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Tagebuch März 2022

1. März 2022


Als meine Frau ihre Arbeitsstelle beim neuen Arbeitgeber antrat, war die Auflösung des alten Arbeitsverhältnisses nicht ganz trivial. Eine Kollegin aus dem Hauswirtschaftsteam im Behindertenwohnheim hatte in die Pflege gewechselt, im Gegenzug war die Arbeitszeit der einen Kollegin erhöht worden, die einen überaus chaotischen Arbeitsstil hatte. Nun schied meine Frau aus, und um die Abgänge auszugleichen, waren zwei 450 Euro-Jobs zu besetzen. Weil bislang keine zwei neuen Kräfte gefunden werden konnten, akzeptierte der Arbeitgeber die Kündigung meiner Frau erst zum 1. April dieses Jahres. Das bedeutete Doppeltarbeit für meine Frau, nämlich die alte Tätigkeit im Behindertenwohnheim und die neue Arbeitsstelle in der Postagentur. Dabei zeigte sich ihr bisheriger Arbeitgeber dermaßen unflexibel, wie er nie gewesen war. Meine Frau hatte ihren Dienstplan für den Monat März so abzuarbeiten, wie sie ihn erhalten hatte. Sonst hatte es beim Dienstplan ständige Wechsel, Tausche und Änderungen gegeben, wann sie was zu tun und zu erledigen hatte. Nicht so in diesem Monat. Bei den Dienstplänen im Behindertenwohnheim und in der Postagentur gab es jede Menge Überschneidungen. Da die Kolleginnen auf den vorgegebenen Zeiten im Dienstplan beharrten, musste sich die Postagentur anpassen und ihre Dienstzeiten verschieben. Glücklicherweise zeigte sich ihr neuer Arbeitgeber flexibel. Ein Monat Anlernphase waren geplant.  Diese Anlernphase wurde nun auf diejenigen Zeitfenster verteilt, in denen die Kollegin, die meine Frau anlernte, ihre Schichten hatte.



2. März 2022


Das war allzu typisch für unsere Stadt. Aufgrund des neuen Arbeitsplatzes meiner Frau ergab es sich, dass sie heute von 14 bis 18 Uhr arbeiten musste. Mithin hatte ich einen Freiraum, das Haus ohne jegliche Diskussionen verlassen zu können, zum Beispiel um meinen Home Office-Arbeitsplatz kurzerhand in ein Café zu verlagern. Ich wählte das Café im Nachbarort, wo ich gerne Sonntags Nachmittags einen Kaffee getrunken hatte und ein Stück Kuchen gegessen hatte. Spontan entschlossen, fuhr ich mit dem Rennrad dorthin, und musste leider feststellen, dass ich ausgerechnet denjenigen Wochentag erwischt hatte, an dem das Café geschlossen hatte. Bei dem mageren Angebot an Cafés oder anderen Lokalitäten war ich ziemlich ratlos, wo man sich hinsetzen konnte, um einen Kaffee zu trinken. Ich hatte keine Lust umzukehren, und so fiel mir das Eiscafé am Marktplatz ein, das sogar geöffnet hatte. Unverkennbar war, dass ein Altenheim in der Nähe lag, weil draußen in der Sonne mehrere hoch betagte Personen saßen. Ich haderte mit unserer Stadt, weil sich in dem unansehnlichen Charakter des Marktplatzes niemand Mühe gab, Orte, Stellen und Plätze gemütlich herzurichten. Anstatt dessen wurde alles schöne abgerissen und es wurden einem klotzartige Gebäude vor die Nase geschmissen. So der Marktplatz in unserer Stadt, der ausschließlich als Parkplatz diente. Neben all dem Blech von Autos schaute man auf die nüchterne Fassade der Raiffeisenbank, auf Blumenkübel aus Beton, die der Eingrenzung der Parkfläche dienten, auf einen viergeschossigen Wohnblock und auf die blauen Verkehrszeichen mit einem weißen P, die auf den Parkplatz hinein- und hinaus wiesen. In dem Café hatte man aber einen WLAN-Zugang, das war nicht unwichtig für die Verlagerung des Home Office-Arbeitsplatzes. Mich an das äußere Erscheinungsbild unserer Stadt zu gewöhnen, das war mir stets schwer gefallen. Das Eiscafé mit dem WLAN-Zugang, der leise plätschernden Hintergrundmusik und der Möblierung in hellen Farbtönen von Holz schuf aber so etwas wie einen Ruhepol.  



3. März 2022


Die ersten Tage im neuen Jahr, an denen ich mit dem Rennrad ins Büro fuhr, gestalteten sich dann doch etwas ungemütlich. In der morgendlichen Frühe war es ganz schön frisch, es hatte gefroren und Rauhreif bedeckte die Vegetation. Es waren nicht die leichten, lockeren und lässigen Fahrradfahrten zur Entspannung, sondern die Fahrt strengte an wegen der kalten Temperaturen. In meine dienstliche Fleece-Jacke hatte ich mich eingepackt, ich trug dicke Fingerhandschuhe, die tief stehende Sonne schien genau ins Gesicht. Die Kraft fehlte der Sonne, Jacke und Handschuhe konnten die schlimmste Kälte abwenden, dennoch erstarrte der Blick in der Kälte. Ich wusste nicht so richtig, wohin ich schauen sollte, am besten auf das schmale Band des Fahrradwegs, damit der Fahrtwind nicht störte. Obschon die Sonnenstrahlen so richtig schön zwischen wuchtigem Geäst in der Siegaue hindurch sickerten, kam nur wenig Romantik auf. Der Rhythmus des Tretens war wie ein Uhrwerk, es war ein stetiges Abarbeiten der vor mir liegenden Strecke. Und obschon ich spürte, dass die Bewegung nach Monaten der Untätigkeit dem Herzen gut tat, dass es auf Touren kam und seinen Herzschlag der abzuarbeitenden Strecke entgegen setzte, fehlten die Akzente bei der Fahrradfahrt. Kaum etwas erregte meine Aufmerksamkeit, ich war beinahe alleine als Fahrradfahrer unterwegs, und selbst der Autobahnzubringer war trotz der Berufsverkehrszeit wie leer gefegt. Nicht besonderes war los vor der Autobahnauffahrt. Ich freute mich auf die Pause und die wärmende Tasse Kaffee in der Innenstadt.



