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Tagebuch Mai 2024

1. Mai 2024


Ein Konzept der Tugenden gibt es, solange es Religionen gibt oder auch solange es die Philosophie gibt. Dabei fällt die Durchlässigkeit von Religion und Philosophie auf, dass das eine Weltbild die Konstruktionen des anderen Weltbildes übernimmt und umgekehrt. Das war nicht immer so in der Geschichte der Religion: das gedankliche Gebäude musste sich in eine Hierarchie Gottes einfügen, außerhalb dieser Hierarchie liegende Erklärungsansätze waren nicht zulässig. Insofern ist es bemerkenswert, dass das Konzept der vier Kardinaltugenden in der antiken griechischen Philosophie entwickelt wurde, in späteren Jahrhunderten von christlichen Denkern übernommen wurde und auch in Kirchen in der direkten Umgebung zu finden war. Erstmals wurden diese vier Tugenden der Tapferkeit, Klugheit, Mäßigung und Gerechtigkeit vom griechischen Philosophen Aischylos im 6. Jahrhundert vor Christus gedacht, wenige Jahrhunderte danach übernahm Platon diesen Wertekanon in seinen Schriften zu Politeia und Nomoi. So trifft der Athener im Dialog mit Kleinias im ersten Buch der Nomoi die Aussage: „… wenn sich Gerechtigkeit, Besonnenheit und die Weisheit mit der Tapferkeit vereinigen, dann ist diese von höherem Werte als alleine die Tapferkeit …“ Unter den christlichen Denkern hatte Thomas von Aquin die Kardinaltugenden in der Ausprägung der Tapferkeit, Klugheit, Mäßigung und Gerechtigkeit übernommen. Im Inneren ist sie in diversen Kirchen vorzufinden, darunter – erstaunlicherweise – in der Kirche in unserer Nachbarstadt. Jeweils zwei Seiten des Querhauses auf jeweils zwei Fenstern, die sich gegenüberlagen, zeigten die vier Tugenden. Davon waren die Kirchenfenster mit den Tugenden der Klugheit und der Mäßigung in einem rotem Farbton verglast worden, die anderen Tugenden der Tapferkeit und der Gerechtigkeit in einem grau-weißen Farbton. Die Idee zu dieser Neugestaltung entstand in der Nachkriegszeit nach den Kriegszerstörungen der Pfarrkirche. Durchforstet man die Bibelstellen nach diesen Tugenden, so wird man diese vermissen. In ihrer negativen Ausprägung finden sich diese allerdings in den Todsünden wieder: wer gegenteilige Verhaltensweisen zeigt, begeht Todsünden wie Stolz, Habsucht, Neid, Zorn, Unkeuschheit, Unmäßigkeit, Trägheit, Was den Denkern der antiken griechischen Philosophie nicht widersprechen dürfte.

2. Mai 2024


Es regte sich wenig Protest und die meisten Kunden waren informiert Gleich mehrere Schilder an der Eingangsfront und an der Ausgabetheke der Bäckerei hatten darauf hingewiesen, dass man ab dem 1. Mai nur noch bargeldlos zahlen konnte. Für mich war es ein logischer Schritt, dass der Bargeldumlauf eine lästige Begleiterscheinung des Bezahlens war. Wie oft zahlte ich doch in Supermärkten, in Restaurants oder an Fahrkartenautomaten mit der EC-Karte, das war bequem, einfach, unkompliziert, ohne Gescharre nach Bargeld. Ohne Herumwühlen im Portemonnaie nach Geldmünzen, die man abzählen musste, bis man den passenden Betrag beisammen hatte oder einen Geldschein zückte, weil eben die Geldmünzen nicht ausreichten. Bargeldlos war für mich mithin gar kein Problem, und die meisten anderen Kunden sahen dies in dieser Bäckerei genauso, nachdem der 1. Mai verstrichen war und nur noch bargeldlos Brot, Brötchen, Teilchen und Kaffee ordern konnte. Bereitwillig nickten die Kunden, es gab aber auch Ausnahmen. Einige wenige hatte ihre EC-Karte gar nicht dabei, einige noch wenigere besaßen vielleicht auch gar keine EC-Karte, und in solchen Fällen ging für diese Kunden nichts mehr. Ein Aufstand, großes Gemeckere oder gar verbale Entgleisungen blieben aus. Leise gingen die Kunden wieder, vermutlich versuchten sie es in der nächsten Bäckerei, denn in den umliegenden Bäckereien war Bargeld weiterhin möglich. Dieser Morgen, an dem ich Kaffee trank und meine Brötchen gekauft hatte, war somit ein ganz gewöhnlicher Morgen, sieht man einmal davon ab, dass ich anstelle von Geldmünzen meine EC-Karte aus meiner Geldbörse heraus holen musste.

3. Mai 2024


Die Straßenbahn kam nicht in der Gegenrichtung, die Ursache erklärte die Anzeigetafel auf dem Bahnsteig mit dem Wort „STAU“. In der Gegenrichtung, wohin ich mit der Straßenbahn zu fahren gedachte, fuhren aber die Straßenbahnen. Gleichzeitig bahnte sich ein einziges Getute von Martinshörnen ihren Weg: es war ein höchst schwieriges Vorhaben in einer sich auf eine Fahrspur verengende Baustelle, wo die Autofahrer nicht wussten, wie sie dem Rettungswagen, der Polizei und der Feuerwehr den Platz für die Rettungsgasse frei räumen konnten. Obschon die Bahnen in der Richtung von Rettungswagen, Polizei, Feuerwehr fuhren, ließ ich meinen Plan platzen, mit der Straßenbahn in die Godesberger Innenstadt zu fahren. Anstatt dessen trottete in zum Bürogebäude zurück und benutzte mein Fahrrad, das ich in den Ständern vor dem Nebeneingang abgestellt hatte. Ich radelte die Bundesstraße entlang und traf an der U-Bahn-Haltestelle Wurzerstraße auf den Aufmarsch von Not- und Rettungsdiensten. Dabei sperrte ein rot-weißes Absperrband den Zugang zur U-Bahn-Haltestelle ab. Ich fuhr weiter mit meinem Fahrrad in die Godesberger Innenstadt und suchte meine Neugier zu vermeiden, was denn an dieser Stelle geschehen war. Diese Geschehnisse las ich wenige Tage später in der Online-Ausgabe des General-Anzeiger nach. Es war ein tragischer Unfall, bei denen die Straßenbahnfahrer mit getöteten Menschen konfrontiert wurden. Fahrgäste des öffentlichen Personennahverkehrs ahnten weitestgehend nichts von solchen Fällen von Zugverspätungen. Vielmehr gingen solche Fälle in dem allgemeinen Geschimpfe über die Unzuverlässigkeiten des öffentlichen Personennahverkehrs unter. Etwa zwei Stunden, bevor ich auf die Bahn wartete, war ein Mann an der Haltestelle Wurzerstraße aus einer Straßenbahn, die dort gestoppt hatte, gestolpert. Mit unsicherem Gang lief er dann neben dem Fahrzeug her und fiel vor die Bahn. Im Anschluss wurde der 40-Jährige wohl von einer Bahn überrollt, ohne dass der Fahrer dies mitbekommen hat. Dies war aus der Videoüberwachung an der U-Bahn-Haltestelle Wurzerstraße zu erkennen.

4. Mai 2024


Negative Auswüchse der Demokratie – diese Sichtweise ging mir durch den Kopf, als ich das Zeltlager mit lauter Flaggen Palästinas auf einem Stück des Hofgartens erblickte. Konfliktzonen und Kriegsherde auf der ganzen Welt reißen nicht ab. Es gelingt nie, all diese Konflikte zu befrieden – der Prozess, in Europa Frieden zu schaffen, war sehr, sehr lang – und nun importieren wir über die Migration dieses Aufeinandertreffen von Gruppierungen. Und weil wir ein demokratischer Staat sind, gewähren wir Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit oder die Freiheit der Religionsausübung, was an für sich nach unserem Grundgesetz richtig ist. So bin ich zumindest irritiert, wenn für die Freiheit Palästinas demonstriert wird. Abscheu kam in mir auf, wenn Demonstranten zuletzt in Essen die Einrichtung eines Kalifats gefordert haben. Demokratie darf nicht so weit gehen, dass sie sich selbst abschafft durch die eigenen Regeln der Demokratie, das wäre mit einer Demontage zu vergleichen, was etwa das Ermächtigungsgesetz 1933 bewirkt hat. Das Palästinensercamp auf der Hofgartenwiese schwankt in meinem Inneren zwischen Befremdung und Abscheu, dabei sind es nicht einmal Palästinenser, die dort lagen, sondern Studenten (weitestgehend keine palästinensischen Studenten) aus der hiesigen Universität. Ist es die brutale Kriegsführung Israels, wieso diese Studenten die Interessen der Palästinenser ungefiltert übernehmen ? In mir kommen Zweifel auf, ob unsere Demokratie wehrhaft genug ist, sich den Forderungen nach der Einrichtung eines Kalifats, den Forderungen von Mullahs oder Palästinensern zu widerstehen. Mir wäre es sympathischer, wenn die Studenten ihre Zelte auf der Hofgartenwiese abbrechen würden und nach Hause gehen würden.  

