich mit ihm zu treffen. Wie bereits im vergangenen Jahr und in dem Jahr davor, aßen wir in einer Pizzeria. Außer der Geburt unseres Enkelkindes war das wichtigste Ereignis, dass die Tochter seiner Lebensgefährtin wieder eingezogen war. Ihre Mutter wohnte mit ihrem Lebensgefährten auf Mallorca. Vor dem Weihnachtsfest im Jahr 2022 hatte sie es abgelehnt, mit dem Flugzeug nach Mallorca zurück zu fliegen, anstatt dessen war sie zu ihrem leiblichen Vater nach Ibbenbüren gezogen. Er hatte mittlerweile Verhaltensweisen an den Tag gelegt, die Missstimmungen und Verstimmungen zu seiner leiblichen Tochter hervor gerufen hatten. Er führte eine IT-Firma, die anscheinend prosperierte, zumindest konnte man dies aus seinem 130.000 Euro teuren Tesla schließen, den er besaß. In seinem Innersten war er aber ein Geizhals. Seine 18 Jahre alte Tochter, die auf eine Privatschule ging, um ihr Abitur zu machen, wollte eine eigene Wohnung haben. Diese besorgte er ihr über einen Freund, sie unterschrieb aber nie so etwas wie einen Mietvertrag. Nachdem sie eingezogen war, strich er ihr den Unterhalt und betrachtete die fiktive Miete als Verrechnung. Sie jobbte nebenher bei Burger King, um etwas selbst zu verdienen. Irgendwann schlug der Nebenjob mitsamt Schulausbildung und Verstimmungen mit ihrem Vater auf ihre Psyche durch, sie erlitt einen Nervenzusammenbruch und wurde in die LVR-Klinik eingeliefert. An diesem Punkt wollte sie nicht mehr, es entwickelte sich die Lösung, zu ihrer Großmutter zurück zu kehren. Im Keller und im Dachgeschoss waren noch Zimmer frei, davon bevorzugte sie den Kellerraum. Bereits der Umzug war eine Kuriosität. Über Ebay heuerte sie fünf Umzugshelfer samt Transporter am Standort Ibbenbüren an und drei Umzugshelfer am Standort Mönchengladbach. Von den fünf Umzugshelfern in Ibbenbüren erschienen aber nur drei, die Konstellation in Mönchengladbach war ähnlich: von dreien erschien einer. So wurde denn der ganze Hausrat mit einer starken Verzögerung verladen und abtransportiert, und der eine Helfer in Mönchengladbach musste lange, sehr lange warten. Im Endeffekt klappte dennoch alles. Nach dem Umzug hatte sich die Enkeltochter gut eingelebt. In Mönchengladbach ging sie auf eine andere Privatschule, sie fand neue Freunde über eine Tanzgruppe, die in der Karnevalssession auftrat. Dass sie unorganisiert war, nahm sie in ihre neue Bleibe mit. Sie räumte nicht auf und half auch im Haushalt nicht mit. So ziemlich vieles ging bei ihr drunter und drüber In Ibbenbüren hatte sie eine etwas merkwürdige Beziehung zu einem Jungen aufgebaut, die nun zur Fernbeziehung wurde. Am Wochenende sahen sie sich, wobei man den Eindruck gewann, dass sie sich aus dem Weg gehen wollten. Samstags morgens wollte mitfahren beim Brötchenholen, Sonntags nachmittags reiste er früh wieder ab. Merkwürdig war ebenso ihr Mobilitätsverhalten. Obschon viele Strecken in ihrem Umfeld kurz waren, erledigte sie nahezu alles mit dem Auto. Mit dem Fahrrad fuhr sie grundsätzlich nicht, sie mied es ebenso, so weit es ging, zu Fuß zu gehen. Da ihr leiblicher Vater die Unterhaltszahlungen eingestellt hatte, hatte sie diese gerichtlich einklagen lassen. Die drei plus ihr Anwalt erschienen zu dem Gerichtstermin, die Runde blieb vor dem Richter aber klein. Es fehlte der Vater, er befand sich auf einer Dienstreise in Südamerika, der Rechtsanwalt des Vaters ließ sich telefonisch zuschalten. Über die Unterhaltszahlungen wurde noch nicht entschieden, der Richter entschied aber, dass der Vater zu 2/3 das Schulgeld für die Privatschule zu zahlen hatte, die Mutter zu 1/3. Dieser Gerichtstermin war für meinen Ex-Arbeitskollegen mit seiner Lebensgefährtin insofern ärgerlich, dass sich ihre Termine, an denen sie verreisten, stark reduziert hatten. Einer dieser Termine, ein verlängertes Wochenende im Sauerland, fiel genau auf diesen Gerichtstermin, der an einem Freitag anberaumt worden war. Obschon die Firma des Vaters, wie gesagt, florierte, war dieser beim Geld knausrig. Weiteren Ärger gab es bei ihm wegen der Kindergeldzahlungen für seine in der Schulausbildung befindliche Tochter. Diese erstrebte die Auszahlung an sie und nicht an ihren Vater. Er rückte aber nicht mit den Daten wie Kindergeldnummer und so weiter raus. Dies gelang schließlich der Tochter über die Familienkasse, wobei das Verfahren umständlich war. An der vorherigen Adresse in Ibbenbüren war die Familienkasse in Niedersachsen zuständig, nun war NRW zuständig. Dazu musste die eine Familienkasse den Vorgang abgeben, die andere musste den Vorgang aufnehmen, was eine gewisse bürokratische Aktion erforderte. Schließlich gelang es, dass die Kindergeldzahlungen auf ihrem Girokonto ankamen. In seinem familiären Umfeld hatten sich noch weitere Dinge ergeben. So hatten sich sein Sohn mit seiner Freundin ein Haus gekauft. Bei den Suchen über Annoncen, Maklerangeboten und das Internet hatten diese schon beinahe ihre Hoffnung aufgegeben. Ihre Suchen waren an den Immobilienpreisen gescheitert, da unbezahlbar oder da zu wenig Wohnraum in einer Massenbauweise der Wohnarchitektur zusammen gequetscht war. Die Gelegenheit hatte sich ergeben, als die Mutter einer Freundin der Lebensgefährtin meines Ex-Arbeitskollegen in eine kleinere Wohnung zog, so dass ihr Wohnhaus zu erwerben war. Dieses Haus war halbwegs bezahlbar und ansehnlich im Umfeld der umliegenden Bebauung. Größere Sanierungsarbeiten sparten sich die beiden, im wesentlichen erhielten die Wohnräume einen neuen Anstrich. Ein besonderes Augenmerk legten die beiden auf die Reinigung der Fußböden. Um die Bildung von Nischen von Schmutz zu vermeiden, hängten sie alle Schränke an den Wänden auf, eine Lücke zum Fußboden ließe sie frei, dabei verzichteten sie sogar auf Fußleisten (wobei sich in den Rillen wiederum Staub und Schmutz ansammelten). Wie bereits beschrieben, hatte der Umfang der Unternehmungen bei meinem Ex-Arbeitskollegen nachgelassen. Ähnlich wie bei uns, nahmen sie an Spielabenden Canasta teil. Diese Spieleabende fanden nicht, wie bei meiner Frau, an neutralen Orten wie etwa in einer Gaststätte, statt, sondern in Wohnräumen. So wurde es in diesen Runden gehandhabt, dass reihum gekocht wurde. Wurde im Haus seiner Lebensgefährtin gekocht, war er zuständig für das Kochen, was er verabscheute, die mehr oder weniger große Runde bekochen zu müssen. In einem anderen Kreis einer Frühstücksrunde hatte man ein Wochenende in Rotterdam verbracht, alleine war er in Lüdinghausen gewesen. Dann war er über den Bekanntenkreis seiner Lebensgefährtin zu einer Hochzeit auf Mallorca eingeladen. Die Hochzeitsfeier sollte in kleinem Kreis stattfinden, daraus wurden dann einhundert Personen. Er erzählte vin einer anderen pompösen Hochzeit in Schloss Bensberg, die so ungefähr in demselben Bekanntenkreis statt gefunden hatte. Das Ehepaar hatte sich mittlerweile wieder getrennt, und wegen der versnobbten und abgehobenen Ansichten hasste er die Anwesenheit in diesem Personenkreis. Der Ex-Arbeitskollege erzählte über Bauarbeiten im Haus seiner Lebensgefährtin. Die Mülltonnen sollten einen Unterstand an der Seite des Hauses finden, dazu sollte unter anderem ein Fundament aus Beton gegossen werden. Auch hier – wie bei dem Umzug von Ibbenbüren nach Mönchengladbach – suchte und fand man Arbeitskräfte über Ebay zu einem möglichst günstigen Preis. Als die Arbeiter erschienen, kamen sie weit aus dem Ausland – wahrscheinlich außerhalb Europas – und trugen Flipflops. Sie hatten keinen Werkzeugkasten mitgebracht, demzufolge besaßen sie nur eine minimale Ausstattung mit Werkzeugen und fragten als erstes, wo der nächste Baumarkt sei. Prompt ergab es sich, dass sie Flex, Stichsäge oder Schaufel beim ex-Arbeitskollegen leihen wollten. Anfangs tat er dies, später lehnte er ab. Mit dem fehlenden Material und dem fehlenden Werkzeug dauerte der Arbeitsfortschritt dementsprechend. Nach der Fertigstellung des Fundamentes hatte er das Arbeitsergebnis begutachtet und nachgemessen. bis auf wenige Zentimeter stimmten die Maße und die Festigkeit war gegeben, also war es keine schlechte Ausführung der Arbeiten. Schließlich erzählte er noch von einem Treffen mit Arbeitskollegen von ganz früher. Das waren noch Kollegen, die in den 1980er Jahren im Postamt Köln-Ehrenfeld gearbeitet hatten, die in unserem Alter waren oder noch älter waren. Da war es nicht zu vermeiden, dass Todesfälle zu beklagen waren. Ein früherer Kollege hatte wohl ein Alkoholproblem, er lebte alleine und wurde tot in seiner Wohnung aufgefunden. Mit einer früheren Kollegin hatte er eine Radtour entlang der Rur bis Obermaubach gemacht. Kurz vor 22 Uhr brachen wir von der Pizzeria auf. So ungefähr zeitgleich fuhr seine Bahn und mein Bus. Am Troisdorfer Bahnhof trennten wir uns und wir waren uns sicher, dass wir uns in der Weihnachtszeit auf dem Kölner Weihnachtsmarkt wiedersehen würden.