4. März 2022


Gewissermaßen, suchte ich den gedrängelten Abläufen zu entkommen. Diesmal nahm unsere Tochter den Zug, um nach Dortmund zu fahren. Ich begleitete sie bis zum Bahnhof Köln Messe/Deutz. Wir zogen gemeinsam am Fahrkartenautomaten ein Einfach-Weiter-Ticket, womit sie zu ihrem Zielbahnhof nach Schwerte fahren konnte. Zwanzig Minuten mussten wir warten auf ihren Regionalexpress in Richtung Rheine, derweil studierte ich die Fahrpläne und erläuterte unserer Tochter, dass sie auf der Rückfahrt auf die Nummerierungen der S-Bahnen achten musste. Entweder die S12 oder die S19 konnte sie nehmen, beide hatten die Zielbahnhöfe Hennef, Blankenberg oder Au an der Sieg. Nachdem unsere Tochter in den RE7 eingestiegen war, wechselte ich auf eine langsamere Taktung. Diese Entschleunigung vom Alltagsstress mit vielen Terminen und gedrängelten Abläufen brauchte ich. Ich nutzte die weniger gedrängelte Taktung, um mich vor den Ausgang des Deutzer Bahnhofs zu begeben. Ich betrachtete das Denkmal an Nikolaus Otto und Eugen Langen, die in Köln den Verbrennungsmotor erfunden hatten, dessen wesentliches Element, der Kolben mit dem Rad, oben auf dem Denkmal aufgesetzt war. Ich sinnierte über den Verbrennungsmotor, der an dieser Stelle mit seinen Erfindern den Status eines Denkmals erhalten hatte. Jahrhundertelang symbolisierte er den technischen Fortschritt, aus einer mobilen Gesellschaft war er nicht mehr wegzudenken, und nun verteufelte man ihn, weil er maßgeblich zur Erderwärmung beitrug. Das Kohlendioxid war Schuld, dass er Platz machen sollte für den Elektromotor. Werte, die jahrhundertelang galten, waren mit einem Mal obsolet. Man konnte dies vielleicht analog betrachten zu den Glaubenssätzen der katholischen Kirche, denen durch die Reformation die Grundlagen entzogen wurde. Das Denkmal an Nikolaus Otto und Eugen Langen war bestimmt nicht das einzige, welches die technischen Errungenschaften anpries, die bei eingängiger Betrachtungen ambivalent und fragwürdig sein konnten. Während der Fahrt mit der S-Bahn und dem Linienbus genoss ich, wie langsam die Landschaft vorbei zog. So hatte ich in der S-Bahn und im Bus die Zeit, in der Autobiografie von Jochen Busse weiterzulesen – ein Vorhaben, das mir im üblichen Alltag nur äußerst selten gelang. Während ich die Passagen las, konnte ich mir einen Stillstand der Gedanken erlauben, das war ein sonst undenkbarer Zustand. Andere konnten noch so sehr über öffentliche Verkehrsmittel schimpfen, hier hatten sie ihre positiven Seiten. An diesem Tag hatte meine Frau Geburtstag, und sie hatte uns um 19 Uhr zum Essen im chinesischen Restaurant eingeladen. Zwei Freunde, unser Sohn und der Schwager mit dem anderen WG-Bewohner, wir hatten uns gemeinsam zusammen gefunden. Die Sitzordnung war Schuld, dass ich nicht so ganz den Gesprächen mit unseren beiden Freunden folgen konnte. Ich saß zwischen den beiden WG-Bewohnern, wo sich die Gespräche mehr um Fernsehsendungen und der Sehnsucht nach einem deutschen Kaiser drehten. Das Essen schmeckte allerdings vorzüglich, und so gegen 22 Uhr verließen wir allesamt das Restaurant.



5. März 2022


Es ist solch ein dumpfe Anspannung im Hintergrund, dass auf europäischem Boden ein Krieg tobt. Die Zerstörungen in Städten in der Ukraine nehmen zu, es fällt schwer hinzusehen bei den Fernsehberichten, die alles Leid schockierend und wirklichkeitsnah aufzeigen. Häuser werden zerbombt, Panzer sind auf dem Vormarsch, die Bevölkerung muss in U-Bahn-Schächten und in Kellern ausharren, Lebensmittel werden knapp. Die ukrainische Armee wehrt und verteidigt sich, der Präsident Selenski wird zum Helden des Widerstands. Die Ströme von Flüchtlingen werden größer, Endlosstaus haben sich vor den Grenzen zu Polen und der Slowakei formiert. Die Erzählungen aus dem Zweiten Weltkrieg, den unsere Eltern als Kinder selbst miterlebt hatten, werden nun siebenhundert Kilometer hinter der deutschen Grenze wieder lebendig. Das ist diese dumpfe Anspannung im Hintergrund, die das Alltagsgeschehen überlagert, obschon das Kriegsgeschehen mehr als eine Tagesreise mit dem Auto von uns entfernt liegt. Der Kopf ist nur schwer frei zu kriegen, um zur gewohnten Tagesordnung überzugehen. In kleinen Portionen verfolge ich die Berichterstattungen im Fernsehen, zu Hause reden wir wenig über den Krieg, mit Freunden so ungefähr nie. In weiten Teilen suchen wir ihn zu verdrängen. In den Kopf des russischen Präsidenten können wir nicht hinein schauen, es steht auch nicht in unserer Macht, den Kriegsverlauf beeinflussen zu können. Obschon wir nicht so riesig viel tun können, wie etwa die Aufnahme von Flüchtlingen, regt sich vielerorts Protest gegen die russische Kriegsmaschinerie. Die europäische Friedensordnung ist dahin – und dem sanften Protest haben sich die Kirchen angeschlossen. In mehreren Kirchen finden Friedensgebete statt. Dort wird die Möglichkeit geboten, die dumpfe Anspannung im Hintergrund zu kanalisieren, und sich zu artikulieren gegen Waffen und Panzer und gegen einen russischen Präsidenten, der sich keinen Millimeter bewegt.



6. März 2022


Mangelnde Bewegung, unzureichende Zahnpflege und die Schwierigkeit, die Augentropfen richtig zu verabreichen, führen dazu, dass der Schwager gesundheitlich gleich mehrfach beeinträchtigt ist. Er hat Probleme zu gehen, er muss sich einer Paradonthose-Behandlung unterziehen, weil sein Zahnfleisch zurückgegangen ist, und ihm die Augentropfen zu geben, ist nicht ganz trivial. Die Augentropfen müssen wirken, so dass er den Kopf nach der Verabreichung längere Zeit nach hinten lehnen muss. Sitzt er aufrecht, so laufen die Augentropfen nach unten wieder heraus. Am besten wäre die Verabreichung im Liegen, doch dies machen wir nie in dieser Form. Ich selbst achte so ungefähr nie darauf, dass der Kopf nach der Verabreichung eine Zeitlang nach hinten geneigt ist. Meine Frau mag dies besser kontrollieren, unter der Woche verabreicht das Rote Kreuz die Augentropfen. Jedenfalls hat der Augenarzt bei einem Termin zuletzt festgestellt, dass der Augeninnendruck viel zu hoch ist. Sofern die Augentropfen diesen nicht senken, wäre eine Operation unumgänglich. Meine Frau malte ein düsteres Szenario: es könnten Mehrfachoperationen beim Schwager anstehen, die durch das eigene Verhalten vermieden werden könnten. Eine Operation an der Hüfte und an den Augen, dazu die Paradonthose-Behandlung. Ein nicht wünschenswertes Szenario, bei dem der Schwager anscheinend kein Interesse zeigt, es zu vermeiden.



7. März 2022


Man könnte ihn treffend als Gutmenschen bezeichnen – wenn dieses Wort vom rechten Rand unserer Gesellschaft nicht als Schimpfwort gebraucht würde. Im Jahr 2016 war Rupert Neudeck in Troisdorf gestorben, 27 Jahre hatte er dort gewohnt. Zwei Jahre nach seinem Tod hat man ihm seine Geretteten ein Denkmal gesetzt – zu Recht. In Deutschland wohnende vietnamesische Bootsflüchtlinge haben einen Gedenkstein aus Bronze mit dem Relief seines Kopfes herstellen lassen, das Denkmal ist hinter den Mauern der Burg Wissem aufgestellt worden. Die Aufschrift auf dem Gedenkstein „weder furchtsam noch tollkühn“ beschreibt seine pragmatische Art der Hilfeleistung: nach Beendigung des Vietnam-Kriegs und der Wiedervereinigung Vietnams wurden Teile der Bevölkerung Süd-Vietnams politisch verfolgt, die auf dem Weg über das südchinesische Meer zu fliehen suchten. Als viele Flüchtlinge wegen des maroden Zustandes vieler Boote ertranken, gründete Neudeck 1979 gemeinsam mit Heinrich Böll und seiner Ehefrau Christel das Komitee „ein Schiff für Vietnam“ und stellte Rettungsschiffe wie die Cap Anamour bereit. Sein Ansatz der Hilfe war pragmatisch, er half, wo er konnte und rettete in den 1980er Jahren sehr viele Menschenleben, vor allem waren es Vietnamesen. Obschon das Wort „Gutmensch“ damals noch nicht in Gebrauch war, dürfte es treffend seinen Charakter beschreiben. Heutzutage haben Hilfeleistungen an Flüchtlinge hingegen einen zwiespältigen Charakter, da man stets abwertende Untertöne assoziiert. Alleine die Cap Anamur hatte 10.375 vietnamesische Flüchtlinge nach Deutschland gebracht, und heute bedarf es einer Vielzahl anderer Gutmenschen, um Bootsflüchtlinge auf den Fluchtrouten über das Mittelmeer zu retten.