5. Mai 2024


In der 19. Kalenderwoche fuhren wir sonntags zu meinem Bruder, der im März 60 Jahre alt geworden war. Bei der Autofahrt von 1 Stunde und 15 Minuten nahmen wir unsere Tochter und unser Enkelkind mit, was vom Prinzip her funktionierte. Eine Stunde lag schlief unser Enkelsohn ein, dann wurde er wach und schaute aufmerksam auf seine Mama. Bei meinem Bruder erzählte er erst einmal fleißig in seiner Wippe, die wir mitgenommen hatten, bevor unsere Tochter ihn stillte. Bei dieser Gelegenheit lernten wir seine neue Lebensgefährtin kennen, die mit ihren 48 Lebensjahren einiges jünger als er war. Stämmig und gut gebaut, hatte sie lange blonde Haare und war eine nette Erscheinung. Kurz hinter der Leverkusener Stadtgrenze, wohnte sie in Monheim, so dass ihr flammneuer T-Roc, der neben dem Elternhaus stand, das Autokennzeichen ME für Mettmann trug. Verglichen mit früheren Aufenthalten, blieben wir ziemlich lange und kehrten erst kurz nach 20 Uhr zu Hause zurück. Das war eine Uhrzeit, dass die Proteste unseres Enkelkindes ziemlich laut wurden, dass er gestillt werden wollte. Zu Hause fragten wir uns noch, wie mein Bruder seine neue Partnerin kennen gelernt hätte, da er so gut wie nie ausging. Eigentlich konnte dies nur über das Internet geschehen sein. In der 19. Kalenderwoche lag außerdem der 1. Mai, zu dem unsere Tochter überlegt hatte, mit Freunden auszugehen. Zunächst hatte sie den 30.4. überlegt, hatte aber dann doch diese Idee verworfen. Das war auch gut so gewesen, denn ihre Freunde waren ausgegangen und auf dem Maifest prompt in eine Schlägerei hinein geraten. Einer der Freunde war schwul und hatte seinen Partner mitgebracht. Von anderen waren die beiden aggressiv angegangen worden, was zu einer Schlägerei eskaliert war, an der mehrere aus ihrer Gruppe beteiligt waren. Am Abend des 1. Mai war dann unsere Tochter mit den Freunden ausgegangen – ohne Schlägerei mit anderen. Wir hatten auf ihren Sohn aufgepasst, und ziemlich genau um Mitternacht kehrte sie zurück. In der 19. Kalenderwoche hatte der eine WG-Bewohner, der gerne kochte, für die Gesamt-WG gekocht. Wir hatten ihm noch Sahne für sein Rezept mitgebracht, er wollte einen Nudelauflauf mit Tomaten zubereitet haben. Dem Schwager hatte es allerdings nicht geschmeckt, mit Sahne, Tomaten und sehr viel Käse war es wohl nicht seine Geschmacksrichtung gewesen, obschon ansonsten Nudeln sein Leibgericht waren. Vor ein paar Wochen hatte ich selbst von dem Nusskuchen probiert, den dieser WG-Bewohner für alle gebacken hatte. Dieser Kuchen hatte wahrhaft ausgezeichnet geschmeckt.


6. Mai 2024


Schaut man auf die Außenfassade eines Mietshauses in Troisdorf, so glaubt man, von einer optischen Täuschung vereinnahmt zu werden. Die über dem Quadrat verlaufenden Linien zerfließen. Dass der Ausschnitt statisch ist, geht verloren. Der Blick wandert von dem kleinen Quadrat hin zu dem großen Quadrat, dabei überspannen sich die Winkel und die Perspektive geht verloren. Diese Geometrie führt einen in die Irre. Die Bewohner des Mietshauses dürften sich längst daran gewöhnt haben. Ihre Blicke werden sie nicht alleine auf die Anordnung der Quadrate fixieren, welche die Monotonie der Mietshausarchitektur aufreißt. Gestaffelt in die Farbgebungen von grau, blaßgelb und karminrot, ist die Fassade des zweistöckigen Gebäudes nicht langweilig. Gebäude und Grünanlage sind gepflegt, nichts ist vernachlässigt, man kümmert sich um die Immobilie, die stadtnah in der Nähe der Fußgängerzone liegt. Womöglich ist das Wohnen zur Miete eine echte Alternative zu den explodierten Immobilienpreise, dass sich nur noch Bestverdiener eigene vier Wände leisten können. Wohnen in einer Genossenschaft lockert sich auf durch Geometrie. So wie die Fassade reduziert sich diese Geometrie auf einfache – und wohl auch kostengünstige – Formen. So vereinfacht diese Welt des Wohnens von außen ist, so komplex werden die Innenbeziehungen innerhalb der Wohngemeinschaften und zwischen den Mietern sein.

7. Mai 2024


Beinahe hätte ich die Suche nach den Stallberger Teichen aufgegeben, weil sie zu versteckt im Wald lagen. Zuvor hatten mich die Hinweisschilder ständig in den Friedwald gelotst, an der Ampel in Siegburg-Stallberg war ich von der B56 nach links abgebogen. Der Weg führte geradewegs in den Wald, es war aber wohl die total falsche Richtung. Dann marschierte ich zurück in die Richtung der Ampel, ich bog zweimal nach rechts ab und folgte der Beschilderung des Wanderwegs. Nach etwa einem Kilometer sichtete ich einen großen, schönen, mitten im Wald gelegenen Teich. Dieser Teich gehörte zu einem ganzen System von Teichen, dessen Ursprung sehr weit in die Vergangenheit zurück reichte. Namentlich waren es die Mönche der Siegburger Abtei, die das Umland der Abtei bewirtschafteten und die Erträge daraus zogen. Zu den Nahrungsmitteln, womit sich die Menschen ernährten, gehörten auch Fische. Sie legten die Mönche Fischteiche mitten in einem Waldgebiet an, das belegen Urkunden der Abtei über die Neuanlage von Teichen aus den Jahren 1338 und 1489. Bestimmt an die 10 bis 15 Teiche liegen entlang eines Baches hintereinander, davon schaffte ich es alleine bis zum ersten Teich. Alleine dieser Anblick, mitten im Wald, in der unberührten Natur strahlte eine meditative Ruhe aus. Stille umgab hoch aufragende Tannen, und der Untergrund war wasserdurchtränkt bis sumpfig. Die einstellige Zahl der Teiche muss in den vergangenen Zeiten noch weitaus höher gewesen sein. So gibt es preußische Aufnahmen aus dem Jahr 1845, die 170 Teiche zeigen. Diese Anzahl reduzierte sich durch Bebauung in den Au0enbezirken von Siegburg, wenngleich dieses Waldgebiet von der Bebauung unberührt blieb. Ein schlimmes Schicksal ereilte die Teiche aber mit der Ausbreitung der Malaria-Mücke. Diese breitete sich im 19. Jahrhundert rasant aus, an der viele Menschen starben. Als Ursache für die Vermehrung der Anopheles-Mücke wurden stehende Gewässer ausgemacht, wo diese Mücke ihre Eier ablegte und wo die Mücken schlüpften. Um diese Verbreitungsorte der Mücken zu beseitigen, beschloss die preußische Regierung, die Teiche trocken zu legen. Dies geschah in den Jahren 1849 bis 1859, so dass die Teiche vollständig zugeschüttet wurden. Aber bereits in den Jahren danach änderte sich die Erkenntnis, was weitere Ursachen für die tödlichen Erkrankungen waren. Dies war mangelnde Hygiene und die Sauberkeit des Trinkwassers, was man erst erkannte, als die Teiche verschwunden waren. So beschloss man mehr als eine Generation später, die Teiche wiederherzustellen – und zwar in einer rekonstruierten früheren Anordnung. Diese Wiederherstellung in der früheren Form war 1903 abgeschlossen, im großen und ganzen findet man die Stallberger Teiche in dieser Form heute wieder. So wie vor mehreren Jahrhunderten, werden Karpfen und Forellen in dieser historischen Kulturlandschaft in den Teichen gezüchtet.

8. Mai 2024


Den 8. Mai hatte ich in meinem Gedächtnis als denjenigen Tag abgespeichert, als im Jahr 1945 der Zweite Weltkrieg zu Ende gegangen war. Es gab aber ein weiteres historisches Datum des 8. Mai, das war der Beschluss des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland. Am 8. Mai 1949 hatte der Parlamentarische Rat, in dem Abgeordnete der westdeutschen Landesparlamente vertreten waren, dem Entwurf des Grundgesetzes zugestimmt. Vergegenwärtigt man sich Alltagssituationen, in denen man eine Berührung mit dem Grundgesetz erfährt, so beschrieb diese ein Beitrag des ARD-Morgenmagazin als sehr umfassend. Das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, die freie Entfaltung der Persönlichkeit, Meinungs- und Pressefreiheit, der besondere Schutz von Ehe und Familie, die Unverletzlichkeit der Wohnung und viele weiteren Grundrechte begegnen uns im Alltag. Unstrittig, sind dies Errungenschaften, wofür die westliche Zivilisation Jahrhunderte gekämpft hat. Unsere Eltern und verstorbenen Großeltern haben noch die Zeiten kennen gelernt, in denen diese Rechte mit Füßen getreten worden sind. Heutzutage schützt uns dieses breite Spektrum von Grundrechten. So darf ich etwa, wenn ich nicht gerade die nationalsozialistische Rassenideologie für richtig befinde, alles sagen, was ich will. Zeitungen und Massenmedien dürfen gegen Regierung und andere Personen wettern, wie sie wollen, wenn sie dies entsprechend verargumentieren können. Der Urgedanke der Freiheit und Gleichheit und Brüderlichkeit mag zwar in der Praxis einige Schranken habe, aber im Kern stimmt diese Grundidee. Theorie und Praxis weichen vielleicht die Grundrechte an der einen oder anderen Stelle auf. Wer kann seine eigene Persönlichkeit wirklich frei entfalten ? Oftmals stehen gesellschaftliche oder auch familiäre Konstellationen dem entgegen. Freiheit der Berufswahl ? Gleichberechtigung von Mann und Frau ? Allzu oft ist zu trennen in typische Frauen- und Männerberufe, die dementsprechend schlechter oder besser bezahlt werden. Ebenso merkt man unserem Rechtssystem als Ganzes an, wie sehr der Einfluss von Lobbyisten sich durchgesetzt hat. Die Kleinen schauen gern in die Röhre, die Großen bekommen Recht. Es ist so wie mit dem Kleingedruckten. Wer die Macht besitzt, schreibt das was er braucht, dort hinein. Der andere hat lediglich die Wahl zwischen zwei Alternativen. Entweder akzeptiert er all das Kleingedruckte oder ihm wird die Leistung, die er eigentlich benötigt, verweigert. Ganz so ist es nicht bei den Grundrechten. Woran unser Staat krankt, sind weniger die Grundrechte, sondern die Überschwemmung mit Gesetzen, Verordnungen, Bestimmungen und all der Bürokratie, die im Zeitverlauf immer schlimmer geworden ist und die niemand überblickt.