11. September 2024
In dieser Gaststätte kamen Erinnerungen an Kneipen in meinem Heimatort auf, von denen heute keine einzige mehr existierte. Den Unterschied mochte die Einwohnerzahl ausmachen: rund 7.000 Einwohner waren es in diesem Ortsteil in unserer Stadt, rund 1.500 waren es in meinem Heimatort. Zusammen ein Bier zu trinken, hatte zur Tradition gehört, aber auch Skat spielen oder der Frühschoppen nach der Messe am Sonntagmorgen. Ganz besonders hatten die Vereine die Kneipenszene in meinem Heimatort, genutzt, der Trommlercorps übte dort oder der Sportverein läutete dort die dritte Halbzeit nach dem Fußballspiel ein. Der Sportverein hat nun ein eigenes Vereinsheim, aber die anderen Vereine mussten sich eine andere Bleibe für ihre gemeinsamen Vereinsaktivitäten suchen. All dies ist in dieser Kneipe in unserem Nachbarort noch gegenwärtig. Die Besitzer haben zwar gewechselt, aber die Kneipe hat nicht dicht gemacht. Und man kann dort ausgezeichnet essen. Seit einigen Monaten gibt ein Türke seine Küche zum besten. Heute habe ich Adana Kebab gegessen, vor einigen Wochen das erste Mal in meinem Leben Köfte. In meinem Heimatort scheint die Geselligkeit nicht mehr so ausgeprägt zu sein. Die Menschen vereinzeln sich lieber in ihre Häuser, man begegnet sich im Dorf, man erzählt sich dort alles. Beim Bäcker oder Metzger tauscht man such aus, ein wenig wird sich das Dorfleben von den Kneipen auf die Straße verlagert haben. Die Kneipenkultur hat man indes aufgegeben. All die Stammtische, all die Pokale, all die Erinnerungen an die Skatrunden sowie der Einmarsch des Karnevalsprinzen mit seinem Gefolge hält diese Gaststätte in unserem Nachbarort weiterhin hoch.

12. September 2024
Wie er die Kästchen herum schob und wie er in seinen Datenbanken herum suchte, das war ein Fachchinesisch, dem ich nicht mehr folgen konnte. An so etwas hatte ich mich nie heran getraut, es war aber auch nicht notwendig gewesen, da ich selbst am anderen Ende dieser Datenauswertungskette stand. Zu wissen, was genau gebraucht wurde, die richtige Struktur festlegen, die richtigen Daten finden, sie auswerten, sie interpretieren und Schlussfolgerungen daraus ziehen, das war soweit mein Job. Was der Kollege so trieb, das ließ mich dann doch an dieses Thema Big Data denken. Noch mehr Daten zusammen tragen, die Dinge lernen zu verstehen aufgrund eines Körpers, der aus riesigen Datenmengen besteht. Jedes Kästchen symbolisierte eine Datenbank, ein ganzes Netz von Datenbanken war miteinander verknüpft, die Dinge wurden reduziert auf diesen gläsernen Datenkörper, der mikroskopische Einblicke gewährte in das tiefste Innere. Bezogen auf die Arbeitswelt, konnten Aussagen abgeleitet werden, die aus diesem großen See von Kunden-, Produkt-, Störungs-, Kosten- und Aufwandsdaten geschöpft wurden. Dieser gläserne Körper, der sich aus kleinsten Datensätzen zusammen setzte, wurde immer umfangreicher, das aus Daten bestehende Gebäude wurde gigantisch. Die Grundgesamtheit stieg ins Unermessliche, die auswertbaren Ebenen wurden tiefer und feingliedriger, die Möglichkeiten der Verknüpfung größer. Man muss sich aber auch mit all diesen Tiefen und Abgründen auskennen, so wie dieser Kollege. ODL, so nennen wir dieses Gebilde, was für diesen großen See von Daten steht. Open Data Lake, so lautet dieser geheimnisumwitterte Begriff.

13. September 2024
Momentan sieht es in der Dreier-WG so aus, als habe sich der Schwager mit dem einen WG-Bewohner wieder ausgesöhnt. Abends lädt der WG-Bewohner den Schwager gerne zu einer Flasche Bier ein, was der Schwager dankend annimmt, da er gerne Weizenbier trinkt, aber auch Bitburger, der Lieblingsmarke des Mitbewohners. Außerdem hat er mittlerweile wieder eine Betreuerin, die ihm bei seinen Alltagstätigkeiten hilft. Dies trägt ebenso positiv zu seiner Stimmung bei. Die drei Bewohner der Dreier-WG sind alle Einzelpersönlichkeiten mit ihren individuellen Behinderungen, sie gehören aber auch zusammen. Dies belegt die Fotocollage, die ihren würdigen Platz in der Küche neben der Terrassentüre erhalten hat. Die Collage erinnert an die gemeinsamen Aktivitäten – wie etwa Ausflüge, das Grillen oder ein gemeinsames Essen in der Siegfähre. So wurde vor einigen Wochen der Grill heraus geholt und auf der Terrasse gegrillt. Dieses Grillen geschah gemeinsam mit den beiden Betreuerinnen, wir waren ebenso eingeladen, waren aber wegen dieser ZWAR-Treffen verhindert. Es gab auch Zeiten, die etwas unharmonischer verliefen. Die Fotocollage gibt aber sehr gut die Stimmungslage in der Dreier-WG wieder, die gemeinsam Dinge schafft und zusammen erlebt.