8. März 2022


Die Hangelarer Heide, ein Ausläufer der Bergischen Heideterrasse, steht so ziemlich einsam und alleine mit ihrer Heidelandschaft. Ist die Wahner Heide rund um den Flughafen noch ein geschlossenes Naturschutzgebiet mit weiten Bereichen, wo auf sandigen Böden die Heidesträucher wachsen, so vereinzelt sich die Hangelarer Heide mit ihren 240 Hektar hinter der Siegaue. Büsche von Heide wird man hier kaum finden, und dennoch breitet sich in dem Areal zwischen dem Segelflughafen, der Stadtbahnlinie und dem Kloster eine große Artenvielfalt aus. Dieses Gelände senkt sich herab, und von dem Aussichtspunkt kann der Beobachter in eine Mulde hinunter schauen. Da diese Liegenschaften einst dem Kloster in St. Augustin gehört hatten, nennt sich dies Mulde auch „Missionarsgrube“. Dieser Muldencharakter hatte sich heraus gebildet, nachdem der Abbau von Ton, Sand und Kies eingestellt worden war. Dabei wurde ein gewisser Teil von Sand und Kies für den Autobahnbau der Autobahn A59 verwendet, ebenso für den Bau der Nordbrücke. So entstand aus sechs ehemaligen Gruben diese Mulde, wo sich feuchte Stellen auf undurchlässigen Erdschichten mit sandigen Böden abwechseln. In den Tümpeln fühlen sich seltene Amphibien heimisch wie etwa die Kreuzkröte oder der Kammmolch. Die Heide sprießt sporadisch, ansonsten überwiegen in dieser Mulde „artenreiche Magerweiden“, so wie Naturschützer dies in ihrem Fachjargon beschreiben. Die wohl kapriziöseste Pflanze ist die Heidenelke mit ihren purpurnen, fünfzähligen Blüten, die zwischen zehn und 40 Zentimeter hoch wachsen. Je nach Saison formt sie regelrechte Blumenfelder, die weithin als lilafarbene Tupfer sichtbar sind. Seltene Vogelarten wie der Goldammer, das Schwarzkehlchen, der Neuntöter oder gar Greifvögel wie der rote oder schwarze Milan nisten in Hecken und Gebüschen. In Summe wurden 150 gefährdete Tierarten nachgewiesen, so die Naturschützer. Wenn sich die grandiose Kulisse des Siebengebirges im Hintergrund erhebt, meint man, die Hangelarer Heide sei in eine pure Idylle der Natur eingebettet. Abseits der Hauptverkehrslinien der Autobahn A59 und der kommenden S-Bahn-Linie umfasst die Hangelarer Heide ein eigenes, geschütztes Stück Natur.  



9. März 2022


Am dreizehnten Kriegstag sieht das Szenario nicht so aus, als würde Russland die Ukraine überrollen und nach 2-3 Wochen an den Grenzen zu Polen, der Slowakei und Rumänien stehen. Daraus ließe sich ein positives Szenario für den Westen entwickeln, je länger der Krieg dauert. Derzeit kämpft die ukrainische Armee, sie verteidigt sich und sucht den russischen Vormarsch so weit zu verlangsamen, wie es ihr gelingt. Auf der Zeitschiene betrachtet, werden den geplanten 2-3 Wochen Kriegsverlauf wohl noch mehrere Monate, schlechtestenfalls auch Jahre folgen, es sei denn, Russland würde das Ziel, die ganze Ukraine zu erobern, aufgeben. Ein Stellungskrieg wäre denkbar, ähnlich wie auf französischem Territorium im Ersten Weltkrieg. Der Frontverlauf würde sich kaum verändern, die gegenseitigen Verluste wären immens. Das symbolträchtige Kiew wäre wohl erobert, aber ein Rest von vielleicht einem Drittel oder der Hälfte des Gebietes der Ukraine wäre nicht in russischer Hand. Mit solch einem Ergebnis könnte Russland kaum etwas anfangen, zumal nach einem Friedensschluss zu befürchten wäre, dass in der Rest-Ukraine die NATO direkt vor der Haustüre Russlands stünde, was ja eigentlich durch den Krieg verhindert werden sollte. Dieser Kriegsverlauf dürfte nicht unrealistisch erscheinen, aber was will ein russischer Präsident damit anfangen ? Soldatenfriedhöfe in der Ukraine dürften sich bei einem solchen Szenario ähnlich füllen wie diejenigen in Flandern oder in Nordfrankreich.



10. März 2022


Wer etwas von sich hält, umgibt sich mit Preisen, Trophäen und Auszeichnungen. Diese hängen in einer Lounge an der Wand, wo es sich gut arbeiten läßt. Oder vielmehr: gezwungenermaßen muss ich dort arbeiten, weil Impfnachweise kontrolliert werden, um zum Büroarbeitsplatz zu gelangen. Diese Impfnachweise werden in einer sogenannten Mitarbeiter-App hinterlegt, dessen Installation bei mir fehlgeschlagen ist. So gelange ich über die Zutrittsschranke tatsächlich nicht zu meinem Büroarbeitsplatz, so dass ich mich in der Lounge mit der Ecke, wo all diese Preise, Trophäen und Auszeichnungen hängen, nieder gelassen habe. In meinem Rucksack habe ich all das mitgenommen, was ich zum Arbeiten so brauche, namentlich Laptop, Maus und Netzkabel. In dieser Nische und dieser Ecke bin ich ungestört. Vereinzelt tappsen Arbeitskollegen vorbei, ganz selten gesellen sich andere Kollegen in diese Lounge und diskutieren miteinander. Die Preise, Trophäen und Auszeichnungen begleiten mich bei meinem Schaffen. Sie arrangieren ein positives Denken, was gelungen ist in der Firma. Wo die Dinge gut laufen als Anerkennung an die Mitarbeiter, die so etwas wie Stolz entwickeln können für die eigene Firma. Die Atmosphäre stimmt für die Tagesarbeit, ich schreite voran bei den Dingen, die ich abarbeiten möchte.



11. März 2022


Je älter man wird, um so schwächer werden die Narrative. Neulich, als ich in der Bäckerei in der Innenstadt einen Kaffee trank, erzählte ein Mann, der nicht viel älter war als ich, einer Mitarbeiterin der Bäckerei von einem Termin zur Untersuchung seiner Schilddrüse, den er in einem nahen Ärztezentrum wahrnehmen musste. Es war ein regelmäßiger Termin, da die Untersuchung in regelmäßigen Zeitabständen anstand. Was Herz oder Zähne betrifft, habe ich selbst solche regelmäßigen Termine. Ich dachte an die Autobiografie von Jochen Busse, in der er ausführte, dass auch ältere Schauspieler Rollen bekämen. Sie würden aber mit zunehmendem Alter immer seltener, da die Handlungen in Fernsehstücken oder im Theater oft die Mitte des Lebens beträfen und weniger die Lebensphase als Rentner. Dies wurde mir bewusst, als der Mann, nicht viel älter als ich, von seiner Schilddrüse erzählte. Mit Krankheiten ist es wie mit dem Krieg, dem Tod oder anderen Katastrophen: die Narrative werden schwächer, weil nicht alle hinhören. Krank sein bedeutet, nur eingeschränkt am Leben teilnehmen zu können, älter werden, dass die Fähigkeiten und Potenziale nachlassen. Möglicherweise war der Mann, der von seiner Schilddrüse erzählte, auch wenig bis gar nicht eingeschränkt. Die Mitte des Lebens war aber definitiv vorbei, und bei Erzählungen über Krankheiten war ich dazu geneigt, wegzuhören.