9. Mai 2024


Hennef-Bödingen, eine terra incognita. Mit dem Rennrad bin ich zwar durch einige der 99 Dörfer rund um Hennef gefahren, ich war aber noch nie im Ortskern von Bödingen, das abseits der Rennradrouten liegt. Eine Bekannte hatte mich schon vor vielen Jahren auf die Wallfahrtskirche aufmerksam gemacht, die ich mir nun an diesem Tag angesehen habe. Von Hennef aus habe ich die Strecke in das sechs Kilometer entfernte Bödingen mit dem Bus zurück gelegt, eine durchaus schöne Strecke zuerst die Sieg entlang und dann in vielen Kurven den Berg hinauf in den Ortskern von Bödingen, den man nicht mit dem Ortsteil Altenbödingen verwechseln darf, das weitaus jünger ist als Bödingen. So wie allgemein in Dörfern, gestaltete sich der Ortskern übersichtlich. Direkt an der Klostermauer hielt der Bus, das große Gelände von Wallfahrtskirche und Kloster nahm den Ort ein, gesäumt von einigen schmucken Fachwerkhäusern. Ich spazierte durch null Tourismus ohne Andenkenläden, aber auch ohne Café oder Einkehrgelegenheit, durch den großen Torbogen hindurch. Ich durch schritt das Kirchenportal und betrachtete das Kernstück der Wallfahrtskirche, den Seitenaltar mit seinem Gnaden- und Vesperbild in der Mitte. Die Figur der Muttergottes mit dem Jesuskind stammte aus dem 14. Jahrhundert und begründete den Kirchenbau in Bödingen als eigenen Wallfahrtsort, dessen Anlass eine Marienerscheinung war. Diese Marienerscheinung hatte einen Arbeiter in einer Kölner Werkstatt ein Gnadenbild schnitzen lassen mit dem Ziel, dieses Gnadenbild in einer noch zu bauenden Kapelle im Wald bei Bödingen unterzubringen. Allerdings misslang der Bau der Kapelle, da die Mauern über Nacht immer wieder einstürzten. Da hatte er erneut eine Marienerscheinung, die ihm befahl, seinen Maulesel zu beladen und diesem zu folgen. Dort, wo der Maulesel in der Wildnis stehen blieb, wurde dann die Kapelle erbaut, ganz in der Nähe des Standortes der heutigen Wallfahrtskirche. Nach Fertigstellung der Wallfahrtskirche wurde die bereits bestehende Figur der Muttergottes mit dem Jesuskind in den dortigen Seitenalter integriert. Seitdem pilgerten die Gläubigen nicht nur zum Schrein der Heiligen Drei Könige in den Kölner Dom oder zum Grab des Heiligen Jakobus in Santiago de Compostella, sondern auch zur um 1500 fertiggestellten Wallfahrtskirche „Zur schmerzhaften Muttergottes“ nach Bödingen, um Hilfe in allen möglichen Lebenslagen zu bekommen. Ärzte gab es kaum, die Fortschritte in der Medizin sollten erst etliche Jahrhunderte später geschehen, so dass sich die meisten Gläubigen Heilung bei Krankheiten erhofften. Der Kirchenbau war kompakt und übersichtlich, zur Innenausstattung gehörten unter anderem ein Epitaph des Stifters Wilhelm von Nesselrode oder die Reliquien des Heiligen Gereon. Nachdem ich die Wallfahrtskirche verlassen hatte, spazierte ich einmal im Halbkreis um die Klostermauern, danach begab ich mich nach Altenbödingen, wobei der spitze Kirchturm lange im Blickfeld der Stichstraße lag.

10. Mai 2024


Gang durch die Dorfstraße von Altenbödingen. Der dörfliche Charakter hinter dem Stadtgebiet von Hennef war gut zu spüren, vor allem daran, dass alle Passanten freundlich grüßten. So, als gehöre ich zur Dorfbevölkerung dazu. Dass sie mich nicht kannten, war in diesen Momenten unwichtig. Die Dorfstraße mwar übersichtlich, und so schnell ich hinein gegangen war, kam ich am anderen Ende wieder heraus mit einem genialen Ausblick auf das Siebengebirge mit dem Ölberg. Manche Gebäude waren mit Fachwerk, andere neueren Datums, aber allen Häusern war die Mühe anzusehen, ihnen einen individuellen Charakter zu verleihen. Glyzinien rankten sich über den Hauseingang, in einem dreieckigen Beet reihten sich mehrere Sorten Kakteen auf. Vor einem anderen Haus stand das viereckige Gemäuer eines Brunnens mit einer Handpumpe. Man freute sich auf Dorfbesucher, die Pferde mochten. Auf Englisch wies das Hinweisschild „Löbach Performance Horses“ zu einem Reitstall, wo Pferdeliebhaber auf ihre Kosten kommen würden. Die Ausdrucksstärke der Dorfbewohner äußerte sich aber auch in religiösen Symbolen. So hatten Heinrich Dresch und seine Frau für die Margareta Neuser genannt Dreschsel am 20. Juni 1846 zu Altenbödingen ein Kreuz zu Ehren Gottes und Maria aufrichten lassen, was die Inschrift in weißen Großbuchstaben auf braun gestrichenem Holz belegte. Das Holzkreuz stand auf einem steinernen Sockel, die verputzte Mauer war in einem blassrosanen Farbton gestrichen, aber irgend welche Idioten, die mit der filigranen Anordnung nichts zu tun haben wollten, hatten auf die Mauer wirre Zeichen gesprüht, aus denen man die Buchstabenfolge „CASN“ identifizieren konnte, egal, was dies bedeuten mochte. Dennoch ging hier alles beschaulich zu, die Dinge waren übersichtlich angeordnet, und ich fühlte mich entschleunigt von der viel zu komplexen Welt, wo man die Problemfelder nicht mehr entwirren konnte. Haus für Haus hatte sein Innenleben, und das Ende der Dorfstraße gipfelte in diesem Wahnsinnsblick auf das Siebengebirge, der Perspektive und Horizont zugleich war. Wenige Minuten musste ich auf dem Dorfplatz warten, bis der Bus kam. Und die Busfahrt selbst brachte mit all seinen Schlenkern, den Pausen an den Bushaltestellen und dem Ein- und Aussteigen der Fahrgäste neue Momente der Entschleunigung.  

11. Mai 2024


Zu seinem Seminar über das Musical "Starlight Express" hatte ich den Schwager mit unserem Auto zum Möhnesee gefahren. Die Unterkunft der Arbeiterwohlfahrt lag direkt am Seeufer. Ärgerlich war, dass wir die Augentropfen nicht fanden. Der Schwager suchte in seiner Kulturtasche, die lediglich den Rasierapparat und Sachen zum Zähneputzen enthielt - aber keine Augentropfen. Er dachte nach und überlegte, schließlich durch stöberte er die letzten Winkel seines Erinnerungsvermögens und glaubte, diese vergessen zu haben. Also musste er das Seminar ohne seine Augentropfen durchstehen. Auf einem Tablet notierte die Empfangsdame die relevanten Punkte, was sie über den Schwager wissen musste: Personalausweis und Schwerbehindertenausweis behielt er für sich, ebenso seine Geldbörse, er hatte eine ärztliche Verordnung mit, falls sich denn doch die Augentropfen finden sollten. Dass er den Rollator bei sich führte, hatte sie bemerkt. Der Assistenzbogen, wo er Hilfe benötigte, lag aus einem vorherigen Seminar bereits vor. Die Aktualität des Assistenzbogens hatte ich aus separaten Formularen bestätigt, diese nahm sie entgegen. Eine Weile dauerte die Prozedur von Ankunft und Empfang, bis alle Formalitäten erledigt waren und das Seminar in der heißen Erwartung des Schwagers beginnen konnte. Bevor ich die Heimfahrt antrat, genehmigte ich mir noch einen Kaffee. Ich fuhr in den Ortskern von Körbecke, wo ich auf der großzügigen Parkplatzanlage mit viel Mühe und Not einen Parkplatz fand. Der quadratische Bau des Eiscafés war draußen sehr belebt, im Inneren war aber gut ein freier Platz zu finden. Der Möhnesee schillerte in der Ferne, die Parkanlage mit viel Rasen geleitete zum See hinunter. Dass am Seeufer ein Street Food Festival statt fand, war mehr eine Randnotiz. Ich beobachtete, wie an den Nachbartischen Mütter mit ihren Babys beschäftigt waren. Eines lag im Kinderwagen, es krähte, es stieß Freudenschreie aus und strampelte wie wild. Ein zweites Baby trank gerade auf dem Arm seiner Mama ein Fläschchen. Zwei andere Babys hielten am Nachbartisch still und schauten neugierig in den Armen ihrer Mütter. Eine Viertelstunde schaute ich mir dieses Spielchen an, anschließend schritt ich zurück zu unserem Auto und trat die Heimfahrt an.

12. Mai 2024


In der 20. Kalenderwoche war mir ein außerordentliches Missgeschick am Arbeitsplatz passiert. Ich hatte nämlich die sogenannte Mycard verloren, diese Karte ermöglicht den Zugang zu sicherheitsrelevanten Informationen über eine PIN, außerdem benötigte ich diese Karte für den Zutritt zu den Büroarbeitsplätzen. Der erstere Punkt war für das tägliche Arbeiten eher unerheblich. Um zum Arbeitsplatz gelangen zu können, musste ich mir nun am Empfang eine separate Zutrittskarte ausstellen lassen, was vom Prinzip her kein Problem war. Das Missgeschick im Missgeschick war dann allerdings, dass ich die nach Hause zugeschickte neue Mycard nochmals verlor. Sie war in einem Umschlag mit meiner Privatadresse, und als ich die Karte am Büroarbeitsplatz installieren wollte, fand ich sie nicht. Ich hatte den Umschlag in meinem Rucksack neben meinem Laptop gesteckt, wo sie sich nicht mehr befand. Ich mutmaßte, dass ich sie entweder in einer Bäckerei, wo ich morgens einen Kaffee getrunken hatte, verloren hatte, oder in der Straßenbahn. Einstweilen musste ich mir nochmals eine Mycard aushändigen lassen, der zuständige Kollege verwies mich dazu auf die darauf folgende Woche, weil er am Brückentag Urlaub hatte, und diejenige Kollegin, die er vertrat, kehrte in dieser Woche aus ihrem Urlaub zurück. Eine andere Tücke, die mich mehrere Jahre beschäftigt hatte, bekam ich in dieser 20. Kalenderwoche ausgeregelt. Seit mehreren Jahren wurde mir bei Käufen im Internet über meine Kreditkarte eine Sicherheitsabfrage gestellt, die ich nicht richtig beantworten konnte. „Wie lautet der Name ihres Liebslings-Haustieres ?“ lautete diese Frage. Damit waren allerdings nicht unsere jetzigen vier Katzen gemeint – ihre Namen hätte ich der Reihe nach ausprobieren können – sondern die Hinterlegung dieser Frage datiert noch aus einer Zeit, als wir im alten Haus gewohnt hatten. In dieser Zeit besaßen wir zwei Meerschweinchen, außerdem war uns eine Katze zugelaufen. Ich konnte die Namen einzeln eingeben oder kombinieren, wie ich wollte – die Fehlermeldung wollte einfach nicht verschwinden. Die Hausbank konnte dieses Problem nicht ausregeln, dazu musste man eine Hotline des Kreditkartenbetreibers anrufen. Der Anlass, dass ich dies tat, war die Reservierung eines Mietwagens für den sich nahenden Urlaub, wofür ein Rabatt bei Sofortzahlung mit der Kreditkarte gewährt wurde. Um die Sicherheitsabfrage herauszunehmen, musste das Aktivierungsverfahren der Kreditkarte neu angestoßen werden. Nun wurde die Kreditkarte an die Secure-Go-App gekoppelt, mit dessen Hilfe der Leihwagen ohne Sicherheitsabfrage gebucht werden konnte. Nach November letzten Jahres nahmen wir in der 20. Kalenderwoche das zweite Mal am SPD-Bürgerstammtisch teil. In einem griechischen Restaurant im Nachbarort war die Runde diesmal sehr groß, außerdem war es ziemlich laut, so dass ich weniger teilhatte an den Gesprächen. Zu dem eigentlichen Anliegen eines Bürgerstammtisches hatte ich mir zwei Punkte gemerkt: erstens dass es Kinderspielplätze gibt, die mitten in der knallenden Sonne liegen (dazu würde ich gerne anmerken, dass in unserer Stadt die Menge von Bäumen und Schatten allgemein nicht gerade groß ist), der zweite Punkt waren Anwohnerparkplätze. Die Idee schwebte im Raum, wie in größeren Städten Anwohnerparkplätze einzurichten und dafür auch entsprechende Gebühren zu verlangen. Die Runde löste sich diesmal frühzeitig auf. Das war gegen 21 Uhr, als das Fußballspiel in der Champions League von Real Madrid gegen Bayern München angepfiffen wurde. In der Dreier-WG ging es im Badezimmer im Erdgeschoss voran. Nach der Beseitigung des Wasserrohrbruches wurde der Spülkasten wieder verfliest, die Toilette sollte in der Folgewoche angebracht werden. Bis dahin nutzte der Bewohner im Erdgeschoss das Bad im Geschoss darüber. Beim Schlafrhythmus unseres Enkelkindes nahmen die Phasen zu, dass er nachts durchschlief. Gegen 22 Uhr wurde er in unser Ehebett gebracht, gegen 5 bis 6 Uhr wurde er wieder wach, so dass wir ihm ein Fläschchen machen mussten. Mit einem dementsprechenden Hunger trank er dieses Fläschchen, allerdings war er danach hellwach, er wollte erzählen und auch von uns unterhalten werden. Gerade am Wochenende passte dies ganz und gar nicht in unseren Tagesrhythmus. Einer von uns musste sich mit ihm beschäftigen, bis er dann – vielleicht ein bis zwei Stunden später – doch einschlief. Mit ihm kuschelten wir uns im Bett, während er gegen unser Verlangen, in den Schlaf zurück zu fallen, etwas einzuwenden hatte.


