Tagebuch Mai 2021
1. Mai 2021
Es ist nicht so, dass in Zeiten von Corona gar keine Tradition und gar keine Kultur überlebt hat. Wie in anderen Situationen, wird nach Lücken gesucht, nach Hintertürchen oder Umwegen, was nicht gänzlich verboten ist. Maibäume lassen sich mit Abstand transportieren und auch aufstellen. So hat es eine größere Anzahl von Birken geschafft, ohne eine nennenswerte Schar von Junggesellen bei ihrer Liebsten aufgestellt zu werden. In vielen Fällen dürfte sich diese Schar reduziert haben auf einen Junggesellen und seine Angebetete, vielleicht noch eine helfende Hand, die mit angepackt hat. Alles ganz gesittet und mit Abstand, ohne die Feierkulisse und auch ohne den großen Krach und den großen Lärm, wenn in den vergangenen Jahren die Maibäume auf einem Traktor mit einer gröhlenden Schar auf einem Anhänger quer durchs Dorf kutschiert worden sind. Die gröhlende Schar hatte Corona nun verschwinden lassen, die Maibäume waren geblieben, die gepflegte Tradition konnte in diesem Jahr in aller Ruhe ablaufen. Es gab auch positive Akzente von Corona.
2. Mai 2021
Drei Stunden miteinander telefonieren – ein Rekord. Unter der Woche hatten sich Freunde von der Mosel gemeldet, mit denen ich kurz vor dem Corona-Lockdown im März letzten Jahres telefoniert hatte. Danach hatten wir nichts mehr voneinander gehört. Während ich im Home Office arbeitete, ereilte uns in der letzten Woche ein Anruf, dass ihre Mutter im Alter von 93 Jahren gestorben war. Sie hatte eine Schwester, die blind war, an Parkinson litt, in einer Blindenwerkstatt arbeitete und bei ihnen zu Hause wohnte. Die wesentliche Motivation des Anrufs war die Erbschaft, weil ihr Fall etwas ähnlich gelagert war wie derjenige mit meinem Schwager und meiner Frau, nachdem der Schwiegervater gestorben war. Wir freuten uns, von einander zu hören, und beiläufig kamen wir auf den Tod, die Beerdigung und die Erbschaft. Leider musste ich irgendwann das Telefonat abwimmeln, weil ich im Home Office etwas für meinen Chef erledigen musste. Ich reichte den Telefonanruf weiter zu meiner Frau, die eine ganze Zeit lang das Telefonat fortsetzte. Nachdem die Feierabende unter der Woche reichlich gedrängelt waren, rief ich Sonntag nach dem Mittagessen zurück. Drei Stunden dauerte das Telefonat. Die Umbauaktion im Haus des verstorbenen Schwiegervaters, mein Herzinfarkt, ganz viel Pflege der Mutter und auch der Schwester, der noch nicht erreichte Ruhestand, evangelische Enklaven an der Mosel und im Bergischen Land, Gemütsstimmungen im Lockdown: vieles hatten wir in unserem Telefonat nachzuholen, was wir zu erzählen hatten, so viel, dass wir die Zeit vergaßen und drei Stunden miteinander telefonierten. Dabei ging es auch um Ebay und die Vinyl-Plattensammlung, die ich dabei war zu versteigern. Zuletzt hatte ich mich über mich selbst gewundert, weil ich meinen eigenen Musikgeschmack nicht mehr kannte. Im Keller standen zwei Plattenständer mit einzelnen Schallplatten, von denen ich nicht wusste, dass ich sie jemals besessen hätte. Es waren Musikgruppen, mit denen ich überhaupt nichts anzufangen wusste. So Dream Syndicate, Planet-P oder U.K. Die Platten musste ich in einer Spätphase meiner Plattenkäufe gekauft haben, als ich neugierig war auf neue, experimentierfreudige und unbekannte Stücke. Sogleich hatte ich die Probe aufs Exempel gemacht und nach Youtube hinein gehört. Ich hörte mir das komplette Album „Danger Money“ von U.K. an. Ich stellte fest, dass auf meinen Musikgeschmack Verlass war. Die Musik von U.K. war etwas bombastisch aufgebauscht, mit langen, schleppenden und hin- und her wabernden Key-Board-Klängen, eingängigen Rhythmen und einer nachdrücklichen Stimme, deren Sound entfernt an Genesis erinnerte. Ich glaubte, den Stil von Asia heraus zu hören, denn, ich meine, der Sänger wäre derselbe gewesen. U.K. kannte zwar niemand, aber das Album war ein in sich geschlossenes Werk, das schlichtweg klasse war. Ich hörte es gleich mehrmals hintereinander. Derjenige oder diejenige, die es über Ebay ersteigern würde, wird sicherlich seine Freude damit haben. 18 mal war diese Vinyl-Schallplatte in Ebay aufgerufen worden, und ich war mir sicher, dass bei einem solchen Hörerlebnis die Platte ihren Besitzer wechseln würde. Nach drei Stunden Telefonat und viel Gequatsche über meine Ebay-Versteigerungen legte ich den Hörer auf und vom Sonntagnachmittag war nicht mehr allzu viel übrig geblieben.
3. Mai 2021
Die Veränderung war fundamental und schuf ganz andere Grundlagen, die Dinge ordnen zu können, das Laptop als Zentrum des Arbeitsplatzes zu betrachten und sich viel wirkungsvoller konzentrieren zu können. Der Fortschritt, einen eigenen Home-Office-Arbeitsplatz zu haben, war schon bedeutend. Die bisherige Home-Office-Arbeitsplatz im Wintergarten war einfach nur provisorisch, notdürftig, er lag im Durchgangsbereich und es war vor allem bei sonnigem Wetter vormittags unmöglich, dort zu arbeiten. Über die Wintermonate hatte die Sonne noch so tief gestanden, dass sie nicht störte, aber ab dem Monat März hatten sich die Lichtverhältnisse gravierend verschlechtert. Hier kann ich nun all das unterbringen, was ich zur täglichen Arbeit und auch sonstwie brauche. Auf Schmierzetteln kann ich meine Notizen machen. Ich kann sie weglegen, ablegen, in Mappen kann ich sie sortieren. Dinge, die ich nur selten benötige, kann ich in Schubladen legen. Es ist Platz da, dass ich mein Headset griffbereit habe. Mein Handy kann in Griffweite liegen, und zur zwischenzeitlichen Ablenkung kann ich sogar Bücher um mich herum scharen. Ein Home-Office-Arbeitsplatz zum Wohlfühlen. Ein Home-Office-Arbeitsplatz, wo ich die häusliche Umgebung im Einklang bringen kann zu den Anforderungen, die mein Arbeitgeber an mich hat.