12. März 2022


Auf den letzten Drücker ist es unserer Tochter gelungen, einen Platz für ihr Praktikum zu erhalten. Dabei waren ihre Versuche über Monate hinweg erfolglos. Sie interessierte sich für soziale/medizinische Berufe, am liebsten hätte sie ihr Praktikum in einem Kindergarten, beim Hausarzt oder Kinderarzt oder im Behindertenwohnheim gemacht. All diese Nachfragen blieben erfolglos, wegen Corona, weil bei den hohen Infektionszahlen eine Praktikantin ein zusätzliches Risiko dargestellt hätte. Diese vergeblichen Nachfragen waren bereits mehr als vier Wochen alt, die Zeit lief für die Praktikumssuche davon, allerdings war unsere Tochter nicht die einzige Schülerin ohne Praktikumsplatz. Da fiel uns ein, im Friseurladen unserer Friseuse nachzufragen. Friseur war ein Berufsbild außerhalb der sozialen/medizinischen Berufe, dem unsere Tochter nicht abgeneigt war. Als ich selbst im Friseurladen nachfragte, war das Ergebnis positiv: die Inhaberin des Ein-Mann-Betriebs war bereit, unsere Tochter ein Praktikum absolvieren zu lassen. Eine Woche vor Beginn des Praktikums hatten wir einen Platz gefunden, das war auf den letzten Drücker. Der Rest war Formsache: unsere Tochter benötigte eine schriftliche Bestätigung für die Schule, die beiden vereinbarten, dass das Praktikum nächsten Dienstag beginnen würde, genaue Details zu den Arbeitszeiten würden mündlich noch vereinbart. Wir wünschen unserer Tochter viel Erfolg und viel Spaß beim Praktikum !



13. März 2022


Wenn man bilanziert, welche Schäden der Krieg in der Ukraine bei uns und demgegenüber in Russland anrichtet, so kommt man ins Grübeln. Bei uns lässt sich der Zorn des Volkes durch die hohen Spritpreise genau quantifizieren, demgegenüber sind die Aussagen von Russen, dass sich westliche Handelskonzerne aus Russland zurück ziehen, eher schwammig. H&M, andere Modeketten oder Mc Donald’s boykottieren Russland und schließen ihre Filialen. Daraus läßt sich eine Diskussion ableiten, ob unsere westlichen Werte so richtig sind. Russland wendet sich vom Westen ab, es wird nicht nur unser Modell der Demokratie in Frage gestellt, die westlichen Werte von Textilketten oder Mc Donald’s dürften in der Tat fragwürdig sein. So antwortete ein Russe kurzer Hand, was er denn tun würde, wenn er bei Mc Donald’s seinen Hamburger nicht mehr essen könne, dass er gerne Nahrungsmittel aus dem hiesigen Anbau verspeisen würde, diese seien ohnehin nahrhafter als die mit Geschmacksverstärkern aufgepeppten Speisen von Mc Donald’s. Mit dieser Aussage dürfte er unstrittig Recht haben. Dieser Rückzug westlicher Konzerne aus Russland dürfte mithin weitaus weniger greifbar sein als die gestiegenen Spritpreise hierzulande. Auf Bekleidung von H&M oder Speisen von Mc Donald’s können Russen gut verzichten, höhere Spritpreise spüren Autofahrer direkt in ihrem Geldbeutel. Mithin könnte man meinen, dass der russische Präsident am längeren Hebel sitzt, was irgendwelche Wirtschaftssanktionen betrifft.



14. März 2022


„Ich bin die Auferstehung und das Leben, wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er gestorben ist“, so lautete die Aufschrift auf dem Kreuz, das der Pastor gleichzeitig bei der Beerdigung zitierte. Beerdigungen sind stets etwas bedrückendes, wie die Biografie und ein erfülltes Leben in einem Sarg enden. Wie der Tod über alledem steht und an die Momente ermahnt, sie bewusst zu leben und zu erleben. Der Sarg verschwand in der Erde, die Worte des Pastors gaben diesem traurigen Ereignis die gebührende Ehre. Die sterblichen Überbleibsel der Verstorbenen wurden an die Erde zurück gegeben. Ich war zur Beerdigung einer Tante im Nachbarort meiner Eltern. In der Messe waren wir wegen der Abstandsregelungen, die in den Sitzbänken nicht einzuhalten waren, regelrecht verscheucht worden. Nach der Messe war der Weg zum Friedhof ziemlich weit, was für unsere Mutter mit ihrem Rollator ein gewisses Problem darstellte. Auf dem Friedhof erdrückte einen die Beobachtung, dass wir alle als Menschen früher oder später auf einem Friedhof begraben werden würden. Der Begräbniskaffee, der in einem Restaurant an einem See mitten im Wald statt fand, war eine glückliche Fügung der Sitzordnung. An dem Tisch, wo die Mama und mein Bruder saßen, setzte sich ein sehr guter Bekannter, den ich aus der Schützenbruderschaft kannte, zu uns. Wir hatten uns bestimmt 20 Jahre nicht mehr gesehen, so dass wir uns jede Menge zu erzählen hatten. Die rege Unterhaltung fand dann allerdings ein jähes Ende, weil ich mit öffentlichen Verkehrsmitteln angereist war. Um 13.07 Uhr musste ich den Zug erreichen, um die Zeitschiene zu halten. Ich musste mit unserem Auto noch in die Werkstatt, meine Frau war nachmittags arbeiten, unsere Tochter musste um 17 Uhr mit dem Bus bei ihrer Psychotherapeutin sein. Dazwischen musste ich mit dem Fahrrad vom Bahnhof in Troisdorf nach Hause fahren. Beerdigungen sind höchst ambivalent. Einerseits ist der Anlass äußerst traurig, andererseits ergeben sich wertvolle Momente des Wiedersehens.



15. März 2022


Seitdem Krieg in der Ukraine geführt wird, hört man nichts mehr von Corona. Das Kriegsgeschehen mitten in Europa überlagert alles andere. Das heißt nicht, dass Corona verschwunden ist, im Gegenteil. Die Inzidenzzahlen liegen so hoch wie nie zuvor. Besonders eklatant sind die Ausbrüche von Corona im Behindertenwohnheim. Bezogen auf das gesamte Wohnheim, hat sich die Hälfte der Bewohner mit Corona infiziert. In einer Gruppe sind sogar alle Bewohner infiziert – mit einer Ausnahme. Anteilig gilt dies für die Betreuer, so dass ein normaler Betrieb nicht mehr aufrecht erhalten werden kann. Es wird sich weniger um die Bewohner gekümmert, von denen einzelne auch schwerere Symptome haben, obschon alle Bewohner geimpft und geboostert sind. Zweimal pro Woche werden alle Bewohner getestet, davon musste sich meine Frau in dieser Woche einem PCR-Test unterziehen. Dieser ist aber glücklicherweise negativ, ansonsten wären die Auswirkungen etwas komplizierter gewesen. Meine Frau hätte sich in Quarantäne isolieren müssen, dies ist uns erspart geblieben.