13. Mai 2024


Als wir den Schwager von seinem Seminar am Möhnesee abholten, verspürten wir das Bedürfnis, eine Pause einzulegen und nicht in einer Autofahrt nach Hause zurück zu fahren. In der Ortschaft Körbecke war es am Möhnesee vollkommen überlaufen, so dass wir in die Richtung der Autobahn fuhren, über die Autobahnauffahrt hinaus führte die Straße geradewegs nach Soest. Wir parkten an der Stadtmauer und schritten zu Dritt in den Ortskern. Die Straßenzüge verliefen nicht geradewegs in das Stadtzentrum, so dass wir nach dem Marktplatz fragen mussten. Soest, die Kreisstadt, hatte einige hübsche Fachwerkhäuser zu bieten. Wenngleich wir keinen eindeutigen Marktplatz ausmachen konnten, gesellten wir uns auf einem größeren Platz in einer Brasserie, wo wir zur spätnachmittägliche Uhrzeit Kleinigkeiten essen konnten, die zu unseren aufgekommenen Hungergefühlen passten. So bestellte ich Waffeln mit heißen Kirschen und Sahne, der Schwager aß Apfelstrudel, meine Frau aß hausgemachte Fritten, die ihr übrigens nicht so wahnsinnig lecker schmeckten. Beim Essen schauten wir auf einige sehr schön heraus geputzte Fachwerkhäuser, bei warmem Wetter schützten die aufgestellten Marktschirme gegen die nachmittägliche Sonne. Wir lauschten den Gesprächen am Nachbartisch, das war eine Gruppe von Fahrradfahrern, die eine Radtour durch die Umgebung von Soest unternommen hatten. Einer von ihnen trug ein Oberteil in einer gelb-blauen Warnfarbe, alle trugen sie Turnschuhe. Mit dem Zug waren sie angereist, und sie zählten die Streckenabschnitte mit starken Steigungen auf. Das war hinter Altenbeken und später von Mellrich nach Altenmellrich. Einer von ihnen trank einen orangen Cocktail aus einem runden Glaskelch, ein anderer süffelte sein Weizenbier in sich hinein. Bei meinem Getränke musste ich lernen, dass man hier in Westfalen den Kaffee nicht aus einer Tasse trinkt, sondern dass man dieses Behältnis als „Pott“ bezeichnet. Wir drei redeten noch über das Seminar und was sonst so anlag. Bei dem Seminar war ein Gruppenfoto gemacht worden, bei dem alle ihre Hände in die Höhe geschüttelt hatten. Es war aber höchst ungewiss, ob der Schwager dieses Foto erhalten würde, weil er niemandem seine Handynummer mitgeteilt hatte. Der Titel des Seminars war das Musical „Starlight Express“, die Teilnehmer waren nach Bochum gefahren und hatten sich das Musical angeschaut. Wir fragten uns, ob wir uns nicht ein weiteres Musical anschauen könnten, so etwa das Musical „König der Löwen“ in Hamburg. Darüber müssten wir uns schlau machen. Wir würden bald in den Urlaub an die Ostsee fahren, dazu musste der Schwager noch seinen Urlaubsschein abgeben. Um den Urlaub bezahlen zu können, dazu benötigte der Schwager das ab April nachgezahlte Wohngeld. Den Antrag hatte ich bei der Empfangsdame in der Stadtverwaltung abgegeben, der Bescheid stand aber noch aus. Auf dem Marktplatz von Soest zu sitzen, war urgemütlich. Westfalen war eine Gegend, die mir nahezu unbekannt war. Bis Dortmund waren wir regelmäßig gekommen, aber ein Stück in das entferntere Westfalen, dazu hatten uns die Gelegenheiten gefehlt. Das Städtchen Soest lud dazu ein, es – vielleicht – nochmals zu erkunden.

14. Mai 2024


Mit meiner Frau hatte ich an einer Jubiläumsveranstaltung der Lebenshilfe teilgenommen, die im Rhein-Sieg-Kreis vor sechzig Jahren gegründet worden war. In den Anfängen waren es private Elterninitiativen, die geistige behinderte Kinder in ihren Häusern betreuten. Am 14. Mai 1964 hatten Eltern in St. Augustin einen Verein gegründet, der später in die Lebenshilfe übergegangen war. Davor waren geistig Behinderte im wesentlichen weggesperrt worden, damit sie in der Öffentlichkeit nicht auftauchen sollten. 1966 wurde nahm Nachbarort eine Schule für geistig Behinderte ihren Schulbetrieb auf. Danach wurden die Betreuungsangebote ständig erweitert. Dazu führte in der Troisdorfer Stadthalle der Geschäftsführer der Lebenshilfe aus, dass die Werkstätten mit all ihren rechtsrheinischen Standorten im Rhein-Sieg-Kreis ein mittelständisches Unternehmen ausmachten. Ein Großteil der 1.200 Beschäftigten arbeitete in den Werkstätten am Rotter See, diese Größenordnung war mir bislang so nicht bekannt, dazu kamen 94 Wohnheimplätze in der näheren Umgebung von Troisdorf. Wie allgemein bei Jubiläumsveranstaltungen üblich, war die Liste der Redner lang, wobei sich jeder mit seinem Lob und seinen Glückwünschen übertraf. Meine Frau entdeckte das eine oder andere bekannte Gesicht aus dem Wohnheim, wo sie mehrere Jahre gearbeitet hatte. Kellner aus dem Kreis der Behinderten servierten Kaffee, Persönlichkeiten wie der Troisdorfer Bürgermeister oder der Landrat durften nicht fehlen. Fotografen legten ihre Kameras in Position. Das Programm beinhaltete auch Jazzmusik, die in Form einer Bassgitarre und eines Saxophons vor sich her waberte. Eine Tanzgruppe aus einem Mucher Kindergarten führte einen Tanz auf, ebenso eine andere Tanzgruppe aus Eitorf. Unter den Rednern bestach die frühere Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, die mit ihren 74 Jahren Bundesvorsitzende der Bundesvereinigung Lebenshilfe war. Sie stellte den Zusammenhang zwischen Behinderten und der Demokratie heraus. Behinderte gehören in die Öffentlichkeit und sich nicht zu verstecken. Behinderte sind gleichberechtigte Menschen, manchmal muss man allerdings der Gesellschaft auf die Füße treten, damit ihr dies bewusst wird. Sie bezeichnete die Inklusion als ein Großprojekt, welches ihre Grundlage in der UN-Menschenrechtskonvention hatte. Sie kritisierte die AfD – namentlich einen Björn Höcke – der Behinderte als einen Hinderungsgrund betrachtete, der die übrige Bevölkerung an ihrer natürlichen Entwicklung behinderte. Sie berichtete von der Bildungsmesse didacta, wo sie sich mir Lehrkräften unterhalten hatte. Viele von ihnen wussten nicht, dass die Rechte von Behinderten aus der UN-Menschrechtskonvention abgeleitet waren. Sie kritisierte den Gesetzgeber, dass ein Passus über eine Zwangssterilisation von Behinderten weiterhin in unseren Gesetzen enthalten war. Dieser Passus müsse gestrichen werden. Der nachfolgende Redner, das war der Landesvorsitzende der Lebenshilfe NRW, arbeitete den Dissens zwischen Theorie und Praxis heraus. So hatte das Bundesteilhabegesetz die ursprüngliche Intention, eine finanzielle Eigenständigkeit von Behinderten herzustellen. In der Praxis führe dies aber zu einem Großkampf gegen die Bürokratie und gegen Berge von Papier. So musste bei der Beantragung der Grundsicherung etwa das Einkommen offengelegt werden. Diese Einkommen aus nichtselbstständiger Arbeit seien allenfalls in geringem Umfang – wie dem Werkstattlohn – vorhanden, was aber an der Höhe der Grundsicherung nichts verändere. Er schlug vor, den Umfang der vorzulegenden Unterlagen drastisch zu reduzieren. Verwerfungen zwischen Theorie und Praxis sah er ebenso bei den eingeführten inklusiven Schulklassen. Sein behinderter Sohn war gemeinsam mit weiteren vier Behinderten in einer inklusiven Schulklasse in der Grundschule, wo sich täglich ein geschulter Pädagoge um dieses Schülerklientel kümmerte. In anderen Schulklassen mit weniger Behinderten stand dieser Pädagoge allerdings nur seltener zur Verfügung, so dass eine durchgängige Betreuung nicht gewährleistet war. Des weiteren kritisierte er die Barrierefreiheit, die er in angelsächsischen Ländern als viel besser kennen gelernt hatte. Hierzulande fehle sie an viel zu vielen Stellen im öffentlichen Raum und in Gebäuden. Eingelullt vom Dauerlob all der Redner, endete die Veranstaltung nach rund drei Stunden. So manches Neue hatten wir über die Lebenshilfe erfahren und wir erwarteten das Buffet, um die eine oder andere Leckerei zu verspeisen.