4. Mai 2021
Was geht und was geht nicht ? Langsam gehen die Inzidenzzahlen zurück, und die Planungen waren für den nächsten Dorftrödel in unserem Ort gestartet, ohne dass das Infektionsgeschehen berücksichtigt wurde. Übernächsten Samstag soll dieser Dorftrödel statt finden, wenn denn das Coronavirus und die Ordnungsbehörden dies erlauben. Da sich immer noch jede Masse an Kram, Krimskrams, Trödel und Nippes in verschiedenen Ecken und Abstellräumen angesammelt hat, hoffen wir darauf, dass er statt finden wird. Wir kämpfen ständig in Ebay und Ebay-Kleinanzeigen, um Abnehmer für unseren überquellenden Hausrat zu finden. Obschon das eine oder andere Stück seinen Besitzer gewechselt hat, hat gefühlt diese Masse an Kram und Krimskrams kaum abgenommen. Was im Haus des verstorbenen Schwiegervaters noch übrig geblieben ist, soll im Keller gesichtet und sortiert werden. Dazu hatte meine Frau einen Tisch organisiert, der zerlegt war und den wir nun aufgebaut haben. Dort sollen Umzugskartons ausgepackt werden, wir wollen sortieren und selektieren, was in den Verkauf gehen soll. Wir hoffen, dass sich dadurch die Anzahl der Kartons sowohl bei uns wie im Haus des verstorbenen Schwiegervaters verringern wird.
5. Mai 2021
Nachdem die Gärtner dem Garten am Haus des verstorbenen Schwiegervaters wieder eine Struktur gegeben haben, droht das Wetter diese Struktur wieder durcheinander zu bringen. Zuletzt hat es kaum geregnet, und der gesäte Rasen weigert sich auszukeimen. Eine Möglichkeit zum Bewässern haben wir nicht, so dass der ganze Erdboden einfach nur trocken ist. Nichts tut sich, und wir befürchten, dass irgend wann alles mögliche aus dem Erdboden heraus wächst, nur kein Rasen. Das war ja auch im Vorjahr katastrophal gewesen, dass Brombeersträucher alles zugewuchert hatten. Die Ackerwinde hatte vieles bedeckt, das Gras hatte unsystematisch wir sich her gewuchert. Wir haben noch keine Vorstellung davon, wie der Garten in Wochen und Monaten aussehen wird. Wir befürchten allerdings einiges.
6. Mai 2021
An die viermal pro Woche suche ich die Platten aus meiner Vinylplatten-Sammlung in Ebay einzustellen, und am Ende der Verkaufskette, wenn der Verkaufserlös auf dem Konto eingegangen ist, steht dann die Fahrt zum Hermes-Paketshop. Beim Versand von Päckchen und Paketen haben wir dazu lernen müssen. Hermes ist günstiger als die Deutsche Post, zumal Vinyl-Schallplatten ein etwas außergewöhnliches Maß sind. Hermes misst die kürzeste plus die längste Seite, wobei das Schallplattenformat bei Hermes deutlich besser wegkommt als bei der Deutschen Post. Dass der Hermes-Paketshop im Nachbarort in einem Kiosk untergebracht ist, hat den Charme, dass bis 22 Uhr abends Pakete abgegeben werden können. Der Inhaber, ein Ausländer mit einem harten Akzent, der vielleicht aus dem vorderasiatischen Sprachraum kommt, dürfte mich mittlerweile kennen. Einmal hatte ich das freizügige Angebot der Öffnungszeit bis 22 Uhr dahingehend ausgeweitet, dass ich sonntags gegen 21 Uhr meine Schallplatten aufgeben wollte. Doch so freizügig war der Inhaber dann doch nicht. Sonntags war keine Paketannahme, der Paketschalter war dicht. Damit konnte ich gut leben. Am Montag kehrte ich am späten Abend wieder.
7. Mai 2021
Interessante Wortspielereien am Geldautomaten der Raiffeisenbank. Die Wortschöpfungen belegen, wie erfindungsreich die Wortspielereien sind und wie sehr auf allen Ebenen des Alltags die Vorstellungen von Geld eingedrungen sind. Manche Begrifflichkeiten von Geld sind historisch, Taler oder Moneten, andere erfordern Phantasie, was sich alles in Geldeinheiten umrechnen lässt, so Heu, Flöhe oder Mäuse. Begriffe wie Zaster oder Kapital tragen dann wieder dick auf. Kapital läßt einen unvermittelt an Karl Marx denken, an sein Hauptwerk, an all die Folgen der Kausalität des Kapitals, seine Wirkungsformen auf Unternehmer, die Gesellschaft und den Menschen, auf die Arbeit und die Wertschöpfung. Die Ausprägungen können aber auch ganz einfach an Alltagsformen angelehnt sein: Geld, Euros, Münzen oder Scheine. Bei anderen Begriffen des Geldes muss man recherchieren, wo sie denn herkommen. Bei Pinkepinke habe ich keine Ahnung. Was Knete mit Geld verbindet, da bin ich genauso ahnungslos. In jedem Fall ist dies eine interessante Zusammenschau. Wie sehr Geld im Mittelpunkt unseres Alltags steht und wie es sich in Worten wieder findet.