16. März 2022


Dass wir Sprit einsparen, dazu leistet unser Auto seinen Beitrag. Es steht nämlich in der Werkstatt. Bei unseren Wocheneinkäufen am letzten Wochenende bekam ich keinen Gang mehr geschaltet, mit Mühe und Not und sehr viel Kraft bekam ich den zweiten Gang eingelegt. Ohne den zweiten Gang heraus zu nehmen, fuhr ich unser Gefährt in die Werkstatt. Diese stellte fest, dass die Kupplung kaputt war, wozu die Reparatur dauerte. Getriebe ausbauen, neue Kupplung bestellen, Kupplung ausbauen, neue Kupplung einbauen, Getriebe wieder einbauen, die Anzahl der Arbeitsgänge ließ die Reparatur dauern. Erst zu Beginn der nächsten Woche hätten wir damit zu rechnen, dass die Reparatur fertiggestellt sein würde. So lange konnten wir unseren geänderten Rhythmus beibehalten, dass wir all die Fahrten mit dem Auto anderweitig erledigten, vor allem mit dem Fahrrad. Für einige Fahrten nahmen wir den Bus, alles in allem sparte dies einigen Sprit, der mittlerweile unbezahlbar war. Wir hatten uns wegen der explodierten Spritpreise ohnehin angewöhnt, sämtliche Besorgungen im Ort mit dem Fahrrad zu erledigen. Nun, so lange unser Auto in der Werkstatt auf die Reparatur wartete, verlagerten wir unsere Mobilität komplett aufs Fahrrad und in öffentliche Verkehrsmittel.


17. März 2022


Wenn die Zierkirschen blühen, dann der steht der Frühling unweigerlich vor der Haustüre. Dieser Frühling ist in diesen Tagen nicht mehr abzuwenden, obschon es heute Morgen geregnet hat und danach stark abgekühlt ist. In der nächsten Nacht soll es frieren – den Zierkirschen wird dies nichts anhaben können. Vielerlei Gesträuch blüht am Wegesrand, inmitten der noch vielerorts kahlen Natur belebt dieser Weckruf der Natur aus der dunklen Jahreszeit. Aus diesem Gesträuch stechen die rosanen Blüten der Zierkirschen besonders intensiv hervor. In unregelmäßigen Abständen begegnet man ihnen an der Rheinuferpromenade, wo sie Zeichen des Frühlings setzen, die Menschen ins Freie locken und die Rheinpromenade beleben. Sie sind Vorboten einer sich in der Stadt ausbreitenden Kirschblüte, die in einigen Wochen ganze Straßenzüge erfasst haben wird und Touristen aus der ganzen Welt anlocken wird. So war es zumindest in den Zeiten vor Corona, dass Straßenfeste gefeiert wurden und die Kirschblüte zu einem Top-Event in der Stadt ausgerufen wurde.



18. März 2022


In diesen Tagen des Krieges in der Ukraine klammert man sich am Frieden. So verknüpfte die ARD-Sendung Panorama gestern Abend den Krieg in der Ukraine mit den Erlebnissen unserer Eltern, die als Kinder den Zweiten Weltkrieg erlebt hatten. Der Alltag spielte sich in Bunkern und Kellern ab, unsere Eltern lebten in Angst vor Fliegeralarm und Bombenabwürfen, Kriegstote gehörten zum Alltagsgeschehen. Die Not war groß, um an Essen heran zu kommen. Unter anderem erzählte das Magazin Panorama über Leichen, die Kinder nach einer Bombardierung von Hamburg gesehen hatten, die Phosphorbomben verursacht hatten. Die heute Ü80-jährigen konnten die Geschehnisse aus dem Zweiten Weltkrieg nur unter Weinen erzählen. Dieser Kriegsalltag wurde mit demjenigen in Mariopul oder in Charkiw verglichen. Es sind auch die Erzählungen unserer Eltern, die bewirken, dass eine kollektive Kriegsangst umgeht, ein Trauma, dass solch ein Krieg auch bei uns ankommen könnte. Kollektiv fühlen wir mit, was in der Ukraine geschieht. Wir können nicht viel gegen die übermächtige russische Armee ausrichten, aber wo es geht, sind wir solidarisch. So haben wir auch die Kleinsten beim Bitten um den Frieden einbezogen. Eine Mutter aus dem Behindertenwohnheim hat mit ihrer 2-jährigen Tochter diese Friedenskerze gebastelt. Für zwei Euro werden diese Friedenskerzen verkauft, und der Erlös geht an die Ukraine.



19. März 2022


Wenn ich auf die Dimensionen schaue und auf die gigantischen Rauchwolken, die aus den Kühltürmen entweichen, dann kommen mir Kraftwerke wie wahre Monster vor. Sie sind unnatürlich, deformiert, entfremdet im Sinne von Marx, weil das, was hergestellt wird, in einer nicht gegenständlichen Form vom Verbraucher abgenommen wird. Kraftwerke sind eine Form von Industriebauten, die in der nackten Form als Strom-Fabrik isoliert in der Landschaft stehen und als Ansammlung von Braunkohlekraftwerken die niederrheinischen Tiefebene prägen. Rasch schlägt einem die Aversion entgegen, weil es Braunkohlekraftwerke sind, Klimakiller, Zankapfel in der Politik, Objekt des Kohleausstiegs. Niemand will solch einen Klotz vor seinem Heimatort stehen haben, aber alle wollen eine sichere und zuverlässige Stromversorgung. Bei der Vorbeifahrt vom Zug aus verlieren die deformierten Strukturen ihre abstoßende Kraft, weil man sie aus der Distanz betrachtet. Ein Realitätssinn stellt sich ein, woher soll der Strom denn sonst kommen ? Atomenergie will niemand haben, Kohle sowieso nicht, Windenergie ja, aber da hat man dasselbe Problem im Kleinen, dass niemand Windräder vor der eigenen Haustüre haben will. Eine Akzeptanz stellt sich ein, es geht nicht ohne Braunkohlekraftwerke. Mit diesen Kolossen von Niederaußem, Neurath und Weisweiler haben wir leben gelernt, dass wir uns damit arrangieren und nicht unbedingt wie ein Feindeslager bekämpfen wollen. Die Zugfahrt federt die Dramatik seicht ab und relativiert die Begriffe von Klimakillern und Kohleausstieg.



20. März 2022


An diesem Sonntagnachmittag bekamen wir seit längerer Zeit auf die Reihe, einen Kaffee zu trinken und ein Stück Kuchen zu essen. Da unsere Tochter freitags und samstags den theoretischen Unterricht in der Fahrschule besucht hatte, entfiel die Fahrt nach Dortmund. Dadurch waren wir etwas freier in der Gestaltung, zumal ihr Freund in Dortmund blieb und sie nicht besuchte. So fuhr ich am Sonntag Nachmittag mit dem Schwager ins Café im Nachbarort, wo wir die Gelegenheit nutzten, ein paar Meter zu Fuß zu laufen. Auf dem Parkplatz am Rhein hatten wir geparkt, und wie des öfteren, war der Kinderspielplatz sehr belebt. Das trübe Wetter und der kräftige Wind hatte die Familien nicht vom Spielplatz abgehalten. Obschon es nicht regnete, war der lausige Wind ungemütlich. Die Kinder tummelten sich allenthalben, sie schaukelten, turnten, hoppsten, sprangen, rutschten, kreischten und zeigten eine unermüdliche Ausdauer. Familien standen eng beisammen, der Rhein floß träge im Hintergrund dahin, und die paar Meter zu Fuß erstreckten sich vom Parkplatz vorbei am Kinderspielplatz, dann bogen wir nach links weg abgewandt vom Rhein eine leichte Anhöhe hinauf. Es war eine Zeitlang her, im November letzten Jahres, dass wir dieses Café das letzte Mal besucht hatten. Nun war es wieder so weit. Eine heiße Tasse Kaffee und ein leckeres Stück Kuchen sollten auf uns warten.