15. Mai 2024


Hierzulande, an und über den Ufern des Rheins, war er mir bestens bekannt. Auf dem Fußweg zum Rolandsbogen hatte man ihm ein Denkmal gesetzt, eine Büste mitten im Wald, die daran erinnerte, dass der Dichter Ferdinand Freiligrath nach dem Einsturz des Rolandbogens Gelder gesammelt hatte und dafür gesorgt hatte, dass das Bogenstück der mittelalterlichen Ruine im Jahr 1840 wieder aufgebaut wurde. Bestens bekannt war mir ebenso das Wohnhaus des Dichters Ferdinand Freiligrath am Rheinufer in Unkel, wo er von 1839 bis 1841 gelebt hatte. Geboren 1810 in Detmold und gestorben 1876 in Cannstatt bei Stuttgart, war er ein höchst unruhiger Geist mit einer immensen Schaffenskraft. Glaubt man Wikipedia, hat er in seinem Leben an fünfzehn unterschiedlichen Orten gelebt mit Schwerpunkten im Rheinland und in London. Und dies samt Ehefrau und fünf Kindern, die zumindest teilweise mit der vollen Personenzahl all die Umzüge mitmachen mussten. Am Anfang seines Lebensweges stand Westfalen. In Detmold schloss er seine Schulausbildung ab, dann zog seine Familie nach Soest, wo er eine sehr lange Zeitperiode verbrachte, das waren sieben Jahren. Bei unserem Gang durch Soest spazierten wir an seinem Wohnhaus vorbei, ein wirklich stolzer und schöner Fachwerkbau, wo er von 1825 bis 1832 gewohnt hatte. In Soest machte er im Geschäft seines Onkels eine kaufmännische Lehre, danach übte er den Beruf des Kaufmanns aus. Parallel zu seiner beruflichen Tätigkeit hatte er in einer Zeitung Gedichte veröffentlicht. In seinen Schaffensperioden wurde er später freier Schriftsteller, er blieb aber seinem Kaufmannsberuf treu und nahm ihn zeitweise wieder auf, so in London, wo er 1856 den Ableger einer Schweizer Bankfiliale leitete. Freiligrath war ein glühender Revolutionär der 1848er-Revolution, welche keine wirkliche Revolution gewesen war. So wurde Freiligrath politisch verfolgt, aber nie inhaftiert, daher die häufigen neuen Schaffensorte und die Fluchtbewegungen nach England, Frankreich, Belgien und der Schweiz, weil er dort vor Verfolgung sicher war. Ferdinand Freiligrath, eine höchst schillernde Persönlichkeit, der in Soest den Grundstein für seine Biografie legte, seine Verbundenheit mit dem Rheinland war sehr groß.

16. Mai 2024


Auf der Suche nach inspirierenden Orten machte ich mich auf den Weg zur Wahnbachtalsperre. Diese hatten wir einmal erwandert, was aber längere Zeit zurück lag, das waren ziemlich genau 20 Jahre in demjenigen Jahr, bevor unsere jüngste Tochter geboren wurde. Damals ging die Wanderung mit Freunden von Lohmar über die Staumauer der Wahnbachtalsperre bis zum Stadtteil Seligenthal von Siegburg. Auch heute beeindruckte der Stausee der Talsperre, weil er vollkommen untouristisch war. Nichts zog die Menschen an, nicht einmal ein Café, eine Bierbude oder ein Andenkenstand zeigten Präsenz, erst gar keine Tretboote oder andere Gerätschaften, mit denen man Wassersport betreiben konnte. Im Gegenteil: da aus der Talsperre Trinkwasser aufbereitet wurde, war vieles verboten, so zum Beispiel Lagern, Picknicken, Campen, Zelten und alles, was den See verunreinigen konnte. So konnte ich in der Abendstimmung nur wenige Spaziergänger oder Fahrradfahrer beobachten, die über die Staumauer schritten oder radelten. Die Ruhe war so ziemlich perfekt. Weil sich nichts tat über dem ruhenden Wasserspiegel, standen die umliegenden Hügel still. Waldstücke kletterten die Hände hoch, begleitet von Wiesen in sattem und fettem Grün. Häuser vereinzelten sich über den Berghängen, und die einzigen Straßen, die man fernab von der Zivilisation sichten konnte, lagen in der umgekehrten Richtung in der Köln-Bonner Bucht. So trennte die Staumauer zwei Welten voneinander: das war die bergische Hügellandschaft voller Natur diesseits der Staumauer und das auslaufende Tal des Wahnbaches jenseits der Staumauer, welches in den Ballungsraum der Köln-Bonner Bucht übergehen sollte. Hier, auf der Staumauer, war der perfekte Ort zum Entschleunigen. Nichts konnte mir hier etwas anhaben. Die Geschichte der Wahnbachtalsperre war übrigens schnell erzählt. Sie wurde von 1954 bis 1958 gebaut, wenige umgesiedelte Dörfer wurden dabei geflutet, die Talsperre versorgte den Großraum Bonn mit Trinkwasser. In der Abendstimmung war die Talsperre so selbstverständlich wie all das Trinkwasser, das aus den Wasserhähnen in der näheren und weiteren Umgebung floss.

17. Mai 2024


Anknüpfend an das 75-jährige Jubiläum des Grundgesetzes, waren auf Schautafeln in der Innenstadt Gründungsgeschichten nachzulesen. Diese Gründungsgeschichten hatten sich in der Nachkriegszeit ereignet, sie gliederten sich nach Regionen sowie nach Ost und West, also der alten Bundesrepublik und der damaligen DDR. Eine Geschichte aus dem Rheinland hatte mit en Folgen aus dem Zweiten Weltkrieg zu tun. In Prüm in der Eifel stieg Rauch aus einem Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg auf. Die örtliche Feuerwerk versuchte zu löschen, aber vergeblich. Daraufhin ahnten die Verantwortlichen in der Stadtverwaltung schlimmes, sie ließen die Kirchenglocken läuten und forderten die Einwohner auf, sich weit von dem Bunker zu entfernen. Die amerikanischen Truppen hatten dort Munition gelagert, um den Westwall in die Luft zu sprengen. Diese Munition explodierte wenige Zeit später und verursachte immense, großflächige Schäden. Ein Krater hatte sich in die Bergkuppe gefressen, ein Großteil des Ortes wurde zerstört, und von denjenigen Einwohnern, die geblieben waren, starben viele. Kurios war, dass die Bevölkerung bei der französischen Besatzungsmacht gegen die gelagerte Munition protestiert hatte. Aber niemand hatte reagiert und das Risiko vollkommen unterschätzt.   

18. Mai 2024


Meine Frau meinte, einen Tierarzttermin für unseren Kater Oskar zu machen, sei schwierig, denn dann ergreife er die Flucht. Tatsächlich hatten wir für ihn diesen Montag einen Termin gemacht – und bereits seit Mitte der Woche davor war er verschwunden. Dass er irgendwo in der Nachbarschaft verschwand, war mittlerweile normal. Sein Drang nach draußen war nachdrücklich, und wenn er an der Haustüre miaute, zerriss es einem das Herz, so dass man irgendwann nachgab und ihn in seine Freiheit nach draußen entkieß. Dann konnte es geschehen, dass er abends nicht zurückkehrte, irgendwo in der Fremde übernachtete er, im Verlauf des nächsten oder vielleicht übernächsten Tageserschien er wieder vor dem Fenster oder der Haustüre und bat um Einlass. Nicht so vor diesem Tierarzttermin. Seine Abwesenheit dauerte deutlich länger, so dass wir uns bereits Sorgen gemacht hatten. Zehn Tage hatte er sich bereits nicht blicken lassen, seine Flucht vor der Tierarzttermin war ausdauernd und intensiv gewesen, bis er dann doch wieder zurück kehrte. Unser Kater Oskars war aber nicht das einzige Wesen, auf dessen Rückkehr wir warteten. Unsere Tochter war nämlich nachmittags mit unserem Enkelkind unterwegs, um sich mit einem Freund auf der Kirmes im Nachbarort zu treffen. Als ein Gewitterregen nieder prasselte, waren sie mit dem Bus zu diesem Freund nach Hause gefahren, diese Textnachricht schrieb unsere Tochter an meine Frau gegen 16 Uhr. Danach reagierte sie nicht mehr auf sämtliche Sprachnachrichten. Es wurde später und später – und wir hatten keine Ahnung, wo sie denn mit ihrem Sohn im Kinderwagen verblieben war. Bis sie sich wieder meldete, sollte es bis zu demjenigen Zeitpunkt dauern, als sich unser Kater Oskar zurück gekehrt war. Das war gegen 22 Uhr abends. Währenddessen hatte ich dem Schwager diejenigen Sachen vorbei gebracht, die wir für ihn eingekauft hatten. Bei meiner Rückkehr konnte mir meine Frau zum einen berichten, dass unser Kater Oskar wiedergekehrt war, und zum anderen, dass sie ein Lebenszeichen unserer Tochter erhalten hatte. Sie sei zum Bus unterwegs, hatte sie meiner Frau geschrieben. Und danach sollte es nochmals mehr als eine Stunde dauern, bis sie mit dem jungen Mann, zu dem die drei mit dem Bus gefahren waren, an unserer Haustüre klingelte. Klatschnass waren sie geworden bei dem Gewitterschauer. Sowohl unsere Tochter wie unser Enkelkind waren umgezogen worden. Der Regenschutz des Kinderwagens hatte nicht dicht gehalten, die Liegefläche war klatschnass. Ebenso klatschnass waren die Sachen in der Wickeltasche. Unser Enkelkind musste schlimmes durchlebt haben, bis es im Haus des jungen Mannes umgezogen worden war. Nun waren wir glücklich, dass die drei zurück gekehrt waren. Unser Enkelkind, das im Kinderwagen auf der nassen Unterlage schlief, hätte längst in seinem Bett liegen sollen.  