14. September 2024
Meine Frau hatte mich noch darauf hingewiesen, ich solle möglichst früh am Abfahrtsort sein mit sehr viel Zeitpuffer zur Abfahrtszeit, weil ohnehin alle viel zu früh seien. Gegen viertel nach zehn war ich am Anfahrtsort der Realschule, und meine Mitfahrer waren so ungefähr die letzten noch fehlenden Mitfahrer. Zwei uns der Dreier-WG hatte ich im Auto mitgenommen, einer ging zu Fuß. Als auch dieser nach wenigen Minuten eintraf, waren alle beruhigt. Die Anspannung der Behinderten musste offensichtlich groß sein vor diesem Ereignis, einem Ausflug mit dem Bus ins Grüne. Wohin es ging, das stand nicht auf dem Einladungsschreiben. Eine Organisatorin, die mich empfing, erzählte mir über den Zielort des Ausfluges. Es ging in eine Scheune in einen Eifelort, der zu Rheinbach gehörte. Das hörte sich unspektakulär an, spektakulär sollte hingegen der Auftritt eines Zauberers sein. Essen und Trinken waren bei dem Ausflug inklusive. Die Mobilität habe bei Behinderten immer mehr nachgelassen, meinte die Begleiterin, die etwas jünger war als ich, wobei man hoch anrechnen musste, dass sie und andere solche Aktivitäten organisierten, die dem Grad der Behinderung entsprachen. Man müsse sich an den Schwächsten orientieren, meinte sie, so dass man nur noch Dinge unternehmen könne, bei denen die Strecken zu Gehen sehr kurz seien. Es müssten viele Helfer dabei sein, Ortswechsel fänden nur vom Bus in die Scheune und umgekehrt statt. Man hatte einen Zauberer organisiert, Salate, Getränke und Kuchen hatten sie mitgebracht. Wer das alles bezahlte, darüber machte ich mir keine Gedanken. Anscheinend bezahlten all die Frauen, die dies organisiert hatten, die Ausgaben sogar aus der eigenen Tasche, das meinte meine Frau später. Das Echo aus der Dreier-WG zu diesem Ausflug war unterschiedlich. Als wir den Schwager fragten, welche Zauberstücke der Zauberer aufgeführt habe, wusste er nichts zu antworten. Dass er auch jongliert habe, das bestätigte er, indem er mehrfach nickte. Mit welchen Gegenständen er jongliert habe, darauf wusste der Schwager erneut keine Antwort. Der zweite WG-Bewohner schüttelte den Kopf, er hatte sich anscheinend gelangweilt gefühlt. Der dritte WG-Bewohner war indes begeistert. Nicht nur der Zauberer hatte ihn fasziniert, sondern auch der Busfahrer, der mit lustigen Kommentaren die Busfahrt untermalte. Angesichts all der Zeitanteile, dass – zumindest in der Dreier-WG – man herum saß und sich selbst beschäftigen musste, war solch eine Einmaligkeit eines solchen Ausflugs einmal im Jahr viel zu wenig.
15. September 2024
Wesentliche Ereignisse waren am Wochenende der 37. Kalenderwoche Kindersachenbasare und der Dorftrödel in unserem Ort. Kindersachenbasare fanden am Samstag im Kindergarten neben der Realschule statt, dorthin fuhr unsere Tochter mit ihrem Sohn alleine mit dem Bus. Am Sonntag war Kindersachenbasar im Pfarrheim in unserem Ort, dorthin begaben sich die Oma plus Tochter plus Enkelkind, alle kamen jeweils mit einem großen Beutel voller Anziehsachen zurück. Ein paar Teile kauften Oma plus Tochter plus Enkelkind noch auf dem Dorftrödel in unserem Ort, wobei unser Enkelkind nebenher ein paar Spielsachen „abstaubte“. Nach all diesen Gehstrecken machte meine Frau am Sonntagabend einen erschöpften Eindruck, da die Wege über den Dorftrödel weit geführt hatten, dabei hatten sich die Stände zur späteren Uhrzeit am Sonntagnachmittag vereinzelt. Am Donnerstagabend war es uns gelungen, nochmals dem SPD-Stammtisch beizuwohnen. Dort war auch der Parteikollege für Neumitglieder anwesend, um uns kennen zu lernen. Viermal hatten wir vergeblich einen Termin zum Kennenlernen festgelegt, viermal war dieser Termin verworfen worden, nun hatte es geklappt. Um Mitglied zu werden, sollten wir ein Formular aus dem Internet ausfüllen, dies wollten wir bald erledigen. Gleich am Samstag mussten wir allerdings zwei Veranstaltungen absagen, das war zum einen eine kommunale Fahrradtour, nachmittags war es das Sommerfest. Den Samstag benötigten wir anderweitig, unter anderem für das Hinfahren und das Abholen der Dreier-WG zu ihrem Ausflug. Außerdem konnten wir auf unser Enkelkind aufpassen, da sich unsere Tochter mit einer Freundin treffen wollte. Nachdem sie sich von ihr verabschiedet hatte, lernten wir die Bedeutung des Wortes „Crush“ kennen. Aus dem Englischen kannte ich das Wort als „zerdrücken“. Im Zusammenhang mit Freundschaft, Liebe, Partnerschaft wurde dieses Wort gebraucht, erklärte uns unsere Tochter, wenn die Zuneigung einen zerdrücken würde. Zwischen ihrem Freund und seiner Angebeteten liefen die Gefühle diametral auseinander, er empfand viel mehr für sie als umgekehrt, so dass sie nicht zusammen fanden. Bei dem überladenen Mittwoch gelang es meiner Frau in der 37. Kalenderwoche erstmals, an einem Stammtisch aus der Nachbarschaft teilzunehmen. Mittwochs hatten wir im Vierzehntagesrhythmus die ZWAR-Treffen, in dem um eine Woche versetzten Vierzehntagesrhythmus spielte meine Frau Canasta, nun kam bei meiner Frau die Nachbarschaftsgruppe dazu. Die Namen, die meine Frau nannte, sagten mir nichts. Eine interessante Anregung war, dass die Gruppe Helfer nannte, die bei Gartenarbeiten ihre Hilfe zur Verfügung stellen konnte.
16. September 2024
In diesen Tagen machte unser Enkelkind gleich mehrere Entwicklungsschritte, obschon er verschnupft war und sich jedesmal vehement aufbäumte, wenn wir ihm Nasenspray in seine Nase hinein sprühten. Sonst war er in diesen Tagen wie gewohnt mobil, voller Energie und putzmunter. Uns wurde bewusst, dass sein Radius, wenn er in unserem Wohnzimmer auf Erkundungstour ging, größer wurde. Hatten wir ihn vor kurzem noch in seinem Laufstall belassen, machte dies mit seiner gestiegenen Mobilität keinen Sinn mehr. Es sah so aus, als könne er jeden Punkt im Wohnzimmer erreichen. Auf allen vieren kroch er voran. Zunächst nahm er diejenigen Spielsachen ins Visier, womit er gerne gespielt hatte, das war weiterhin Spielzeug, das er gewöhnlich in den Mund steckte, aber auch, wenn etwas baumelte, knirschte, knallige Farben hatte, mit Augen versehen war oder aufeinander gestapelt werden konnte – wobei das Stapeln oder Zusammenstecken noch nicht gelang. Er kroch aber auch vorwärts zu Dingen, die sich nicht als Spielzeug eigneten – wie etwa unser Staubsauger oder Schuhe. Indes hatten wir es noch nicht geschafft, den Boden frei zu räumen, zu vieles lag noch in irgend welchen Ecken herum, wo er nichts zu suchen hatte. Vor uns lag diese Herkules-Aufgabe, unser Wohnzimmer Kind- und krabbelgerecht herzurichten und sauber zu halten, damit sich dieses als Erkundungsort eignete. Wenigstens hatten wir es hinbekommen, die Türe vom Flur ins Wohnzimmer mit einem Türgitter zu versperren. Das verschaffte eine gewisse Erleichterung, dass er in das gefährliche Treppenhaus im Flur nicht gelangen konnte. In dem Kosmos des Wohnzimmers war er nun für sich und hatte eine Unmasse von Objekten, die man entdecken konnte. Nichsdestotrotz mussten wir höllisch auf ihn aufpassen, dass er nirgendwo zurück fiel, wenn er sich an Möbeln oder sonstwo hoch gezogen hatte. Der jüngste Coup ereignete sich auf dem Kinderachenbasar im Pfarrheim in unserem Ort: meine Frau hatte ein Bobby-Car gekauft, welches er sofort beschlagnahmte. Er könne weder laufen, noch richtig stehen, aber mit dem Bobby-Car könne er durch unsere Wohnung fahren, das meinte meine Frau. Seine Begeisterung nahm auf dem Gefährt kein Ende, er kreischte und stieß Jubelschreie aus. Fortan durfte einer von uns bei ihm bleiben, um zu überwachen, damit er nicht von dem Bobby-Car herunter fiel. Wir hatten Angst, ihn nicht mehr herunter zu bekommen von dem zeitlosen roten Ding mit den vier Rädern. Doch dies gelang uns, als wir ihn füttern wollten. Das Hungergefühl war wohl größer als der Spaßfaktor, die Faszination der Vorwärtsbewegung auf vier Rädern kennen zu lernen. Was solch ein kleines Stückchen Mensch erlebte, war in unserer Sichtweise als Erwachsener übermenschlich und rief in dem kleinen Wesen Wellen von Begeisterung hervor.