21. März 2022


Gesichter kann ich mir ja nicht gut merken, trotz unserer drei Kinder, bei denen wir in deren Kindergartenzeiten Eltern in großer Anzahl kennen gelernt hatten, genauso in deren Schulzeiten an unterschiedlichen Schulen. So mag es in Alltagssituationen Gesichter geben, die ich nicht wiedererkenne, weil die Begegnungen mit ihnen viel zu lange zurück liegen so dass ich nicht weiß, wo ich diese Gesichter hinstecken soll, obschon ich freundlich und nett gegrüßt werde. Bei meiner Frau ist dies grundlegend anders. Sie hat nicht nur die bessere Merkfähigkeit, etliche Begegnungen dürften auch häufiger und intensiver gewesen sein. Solche Begegnungen mit Personen aus früheren Lebensphasen, die mit unseren Kindern zusammenhängen, sind nun häufiger geworden, seitdem meine Frau ihre neue Arbeitsstelle in der Postagentur in unserem Ort angetreten hat. So ist die Mutter einer früheren Klassenkameradin unserer ältesten Tochter aus der Grundschule am Postschalter aufgekreuzt, die Nachbarin der Doppelhaushälfte uns gegenüber oder eine ältere Dame, wohnhaft in der Nähe der Kirche, mit der meine Frau gerne über unsere Kinder gequasselt hat. Ganz viele Kontakte am Postschalter bereitet Ebay, wo ständig Pakete und andere Postsendungen weggeschickt werden. Und Retouren, die eigentlich ein Übel darstellen und dem Gedanken der Nachhaltigkeit vollkommen widerlaufen. Zeit zum Reden mit all diesen interessanten Personen – von denen manche allerdings auch unangenehm und patzig sein können – ist leider nicht so riesig viel, da meine Frau die nächsten Kunden wegen eines Plausches nicht warten lassen kann. Dennoch ist der persönliche Kontakt wertvoll, das Gesicht wieder gesehen zu haben, und dass der oder die andere weiß, dass meine Frau ab sofort am Postschalter anzutreffen ist.



22. März 2022


Der Mann mit dem Liegefahrrad und dem Hund sollte sich für die Regalbretter interessieren, die wir eigentlich an den Sperrmüll stellen wollten. Die Regale und Regalbretter stammten von unserem WG-Bewohner, der psychisch krank war, der zwischendurch in der LVR-Klinik eingewiesen worden war und nun in einer neuen WG in Bad Breisig, wo man sich um solche psychisch kranken Bewohner kümmerte, untergekommen war. Bruder und Schwester hatten sich darum gekümmert, den Hausrat mit einem Transporter abzutransportieren. Es waren Reste in Kartons übrig geblieben, die entsorgt werden sollten, und Regale und Regalbretter, wozu wir einen Interessenten gefunden hatten, der diese Bretter für ein Gartenhäuschen verbaut haben wollte. Dieser Interessent sollte sich als Glücksfall herausstellen. Einerseits wollte er einen Großteil der Regale und Regalbretter mitnehmen – zu einem späteren Zeitpunkt, wenn ihm sein PKW zur Verfügung stehen würde. Andererseits half der Mann mit dem Liegefahrrad und dem Hund mit, all diejenigen Regale plus Bretter, die er nicht gebrauchen konnte, in die Garageneinfahrt zum Sperrmüll heraus zu tragen. Zwischendurch erzählte er davon, dass er einst Leistungssportler gewesen war, bis hin ein Rückenleiden gezwungen habe aufzuhören. Im Dorf kenne man ihn allgemein wegen seiner markanten Erscheinung mit dem Liegefahrrad und dem Hund. Er erzählte uns auch, dass er bei einem der Dorftrödel eine Leiter bei uns gekauft hätte. Daran konnte ich mich nicht mehr so genau erinnern, und er erzählte weiter, dass er mit dieser Leiter die Dachrinne sauber gemacht hätte. Die Leiter sei zweiteilig gewesen und damit gut geeignet gewesen, sie an der Häuserfront aufzustellen. Jemand anderes hätte sie unten festhalten müssen, und auf der Leiter hätte er sich dann sicher gefühlt. So bekamen wir ohne Mühe und großen Zeitaufwand in die Garagenzufahrt gestellt, was über den Sperrmüll zu entsorgen war. Dabei hatte der Mann mit dem Liegefahrrad maßgeblich mitgeholfen.



23. März 2022


Es ist erstaunlich, wie sehr wir in banalen Lebenssituationen durch Quizsendungen geprägt sind. Diese haben im Fernsehen einen immer größeren Raum eingenommen – allen voran Quizmaster wie Kai Pflaume oder Jörg Pilawa. Daran scheinen Fernsehzuschauer Gefallen gefunden zu haben, so sehr, dass sie es sich wünschen, in ganz banalen Lebenssituationen ihren Wissenshorizont in der Form eines Quiz zu erweitern. Dies betrifft vor allem die Plakatwerbung im öffentlichen Raum, zum Beispiel in U-Bahn-Haltestellen. Wo die Warterei auf die nächste U-Bahn lästig ist, wo die Hineinguckerei auf leblose Wandkacheln langweilig ist und wo das Design von U-Bahn-Haltestellen steril wie in einem Krankenhaus ist, da helfen die Plakatwände ein wenig, die Zeit bis zur nächsten U-Bahn-Einfahrt tot zu schlagen. Irgendwelche Promi-News laufen wie ein Film ab, der Betrachter wird mit Informationen berieselt, mit denen er wenig anfangen kann. Nützliches und unnützliches von Werbung bis zu lokalen Impfterminen müssen die Wartenden über sich ergehen lassen, da freut man sich über werthaltige Informationen in Form eines Quiz, welches den eigenen Wissenshorizont erweitert. Denkt man an die Kacheln der Wissensgebiete in der Sendung „wer weiß denn so was“ mit Kai Pflaume, so entstammt diese Wissensfrage der Kategorie „Film“. Der Passant kann sich aufschlauen zu Alfred Hitchcock-Filmen. Filme wie „das Fenster zum Hof“ oder „die Vögel“ gehören zu den Spielfilm-Klassikern. Die Quizfrage über dem Treppenaufgang zur U-Bahn-Haltestelle „Bad Godesberg Bahnhof“ dreht sich um den Hitchcock-Film „bei Anruf Mord“. Hätten Sie gewußt, ob der Film im Jahr 1954 produziert wurde  a) ohne Ton  b) in 3D  oder c) an einem einzigen Tag ? Wenn wir in unserem Fernsehen Kai Pflaume oder Jörg Pilawa schauen, so nehme ich im Berieselungsmodus des Fernsehprogramms die Antworten nicht immer wahr. Es fragt sich aber auch, ob eine solche punktuelle und fragmentierte Wissensvermittlung richtig und sinnvoll ist.