8. Mai 2021
Nachdem das viel zu kalte Wetter die Gartenarbeit über einige Wochen gestoppt hatte, ist nunmehr viel zu viel aufzuholen. Wir kommen nicht nach und wissen nicht, wo wir anfangen sollen. Am Samstag hatte ich mich über das explodierende Unkraut im Blumenbeet aus den letzten Jahren hergemacht, wobei viel dringendere Arbeiten liegen geblieben waren. Kompost hätte ich alternativ durchsieben können, Äste und Zweige hätte ich kleinhäckseln können. Ganz dringend waren auch die Kartoffeln, die in unserem Wintergarten seit einigen Wochen fleißig am auskeimen waren. Wie sich meine Frau das Pflanzen der Kartoffeln vorstellte, das war nicht genau aus ihr heraus zu holen. Der Plan der Ausführung wurde erst konkret, als wir am Sonntag Nachmittag beschlossen, uns mit dem Pflanzen der Kartoffeln zu befassen. Es sollte ein zweiter Kartoffelturm werden, in derselben Form wie der andere Kartoffelturm, der an der Stelle der von Sturm entwurzelten Eberesche stand. Die Prozedur dauerte dementsprechend. Wir bauten eine Kompostmiete auf, schichteten an den Rändern Komposterde aufeinander auf, darin hinein pflanzten wir die Kartoffeln, wobei die Keimlinge nach außen zeigten. Die Mitte füllten wir auf mit Erde, die uns der Gärtner geliefert hatte. Die Komposterde bedeckten wir mit langen Grasstängeln, welche gleichzeitig die Lücken zwischen den Brettern der Kompostmiete ausfüllten. Kartoffel für Kartoffel, Lage für Lage, wuchs der Kartoffelturm nach oben. Das hatte den Charme, dass die Fläche der gepflanzten Kartoffeln minimiert wurde und bei Trockenheit auch ziemlich einfach zu gießen war. Und überdies war der Kartoffelturm auch schön anzuschauen, wie harmonisch er sich auf dem Beet, wo Kopfsalat und Spitzkohl wuchsen, einfügte.
9. Mai 2021
Man kann schon sagen, dass gewisse Lebensumstände zu einer zwar handhabbaren, aber zumindest lästigen Alltagsroutine führen. Dass ich Tabletten einnehmen muss, habe ich mir nie gewünscht, vor allem nicht, dass die Anzahl fünf bis sechs Stück beträgt. Seit dem Infarkt ist das leider so. Ich habe die einzige Perspektive, dass ab diesem Monat eine Tablette wegfallen wird. So ist es am Samstag Abend ein gewisses Ritual, all meine Tabletten für die Folgewoche zusammen zu stellen. Um all die Tabletten handhaben zu können, ist eine runde Tablettenbox von Tchibo sehr nützlich, die wir bei unseren Einkäufen bei real einmal eingekauft hatten. Sieben Fächer für sieben Wochentage beinhaltet die Tablettenbox, und am Samstag Abend werden die Tabletten für die sieben Wochentage zusammen gestellt. Mit einer Schere schneiden wir die Anzahl aus den Packungen heraus, ich löse die Tabletten aus den Blisterverpackungen, lege sie tageweise nebeneinander und sortiere sie dann in die Tablettenbox ein. Das ist viel Kleinkram und Fingerarbeit, die gründlich zu erledigen ist. Eine lästige Samstags-Abends-Beschäftigung, die nicht vergessen werden darf.
10. Mai 2021
Hier ein bißchen Autokino, ein paar Fernsehauftritte ohne Publikum, virtuelle Auftritte im Netz. Für all diejenigen Künstler, die vor einem Publikum auftreten, sind die Zeiten von Corona verheerend. Da können einem gar die Tränen kommen, wie die Existenzgrundlagen entzogen werden und ganze Berufsgruppen zur Untätigkeit verdammt sind. In welcher Situation sich zum Beispiel Theater befinden, das vermochte ich mir nicht mehr vorzustellen. Ein Plakat auf der Weg zur U-Bahn-Station konnte ein bißchen den Eindruck vermitteln, welche Verzweiflungsaktionen die Theater so umtrieben. Die kleineren Theater und auch das städtische Theater waren dicht. Keine Vorstellungen, keine Auftritte auf der Bühne, den Schauspielern war der Boden unter den Füßen weggezogen worden. Anstelle eines Spielplanes mit regelmäßigen Vorstellungen bot das Theater nun ein Literaturtelefon an, welches wohl nur einen minimalen Bruchteil der gewöhnlichen Spielzeit ausfüllte. Alles natürlich schön auf Abstand, lasen Montags bis Donnerstags, jeweils von 16 bis 18 Uhr, sowie freitags von 20 bis 22 Uhr, Schauspieler des Theaters vor. Über das Internet konnten Termine gebucht werden, und zur vereinbarten Uhrzeit riefen die Schauspieler an. Im Angebot standen beispielsweise Texte von Shakespeare, Heinrich Böll, Erich Kästner, Ingeborg Bachmann, Daniil Charms oder Sibylle Berg. Durchzuhalten in der Corona-Krise, dürfte den Schauspielern wohl unwahrscheinlich viel Wille und Kraft abverlangen. Mit solch einem Literaturtelefon zeigen das Theater wenigstens, dass es noch nicht untergegangen ist. Nicht aufzugeben, ob und wie es überhaupt weiter geht, diese Existenzfrage dürfte das oberste Gebot aller Theater sein.
11. Mai 2021
Läuft da noch irgend etwas geregelt ab ? Ich war zwar hoch erfreut, als ich die Buchhandlung am Marktplatz betreten konnte, dennoch fand ich diesen Umstand höchst unlogisch und benachteiligend. Bei einer Inzidenzzahl von 126 griff die Notbremse, so dass in den Geschäften nur noch Click & Collect möglich war, also ein Betretungsverbot. Bestellt werden musste telefonisch oder übers Internet, Abholung an der Eingangstüre, wo Schluss war für den Kunden. Ganz anders an der Buchhandlung am Marktplatz, der offensichtlich eine Sonderbehandlung gewährt wurde. Nicht einmal ein negativer Corona-Test wurde verlangt, so dass die Kunden hinein spazieren konnten, wie sie lustig waren. Das war genau in meinem Sinne. Namen und Anschrift musste man in eine Liste eintragen, einen Einkaufskorb nehmen und das Einkaufserlebnis konnte beginnen. In diesen Zeiten, als die Notbremse so viel Verzicht bedeutete, war dies Balsam für meine Seele. In einer Buchhandlung herum schmökern und Corona für diese Zeit vergessen. Ich wähnte mich in einer anderen Welt, in einer Normalität, die wir uns alle sonstwo so sehr herbei wünschten. Ich hatte keinen blassen Schimmer, mit welcher Begründung sich die Buchhandlung diese Vorzugsbehandlung heraus genommen hatte. Im Internet hatte ich jedenfalls nachgelesen, dass der Buchhandel in NRW sich an dieselben Regeln halten musste wie der übrige Einzelhandel. Ich genoss diese Sonderbehandlung. Ich stöberte in den Auslagen herum, blätterte in den SPIEGEL-Bestsellern herum, las hier, las dort ein paar Abschnitte, überflog die zeitgeschlichtliche, die geschichtliche, die philosophische und die politische Literatur. Ich verinnerlichte die 111er-Serie derjenigen Orte, die man unbedingt gesehen haben musste. Ich entschied mich für das Siebengebirge, weil deren Landschaften heraus ragend waren und das Buch exzellent geschrieben war. Neben diesem Buch kaufte ich den Besteller des Grünen-Politikers Robert Habeck, von dem ich mir einige grüne Zukunftsvisionen erhoffte, um den Klimawandel zu stoppen, einen hyperglobalisierten Kapitalismus neu zu gestalten oder ein Gleichgewicht zwischen Ökonomie und Ökologie herzustellen. Und dann wollte ich mich bei unserer Tochter entschuldigen, dass ich ihr nichts zum Geburtstag geschenkt hatte. In die Buchhandlung am Marktplatz ging sie gerne hinein. Mit Leidenschaft stöberte sie in den Animes herum, eine gewisse Sammlung hatte einen festen Platz in ihrem Kinderzimmer. Den Gutschein, den ich in der Buchhandlung kaufte, sollte etwas besonderes sein. Die Gelegenheit, in der Buchhandlung einkaufen zu können, war gerade zum richtigen Zeitpunkt gekommen.