17. September 2024
Dieses Foto am östlichen Stadtrand von Neuss musste herhalten, um die Bürohausarchitektur näher zu beleuchten. Eine Bürohausarchitektur, die ich gerne als abstoßend wahrnahm. Menschen arbeiteten dort in ihren Bürowelten, so wie ich selbst in einem Großraumbüro arbeitete mit anderen Arbeitskollegen zusammen, normalerweise in einer angenehmen Arbeitsatmosphäre, getrieben vom Arbeitsrhythmus, seltener mit langweiligen und häufiger mit hoch spannenden Themen. So oder so ähnlich sahen die Bürowelten am östlichen Stadtrand von Neuss aus, wobei ich die Architektur äußerst gleich machend empfand. Sinn und Inhalt konnte man diesen Bürowelten nicht absprechen. Unter diesen Büroklötzen stach die Aufschrift „Kyocera“ hervor, von dieser japanischen Firma kannte man am ehesten Drucker, die Firma produzierte aber auch Komponenten der Feinkeramik, Elektronik, Optik, Halbleiter oder auch für die Automobilindustrie. Diese Teile wurden nicht nur in Druckern, sondern auch in Rechnern, Smartphones, Tablets oder PKWs verarbeitet, also alles Produkte, die uns im Alltag sehr viel bedeuteten. Diese mehr oder weniger fürchterlich sich auftürmenden Bürogebäude machten in Form der Firma Kyocera Sinn, ebenso die nachfolgenden Bürobauten. Die Firma WISAG bot Dienstleistungen rund um Gebäude an – Reinigung, Hausmeisterdienste, Sicherheitsdienste, Pflege von Außenanlagen und so weiter. Der Sinn solcher Leistungen stand außer Frage, kritisch könnten aber prekäre Arbeitsverhältnisse sein. Es folgte ein Schulungszentrum der Finanzämter in NRW, der Sinn der Erhebung von Steuern durch den Staat stand für mich außer Frage. Im nächsten Schulungszentrum wurden Pflegekräfte geschult, dann folgte ein Technikzentrum der Firma, der ich zugehörte. Kommunikation, Sprachtelefonie und Internetkommunikation waren in unserer Zeit unabdingbar. Weitere in diesen Bürowelten ansässige Firmen hatte ich mir nicht merken können, dann folgte der Exit. An einer großen Kreuzung sollten auf einem abgerissenen Areal Wohngebäude neu gebaut werden – wahrscheinlich zu einem unbezahlbaren Preis im direkten Umfeld der Landeshauptstadt Düsseldorf. Ich fuhr weiter durch den Stadtteil Gnadenthal, der eine ganz normale Wohnbebauung aufwies. Die Bürogebäude waren mit einem Mal verschwunden. Im Mündungsgebiet der nahe gelegenen Erft wurde das Stadtgebiet von Neuss zunehmend ländlich.

18. September 2024
Ich habe an einer Bürgerinformationsveranstaltung in der Aula der Realschule teilgenommen, bei der es um den Neubau einer zentralen Unterbringungseinrichtung für Flüchtlinge ging. Es referierten Vertreter des Regierungspräsidenten und unserer Stadt, deren Konzept sich plausibel anhörte. Flüchtlinge wurden von oben nach einem Schlüssel auf alle Kommunen verteilt, die dann zuständig waren für die Unterbringung. Ebenso kümmerte sich das Land NRW um die Unterbringung, indem dieses zentrale Unterbringungseinrichtungen bereitstellte. Die zentrale Unterbringungseinrichtung in unserer Stadt, über deren Bau in Containerbauweise zu entscheiden war, hatte den Charme, dass diese aus Landesgeldern finanziert wurde. Für 350 Flüchtlinge sollte die Einrichtung gebaut werden, die Referierenden konnten auch die genaue Lage des Grundstücks benennen, das ausgesucht worden war. Im Vorfeld waren acht Grundstücke in die Auswahl einbezogen worden, darunter wurde dasjenige Grundstück ausgesucht, das zum einen eine ausreichende Fläche von etwa 10.000 Quadratmetern umfasste, zum anderen sollte dieses Grundstück möglichst weit weg liegen von einer Wohnbebauung. Grundstücke mit in der Nähe liegenden Kindergärten waren ebenso ausgeschlossen worden. An der Bürgerinformationsveranstaltung hatte ich mit der Motivation teilgenommen, wie die Emotionen beim Reizthema Flüchtlinge gehandhabt wurden. Dass es sich um ein Reizthema handelte, das verriet die Anwesenheit von Polizisten vor und in der Aula der Realschule. Die Ausführungen des Regierungspräsidiums und der Stadt hörten sich einseitig an, weil die Stadt Vorteile hatte bei der Anrechnung der Kapazitäten: sie brauchte nicht nur nichts zu zahlen für den Neubau, ebenso bedeutete die Anrechnung der Kapazitäten, dass die Stadt außerhalb dieser Unterbringungseinrichtung über Jahre hinaus keine neuen Flüchtlinge mehr würde aufnehmen müssen. Deutschkurse und integrative Sportangebote würden in der Unterbringungseinrichtung erteilt, eine Betreuung rund um die Uhr sei gewährleistet, ein sogenanntes Umfeldmanagement vermittele zu den Nachbarn, ein Sicherheitsdienst werde zur Eindämmung von Lärm, Streitigkeiten, Kriminalität eingesetzt. Kinder seien in dieser Einrichtung nicht schulpflichtig, es werde aber ein schulnahes Bildungsangebot zur Vorbereitung auf den Schulunterricht erteilt. Der Bürgermeister moderierte die Diskussion, indem er in Dreierblöcken die Fragen aus dem Publikum einsammelte und durch die Verantwortlichen beantworten ließ. Die Frage-Antwort-Blöcke verfolgte ich mit Interesse, wobei meine Einstellung im wesentlichen bestätigt wurde, dass Flüchtlinge in unserer Gesellschaft Angst erzeugten. Sie trugen zur Destabilisierung der Gesellschaft bei, man wollte sie so weit wie möglich wegsperren und Berührungen vermeiden. Maßgeblichen Einfluss auf diese Einstellung in der Bevölkerung hatten sicherlich Messerstechereien wie diejenigen in Solingen, die ein Flüchtling begangen hatte. Selten waren die Stimmen, die gegenläufiges äußerten. Die Diskussion drehte sich im Kreis, was die Polizeistation in unserer Stadt betraf. Sie war nur tagsüber besetzt, nachts hingegen nicht, dies sei von der Kreispolizeibehörde entschieden worden, die Bezirksregierung Köln habe auf eine solche Entscheidung keinen Einfluss. Flüchtlinge und Kriminalität waren ein wiederkehrendes Thema. Im Umkreis von Flüchtlingsheimen gäbe es keine erhöhten Kriminalitätsraten, das versicherten die Verantwortlichen, wobei allerdings unklar blieb, ob so etwas überhaupt errechnet wurde. Wie denn die Sicherheitsdienste ausgesucht würden, dazu verwiesen die Verantwortlichen auf die Geheimhaltung, das war sicherlich eine schlechte und wenig zufriedenstellende Argumentation. Nicht durchgängig aussagefähig war das Zahlenmaterial. Es wurde gefragt, wie viele Flüchtlinge werden neu aufgenommen, wie viele wurden nach Durchlaufen des Asylverfahrens anerkannt, wie viele wurden bei Ablehnung abgeschoben, wie viele wurden geduldet, und wie viele hätten nach der Anerkennung eine Arbeitsstelle gefunden. Zu dem letzteren Punkt gäbe es nur bundesweite Zahlen, das erläuterte der Bürgermeister, wobei die Männer zu 80% einen Arbeitsplatz gefunden hätten, im Mittelwert Männer und Frauen seien es 60% gewesen. Verwirrend waren die Verrechnungen des Landes und was ein Flüchtling den Steuerzahler kostete. 7.400 Euro bekam die Stadt für jeden Flüchtling vom Land, wobei die Stadt eine Unterkunft besorgen musste und die Flüchtlinge unterhalten musste. Das kostete eine fünfstellige Summe, so dass die Stadt so ziemlich draufzahlen musste. Genau 589 Flüchtlinge zählte die Stadt momentan, wobei die Flüchtlinge aus der Zählung heraus fielen, wenn das Asylverfahren abgeschlossen war, 200 bis 300 Flüchtlinge kamen jährlich dazu. Ein Problem war die Wohnungssuche, wenn die Flüchtlinge anerkannt waren, ein Problem war genauso die Rückführung in die Heimatländer, wenn sie nicht anerkannt waren, dann wurden sie geduldet und durften sich weiterhin hierzulande aufhalten. Lange und ausgiebig wurde diskutiert, wie sich die Einsparungen, da die zentrale Unterbringungseinrichtung vom Land bezahlt wurde, im Haushalt der Stadt zeigen würden. Gar nicht, so lautete die Antwort, weil es sich um zukünftige Einsparungen handelte. So weit in die Zukunft hinein, bis die Einrichtung fertig gebaut sein würde, schaute der Haushalt der Stadt nicht. Heiß diskutiert wurde das Thema der Grundsteuererhöhung, bei dem die Anwesenden nicht verstanden, wieso diese Einsparungen keinen Einfluss auf die Grundsteuer hätten. Unbefriedigend war ebenso die Aussage der Stadt zur Nutzung der Mehrfachturnhalle in der Realschule als Flüchtlingsunterkunft. Eigentlich hätte man erwartet, dass diese nach Fertigstellung der zentralen Unterbringungseinrichtung wieder als Turnhalle genutzt werden könnte, doch da drückten sich die Verantwortlichen vage aus. Zu stark seien die Schwankungen und Unvorhersehbarkeiten in der Vergangenheit gewesen, so dass man sich nicht festlegen wollte. Alles in allem, liefen die Frage-Antwort-Runden ruhig und sachlich ab. Die hoch gekommenen Emotionen waren herunter gefahren worden, wenngleich die Skepsis gegenüber dem positiven Denken bei weitem überwog.