24. März 2022


Ein Arzttermin mit diversen Widersinnigkeiten und Dingen, die ich nicht ganz verstand. Ursprünglich war es ein Routinetermin beim Hausarzt, wo mir alle drei Monate Blut abgenommen wurde und ein paar Tage später die Cholesterinwerte besprochen wurden. Diesmal war das Blutbild auffällig: die Grenzwerte der roten und weißen Blutkörperchen waren unterschritten, außerdem waren die weißen Blutkörperchen zu groß. Dies deute auf einen Mangel an Folsäure und an Vitamin B12 hin, der zu niedrige Wert könne auch mit einem zu hohen Alkoholkonsum zu tun haben. Das Thema, zu wenige rote und weiße Blutkörperchen im Blut zu haben, hatten wir bereits. Das war im Dezember letzten Jahres. Der Hausarzt hatte dies begründet mit der Morbus-Crohn-Erkrankung, weil ich über den Stuhlgang Blut verloren hatte. Gegen den Morbus Crohn nahm ich nunmehr Tabletten, so dass der Stuhlgang frei von Blut war. Bei einer Messung der Blutwerte im Januar diesen Jahres waren die Blutwerte dann auch wieder in Ordnung gewesen. Mit der Aussage, es könne an fehlender Folsäure, fehlendem Vitamin B12 oder zu viel Alkohol liegen, wusste ich gar nichts anzufangen. Warum ausgerechnet jetzt ? Folsäure hatte mit ausgewogener Ernährung zu tun, bei uns waren auch Gemüse und Vitamine dabei. Alkohol hatte ich gefühlt weniger getrunken, weil ich abends schnell platt und müde war. Die Cholesterinwerte waren diesmal vollkommen in Ordnung. Die Hausärztin empfahl allerdings, eine andere Zusammensetzung der Tabletten gegen das Cholesterin zu nehmen. Die Cholesterinwerte seien gut und im Zeitverlauf gesunken, die anders geartete Zusammensetzung könne aber bewirken, dass das Cholesterin noch weiter zu senken. Das erinnerte mich an Diskussionen während meiner Reha, dass die Richtwerte alle paar Tage nach unten angepasst worden waren. Da dürften auch Interessen der Arzneimittelindustrie dahinter stecken, durch möglichste niedrige Zielwerte den Absatz von Tabletten zu steigern. Es war nicht von der Hand zu weisen, dass ich in einen Kreislauf hinein geraten war, was die Einnahme von Tabletten, das Gleichgewicht des Körpers, Wechselwirkungen von Tabletten, eigene Ernährungsgewohnheiten und Störungen des Gleichgewichts betrafen. Die Idee der inneren Harmonie und des inneren Gleichgewichts war abhanden gekommen. Sport, der mir so viel bedeutet hatte, betrieb ich nur noch in einer moderaten Form, wie es die Kardiologen empfohlen hatten. Der nächste Punkt, der bei dem Arzttermin Diskrepanzen aufzeigte, war die Dosierung der Tabletten gegen Morbus Crohn. Beim Hausarzt war eine Dosierung von 3x25 Gramm pro Tag hinterlegt, ich nahm aber 3x50 Gramm pro Tag, also die doppelte Dosierung. Etwas schriftliches lag der Hausärztin allerdings nicht vor. Mir selbst hatte der Gastroenterloge die Dosierung auf einen Zettel aufgeschrieben. Wo der Zettel war, das wusste ich auf Anhieb nicht. Ich sollte einen Termin beim Gastroenterologen machen, um die richtige Dosierung zu klären. Der letzte Punkt, der bei mir Unverständnis erregte, war die Impfung gegen Covid19. Nicht, dass ich den Sinn anzweifelte. Bei mir war es so, dass die Erstimpfung mit Johnson & Johnson nicht mehr als Impfung gezählt wurde, so dass eine weitere Auffrischungsimpfung mit Biontech notwendig wurde. Ich bekam aber nicht den auf Omikron angepassten Impfstoff verimpft, was ich für sinnvoll gehalten hätte. Die Hausärztin rechnete nicht mehr damit, dass der auf Omikron angepasste Impfstoff im Laufe dieses Jahres noch kommen würde. Das hielt ich für skandalös. Das Corona-Virus würde weiter mutieren, und mit jeder Mutation würde es sich weiter vom Ursprungsvirus entfernen und den Impfschutz umgehen, so dass die Impfung nichts mehr bringen würde. Die Verantwortlichen drohten, sich in eine gefährliche Situation zu manövrieren. Bereits jetzt grollte eine unterschwellige Wut in mir auf, dass die Verantwortlichen diese Entwicklung verpennen würden und monatelange Lockdowns die Konsequenz sein könnten. Als ich die Praxis der Hausärztin verließ, hatte ich ein wenig zufriedenstellendes Gefühl. Viel Unverständnis mündete in eine Ungewissheit, was genau zu tun war und wie ich meinen noch fitten Gesundheitszustand erhalten konnte.   


25. März 2022


Tag 30 seit dem Kriegsbeginn in der Ukraine, und langsam keimt ein klein bißchen Optimismus auf, dass die Ukrainer ihre Stellungen halten können. Wenngleich die Bilder der Zerstörung aus Mariopol oder Charkiw immer noch schrecklich sind, genauso schrecklich wie das Schicksal all der Einwohner, insbesondere dann, wenn sie eingeschlossen sind in Keller oder Bunker und den Bombardierungen nicht entkommen können. In all diesem Leid scheinen die Solidaritätsbekundungen zu helfen – so wie auf dem Platz der Vereinten Nationen. „We stand with Ukraine“, obschon wir von der Ferne aus nicht viel gegen russische Panzer ausrichten können, erleichtert die Solidarität mit der Nation im Verteidigungskrieg. Russland behauptet zwar, dass die Spezialoperation nach Plan verläuft, aber wenn man versucht, die Lage zu objektivieren, scheint die Spezialoperation alles andere als nach Plan zu verlaufen. Im Süden entlang der Schwarzmeerküste hat Russland einiges Terrain erobert, die Angriffe auf strategisch wichtige Städte wie Kiew oder Charkiw sind zurückgeschlagen, die Regierung ist nicht gestürzt, die Ukrainer haben indes Gegenoffensiven gestartet und Gelände zurück gewonnen. Dass Russland die Ukraine in einem Blitzkrieg überrollt hat, das ist definitiv nicht der Fall. Dass die beiden Kriegsgegner sich in einem Stellungskrieg aufreiben, das ist weiterhin denkbar. Das verschafft eine gewisse innere Ruhe. Die dumpfe Anspannung und die unterschwellige Angst, dass auf europäischem Boden ein Krieg tobt, haben nachgelassen. Russland hängt seinen Zielen in der Ukraine hinterher und reibt sich auf. Das klingt zynisch: je mehr russische Soldaten getötet werden und je länger der Krieg dauert, um so mehr schwindet die innere Angst, dass der Krieg auch bei uns ankommen könnte. We stand with the Ukraine.



26. März 2022


In diesen Tagen, im Einkaufszentrum HUMA, scheint es mehr als unverständlich, dass sich Russland von den Konsumwelten des Westens abwenden will. Russland kehrt dem Westen den Rücken zu, es lehnt die westlichen Werte ab und favorisiert einen totalitären Staat, der ein Warenangebot und einen Konsum nach westlichem Vorbild für nicht notwendig erachtet. Ich selbst habe den Konsum gerne in Frage gestellt, doch die Verhältnisse haben sich nun verschoben. Wir haben heute im Kramladen „Nanu-Nana“ im Einkaufszentrum HUMA, der das Einkaufen mit Glück verbindet, herum gestöbert. „Wer glaubt, dass man Glück nicht kaufen kann, der war noch nie bei Nanu-Nana. Suchen. Stöbern. Finden.“ Dieser Spruch ist an die Wand hinter der Kasse gepinselt. Einen Rucksack haben wir dort für den Schwager gefunden. Sein Rucksack, in dem er seine Brote und Mineralwasser für seinen Arbeitstag in der Werkstatt mitnimmt, ist verschlissen. Wir empfinden es als Glück, für ihn einen neuen Rucksack gefunden zu haben. Russland wird sich beim Konsum isolieren, Geschäfte, die westlichen Ketten angehören, werden Russland meiden. Das Glück, das sich im Konsum finden läßt, werden russische Geschäfte neu aufbauen müssen. Die Erlebniskäufe werden einen Dämpfer erfahren, wenn das Warenangebot kleiner werden wird und auf im Osten produzierte Waren beschränken wird. Einstweilen haben wir unser Glück gefunden. Wir haben unsere Wocheneinkäufe bei einer Tasse Kaffee und beim Herumstöbern in den Geschäften ausklingen lassen.