19. Mai 2024


Der Sonntag in der 21. Kalenderwoche endete tragisch für das Strandfest im Nachbarort, denn die Kirmes musste vorzeitig beendet werden. Noch am Freitag hatte sich unsere Tochter dort mit Freunden (ohne unser Enkelkind) getroffen. Der Samstag war der besagte Tag, an dem die drei in den Gewitterschauer hinein geraten waren und klatschnass geworden waren. Der Abbau der Fahrgeschäfte geschah am Sonntag, weil das Rheinhochwasser zu sehr gestiegen war und die Fahrgeschäfte überflutete. Mit dem Schwager hatten wir noch diskutiert, dass wir vor zwei Jahren abends relativ kurz auf der Kirmes gewesen waren. Er wollte gerade eine Krakauer essen, nach mehr war ihm nicht zumute, danach hatten wir uns bei lauen Temperaturen draußen in einer Gaststätte hingesetzt, ein Bier getrunken und dem Feuerwerk zugeschaut. Dass daraus in diesem Jahr nichts wurde, befiel ihm mit einer Traurigkeit. Am Sonntag in der 21. Kalenderwoche unterlief mir ein schlimmes Missgeschick, indem ich den Hochzeitstag vergaß. Ab dem frühen Nachmittag waren wir so sehr mit der Essenszubereitung beschäftigt – abends stand Gulasch auf dem Speiseplan – dass ich nur noch darauf fixiert war. Die Sache war ziemlich peinlich, doch ich hoffe, dass mir meine Frau verziehen hat. In der 21. Kalenderwoche hat unsere Tochter so etwas wie einen Durchbruch bei all ihren Formularen und beim Kampf gegen die Bürokratie erzielt. Den Bescheid des Jugendamts über den Unterhaltszuschuss hat sie erhalten. Dann hat sie das Jobcenter angerufen, dass sie Bürgergeld erhalten wird, der dazugehörige Beschied wird in den nächsten Tagen verschickt werden. Die noch offenen Fragen konnte das Jobcenter mit unserer Tochter telefonisch klären. Schließlich hat sie ein Schreiben ihres Arbeitgebers über ihre Elternzeit erhalten. Neben einer Bestätigung der Krankenkasse über Dauer und Höhe des Mutterschaftsgeldes, die ihr noch zugeschickt werden wird, sind die Unterlagen für das Elterngeld nunmehr vollständig. Ihre künftigen monatlichen Einnahmen werden sich somit aus vier Bestandteilen zusammensetzen: Kindergeld, Unterhaltsvorschuss, Bürgergeld plus Elterngeld. In der 21. Kalenderwoche hat sich das Problem aus der Vorwoche ausgeregelt, dass meine Mycard verloren gegangen ist. Die neu ausgestellte Mycard war in den Büroräumen wieder aufgetaucht, bei der Herausnahme des Laptops war sie gleichzeitig aus meinem Rucksack herausgefallen. Die Sekretariatskollegin hatte diese im Posteingang in einem Briefumschlag gesichtet und zwei Tage später an mich übergeben, als wir beide im Büro waren.  Anschließend gelang es mir, diese zu installieren. In der 21. Kalenderwoche war meiner Frau aufgefallen, dass das, was in der Dreier-WG dokumentiert wird, bisweilen merkwürdig ist. In gewissen Zeitabständen werden dort WG-Gespräche geführt über aktuelle Themen, die gerade anliegen. Was zu machen und zu tun ist, wird in einem Protokoll nieder geschrieben. Eine Aufgabe hatte davon der Schwager zu erledigen: „Er kümmert sich darum, wie lange der Rohrbruch noch andauert … „, hieß es dort. Das war höchst missverständlich ausgedrückt. Gemeint war wohl, wann der Rohrbruch beseitigt wird und nicht, dass der Rohrbruch möglichst lange andauern sollte.


20. Mai 2024


Am Pfingstmontag rüttelte uns ein Ereignis durch, das uns noch nachhaltig beschäftigen sollte. Bereits in der Kalenderwoche davor war uns der patzige und aggressive Ton des Schwagers aufgefallen nach unserer Rückkehr von seinem Seminar, als er dem einen WG-Bewohner begegnete. Dass sich dieses aggressive Verhalten fortsetzte, bemerkte ich, als ich am Pfingstmontag dem anderen WG-Bewohner Brötchen vorbei brachte. Er hatte mir Geld für Brötchen gegeben, bis Pfingstsonntag war er bei seinen Eltern gewesen. Im Verlauf des Pfingstsonntags war er zurück gekehrt, was ich nicht mitbekommen hatte, so dass ich ihm am späten Vormittag des Pfingstmontags seine Brötchen vorbei brachte. Mit den beiden anderen WG-Bewohnern unterhielten wir uns gerade in der Küche zu Dritt, als der Schwager eintrat. „Der Kühlschrank stinkt“ posaunte er wutentbrannt aus sich aus, dabei meinte er den Camembert im Kühlschrank des einen WG-Bewohners. Zu eben diesem Kühlschrank schritt er geradewegs zu, öffnete und verschloss den Kühlschrank des einen WG-Bewohners, dann stellte er das Küchenfenster auf Kippstellung, wobei ihm das Wort „Arschloch“ gegenüber dem WG-Bewohner entglitt, der ihm denselben Kraftausdruck an den Kopf warf. Die hoch explosive Situation endete, als der Schwager die Küche verließ und in sein Zimmer eine Etage drüber ging. Anschließend berichtete der WG-Bewohner, dass sich die Situationen mit solchen verbalen Entgleisungen gehäuft hätten. Er fühle sich wie Dreck behandelt, ebenso habe es Situationen gegeben, dass er ihn aus der Küche ausgesperrt habe und ihn nicht in die Küche hinein gelassen habe. Danach verließ ich das Haus der Dreier-WG wieder, abends eskalierte die Situation erneut. Abends eskalierte das Geschehen erneut, als der dritte WG-Bewohner uns anrief, die beiden Zankhähne schrien sich in einem sehr lauten Ton an, das Gebrüll höre nicht auf und er habe Angst, dass sie sich prügeln würden. Meine Frau vorbei, ihr gelang es wenigstens, ihn in sein Zimmer zu bugsieren. Dort war er nicht ansprechbar, er sagte kein Wort und zeigte keinerlei Reaktion. Weil wir ihn dort nicht belassen konnten und weil er nur bockig vor sich hersaß, wählte ich die Rufnummer der LVR-Klinik, ob sie ihn abholen könnten. Die Mitarbeiter seien nicht zuständig, antworteten sie uns, wir müssten die gängige Notfallnummer 112 anrufen, sie würden entscheiden, in welche Klinik sie den Schwager bringen würden. Ich zögerte sehr lange, bis ich die 112 wählte, was den Schwager veranlasste, seine Sachen zu packen und zu uns nach Hause mitzukommen, wo er sich dann leicht beruhigte. Im Abstellraum im Keller stand ein freies Bett, das wir noch freiräumen mussten. Was waren die Ursachen für seine Aggressionen ? Dazu äußerte er, dass er keine Betreuung habe. Diese war ihm gekündigt worden, dann hatte sich eine neue Betreuung bei einem anderen Anbieter gefunden, die dann aus Kapazitätsgründen ebenso gekündigt werden musste. Und momentan hatten wir eine neue Betreuung nicht in Aussicht. Ein weiterer Grund dürfte die Freundin des WG-Bewohners sein, da war Eifersucht im Spiel, Fortan wurde unser Alltag auf den Kopf gestellt. Unsere Tochter mit Baby, dazu der geistig behinderte Schwager, wozu wir uns noch kein Bild machen konnten, wie es weiter gehen würde.


21. Mai 2024


Da wir am Tag der Europawahl in Urlaub sein würden, mussten wir über eine Briefwahl unsere Stimme abgeben. Nachdem wir uns der Schwager seine Wahlbenachrichtigung gebracht hatte, fuhr ich mit dem Fahrrad zur Stadtverwaltung, wo ich die Wahlbenachrichtigungen mit dem Ankreuzfeld für die Briefwahl in den Hausbriefkasten warf. Dabei nutzte ich die Gelegenheit, mit dem Fahrrad unterwegs zu sein, um nochmals in die Pfarrkirche unserer Nachbarstadt einzutreten.  Am Pfingstmontag suchte ich Zusammenhänge zum Heiligen Geist und fand diese auch. Mit dem Dreieckskonstrukt der Dreifaltigkeit hatte ich so meine Probleme. Zum einen gab es den Gott, der allumfassend über allen Dingen stand. Dann gab es seinen Sohn, der als Mensch 33 Jahre lang gelebt hatte. Nach seinem Tod wurde er wieder lebendig und lebte bis in alle Ewigkeit im Gottesreich weiter. Zu den beiden gesellte sich der Heilige Geist, der so etwas wie Erkenntnis verkörperte, vielleicht Vernunft im Sinne Kants, dass der Mensch mit seinem Denken die Dinge gestalten konnte, und Urteilskraft, dass er mit seinem Denken den Weg heraus fand aus seinem Unwissen und seiner Unmündigkeit. Im Neuen Testament der Bibel tauchte der Heilige Geist mehrfach auf, aber sämtliche Passagen erschienen höchst nebulös. So empfingen all diejenigen den Heiligen Geist, die getauft waren. Die Apostelgeschichte beschrieb den Heiligen Geist so, dass dieser durch das Hören der Glaubensbotschaft vom gekreuzigten und auferstandenen Jesus empfangen werden konnte. An einer anderen Stelle der Apostelgeschichte kam der Heilige Geist auf die Jünger herab und sie begannen zu predigen. Mit alledem und auch den anderen Bibelstellen wusste ich nur wenig anzufangen. Das Dreiecksverhältnis von Vater, Sohn und Heiligem Geist verlor sich im Nichts. Im Chor unserer Pfarrkirche erschien diese Dreieckskonstellation in den Kirchenfenstern. Der Vater wurde umrissen durch das Auge Gottes, der allwissend war und alles sah, der Sohn wurde durch das Lamm Gottes als Symbol für seine Auferstehung verkörpert. Den Heiligen Geist kennzeichnete eine Taube als Symbol. Diese Taube leitete sich aus dem Neuen Testament ab, dass sich nach der Taufe von Jesus im Jordan der Himmel öffnete und der Geist Gottes in Gestalt einer Taube herab kam. Auch dies kam mir zu nebulös vor. Wie dem auch sei: die Kirchenfenster waren im Chor der Pfarrkirche hübsch anzusehen und all die Denker aus der Philosophie dürften mehr hergeben als solch ein Heiliger Geist. Beseelt von diesen göttlichen Symbolen, fuhr ich mit dem Fahrrad nach Hause zurück.