19. September 2024
Beim Trinken dieser Tasse Kaffee begann ich die Jahre zu zählen, dass ich das letzte Mal in Zons gewesen war. Es muss um das Jahr 2000 gewesen sein, als ich einen dienstlichen Termin in Düsseldorf gehabt hatte. Der Termin hatte im Stadtteil Flingern statt gefunden, das Fahrrad hatte ich auf der Bahn mitgenommen, nach dem Termin war ich mit dem Fahrrad von Düsseldorf nach Köln gefahren, wo sich mein Büro befunden hatte. Zons kannte ich aus den Zeiten davor, das war zirka bis 1987, als ich regelmäßig von Dormagen nach Zons und zurück gejoggt war, anschließend war ich im Hallenbad von Dormagen schwimmen gegangen. Zons hatte von seiner Faszination nichts eingebüßt. Das war der niederrheinische Stil aus rostbraunen Ziegelsteingemäuern, die Stadt war in sich geschlossen und alt, sie besaß eine vollständig erhaltene Stadtmauer. Darüber hinaus hatte Zons eine geschichtliche Bedeutung als Zollstation erlangt, wo die Schiffe für den Abschnitt von Köln bis hier Zoll zu zahlen hatten. Von dieser Zeit zeugten ein Turm sowie ein Zollhaus, das heutzutage zu einer Event-Location umfunktioniert worden war. Werktags um die Mittagszeit war es hier angenehm beschaulich und ruhig, und draußen am Schloss Café auf dem Platz gegenüber dem Heimatmuseums nahm ich mir die Zeit, um diesen Kaffee zu trinken. Der gelbgestrichene Bau mit den rot-weißen Fensterläden verkörperte eine historische Eleganz, und schräg gegenüber öffnete sich der Innenhof eines Kräutergartens mit den prall gelben Farben von aufgeblühten Sonnenblumen. Hier ließ es sich gut aushalten.

20. September 2024
Dieses Bayer-Kreuz vor dem Chemiekonzern in Dormagen belegte, wie sehr sich die Menschen mit diesem Chemie-Riesen identifizieren. Großindustrie bedeutete Heimat, die chemische Industrie gab ihnen Arbeit. Hoch spezialisierte Arbeit mit interessanten Jobs, bei denen sich der Bezug zur Alltagswelt herstellen ließ. Bei Pflanzenschutzmitteln mochte noch eine Hemmungsschwelle bestehen, bei Kunststoffen, Granulaten oder Medikamenten konnten Wertschöpfungsketten auseinandergenommen werden und Endprodukten zugeordnet werden. Die chemische Industrie hatte ich hinter all den Leitungen, Rohren und Kesseln stets als abstrus und abstoßend empfunden, die eigene persönliche Einstellung war im Zeitverlauf positiv geworden, nicht nur wegen der daran hängenden Arbeitsplätze. Die Energiebilanzen würden in der chemischen Industrie nicht viel anders aussehen als bei anderen Industriebetrieben, bei den Schadstoffemissionen und dem Kohlendioxidausstoß war die chemische Industrie so sauber geworden wie andere Sparten. Die hiesigen Arbeitsbedingungen würden besser sein als diejenigen in Indonesien, Thailand oder China. So zeigte der Chemiekonzern auf der Zufahrt zu seinem Werksgelände stolz sein Bayerkreuz mit dem Standort Dormagen. Neben dem Werksgelände grenzte das Gelände des Sportvereins TSV Bayer Dormagen an, darunter ein Tennisplatz und ein Sportplatz. Sport verband und schuf Heimat. Wenn sich der Konzern großzügig erwies beim Sport und dessen Ausübung, mochte es so sein wie im Fußball bei Bayer Leverkusen. Die chemische Industrie fand in hohem Maße Akzeptanz. In der öffentlichen Wahrnehmung war es eine Selbstverständlichkeit, dass sie zur Region dazu gehörte.

21. September 2024
Nach diesem Denkmal im Zentrum von Worringen hatte ich ein wenig suchen müssen. Abzweigend von der Bundesstraße B9, war ich in eine Fahrradstraße abgebogen, die schnurstracks geradeaus verlief, aber dann im Zickzack nach links und rechts verlief. Als ich mich am Turm der Pfarrkirche orientierte, fand ich dieses Denkmal auf dem Kirchplatz, wo sich viele Menschen vor dem Haus mit der rostbraunen Ziegelmauerwerk drängelten. Dort gab es anscheinend etwas ganz besonderes zu erhaschen. Auf der Platzmitte vor der Kirche stand eben dieses Denkmal, welches an das geschichtsträchtige Jahr 1288 erinnerte. Dieses Jahr sollte für mehrere Jahrhunderte entscheidend die Schicksale der beiden Städte Köln und Düsseldorf bestimmen. Ereignet hatte sich in diesem Jahr die Schlacht von Worringen, die der Kölner Erzbischof Siegfried von Westerburg gegen eine Gegnerschaft aus den Herzogtümern Berg, Geldern, Jülich und Brabant verlor. Sogar seine Bürger kämpften auf der Seite seiner Gegner mit, weil die Bürgerschaft die Macht in der Stadt Köln ausüben wollte, doch der Erzbischof weigerte sich, seine Macht abzugeben. Die Niederlage des Erzbischofs war schmerzhaft, er wurde auf Schloss Burg gefangengenommen und richtete sich nach seiner Freilassung in Bonn ein, weil er in Köln eine unerwünschte Person war. Im Friedensvertrag musste er anerkennen, dass Düsseldorf die Stadtrechte verliehen wurden. Dies beförderte den Aufstieg Düsseldorfs, das im 13. Jahrhundert noch ein Dorf gewesen war. Vom einstigen Glanz und von der einstigen Größe von Worringen war nicht mehr viel zu sehen. Einsame Dorfstraßen zirkulierten durch die Ortsmitte, am Ortsrand schloss sich das Naturschutzgebiet des Worringer Bruchs an. Von der Burg, die bei der Schlacht von Worringen belagert wurde, war längst nichts mehr zu sehen. In dem Friedensvertrag, den Siegfried von Westerburg unterzeichnen musste, war bestimmt worden, dass diese Burg geschleift werden musste. So ist Worringen heute ein eher unscheinbarer Ort, in dem sich Hase und Igel gute Nacht sagen – so könnte man etwas flapsig formulieren.