27. März 2022


Mit einem Zahnarzt verbindet man gemeinhin unangenehme Dinge. Selbst habe ich reichlich Erfahrungen mit Zahnarztbehandlungen gemacht. Wie oft hatte ich auf diesem Zahnarztstuhl gesessen, darauf wartend, dass eine Betäubungsspritze in das Zahnfleisch eindrang, dass gebohrt wurde, eine Zahnwurzel behandelt wurde, ein Zahn abgeschliffen wurde, eine Krone aufgesetzt wurde, oder, schlimmstenfalls, ein Zahn gezogen wurde. Der Schreck vor den Unannehmlichkeiten eines Zahnarzttermins saß bei mir jedes Mal tief. Diese hinter diesem großbuschigen Magnolienbaum liegende Zahnarztpraxis gibt in unserem Ort ein komplett anderes Bild ab. Optisch ist das Ambiente dieser Zahnarztpraxis nämlich wunderschön, der Jahreszeit entsprechend, frühlingshaft ist die Zahnarztpraxis aufgehübscht, ein Wunder von Blüten übertüncht die blaßweiße Fassade der Wohnhäuser, von denen eines die Zahnarztpraxis im Erdgeschoss beherbergt. Bei dieser Blütenpracht werden die Patienten ganz bestimmt mit anderen Gefühlen ihre nächsten Zahnarzttermine wahrnehmen. Vielleicht ist das Bohren nur noch halb so schlimm, die Füllung fügt sich geschmeidig in die Zahnreihe ein, und voller Freude genießt man, nach der Behandlung wieder schmerzfrei kauen zu können. Wie der Frühling die Gefühlswelten doch verändern kann.



28. März 2022


Es ist nur allzu bruchstückhaft, aber die Idee lebt fort, das Siebengebirge als einen ganzheitlichen Kulturraum zu betrachten. Ganz viel Geschichte, ein Stück Romantik, der Rhein als begrenzende Linie, Schufterei und Arbeitergeschichte in den Steinbrüchen, erster Naturpark in Deutschland, ganz viel Siebengebirge ist im Kölner Dom verbaut worden, ein einzigartiger Erholungsraum heutzutage. Die steinernen Hinweisschilder an Knotenpunkten weisen den Weg: an dieser Wegekreuzung etwa zum Kloster Heisterbach, zum Petersberg, zur Rosenau oder zum Ölberg. Mit Ausnahme des Ölbergs sind es geschichtsträchtige Orte, die ins Mittelalter, in die Frühgeschichte oder in die Nachkriegsgeschichte der jungen deutschen Demokratie zurück reichen. Was der Ganzheit des Siebengebirges etwas bruchstückhaftes verleiht, ist die Tatsache, dass die Punkte des Interesses so ziemlich auseinanderliegen. Sie bei einer Wanderung zu kombinieren, dazu braucht man Zeit, die in der Regel fehlt. Was genauso fehlt, das ist die Reflexion, was einem solche Wohlfühlorte tiefer gehend bedeuten. Ich möchte gerne konstruieren und eigene Wahrnehmungen und Gefühlswelten zusammenführen zu einem Abriss von Gedanken, die gerne ins Philosophische gehen können. So wie die Bücher, die ich von Richard David Precht gelesen habe, es können aber auch andere Autoren sein, die sich ihr eigenes gedankliches Gebäude geformt haben, voller menschlicher Figuren, die dort vorkommen und selbst erzählen. In dieser Vollkommenheit des Siebengebirges ließe sich einiges konstruieren, vor allem Naturverbundenheit und Harmonie, es können aber auch Stadtlandschaften wie Köln sein oder Gebiete wie das Markgräfler Land südlich von Freiburg. So ein wenig halte ich es wie Jochen Busse, dessen Autobiografie ich kürzlich gelesen habe: er braucht keine weiten Reisen. Was ihm seine Impulse und Ideen verleiht, befindet sich direkt vor seiner Haustüre.



29. März 2022


Der neue Mieter im Haus des verstorbenen Schwiegervaters ist in Wartestellung. Sein Mietvertrag beginnt zum 1. Aoril, er möchte aber einen Tag vorher einziehen. Mit Ausnahme von Bett, Schrank und Schreibtisch ist das Zimmer leer geräumt, eine Matratze werden wir noch bereitstellen. Was rein formell gemacht werden muss, das ist die Übergabe der Wohnung an den Nachmieter. Dies ist heute geschehen, wobei der Vormieter nicht anwesend war, sondern seine gesetzlich bestellte Betreuerin. Als Vermieterin hatte sich meine Frau Gedanken gemacht, was bei dem formellen Rahmen einer Wohnungsübergabe zu beachten ist. Im Internet hat sie Protokolle recherchiert, wie eine solche Übergabe zu dokumentieren ist, davon hat sie eines ausgedruckt, in dem sie die wesentlichen Punkte festgehalten hat. Infolge falscher Bedienung ist eine neue Mikrowelle zu beschaffen, einige Bohrlöcher sind in der Wand des WG-Zimmers, wir stellen eine neue gebrauchte Matratze. Ein separates Schreiben haben wir zur Verrechnung der Nebenkostenabrechnung gefertigt. Der Vormieter hat ein dreistelliges Guthaben aus der Nebenkostenabrechnung, außerdem ist die Kaution auszuzahlen. Dagegen sind die Ersatzbeschaffung einer neuen Mikrowelle zu rechnen sowie die Kosten für die Beseitigung der Bohrlöcher. All dies ist schön protokollarisch festgehalten worden, damit alles seine Richtigkeit hat und keinerlei Kosten an uns hängen bleiben.  


30. März 2022


Mein Frau hat heute nach über neun Jahren ihren letzten Arbeitstag im Behindertenwohnheim gehabt. Der Abschied geschah ohne große Feier, für die Mitarbeiterinnen war es ein normaler Arbeitstag. Mit Ausnahme von wenigen waren die Bewohner unterwegs, weil das Wohnheim eine gemeinsame Unternehmung organisiert hatte. Meine Frau beschäftigte sich nicht mit Putzen, Waschen oder Kochen, sie gab lediglich ihre Schlüssel ab und verabschiedete sich. Obschon sich das Wohnheim zuletzt sperrig und unflexibel zeigte, was die parallelen Dienstpläne des alten und neuen Arbeitsgebers betraf, herrschte am letzten Arbeitstag eine vollkommene Harmonie. Alle wünschten ihr alles Gute am neuen Arbeitsplatz, dabei wurde ihr Abgang dadurch erschwert, dass noch keine Nachfolgerin für ihren 450 Euro-Job gefunden worden war. Insgesamt waren sogar zwei 450 Euro-Jobs unbesetzt, so dass man sich nun bemühte, über eine Zeitarbeitsfirma Arbeitskräfte zu finden. Als Anerkennung für ihre geleistete Arbeit überreichte man ihr diesen Blumenstrauß, worüber sie sich sehr gefreut hatte.


31. März 2022


Nach Monaten des Home Office habe ich in diesen Tagen ein dringendes Bedürfnis danach, im Büro zu arbeiten. Zuletzt habe ich mir zwar im Home Office Auszeiten genehmigt, indem ich im Eiscafé in unserem Ort oder im Café im Nachbarort gearbeitet habe, doch die Qualität ist eine andere. Trotz einiger schöner Passagen am Rhein hat unsere Stadt solch ein plattes und identitätsloses Aussehen, dass ich die Fahrt durch die Innenstadt ins Büro vorziehe. Heute bin ich mit dem Bus unterwegs, weil sich die Natur über den lang ersehnten Regen freuen darf. Bei anstrengenden Themen ist zu Hause die Konzentration weg, während die Anwesenheit im Büro Ordnung, Struktur und Durchhaltevermögen bringt. Die Gedanken kursieren. Ich stehe über den Dingen und kann diese gestalten, während zu Hause alles gleichzeitig auf mich einwirkt. Gleichzeitig verzettele ich mich zu Hause in meinen kreativen Pausen. Beim Blick aus dem Fenster der Büroräume werde ich eins mit der Stadtlandschaft. Ein kurzer Blick auf diese Stadtlandschaft, dessen Orte mir vertraut vorkommen und wo ich Erlebtes an diesen Orten aneinander reihen kann. Diese Orte, von der Rheinaue über die Stadtteile und geschichtsträchtigen Orten, verknüpfen sich zu einem Netzwerk, das Impulse gibt. Diese Impulse ticken zu Hause deutlich spärlicher. Quo vadis ?



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