12. Mai 2021
Wie takt- und pietätlos Reklamesendungen sein können, das durften wir in diesen Tagen erleben. Unser verstorbener Schwiegervater hatte regelmäßig Anziehsachen bei Walbusch bestellt, so dass er in einer noch größeren Regelmäßigkeit Postwurfsendungen erhielt. Nachdem er gestorben war, führte meine Frau gleich mehrere Telefonate mit der Bekleidungsfirma: uns reichte, wenn wir selbst die Reklame von Walbusch an unsere Adresse erhielt. Was den verstorbenen Schwiegervater betraf: zum einen lebte er nicht mehr, zum anderen beabsichtigten wir nicht, irgendwelche Anziehsachen in seinem Namen zu bestellen. Mehrmals telefonierte meine Frau mit Walbusch, dass sie es nicht mehr wünschte, die Reklame an die Adresse des verstorbenen Schwiegervaters mit seinem Namen zu versenden. Zuletzt sah es so aus, als ob dieser Appell gewirkt hätte: es wurden keine Postwurfsendungen von Walbusch mehr zugestellt. Nachdem wir etwa ein halbes Jahr nichts mehr von Walbusch gehört hatten, meldete sich die Bekleidungsfirma zurück. Im Briefkasten befand sich Post von Walbusch. Wir waren entsetzt, wie ignorant Walbusch war. So ignorant, dass es uns unmöglich erschien, das Etikett von Walbusch wieder loszuwerden.
13. Mai 2021
Bei der Anfahrt passte die Sendung im Autoradio bestens. Unter dem Motto „Raus in den Westen“ sammelten die WDR2-Moderatoren sehenswerte Ausflugsziele in ganz NRW ein, von der Schwalm bis in den Teutoburger Wald, vom Siebengebirge bis in das Münsterland, vom Sauerland bis an die Emscher im Ruhrgebiet. In all diese schönen Orte fügte sich mein Vorhaben sehr gut ein: mich zog es – wieder einmal – in die Wahner Heide, diesmal, um die Blüte des Ginsters zu bestaunen. Dabei galt es, den ungefähren Vierzehntageszeitraum Anfang bis Mitte Mai zu erwischen, der die Heidelandschaft in einen gelben Blütentraum verwandeln sollte. Nicht an allen Stellen der Wahner Heide, aber dort, wo die Vegetation von Heide und Kiefern auf sandigen Böden dominierte. Vom Parkplatz am früheren Camp Altenrath zog ich los, wobei ich lernen musste, dass die Intensität der Blüte von der Tageszeit abhängig war. Zu Beginn der Wanderung war die gelbe Blütenpracht eher dezent und unauffällig, aber mit zunehmendem Fortschreiten des Vormittags öffneten sich die Blüten in all ihren prallen Gelbtönen, so dass diese bisweilen ein größeres Areal inmitten von Heidebüschen bedeckten. Kiefern, alleinstehend oder in losen Gruppen, hingen mit ihrem dichten Nadelwerk auf die Sträucher hinab, die sich an manchen Stellen scharf von der Wegeführung abhoben. Elektrozäune schützten weite Teile der unglaublich abwechslungsreichen Landschaft aus Heide und Mischwald. Schilder mit der Aufschrift „Ruhezone“ signalisierten, wo sich Spaziergänger fernhalten sollten. Als ich den Wegesymbolen eines Tonkruges folgte, war es so wie bei vorherigen Spaziergängen durch die Wahner Heide: das Naturschutzgebiet rund um den Flughafen Köln/Bonn war so groß, dass es stets Neues und Unerwartetes zu entdecken gab. So lernte ich an einer Anhöhe voller Sand zwei Dinge: erstens wurde die darunter liegende Niederung des Hühnerbruchs nach dem Birkhuhn benannt, das bis in die 1930er Jahre sehr verbreitet war, heute war es allerdings ausgestorben. Und zweitens erinnerte die Anhöhe an die militärische Vergangenheit der Wahner Heide, da dort ein Sicherheitsstand für Schießübungen aufgebaut war. Im Kaiserreich wurden Kanonen getestet, wie genau die Geschosse waren und wo sie einschlugen. Als der Wanderweg mit dem Tonkrug nach rechts abknickte und leicht bergab führte, entdeckte ich eine weitere Überraschung. Ein Teich oder auch kleinerer See markierte den Übergang von der Heidelandschaft zu einem größeren Waldgebiet. Damit niemand das Ufer betreten konnte, war der See auch hier abgeschirmt durch einen Elektrozaun. Das Quaken von Fröschen war unüberhörbar. Das Gequake vervielfachte sich, hallte in den blauen Himmel hinein, der nur lose von Schleierwolken bedeckt war. Das Gequake durchdrang die Stille, die fast gar nicht gestört wurde durch Starts oder Landungen am nahen Flughafen. Auf demselben Weg schritt ich nun wieder zurück zum Parkplatz. Theoretisch hätte ich auch bei den WDR2-Moderatoren anrufen können. Die Wahner Heide stand sicherlich den übrigen Ausflugszielen in NRW, die ausführlich in der Morgensendung beschrieben wurden, um nichts nach.