22. September 2024
In der 38. Kalenderwoche gelang es mir nach rund einem Monat der Abstinenz, den Rasen am Haus der Dreier-WG zu mähen. Es hatte schlimmere Tage gegeben, dass das Gras noch höher gewachsen waren, und ich nutzte das sonnige und trockene Wetter, so dass ich in etwas weniger als zwei Stunden fertig war. Rund herum sah es allerdings schlimm aus, wie sehr Unkraut und Sträucher gewachsen waren, lediglich in der Woche davor hatte ich es geschafft, das wuchernde Unkraut aus dem Vorgarten zu entfernen. Dementsprechend sprach mich prompt eine Nachbarin an, wenn ich einmal anwesend war. Katzen aus der Nachbarschaft – weder sie noch die Dreier-WG, noch die anderen angrenzenden Nachbarn besaßen Katzen – hätten Mäuse angeschleppt. Die Wahrscheinlichkeit sie hoch, dass all diese Mäuse genau unter unserem wuchernden Gestrüpp Nester gebildet hätten. Sie als Ü80-jährige hätte nun Angst, die Türen offen stehen zu lassen, um ein Eindringen der Mäuse in ihr Haus zu verhindern. Solch eine Diskussion nervte mich. Um all dieses Gestrüpp klein zu schneiden und kurz zu halten, dazu würde ich mehrere Tage benötigen, und diese Zeit fehlte mir. Mich an zwei Häusern um den Garten zu kümmern, das war schlichtweg zu viel. In der 38. Kalenderwoche beschäftigte uns außerdem der Schwager, sein Rollator war wieder einmal defekt. Eine Montagsproduktion, das meinte meine Frau. Diesmal die Mutter einer Schraube zur Querverbindung, womit man den Rollator zusammenklappen konnte, heraus gefallen. Die Schraube saß nun lose, so dass beim Gehen der Rollator auseinander zu fallen drohte. Die Mutter beschaffte ich neu und zog sie an, so dass das Verbindungsteil fest saß und der Schwager den Rollator wieder benutzen konnte. Es fehlten aber zwei weitere Übergangsteile, so dass eine Reparatur im Sanitätshaus wohl unumgänglich war. In der 38. Kalenderwoche meinte meine Frau, dass die Tätigkeit als Betreuerin für den Schwager wohl sehr angenehm sein dürfte. Zwei Wochen Urlaub hatte die Beteuerin gehabt, nun war sie wieder für den Schwager da. Wir fragten den Schwager, welche Hausarbeitstätigkeiten die beiden geschafft hätten, Badezimmer putzen, Küche putzen, Zimmer aufräumen, Waschen oder was auch immer. Nein, die beiden hatten nur ein bißchen das Badezimmer geputzt. Den ganzen großen Rest waren sie spazieren gegangen. Daraufhin empfanden wir den Job einer Betreuerin als Traumjob, viel Zeit an der frischen Luft zu verbringen, bei Spaziergängen zu entspannen, die Natur zu betrachten und nebenher Gespräche zu führen – die bei uns mit dem Schwager eher spärlich ausfielen, weil er wenig bis gar nichts zu erzählen hatte. In der 38. Kalenderwoche hatte unser Enkelkind auf der rechten Backe seines Gesichtes einen stark geröteten Pickel, den Frau und Tochter mit Zinksalbe behandelten. Die Rötung war am Freitag so intensiv, dass wir Angst hatten, es könnte sich um eine bakterielle Infektion handeln. Meine Frau musste am Samstag Morgen arbeiten, und bevor sie zur Arbeit fuhr, meinte sie, die Infektion sei leicht zurück gegangen. Daraufhin entschieden wir uns mit Tochter und Sohn, nicht in die Notfallpraxis zu fahren. Um die Mittagszeit, als meine Frau von der Arbeit zurück kehrte, kam die Frage, wieso ich unsere Tochter nicht so geweckt habe, dass wir in die Notfallpraxis gefahren waren. Ich hatte aber eingekauft, so dass für den Nachmittag unser Auto zur Verfügung stand, um in die Notfallpraxis zu fahren. Schließlich fuhren wir dann wieder doch nicht in die Notfallpraxis, wobei mit der Zinksalbe die Rötung minimal zurück ging. Am Sonntag, während wir mit der ZWAR-Gruppe das Hänneschen-Theater besuchten, fuhr unsere Tochter mit ihrem Sohn zu einer Freundin. Dort lernte sie für den Führerschein, das letzte Mal hatte sie dies während ihrer Schwangerschaft getan.
23. September 2024
Gestern hatten wir mit 12 Personen aus unserer ZWAR-Gruppe das Hänneschen-Theater besucht, und am Freitag zuvor hatte ich einen etwas befremdenden Anruf von einer Freundin einer Frau aus unserer Gruppe erhalten, die mitkommen wollte. Ursprünglich hatte ich die Karten für die Frau aus unserer Gruppe und ihrem Ehemann besorgt, die Karten waren auch bezahlt, anstelle des Ehemanns sollte nun die Freundin mitkommen, die bei mir anrief. Ihren Namen konnte ich hinten und vorne nicht zuordnen. Sie fragte mich nach der Reihe und schlussfolgerte, dass von dort überhaupt nichts sehen könne. Dann hätte sie noch einen Hund, den sie so lange nicht alleine lassen könne. Schließlich hätte ich beabsichtigt, anschließend in einem Brauhaus einzukehren, dorthin könne sie ohnehin nicht mitkommen. Da stellte sich die Frage, wieso sie nicht sowieso zu Hause blieb. Die Merkwürdigkeiten setzten sich am Sonntagmorgen an unserem Frühstückstisch fort. Dieselbe mir unbekannte Frau rief an, ihre Freundin sei von ihrer Katze gebissen worden in eine Vene, dort blute sie wie verrückt und sei in der Notfallpraxis. Später korrigierte mich meine Frau, die das Telefonat mitgehört hatte. Nicht die Katze habe die Frau aus unserer ZWAR-Gruppe gebissen, sondern es war auch ein Hund bei dem Geschehen vorgekommen. Mithin habe die Katze den Hund gebissen, möglicherweise aber umgekehrt: Hund hatte Katze gebissen, so dass alle in irgendeiner Notfallpraxis für Tiere waren – die freilich an diesem Tag zu dieser Tageszeit äußerst schwer zu finden war. So fielen, verursacht durch Hund und Katze, zwei Personen raus aus unserem Besuch des Hänneschen-Theaters, so dass aus 14 Personen 12 Personen wurden. Das machte aber nichts. Ab Zündorf brachte uns die Straßenbahnlinie 7 zum Heumarkt und zum Hänneschen-Theater, und das Stück „Hännesche em Schlaraffeland“ war höchst unterhaltsam. Besonders faszinierend fand ich die filigrane Darstellung vieler Terfiguren: Hund, Eichhörnchen, Hahn oder auch eine Haribo-Schnecke und eine Zimt-Schnecke, die ein Schneckenrennen veranstalteten. Die Botschaft des Stückes war etwas platt, aber wirksam: dort, wo die Heimat ist, ist es schöner als im Schlaraffenland. Hänneschen und seinen Freunden war es gelungen, den Eingang ins Schlaraffenland zu finden. Dort waren sie verzaubert worden, wodurch sie vergessen hatten, woher sie gekommen waren und wer ihre Angehörige und Freunde waren. Alleine das Bärbelchen hatte diesem Zauber widerstehen können, alle fanden aber den Weg zurück aus dem Schlaraffenland in ihren Heimatort Knollendorf. Wie bei vergangenen Vorstellungen – bei uns lag der letzte Besuch so um 2021 zurück – war das Bühnenbild exzellent, die Figuren steckten voller Witz und sangen gemeinsam auf der Bühne. Das herzhafte mit seinen Witzen erfrischende Stück begeisterte uns. Den schönen Sonntagnachmittag rundeten wir ab mit einer Einkehr im Brauhaus en d’r Salzgasse, wo ich Rostbratwürstchen mit Kartoffelpüree und Sauerkraut von der Oktoberfestkarte aß. All die Verwirrung um Hund und Katze, wer wen gebissen hatte, hatte ich längst vergessen.

24. September 2024
Die Verbindung zu dem Dichterfürsten Johann Wolfgang von Goethe herzustellen, das ist jedesmal ein Akt besonderer Größe. Im Rheinland hatte Goethe ab und an verweilt, so anlässlich seines Besuchs in den Jahren 1774 und 1792 beim Düsseldorfer Philosophen Jakobi, oder bei einem anderen Besuch in den Jahren 1774 und 1815 bei Sulpiz Boisseree in Köln, der die Idee hatte von der Vollendung des Kölner Doms. Aber es gibt keine Zeugnisse, dass er in Bonn und Umgebung gewesen war. Aber es gibt Belege in der umgekehrten Richtung. Und zwar suchte der erste Direktor des botanischen Gartens, von Esenbeck, eine Begutachtung eines Malvengewächses, welches ein befreundeter Fürst von einer Brasilien-Expedition mitgebracht hatte. Die Samen hatte von Esenbeck ausgesät. Er suchte eine Einordnung in die Klassifizierung der Pflanzen sowie in Goethes Farbenlehre. Er nahm Kontakt mit Goethe auf, darauf entstand ein Briefwechsel, worin er Goethe unter anderem seine Abhandlung „Das System der Pilze und Schwämme“ zusandte. Mehrfach besuchte er Goethe in Weimar, um seinen Expertenrat einzuholen und seine Fragestellungen zu diskutieren. Das Malvengewächs aus Brasilien, das Das bauchhohe Malvengewächs aus Brasilien mit seinen roten Blüten hat sich bis heute erhalten und ist im botanischen Garten zu sehen. Wie wertvoll von Esenbeck Goethes Expertenrat eingeschätzt hat, das hat er in der biologischen Bezeichnung der Pflanze hinterlegt. „Goethea cauliflora“ hat er die Pflanze genannt, so dass der Name des Dichterfürsten bis in alle Ewigkeiten mit dem botanischen Garten verbunden sein wird.