22. Mai 2024


Von der Ausdrucksfähigkeit des Raumes in Domen und Kathedralen. Der Mainzer Dom ist vom Baustil her keine gotische Kathedrale. Die Formen streben nicht hoch nach oben in den Himmel, doch der schlichte und gleichzeitig umfassende Baukörper beeindruckt. Die Ausstattung wirkt gegenüber anderen, schlicht gehaltenen romanischen Kirchen geradezu üppig: Seitenaltäre, Grabdenkmäler für verstorbenen Bischöfe, die Grabplatte der Königin Fastrada und vieles mehr. Eine Schwere lastet über dem Kirchenschiff und dem Querhaus, dessen Dimensionen einen zu erschlagen scheinen. Dass durch die Rundbogenfenster nicht allzu viel Licht in das Innere fällt, kontrastiert mit der Höhe und den großen Dimensionen. Diese Höhe baut sich mit einem Streifen von Wandmalereien auf, die das Langhaus in der Höhe abschließen, und geht in das Kirchenschiff über. Neben dem Speyerer Dom, dürfte der Dom in Mainz so ungefähr der größte romanische Kirchenbau in Deutschland sein. Verglichen mit zu Hause, stelle ich gerne Vergleiche mit dem Kölner Dom an. Beide Kirchenbauten kann man nie und nimmer miteinander vergleichen, sie erzeugen aber dasselbe Gefühl von Erhabenheit. In den Verästelungen ihrer Gestaltung sind sie beide wahnsinnig facettenreich. In beiden Domen verschmilzt der Baukörper mit dem Betrachter zu einer Einheit, von beiden Domen fühle ich mich gleich angezogen, ich fühle mich dort gleich gut aufgehoben und geborgen. Von beiden Städten fühle ich mich ebenso gleich angezogen. In diesem Schnelldurchlauf durch den Mainzer Dom habe ich das Innere des Kirchenbaus auf mich wirken lassen. Die Bonner Münsterkirche kann mit den Eindrücken gegenüber Mainz nicht mithalten.  

23. Mai 2024


Den Vor-Ort-Termin beim technischen Kundenservice in Mainz nutzte ich nicht nur, um mir den Mainzer Dom anzuschauen. Ebenso ließ ich mir von dem Kollegen, der die Anrufe zu Störungen entgegennahm und diese Kundenanliegen zu lösen suchte, den Aufbau eines Glasfaseranschlusses erklären. In unserer Straße hatten wir Interesse bekundet, das Glasfaserkabel war in unseren Keller gelegt worden, die Beauftragung des Anschlusses hatte mein Arbeitgeber entgegengenommen. Im Nachbarraum zu den Arbeitsplätzen, wo die Kundenanrufe entgegengenommen wurden, waren die einzelnen Komponenten des Anschlusses an die Wand montiert, die Funktionsweisen wurden auf Schaubildern erläutert. Mit meinem nicht besonders ausgeprägten technischen Sachverstand sollte mir dies helfen zu verstehen, wie ein Glasfaseranschluss funktionierte. An das in den Keller gelegte Kabel musste eine Glasfaser-Dose angeschlossen werden, daran schloss sich ein Modem an, an dieses wurde wiederum der Router angeschlossen. Das Problem war häufig der optimale Standort des Routers: er sollte in der Mitte des Hauses platziert werden, damit alle Geräte einen gleichmäßigen Empfang hätten. Dies erforderte unter Umständen, dass durch die Decke gebohrt werden musste. Der Kollege, bei dem ich den Vor-Ort-Termin wahrnahm, hatte dabei Glück gehabt. Er konnte einen still gelegten Schornstein nutzen, um das Glasfaserkabel vom Keller der Mietwohnung, wo er wohnte, in den zweiten Stock zu verlegen. Er schaute auch in seinen Systemen nach, bis wann wir mit der Bereitstellung des Glasfaseranschlusses rechnen konnten. Bis November sollte dies geschehen sein, und unser Sohn dürfte diesen Termin mit wesentlich mehr Hochspannung erwarten als wir.

24. Mai 2024


Erneut war es Rheinbach, wo ein Graffiti Tiefenpsychologie betrieb. Diesmal war an der Bahnunterführung die Parole an die Wand gesprüht: „Macht alles, was ihr wollt, solange ihr noch lebt … man lebt nur einmal“. Innerhalb des philosophischen Diskurses könnte man eine solche Lebenseinstellung dem Hedonismus zuordnen. Der antike griechische Philosoph Epikur hatte gelehrt, dass der Mensch dadurch glücklich wird, indem er all die schönen Dinge, die ihm Freude bereiten, tut, und all die anderen Dinge, die ihm Schmerz bereiten, unterläßt. Die schmerzlichen Dinge waren in dem Graffiti nicht erwähnt, aber diejenigen Dinge, die der Urheber wollte, sehr wohl. Wobei bei diesen Begrifflichkeiten unterstellt werden musste, dass sich der Wille auf diejenigen Dinge konzentrierte, die Freude bereiteten. In den Ausprägungen der Gegenwart wird Hedonismus gerne mit Egoismus und Individualismus gleich gesetzt, was den gängigen Marktsegmentierungen entsprach, dass das Warenangebot ganz individuell auf die Kundenwünsche abgestimmt war. Es dürfte sehr viele Menschen geben, die alles machten, was sie wollten, weil sie nur einmal lebten. Ihr eigenes persönliches Lebensgefühl lebten sie aus, sie deckten sich mit ihren individuellen Konsumwelten ein, mit der Gesellschaft hatten sie nichts zu tun. In diesen individuellen Strukturen fand sich dieser Mensch zurecht, seine Bindungen waren individuell und zersplittert, im Sinne Epikurs mochte er sich glücklich fühlen. Als Narzisst, wenn er alles Individuelle auf sich selbst bezog.

25. Mai 2024


Der Koala-Bär, das momentane Lieblingsspielzeug unseres Enkelkindes. In seinem Babyalter lernte er seine Umwelt kennen, indem er nach den Dingen griff, sie ertastete, anfasste und festhielt. Die Kraft, womit er sie festhielt, konnte enorm sein, so dass man Mühe hatte, ihm die Dinge wieder aus der Hand zu nehmen. Und er musste alles in den Mund stecken. Der Koala-Bär war ideal für diesen Zweck. Das Gesicht des Bären schaute ihn geradewegs an, und dann waren da noch die beiden Ringe. In den großen Ring mit dem knalligen Grün passten seine Finger genau dazwischen. Neugierig betrachtete er die Ringe mit dem Koala-Bären, verschiedenste Bewegungen konnten die Hände damit ausführen, sie konnten halten, festhalten, rütteln, schütteln, schwenken und auch wegwerfen. Gesteigert wurde die Freude mit dem Spielzeug durch die knisternden Blätter, die an den großen Ring angefügt waren. Jeder Greifvorgang erzeugte dieses helle, aufgeregte Knistern. Dieses wurde dann unterbrochen, wenn die Zähne in den großen oder den kleinen Ring hinein bissen. Dieses Beißen konnte lange andauern, denn der Ober- und Unterkiefer fühlten sich so an, dass man die Milchzähne unter dem Zahnfleisch spüren konnte. So biss unser Enkelkind mit großer Energie, großer Lust und großer Ausdauer zu. Nicht nur beim Zubeißen formte er Laute, denen man einzelne Buchstaben zuordnen konnte. Viele Minuten lang beschäftigte er sich auf diese Art und Weise, seine Spielzeuge kennen zu lernen. Zufrieden und glücklich lag er in dieser Stellung in seiner Wippe.

26. Mai 2024


In der 22. Kalenderwoche haben wir festgestellt, dass unser Enkelkind gewachsen ist. Bei der Bekleidung passt die Größe 68 nicht mehr, nunmehr müssen wir die Größe 74 kaufen. In dieser Kalenderwoche sah es so aus, als habe unsere Tochter einen neuen Partner gefunden. Er ist ein Jahr jünger als unsere Tochter, er wohnt zwei Orte weiter und er hat einen Stiefbruder, der ein Jahr alt ist. Demzufolge ist er sehr aufgeschlossen gegenüber unserem Enkelkind. In der Dreier-WG ist der Schwager in der nächsten Woche zum Geburtstag einer Freundin eingeladen, die im Behindertenwohnheim wohnt. Ihr wird er einen dm-Gutschein schenken, wobei das Verschenken von dm-Gutscheinen allgemein Überhand genommen hat. Viele Behinderte empfinden Shampoos, Zahnpasta oder Seife weniger als Geschenk, Proteste gegen solche Gutscheine sind aber ausgeblieben. Beim Schwager bedurfte es eines intensiven Nachfassens, damit er seinen Urlaubsschein für den bevorstehenden Urlaub aus der Werkstatt nach Haus mitbrachte. Viele Male hatten wir ihn darauf angesprochen, er brachte ihn aber nicht mit nach Hause. Dazu meinte er, die Werkstatt würde ihm die Aushändigung des Urlaubsscheins verweigern. Schließlich telefonierte ich selbst mit seiner Teamleiterin, sie sah keinerlei Probleme darin, ihm den Urlaubsschein nach Hause mitzugeben. Dem bevor stehenden Urlaub an der Ostsee stand somit nichts mehr entgegen. In der 22. Kalenderwoche erzählte unser Sohn von einer Dokumentation über das Atommüll-Endlager in Asse (Niedersachsen). Wasser war in die Salzstöcke unter der Erde eingedrungen und wurde abgepumpt. Manche Fässer waren marode und verrostet, aus ihnen strahlte der Atommüll. Die Autoren beschrieben Asse als eine tickende Zeitbombe.