14. Mai 2021
Gefühlt liegen die Zeiten arg lange zurück, dass das Wetter einen Zustand von Normalität hatte. Wetterextreme hatten Landwirte und Gärtner noch nicht verzweifeln lassen, der Klimawandel hatte noch nicht auf der Agenda gestanden. Regen und Sonne, Kälte und Trockenphasen, Wolken und Turbulenzen in der Atmosphäre hatten sich in einem gesunden Mittelmaß eingependelt. Diese Zeiten scheinen nun wiedergekehrt zu sein. Die Wetterabläufe wiederholen sich. Morgens, bis in den frühen Nachmittag hinein, scheint die Sonne. Dann brodeln die Wolken in die Höhe, die Wolken verdüstern sich. Regenschauer, mal schlapper, mal intensiver, regnen auf den Erdboden nieder, die von den letzten Dürresommern noch reichlich ausgetrocknet sind. Das tut unserem Garten gut. Für Nässe von oben ist gesorgt, wir brauchen nicht zu gießen. Bei den Regenschauern kommt auch nicht gleich ein Gewitter herunter, dass alles überschwemmt ist. Alles gemäßigt, im Rahmen, kontrollierbar, unser Garten freut sich über den Regen. Wenn es nach uns geht, kann es mit der Abfolge des Wetters so weiter gehen.
15. Mai 2021
Ich musste zugeben, dass die innere Erleichterung groß war. Die Vision, in Cafés wieder einen Kaffee trinken zu können, das war eine Perspektive bei sinkenden Neuinfektionen. So weit war es noch nicht, dass ich etwa im Café Alexandra im Nachbarort oder im Café Blau in Bonn einen Kaffee trinken konnte, aber der Trend wies dorthin. Gerade, was Cafébesuche betrifft, sind seit Corona meine Alltagsabläufe empfindlich gestört worden. Pausen- und Ruhephasen fülle ich mit Cafébesuchen aus, in denen ich kreativ sein kann. Ich nehme ein Buch in die Hand, fahre meinen Laptop hoch, schreibe an Tagebüchern oder anderen Texten. Seit November letzten Jahres war ein solcher Rhythmus nicht mehr möglich. Eher notdürftig gestaltete ich die Pausen- und Ruhephasen, alle Gastronomie ist dicht, einen wirklichen Ersatz für solche Orte hatte ich nicht gefunden. Was ich mir provisorisch gestaltete, hatte bei weitem nicht die Qualität eines Cafébesuches. So setzte ich sehr viel Hoffnung darin, dass in NRW ab nächsten Montag die Gastronomie gelockert würde. Die kleinen Schritte sollten dann ein erster Anstoß sein. Fürs erste würde das noch etwas kompliziert und schwer organisierbar sein. Mit den aktuellen Inzidenzzahlen wird in Bonn noch nichts gelockert sein, allerdings im Rhein-Sieg-Kreis. Weitere Hürden sind zu nehmen, da nur die Außengastronomie betroffen ist und ein negativer Corona-Test vorliegen muss. Das ist noch etwas schwierig, zum Beispiel, wenn ich mit dem Fahrrad ins Büro fahre. Dann müsste ich mich in Bonn testen lassen und das Testergebnis ausdrucken. Am Folgetag könnte ich dann einen Abstecher in die Siegfähre machen, die als Biergarten über eine große Außengastronomie verfügt. Ich hatte aber auch die Möglichkeit ausgelotet, bei uns im Ort, in der Gaststätte „Zur Linde“ am Marktplatz. Ab dem 20. Mai wird die Gaststätte wieder öffnen. Das wäre vielleicht etwas für unsere Familie, wenn wir uns alle auf Corona testen lassen und am Wochenende dort essen gehen. Da muss allerdings noch das Wetter mitmachen. Bei den momentanen rund fünfzehn Grad Höchsttemperatur müssten wir uns warm anziehen und im Pullover draußen sitzen. Am besten in der Mittagssonne in der Pause zwischen den Regenschauern.
16. Mai 2021
Als wir in diesem Jahr das dritte Mal in Folge an dem Dorftrödel teilnahmen, waren die äußeren Bedingungen nicht unbedingt optimal. Zunächst schüttete es, als ich unseren Hausrat zum Haus des verstorbenen Schwiegervaters transportierte. Das war so gegen acht Uhr, bevor der Dorftrödel um zehn Uhr beginnen sollte. Auf dem Weg vom Auto zur Garage, wurde sowohl ich, wie auch diverser Hausrat klatschnass. Pünktlich gegen zehn Uhr besserte sich das Wetter. Neben dichten Wolken schien die Sonne, und stückchenweise wagten wir uns von der Garage mit regenempfindlichen Sachen, die aus Holz waren oder auch Büchern, in den Zufahrtsbereich. Der Strom der Passanten, die hinein schauten und herum stöberten, war ziemlich rege. Anfangs gingen die Verkäufe schlecht, sie besserten sich aber nach und nach, so dass wir im Endeffekt nicht unzufrieden waren. Vielleicht zwanzig Prozent des angebotenen Hausrates wechselten den Besitzer. Wie in den vergangenen Jahren, waren einige Teile dabei, deren Verkauf überraschte. So das Ghetto-Blaster-Radio, das ich bei Ebay-Kleinanzeigen für zwei Euro nicht verkauft bekam. Oder rund die Hälfte der Sammeldosen, von denen wir bei den letzten beiden Dorftrödeln kein einziges Stück los wurden. Kurios war der Verkauf einer Mistgabel, die eigentlich gar nicht für den Verkauf angedacht war. Ein Mann schritt mit einer Mistgabel in die Garage hinein und schwärmte, dass er einige der ganz wenigen Gartenutensilien dieser Art ergattert hätte. Leicht angerostet, besaßen wir eine identische Mistgabel und zeigten diese dem Mann. Für ein Euro nahm der Mann eine zweite Mistgabel und klärte uns auf, dass diese nicht mehr hergestellt würden, äußerst rar seien. Er selbst sei Gärtner und war begeistert von den vielseitigen Einsatzmöglichkeiten. Immer wieder gingen Bilderbücher oder Geschichtenbücher für Kinder weg. Eine Frau, ein wenig älter als wir, erzählte uns, dass sie im letzten Jahr einen ganz einfachen plumpen Stuhl bei uns gekauft hatte, den sie nun weiß angestrichen habe. An diesen Stuhl erinnerte ich mich sehr genau, weil er zu denjenigen gehörte, an den wir die Klarsichthülle mit den Corona-Regeln aufgeklebt hatten. Wir waren nicht auf die Idee gekommen, dass man einen solchen Stuhl auch verkaufen konnte. Neu war in diesem Jahr, dass wir auch Kuchen verkauften. Eine Freundin hatte einen Zitronenkuchen gebacken, meine Frau einen Gugelhupf. Die Nachfrage war ziemlich groß, und bald standen Grüppchen zusammen, man aß Kuchen und trank eine Tasse Kaffee dabei. Wir achteten zwar nicht darauf, ob die Corona-Regeln eingehalten wurden, aber, wenn ich