25. September 2024
Diesen Baumstämmen im botanischen Garten war kaum anzusehen, dass ihr Alter satte 11 Millionen Jahre betrug. Sie wurden beim Abbau von Braunkohle im Braunkohletagebau Garzweiler entdeckt und waren eine Sensation. Eine Sandschicht und die darüber liegende Braunkohle hatte die Stämme luftdicht konserviert, so dass die Stelle unter dem Kohleflöz ungewöhnlich dunkel war. Nach der Bergung aus dem Braunkohletagebau war das Holz so weich, dass man Schnitte mit einer Rasierklinge machen konnte, um das Alter des Holzes zu bestimmen. Diese 11 Millionen alten Baumstämme waren Bestandteil eines Sumpfwaldes, deren Stämme zum Teil abgebrochen waren, so dass die Baumstümpfe aus dem Braunkohlewald heraus ragten. In diesen unvorstellbar langen 11 Millionen Jahren hat sich der Braunkohlewald in Braunkohle verwandelt. Einen ähnlich ausgedehnten Zeitraum von mehreren Millionen Jahren dauerte übrigens der Verwesungsprozess von Meeresplankton und Meerestieren, der als Endprodukt Erdöl entstehen ließ. Dagegen hat der Abbau von Braunkohle im Rheinland Mitte des 19. Jahrhunderts begonnen, mithin fördern wir Braunkohle über einen Zeitraum von etwas mehr als 150 Jahren. 150 Jahre versus 11 Millionen Jahre: noch hat die Ära des Braunkohletagebaus im Rheinland nicht geendet, dieser Zeitraum gibt sich aber winzig klein und vernachlässigbar aus, dass wir irgendwann unsere Rohstoffe aufgebraucht haben werden, ohne dass sich diese wieder herstellen können. Diese Baumstämme im botanischen Garten gewähren uns wenigstens den Blick darauf, wie die 11 Millionen Jahre aussehen, einen winzig kleinen Ausschnitt von Lebenszeit dürfen wir davon selbst mit erleben.

26. September 2024
Meine Erwartungshaltungen waren nicht hoch gewesen, als sich ein Feierabendmarkt in unserem Ort ankündigte. Jedenfalls war der Wochenmarkt in unserer Nachbarstadt sehr dürftig gewesen, so dürftig, dass man gerade mal ein bißchen Obst und Gemüse kaufen konnte. Ähnlich war meine Erwartungshaltung zu diesem Feierabendmarkt: ein bißchen Obst und Gemüse, vielleicht noch ein Metzger mit Wurst, Käse hätte vielleicht noch dazu gehört. Es sollte komplett anders kommen, wozu unsere ZWAR-Gruppe maßgeblich beitrug. Am Vortag hatten wir unser turnusmäßiges, vierzehntägiges Treffen gehabt, und unter all den Gruppen mit ihren Aktivitäten gab es eine Spontangruppe. In der Regel gaben die Männer einen Anstoß, dass ihnen samstags oder sonntags langweilig war, so dass sie fragten, wer sich mit ihnen am Rhein treffen wollte und irgendwo einen Kaffee oder vielleicht auch ein Bier trinken wollte. Die Reaktion darauf war sehr verhalten, anders geschah dies nach unserem turnusmäßigen ZWAR-Treffen. Einer von uns schlug innerhalb unseres Treffens als spontane Aktivität den Besuch des Feierabendmarktes am nächsten Tag mit Treffpunkt und Uhrzeit vor. Am Treffpunkt am nächsten Tag war die Reaktion mäßig, da sich nur drei Personen am vereinbarten Treffpunkt einfanden. Am Ort des Feierabendmarktes gestaltete sich dies aber komplett anders. Es gab kein Obst, kein Gemüse, noch Wurst oder Käse zu kaufen. Zu kaufen gab es hingegen ein paar Handarbeiten und Töpferware – den Schwerpunkt bildete die Gastronomie. Dies in einer Art und Weise, wie die Street Food Festivals gestaltet waren. So gab es einen griechischen Imbiss, einen afghanischen Imbiss und Burger. Ein Stück entfernt stand eine Reibekuchenbude, die komplett anders und viel besser schmeckten als diejenigen, wie man sie etwa von den Kirmesbuden oder von Weihnachtsmärkten kennt. Dann noch Bierbuden und ein Stand, wo man Wein trinken konnte. Auf dem Feierabendmarkt trafen wir eine größere Schar von uns ZWARlern, die bereits vor großen Trinkkelchen mit Wein saßen. Was nicht mitspielte, war das Wetter. Pünktlich, als wir uns zusammen gesetzt hatten, setzte nämlich ein plätschernder Regen ein, der nicht aufhören sollte. So mussten wir uns unter einem Marktschirm eng zusammen hocken, was die Gemütlichkeit unseres gemeinsamen Beisammenseins nicht behinderte, sondern förderte. Unbeeindruckt von diesem Regen, tranken wir unseren Wein, saßen lange zusammen, bis die Stände gegen neun Uhr ihre Zelte abbrachen, und wir lachten viel zusammen. Es war ein rundum schöner Abend, den wir beim nächsten Feierabendmarkt im nächsten Jahr bestimmt wiederholen wollen.

27. September 2024
Nachdem ich die heraus gefallene Mutter ersetzt hatte, zeigte der Rollator des Schwagers erneut Auflösungserscheinungen. Mehrere Tage hatte er ihn benutzt, auch zu seinen längeren Spaziergängen bis zur Fähre im Nachbarort, doch nach dem Gang zur Sprachtherapie hatten sich eine weitere Schraube sowie zwei Muttern gelöst und waren verloren gegangen. Der Rollator war vielleicht zwei Jahre alt, sein Verschleiß kam uns sehr hoch vor, da er nunmehr das dritte Mal im Sanitätshaus repariert werden musste. Wenigstens geschah die Reparatur diesmal vor Ort, so dass wir den Rollator nach einer gewissen Wartezeit wieder mitnehmen konnten, die Wartezeit konnten wir zudem mit einer angebotenen Tasse Kaffee überbrücken. Da sich die Reparatur einfach und unkompliziert gestaltete, stellte uns das Sanitätshaus dafür keine Kosten in Rechnung. Während wir warteten, schenkte ich der Unternehmensleitlinie über der Serviceannahmetheke Beachtung „ … wir schaffen Lebenswerte.“ Dieser Grundsatz mochte im Falle des Sanitätshauses naheliegend und trivial sein, man fand solche Unternehmensleitlinien allerdings über die Summe aller Unternehmensformen hinweg. Dort war ganz viel die Rede von Werten, Gemeinschaft, Nachhaltigkeit, Gesellschaft, Verantwortung, Integrität, Offenheit, Loyalität, Kundenorientierung. Packte man die Summe aller Unternehmen in eine fiktive Wertegemeinschaft, so taten diese das bestmögliche für die eine Welt an sich. Solche Leitlinien passten homogen zusammen, Zielkonflikte wurden ausgeblendet, die Vision einer schönen neuen Welt leuchtete als die Lösung aller Gegenwartsprobleme auf. Was im Einzelfall des Sanitätshauses in sich stimmig war, lief in der Betrachtung der individuellen Geschäftsmodelle von Unternehmen dann doch auseinander. Kollateralschäden und externe Effekte fehlten in der Bildung der einfachen Summe aller Unternehmen. Input und Output, Lieferketten und Wertschöpfungsketten, Warenströme und die Effekte des Kapitalismus standen diesen Leitlinien entgegen. In diesem Sanitätshaus waren die Dinge hingegen einfach gelagert. Rollatoren unterstützen Menschen in ihren Alltagsabläufen. Durch Service- und Reparaturtätigkeiten, die damit verbunden waren, wurden Werte für solche Menschen geschaffen, die auf solche Hilfsmittel angewiesen waren. Werte und Nachhaltigkeit sprachen in diesem Fall für sich.

28. September 2024
Die schönsten Spielzeuge sind dann doch diejenigen, die unerlaubt sind. Damit darf und soll unser Enkelkind nicht spielen, aber viel zu oft steuert er genau dorthin zu. Dann verlässt er seine Spielecke. An seinem Dany-Zoo hatte er sich hoch gezogen, das Gesicht seines Wackelbären hatte er in seinen Mund gesteckt, das Einhorn hatte er aus seinen Ringen heraus genommen, die Köpfe seiner Lego-Duplos hatte er auseinander gesteckt, die Kiste mit den übrigen Spielsachen hatte er durchwühlt und vieles mehr. Er suchte Stellen, an denen er sich hoch ziehen konnte, um zu stehen, was noch nicht so oft gelang, so dass er krabbelnd auf allen Vieren auf dem Parkettboden unser Wohnzimmer erkundete. Naturgemäß gab es sehr viel zu erkunden. Seine Krabbelwege waren verschlungen. Er krabbelte unter unseren Wohnzimmertisch, er ergötzte sich an den herum stehenden Schuhen. Er nahm diese in seine Hände, aber abhalten musste ich ihn davon, die Schuhe in seinen Mund zu stecken. Ein ganz tolles Spielzeug war das Ladekabel des Handys. Überhaupt übten Kabel eine ungeahnte Faszination auf ihn aus. Ob Verlängerungsstecker, Netzkabel vom Laptop, das Kabel des Headsets oder das Ladekabel des Handys: das letztere war besonders handlich, der Durchmesser war klein, die Länge übersichtlich. Also ideal, um dieses vermeintliche Spielzeug in die Hand zu nehmen, es von allen Seiten zu betrachten und die Länge in Augenschein zu nehmen. Besonders faszinierend war die viereckige Buchse, womit man das Kabel in den Akku stecken konnte. Als er genau auf die viereckige Buchse zubeißen wollte, kam der große Moment des Frustes: man nahm ihm das Ladekabel weg und verfrachtete ihn an seinen Ausgangsort, wo all sein Spielzeug darauf wartete, betastet und befühlt zu werden. Das funktionierte eine Zeitlang, und dann ging das Spielchen von Neuem los, das Wohnzimmer zu erkunden und sich den unerlaubten Spielzeugen zuzuwenden.