27. Mai 2024


Nochmal ein Spaziergang entlang der Stallberger Teiche, diesmal gemeinsam mit Tochter und Enkelkind. Wir diskutierten, dass unser Enkelkind den Kontakt mit der Natur brauchte. Betrachtete man die Tagesabläufe unter der Woche, so spielte sich nahezu alles drinnen im Haus ab. Da wir zu spät waren, war eine Fahrt in den Kölner Zoo nicht zustande gekommen. Zumindest an den Sonntagen, waren wir mit unseren drei Kindern, als sie klein waren, sehr viel unterwegs gewesen. Außer dem Zoo, hatten wir gerne Wildparks besucht, um Tiere schauen zu können. In der Rheinaue waren wir oft gewesen, aber oftmals einfach nur in den Wald, so ins Siebengebirge oder zum Beispiel in den Kottenforst. So trug unsere Tochter vom Wanderparkplatz am Stadtrand von Siegburg-Kaldauen unser Enkelkind im Tragegestell auf ihrem Bauch, wo er neben der bewaldeten Natur den Tragegurt genoss, auf dem er fleißig herum beißen konnte. Er schaute fleißig in die Baumsorten von Kiefer, Buche oder Eiche hinein, bis er unruhig wurde und gestillt werden musste. Nachdem wir eine Viertelstunde Waldweg zurück gelegt hatten, fanden wir an einem ersten Teich eine Sitzbank, die ein Stillen bei entspanntem Sitzen ermöglichte, wobei die Jacke meiner Frau ersatzweise als Liegeunterlage diente, weil wir kein Stillkissen mitnehmen konnten. Fertig gestillt, setzten wir den Spaziergang mit unserem hoch motivierten Enkelkind fort, das interessiert schaute, während seine Unruhe und sein Quengeln sich gelegt hatte. Das System von Teichen war fantastisch, ein Teich folgte auf dem Wanderweg nach Lohmar dem nächsten, bisweilen lagen sie ein Stück rückwärtig versetzt in den Wald. Bis nach Lohmar dürften es an die zwanzig Teiche sein, die angelegt worden waren, davon spazierten wir an sechs bis sieben vorbei, bis wir umkehrten, um zum Wanderparkplatz an der Peripherie von Siegburg zurück zu kehren. An manchen Stellen leuchtete der giftige Fingerhut mit seinen violetten Blüten. In einem fantastischen gelb inszenierten sich einige Schwertlilien an den Ufern mancher Teiche. Wir beobachteten Schwäne und hinterfragten die Bedeutung des Wortes „Gründeln“, als sie den Kopf in das Wasser steckten. Diese Wortbedeutung, dass sie mit dem Schnabel auf dem Grund des Teiches nach Nahrung suchten, war mir überhaupt nicht geläufig. Genauso machten es die Enten in dem Kinderlied „Alle meine Entchen“, indem sie ihre Köpfchen in das Wasser steckten und ihre Schwänzchen in die Höh. Ein anderes Begriffspaar, dass ein Bach murmelt, war mir ebenso wenig geläufig. Entlang des Waldweges floss ein Bach, was ich als Plätschern bezeichnet hatte. Hörte man aber genau hin, so ähnelte das Fließgeräusch mehr dem Kullern einer Murmel, daher das „Murmeln“ des Baches. So lernten wir gemeinsam mit dem Enkelkind sehr viel Spannendes über die Teiche und den Wald zwischen Siegburg und Lohmar kennen. Nachdem wir unseren Spaziergang beendet hatten, aßen wir in einem chinesischen Restaurant im Siegburger Stadtteil Stallberg, wo wir vor mehreren Jahren des öfteren gegessen hatten.

28. Mai 2024


Mit der Anwesenheit des Schwagers, müssen sich die Tagesabläufe neu sortieren. Mehrere Ebenen sind dabei zusammen zu führen, diejenige unseres Enkelkindes, diejenige des Schwagers, natürlich unsere Ebenen inklusive unserer Tochter. Besonders krass ist die Umstellung morgens, wenn er um 6:45 Uhr das Haus verlassen muss, um vom Zubringerbus abgeholt zu werden. Dieser Zeitplan ist streng getaktet, wenn er um 6 Uhr aufsteht. Ich schütte ihm Kaffee auf, da er selbst die Kaffeemaschine nicht bedienen kann, dann hole ich ihm Brötchen, er frühstückt und packt sich seinen Rucksack. Zwischendurch klingelt das Rote Kreuz an der Haustüre, um ihm die Stützstrümpfe anzuziehen und seine Augentropfen zu verabreichen. Gleichzeitig kann es geschehen, dass unser Enkelkind wach wird, so dass wir ihm ein Fläschchen machen müssen. Bevor wir losfahren, muss der Rollator im Auto verstaut sein. Fünf Minuten Autofahrt benötigen wir, damit er am vereinbarten Treffpunkt für den Zubringerbus bereitsteht. Tagsüber ist der Schwager in der Behindertenwerkstatt, am frühen Nachmittag wird er zurück gebracht, danach sitzt er im wesentlichen im Wohnzimmer. Fernsehen, seine Lieblingsbeschäftigung, kann er nur eingeschränkt schauen, da wir den Fernseher unter der Anwesenheit des Enkelkindes nicht einschalten wollen. So etwa ab 21 Uhr abends kann er dann fernsehen, wenn das Enkelkind in unserem Ehebett liegt und (vielleicht) schläft. Bis dahin sitzt er im wesentlichen herum. Solange der Schwager bei uns verweilen wird – seine Rückkehr in die Dreier-WG ist höchst unklar – muss er sich unseren Bedürfnissen anpassen und er ist ein Anhängsel. Gestern gab es eine Abwechslung für ihn, da eine Freundin aus dem Behindertenwohnheim ihn eingeladen hatte. Vor 17 Uhr war er mit dem Rollator dorthin gefahren, gegen 20 Uhr wurde er mit dem Auto zu uns zurück gebracht, den Rollator im Kofferraum. Stolz berichtete er, die Geburtstagsrunde habe Nudelsalat mit Bockwürstchen gegessen und wer alles zugegen war. Eine Unzufriedenheit mit der Situation kann man an ihm nicht ablesen. Er fügte sich und schätzte sich abends glücklich, wenn er sein Weizenbier trinken konnte.


29. Mai 2024


Der Rotweinwanderweg eingefasst von Bäumen, die Temperaturen waren gedämpft, Nieselregen hing in der Luft, dazu der lästige Schienenersatzverkehr: auf der Bahnstrecke durch das Ahrtal wurde gebaut, so dass ich in Bad Bodendorf aus dem Bus aussteigen musste und als erstes die Bahnlinie mit den machenden und tuenden und schaffenden Bauarbeitern am Bahnhof von Bad Bodendorf überqueren musste. Die Route des Rotweinwanderweges war mir bekannt, und genauso bekannt war mir der Anstieg, der bald in diesen dichten Laubwald mündete. Die letzte Wanderung lag seit Februar zurück, wenige Male war ich mit dem Fahrrad ins Büro gefahren, so dass mein Körper die Bewegung sehr nötig hatte. Das Grün der Blätter war noch frisch, mein Körper war im Takt der Schritte angekommen, die über dem Waldboden abfederten, das in sich geschlossene Waldgebiet war mir vertraut. Die Spur des Weges strebte geradewegs voran. Durch die Baumwipfel konnte man gut hindurch schauen, etwas träge hingen die Äste zur Seite. Dass der Anstieg bald enden würde, spornte mich an. So würde ich denn weiter voran schreiten, und am Ende der Wandertour würde ich am Ziel Bad Neuenahr ankommen.

30. Mai 2024


Bei der Wanderung über den Rotweinwanderweg passierte ich die Orchideenwiesen, die sich auf dem ersten Stück hinter Bad Bodendorf erstreckten. Die Wiesen verliefen einen Hang hinunter unterhalb des Wanderweges, und Orchideen hatte ich noch nie auf dieser Wiese blühen sehen. Zweimal war ich hier in der Zeit von Mai bis Juni gewandert, einmal im Winter. Laut Internet musste die Blütezeit irgendwo dazwischen liegen, nämlich von Februar bis März. Während der Blüte wäre allerdings Vorsicht geboten gewesen, denn die Wiesen stehen unter Naturschutz. Bis die Wiese ihre Zweckbestimmung als Orchideenwiese erlangte, musste einige Arbeit aufgewendet werden. Ursprünglich hatte das Areal als landwirtschaftliche Fläche brach gelegen, dort hatten sich als wilde Pflanzen Orchideen ausgebreitet wegen der warmen Südlage des Berghanges, außerdem waren die Böden kalkreich und reich an Mineralien. Daraufhin hatte der Landkreis ein Konzept zur Erhaltung der Orchideenwiesen ausgearbeitet. Grundstücke wurden zusammen gelegt, Sträucher wurden abgeholzt, neue Obstbäume wurden angepflanzt, die Wiesen wurden durch Kühe und Schafe beweidet, die Wiesen wurden unter Naturschutz gestellt. Nun stellte sich ein Jahresrhythmus ein von Graswuchs, Beweidung und dem Blühen der Orchideen. So gelang es, für seltene Pflanzen einen Lebensraum zu schaffen und eine attraktive Erholungslandschaft abseits des Rotweinwanderweges zu erhalten.  

31. Mai 2024


Schaue ich auf die Konstanten in meinem Leben, so komme ich an Verkehrsbauwerken nicht vorbei. Die Mobilität bestimmt unser Leben, und mit dem Auto, der Bahn und anderen Verkehrsmitteln nutzen wir die Verkehrsinfrastruktur samt ihren Bauwerken. In diesem Zusammenhang hat die Ahrtalbrücke eine exponierte Bedeutung. Zum einen haben wir sie bei Autofahrten regelmäßig genutzt, so bei unseren Fahrten ins Legoland oder auch in Urlaube. Aber noch viel signifikanter habe ich die Brücke beim Unterqueren erlebt. Aus der Perspektive von unten, namentlich bei meinen Rennradtouren. Ein gigantisches Bauwerk, das meine Bewunderung verdiente. In was für einer Höhe die Brücke sich über die Weite des Ahrtals spannte, das ließ einen, sich mit reiner Muskelkraft fortbewegend, wahnsinnig klein vorkommen. Wie die Brückenpfeiler diese Bauwerkskonstruktion in solch einer luftige Höhe trug, wie stabil das Bauwerk war und selbst den schlimmsten Stürmen widerstand, das war in der Tat ein Wunder der Technik, dass solch ein Masse von PKWs und LKWs darüber hinweg rauschen konnte. Nach dem Herzinfarkt sind die Gelegenheiten weitaus seltener geworden, dass ich mich von einer Position von ganz unten aus die Autobahnbrücke unterquere. Wandernd bewältigte ich den Rotweinwanderweg von Bad Bodendorf nach Bad Neuenahr, dabei hatte die Faszination der Brücke nicht nachgelassen. Die komplette Spannweite der Brücke fotografierte ich diesmal von den Weinbergen aus. Es war das letzte Stück der Weinberge vor der Ortschaft Heppingen, bevor der Rotweinwanderweg in dichten Wald eintauchte, ein Wald, wo das Efeu die Stämme der Laubbäume regelrecht verschlang. Die Ahrtalbrücke, eine Konstante. 


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