hingeschaut hatte, waren mir nicht mehr als fünf Personen aufgefallen. Etwas jäh war mit dem emsigen Treiben gegen halb vier Uhr Schluß, als ein Gewitterschauer aufzog. Der Himmel verzog sich, es wurde immer schwärzer auf der anderen Rheinseite, die Donnerstöße wurden lauter. Wir sammelten allen Hausrat in der Garagenzufahrt ein und stellten ihn in die Garage. Dies schafften wir so rechtzeitig, bis es ordentlich schüttete. Bestimmt eine halbe Stunde dauerte es, bis der Regen nachließ. Danach fehlte uns die Energie, in der Garagenzufahrt wieder alles aufzubauen. In der Garage war alles so sehr zusammen gestaucht, dass Kaufinteressenten nicht herum laufen konnten. Mit dem Auto fuhren wir noch die Street-Food-Stände ab, die aber nichts zu essen anboten, was uns zusagte. Dann fuhren wir nach Hause, wo wir auf unsere neuen Nachbarn trafen, die ebenso an dem Dorftrödel teilgenommen hatten. Wegen des Gewitterschauers hatten auch sie ihre Garage geschlossen und waren dabei, alles einzupacken. Unsere Nachbarin, etwa Ende zwanzig, erzählte, dass die ganze Veranstaltung auch hätte anders kommen können. Sie hatte Freunde in Zündorf, und in dem Stadtteil im Kölner Süden war vor vierzehn Tagen eine ähnliche Veranstaltung geplant. Zu diesem Zeitpunkt waren in Köln die Corona-Inzidenzen aber komplett anders. Daraufhin hatte das Ordnungsamt genau einen Tag vor dem Stadtteilflohmarkt diesen verboten. Glücklicherweise waren die Inzidenzzahlen im Rhein-Sieg-Kreis ohnehin niedriger als in Köln, und glücklicherweise waren die Inzidenzzahlen in dem Vierzehntageszeitraum deutlich gesunken. So hatte letztlich dem Dorftrödel in unserem Ort nichts entgegengestanden. Wir waren jedenfalls glücklich, ein Stück Normalität in Zeiten der Pandemie erleben zu dürfen.
17. Mai 2021
So romantisch wie der Rhein, erlebte die Zugstrecke von Koblenz aus durch das Mittelrheintal höchste Gefühle der Romantik. Gab es in früheren Zeiten regelmäßige Dienstreisen nach Darmstadt, auf denen ich regelmäßig mit dem Zug das Mittelrheintal befuhr, so waren solche Zugfahrten längst abhanden gekommen. Vor drei Jahren einmal nach Bad Kreuznach, im Dezember des vorletzten Jahres nach Boppard, das war es. So genoss ich heute die vollendete Schönheit des Mittelrheintales, das vollkommen berechtigt zum Weltkulturerbe ernannt worden war. Die Dichte an Burgen, die Windungen des Rheins, die steilen Hänge von Hunsrück und Eifel faszinierten mich jedes Mal aufs Neue. Viel zu selten waren die Gelegenheiten, die Schönheit beim Blick aus dem Zugfenster auf mich wirken zu lassen. Eine besondere Anspannung regte sich jedes Mal, wenn bei St. Goar sich auf der anderen Rheinseite die Loreley erhob. Der mystische Felsen, um den Heinrich Heine sein allseits bekanntes Lied, das zum deutschen Kulturgut geworden war, komponiert hatte, fesselte meine Blicke. Mit dem System von Tunneln musste ich aber jedes Mal aufpassen, dass ich den Felsen nicht verpasste. Zudem versteckte er sich hinter den üppig wuchernden Sträuchern entlang des Bahndamms. Dann drehte sich noch die Bahntrasse in Kurven, so dass die Perspektive auf den Felsen ständig wechselte. Wenige Minuten dauerte es, als die Loreley hinter einem Tunnel hervor schaute, das Blickfeld einnahm und dann wieder verschwand. Der Rhein hatte hinter dieser Stelle eine lange Schleife gezogen, und der Regionalexpress, dessen Ziel Frankfurt war, strebte auf den nächsten Bahnhof, Oberwesel, zu.
18. Mai 2021
Dass die Corona-Regeln nicht so weit gelockert waren, wie ich es mir gewünscht hätte, war hinderlich, aber nicht entscheidend. Nur draußen, mit Corona-Test oder zweifach geimpft oder genesen, war die Gastronomie erlaubt bei einem Inzidenzwert von unter 100 im Rhein-Hunsrück-Kreis. Einen weiten Abstecher hatte ich gemacht nach Oberwesel, mit dem Rheinland-Pfalz-Ticket in der Bahn den Rhein entlang. So verharrte ich im Stehen am Marktplatz von Oberwesel, den die Informationstafel der Touristeninformation als historisch beschrieben hatte. Einen historischen Eindruck machte definitiv die Stadtmauer, genauso die St. Martins-Kirche mit einem genialen Ausblick von oben herab auf den Rhein. Aber der Marktplatz ? Mit einem Becher Kaffee zum Mitnehmen stand ich ziemlich bedröppelt im Regen, der sich hartnäckig weigerte aufzuhören. Ich suchte Schutz unter dem Stadttor, um den langen Bindfäden des Regens zu entkommen. Meine Hände krallten sich fest um den Pappbecher, die Wärme des Kaffees tat gut gegen die kühlende Feuchtigkeit des Regens. Das Restaurant, das Rathaus, die Filiale der Raiffeisenbank kamen mir austauschbar vor auf dem viereckigen Platz. Wenige Bruchsteinfassaden verrieten, dass die Bausubstanz auch älteren Datums sein könnte. Aber um wie viel älter ? Ich hätte die schön sortierten Häuser in die Neuzeit eingeordnet, da war bestimmt nix mit Mittelalter, und selbst innerhalb der Neuzeit am ehesten in die Gründerzeit. Darüber hinaus hatte ich mir von Oberwesel mehr versprochen als ich gesehen hatte. Ja, historisch war die Stadtmauer und die beiden großen, alten und wirklich schönen Kirchen. Aber dass eine ganz normale Durchgangsstraße schnurgeradeaus durch die Stadt führte, das störte. All die Gassen zu der Stadtmauer verströmten nichts Romantisches, sie waren eher banal und grau, so grau wie der Himmel, der nichts als Regen zu bieten hatte. Begleitet von dem breiten Band der Bundesstraße B9, gepaart mit der Bahnlinie, war der Rhein zu einer Hauptverkehrsader begradigt worden und kein Ort zum Bummeln, Verweilen und Schauen. Wie schön Oberwesel sein konnte, das konnte ich nur erahnen oberhalb der Stadt, wo Wanderwege zur Burg Schönburg führten. Wo die Ausblicke zwischen den Weinbergen phänomenal sein mussten und über den Verlauf der Schleife bis zur Loreley reichen dürfte. All diese viel schöneren Perspektiven versperrte mir der Regen. Oberwesel konnte auch schön sein, aber nicht an dieser Stelle auf diesem Platz mitten in der Stadt und mitten im Regen.