29. September 2024
In der 39. Kalenderwoche hat sich der eine WG-Bewohner in der Werkstatt verletzt. Während seiner Arbeit hatte er auf seinem Stuhl gesessen, ihm wurde schwarz vor Augen und er stürzte auf den Boden. Daraufhin rief die Werkstatt einen Rettungswagen, im Krankenhaus wurde er untersucht. Er hatte eine Platzwunde an der Stirn, die geklebt wurde. Es konnte aber nichts weiteres festgestellt werden, so dass er nach Hause gefahren wurde. Ich traf ihn genau in dem Moment, als er nach Hause zurück kehrte. Am nächsten Tag fühlte er sich so viel besser, dass er wieder arbeiten ging. In der Dreier-WG hatte die Betreuerin des Schwagers angemerkt, dass sein Schreibtisch im Flur im Obergeschoss sehr lange Zeit herum stand, so dass dort nicht sauber gemacht werden konnte. Das war richtig, ich hatte den Schreibtisch im Winter vor der Geburt unseres Enkelkindes dorthin gestellt, danach hatte ich keine Zeit gehabt, ihn im Zimmer des Schwagers aufzubauen. Was meine Arbeitsrückstände betraf, erinnerte mich in der 39. Kalenderwoche das Finanzamt, die Steuererklärung zuzusenden. Bis zum 17. Oktober erhielt ich eine Verlängerungsfrist. Auch dies war anderen Dingen geschuldet, die mir wichtiger erschienen. Die Grundgesamtheit der zu erledigenden Arbeit war einfach zu hoch. In der 39. Kalenderwoche gelang es unserer Tochter, ihren Ausbildungsvertrag zu ihrem Arbeitgeber, den GFO Kliniken, zurück zu schicken. Rund drei Wochen hatte sie sich Zeit dafür gelassen – für eine Unterschrift und das Hineinstecken in einen großen Briefumschlag, was wir als eine viel zu große Verzögerung empfanden.
30. September 2024
Der letzte Urlaubstag war geprägt von einer Nervosität, weil ich befürchtete, Dinge unterbrechen zu müssen, wenn ich diese kurz vorher begonnen hatte. Nichts hatten wir wirklich in meinem Urlaub in Angriff genommen, vieles war zu zerstückelt, ein bißchen Küche putzen, die Kellertreppe saugen, Kartoffeln im Garten ausmachen, aber nicht vollständig; Berge von zu erledigenden Tätigkeiten hatten sich aufgetürmt, zu denen das strukturierte Vorgehen und der freie Kopf fehlte. Noch am Samstag hatten wir geplant, am heutigen Tag bei toom Besorgungen zu machen – welche, war mir nicht einmal ganz so klar. Dies erledigte sich aber am Montag von selbst, weil unsere Tochter lange schlief, ansonsten hätten wir unser Enkelkind in den Baumarkt mitnehmen müssen, worauf wir verzichteten (das Erlebnis wäre für unser Enkelkind bestimmt enorm gewesen). Dieser Nervosität lag wie ein Fluch über den ganzen Tag. Ich zog das Bettzeug von unserem Gästebett ab, später, nachdem es gewaschen war, überzog ich es neu. Wir haderten mit unserer Tochter, als sie aufgestanden war, dass wir das Late Night Shopping bei Möbel Porta nicht für ein neues Kinderbett für unser Enkelkind genutzt hatten (30% Rabatt hätte es auf alles gegeben). Anstatt dessen versuchte sie, über die Diakonie in Siegburg kostenlos an ein Kinderbett zu kommen. Kostenlos hatte sie den Kleiderschrank und die Wickelkommode bekommen, nun hatte sie eine E-Mail wegen eines Kinderbettes losgeschickt. Ihre Formulierung war aber im Eiltempo weniger höflich und weniger freundlich abgefasst, so dass in dem abgeschickten Tonfall nicht unbedingt mit dem Kinderbett zu rechnen war. Überhaupt arbeitete sie im Haushalt wenig mit, damit wir zusammen das Tagespensum erledigt bekamen – Wäsche waschen und so weiter. So lagen wild verteilt Kindersachen auf der Wickelkommode herum, so dass man sich bei den Anziehsachen unseres Enkelkindes nicht mehr zurecht finden konnte. Einen Misserfolg hatte ich beim Türschutzgitter zum Kinderzimmer: ich hatte es in den Keller abgestellt, doch es war mit 75 Centimetern zu breit, der Türrahmen maß lediglich 70 Centimeter. Nachdem das Enkelkind einen von uns bis in die Mittagszeit beschäftigte, bereitete meine Frau Pilze zu, die im Kühlschrank standen, mit Zwiebeln, Knoblauch und verschiedensten Gewürzen machte sie daraus eine Soße, dazu gab es Tortellini. Kurz vorher fütterte unsere Tochter ihren Sohn, und nach dem Mittagessen inklusive einer Tasse Kaffee schritt die Uhr bereits auf 14 Uhr zu. Danach drängten wir unsere Tochter, ihren für die Ausbildung vorzulegenden Personalbogen zu vervollständigen, was sie tat. Es fehlte noch die Versicherungsnummer der Krankenkasse, dazu holte sie ihre Versichertenkarte und schrieb die Versicherungsnummer ab. Kurz bevor sie zur Post losgehen wollte und zwei Briefe meiner Frau mitnehmen wollte, bemerkte meine Frau die Versichertenkarte auf unserem Esstisch, die allerdings zu ihrem Sohn gehörte. Tatsächlich hatte sie die Versicherungsnummer ihres Sohnes eingetragen, also musste den fertigen Briefumschlag wieder öffnen, den Personalbogen heraus holen und die Versicherungsnummer ändern. Als unsere Tochter gut unterwegs war zur Post, hätten meine Frau und ich nach toom fahren können, doch irgendwie unterließen wir es. Dass ich die Küche sauber machen sollte, war eine permanente Aktion, es gab aber auch zu viele Ecken und Winkel und Schmuddelecken in unserer Küche, überall hing irgend welcher Kleinkram herum. Wie lange unsere Tochter zur Post unterwegs war, das dauerte meiner Frau viel zu lange, zumal zwischendurch die beiden überlegt hatten, nach IKEA zu fahren. Zappelig und nervös wagte ich es nicht, in untätigen Minuten die restlichen Kartoffeln auszumachen oder Bohnen zu pflücken. Als unsere Tochter zurück kehrte, entwickelten sich die Dinge in eine komplett andere Richtung. Montags und donnerstags hatte der LIDL neue Angebote, an diesem Tag waren es Kindersachen. Also machten sich Frau und Tochter auf den Weg nach LIDL, wobei ich mich um unser Enkelkind kümmern durfte, das sich an vielen Stellen hoch ziehen wollte, gelegentlich mit dem ihm vertrauten Spielzeug spielte, aber diejenigen Dinge bevorzugte, die in seinem Umkreis standen, aber eindeutig keine Spielsachen waren – wie etwa Staubsauger, Schuhe oder Ladekabel fürs Handy. Als Frau und Tochter von den LIDL-Einkäufen zurück kehrten, war die Zeit bereits so fortgeschritten, dass an Abendessen zu denken war. Ursprünglich wollte ich die Soße vom letzten Samstag mit Nudeln zubereiten, daraus wurden dann Maultaschen mit Soße. Als das Essen auf dem Tisch stand, hatte ich wieder einmal nicht zugehört. Meine Frau hatte Stücke Hähnchenfleisch mitgebracht, die ich anbraten sollte und in die Soße mischen sollte. Ich hatte hingegen verstanden, das Hähnchenfleisch sollte nicht jetzt heute bei dieser Gelegenheit gebraten werden. Zu vieles war verquer an diesem Tag. Am Ende des Tages war ich froh, noch etwas für die Steuern erledigen zu können, dass ich vielleicht vor Ablauf der Frist Mitte Oktober dem Finanzamt die Steuererklärung würde übermitteln können.
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