19. Mai 2021
Einen Höhepunkt hatte Oberwesel dann doch zu bieten. Bereits bei der Anfahrt des Zuges auf Oberwesel war eine hoch gelegene Kirche zu sehen, dessen Kirchturm die Form eines Wehrturmes hatte. In strömendem Regen marschierte ich auf einer Seitenstraße den Berg hoch, dabei erinnerte ich mich an die Ardennen, wo in dem Ort Theux ein ähnliches Umfunktionieren einer Kirche in eine Stadtbefestigung zu sehen gewesen war. Der Bewehrungscharakter war hier in Oberwesel aber noch offensichtlicher. Der Turm war gekränzt mit Zinnen, und auf dem Turm war ein gedrungener sechseckiger Aufbau aufgesetzt, der als „Butterfassturm“ bezeichnet wurde. Die Kirche, die nach dem Heiligen Martin benannt war, war alt, sehr alt und stammte aus der romanischen Epoche. Die Fenster im Chor waren im Stil der Gotik umgebaut. Ein Sakramentshaus und eine Madonna stammten aus dem 14. Jahrhundert, mehrere Wandmalereien waren dem 16. Jahrhundert zuzuordnen, und besonders prächtig war der Hochaltar. Was die Kirche besonders hinreißend machte, das war der Ausblick auf den Rhein. An den Friedhof schloss sich ein Pfarrgarten an, ein kleiner Garten in einer geometrisch abgesteckten Form, der über einem Berghang lag. Durchnässt, musste ich auf einem Fußweg an dem Turm der Kirche vorbei spazieren. Am Rand des Pfarrgartens, geschützt durch ein Geländer, war der Ausblick auf den Rhein phänomenal. Ich schaute geradewegs auf die Schleife, die der Rhein zur Loreley hin zog, die sich mit ihrem wuchtigen Felsen hinter dem Flusslauf versteckte. Obschon ich durch mein Hemd klatschnass war, hielt ich inne, um diesen gigantischen Ausblick zu verinnerlichen. Alleine mit diesem Panorama konnte ich nachvollziehen, wie sehr der Rhein eine Reisebewegung ab dem 18. Jahrhundert ausgelöst hatte, die Künstler, Dichter und Denker aus ganz Europa angezogen hatte. Über die eng getakteten Stufen der Martinstreppe stieg ich hinab in den Ort. Die Stufen stiegen geradewegs hinab auf die Stadtmauer, dessen Widerstandskraft sich in dem Dauerregen und der Vergänglichkeit aufzulösen schien. Der Gang entlang der Stadtmauer ergänzte den Rundgang, der unvollständig blieb, weil die Kombination von Ausblicken von der Höhe aus, dem Rhein und dem Städtchen im Tal dessen Wesen ausmachte. Genau diesen Teil, wandernd die Landschaft von oben aus zu erkunden, hatte ich nicht geschafft.
20. Mai 2021
Da ich auf der Rückfahrt von Oberwesel in Koblenz umsteigen musste, ließ ich es mir nicht nehmen, in Zeiten sinkender Corona-Inzidenzzahlen die Atmosphäre der Stadt einzuatmen. Beim Gang durch die Stadt musste ich feststellen, wie sehr sie Teil von mir geworden war. Es gab feste Orte und Plätze, die mich faszinierten. Wenn ich denn Zeit gehabt hätte, um weiter zu gehen, hätte ich meine Route gehabt, die ich abgeschritten wäre. Es gab stets Neues in dieser Stadt zu entdecken, doch infolge der knappen Zeit musste ich meine Strecke stark verkürzen. Im Einkaufszentrum der Löhr-Passage war alles wieder normal geöffnet, nur die Sitzplätze bei all den Imbissen waren abgesperrt. Im Löhr-Einkaufszentrum zog es mich nach Thalia, wo die Auswahl an regionaler Literatur über die Mosel, den Rhein, die Eifel, den Hunsrück und den Westerwald riesig war. Die Auswahl war noch einiges vielfältiger als in Bonn, wo sich die regionale Literatur mehr nach Norden orientierte, nach Köln, in das Siebengebirge oder in das Bergische Land. Danach aß ich auf der Löhrstraße am Kaufhof eine niederländische Portion Fritten. Mit den Fritten in der Hand schritt ich vorwärts zu dem Platz, wo das Café Extrablatt lag. Das Café Extrablatt war noch geschlossen, kein Lebenszeichen war zu erkennen, wann dieser Lieblingsort seine Außengastronomie wieder öffnen würde. Viele andere Cafés und Restaurants hatten ihre Außengastronomie auf dem belebten Platz aber wieder geöffnet. Dort einzukehren, dazu hielt das regnerische Wetter die vorbei schreitenden Passanten nicht ab. Immer wieder bekam ich die Gespräche mit, dass die Kunden haderten mit dem negativen Corona-Test, der beizubringen war. Die Sitzplätze hatten sich gefüllt, der Regen plätscherte auf die Marktschirme herab, dem Platz mit der Liebfrauenkirche im Hintergrund war wieder Leben eingehaucht worden. Das stimmte mich zufrieden, dass bei weiter sinkenden Inzidenzzahlen eine Normalität einkehren könnte, wie es sie im Sommer letzten Jahres gegeben hatte. In Bonn waren wir noch nicht soweit, dort lag der Inzidenzwert erst am vierten Tag in Folge unter einhundert. In Koblenz fühlte ich mich sogleich um ein vielfaches wohler als in Bonn oder auch als zu Hause.
21. Mai 2021
Als ob ich es geahnt hätte, was auf uns alle zukommen würde, hatte ich den Kassenbon gut aufbewahrt, als ich am 27. Oktober im Nachbarort in dem Café gegenüber der Kirche eine Tasse Kaffee getrunken hatte. Da war beschlossen worden, vier Tage später die Gastronomie komplett dicht zu machen. Ab November dauerte dann diese fürchterliche Hängepartie an, dass alle Cafés und Restaurants geschlossen waren, was den Tagesablauf – neben all den anderen Maßnahmen zur Kontaktbeschränkung und Kontaktvermeidung – empfindlich durcheinander brachte. In der Mittagspause meines gestrigen Arbeitstages im Büro war es dann endlich so weit, nach genau 6 Monaten und 24 Tagen, dass ich nach der Lockerung der Corona-Regelungen wieder eine Tasse Kaffee in einem Café trinken konnte. Dazu musste ich allerdings mit der Straßenbahn-Linie 66 vom Bonner Stadtgebiet in den Rhein-Sieg-Kreis fahren. Dort war die Bundes-Notbremse außer Kraft getreten, nachdem fünf Werktage lang der Inzidenzwert unterhalb der magischen Zahl 100 gelegen hatte. Ich begab mich nach Königswinter, an die Rheinpromenade. Das Café „Bonjour“ hatte gerade einmal drei Tische draußen stehen, dazu einen Stehtisch. Soeben war ein Platz frei geworden, und prompt fragte mich der Kellner nach einem negativen Corona-Test. Diesen hatte ich bei mir, voller Sehnsucht erwartete ich den Kaffee, währenddessen konnte ich beobachten, dass ich Glück gehabt hatte. Nachdem ich Platz genommen hatte, wurde der eine oder andere Gast zurück gewiesen, da das knappe Platzangebot von insgesamt vier Tischen belegt war. Derweil sog ich den Blick auf den Rhein in mich hinein, das Lebensgefühl definierte sich neu. Ich konnte die vorbei tuckernden Schiffe beobachten, dazu die Fußgänger und die Radfahrer auf der Rheinpromenade. Obschon der Himmel bewölkt war und die Temperatur weniger als zwanzig Grad betrug, fühlte es sich warm an bei der locker daher gespielten Musik im Hintergrund. Die Sängerin Miley Cyrus faselte etwas davon, dass die Nacht lang geworden war und der Spiegel ihr gesagt habe, wann sie nach Hause gehen solle. Ein Werbeblock schob sich hinein, danach ratterte der Sprecher auf WDR2 die halbstündlichen Nachrichten herunter. So konnte es weiter gehen, das war die Taktung, in der ich mich wohl fühlte. Ich hoffte, dass der Trend der sinkenden Inzidenzzahlen sich in den nächsten Wochen fortsetzen würde.
22. Mai 2021
Was haben Königswinter am Rhein und Dernau im Ahrtal gemeinsam ? Sie haben sich Multitalenten bedient, einer sanftmütigen und feinsinnigen Tierart, die keine besonderen Ansprüche hat. Eine Tierart, die Geduld erfordert, die in ihrem Inneren gerne für störrisch gehalten wird, die aber vor Ausdauer strotzt und als Nutztier vielseitig verwendbar ist. In Königswinter wie in Dernau wird man im Zentrum der beiden Orte einen Esel nicht übersehen können. Esel, die sich vorzüglich als Arbeitstiere eignen, und wenn man sanft genug mit ihnen umgeht, dann sind sie auch nicht störrisch. In Dernau waren es nach dem Ersten Weltkrieg amerikanische Besatzungstruppen, die in ihrem Heer rund 1.000 Maulesel dabei hatten. Bei ihrem Abzug ließen sie etliche Maulesel zurück, die die Winzer zum Beackern der Weinstöcke gerne einsetzten. In den Steinbrüchen des Siebengebirges waren die Tätigkeiten der Esel ungleich schwerer. Von dort aus wurde die größte Mega-Baustelle der preußischen Rheinprovinz beliefert, das war die Fertigstellung des Kölner Doms. Große Massen von Trachyt aus dem Siebengebirge wurden dort verbaut, und zum Abtransport der Steinmassen sowie zum Verladen auf Schiffe wurden auch Esel eingesetzt. Geduldig verrichteten sie ihre Arbeit, bis 1831 der preußische König Friedrich Wilhelm III. den Steinabbau im Siebengebirge verboten hatte. Dass die Esel weiter beschäftigt wurden, wurde nahtlos gewährleistet. Mit der Dampfschifffahrt auf dem Rhein boomte der Tourismus, und der Drachenfels war die touristische Attraktion schlechthin. Mehr als eine halbe Million Touristen zählte zu dieser Zeit der Tourismus auf dem Mittelrhein. In diese Zeit noch vor dem deutschen Kaiserreich datiert die Verwendung von Eseln zurück, dass man mit dem Esel auf den Drachenfels reiten konnte, als noch niemand von einer Zahnradbahn zu träumen gewagt hatte. Ein neuer Reiseboom hatte in der Nachkriegszeit eingesetzt, als der Familienausflug auf den Drachenfels auf Eseln geschah. Erst das Corona-Virus gelang es, die Transportfunktion von Eseln zum Erliegen zu bringen. Die Bedeutung des Esels hat die Stadt Königswinter in ihrem Zentrum gewürdigt. An der einen Stelle ist auf der Rheinuferpromenade ein Eselsbrunnen aufgebaut worden, rund zwanzig Meter weiter fungiert ein Esel als Wegweiser. Das Siebengebirgsmuseum freut sich auf Besucher, und Esel gehören auch zu den Exponaten des Museums.
23. Mai 2021
Die Ereignisse hielten an diesem Tag zwei dicke Knaller bereit. Von unseren Einkäufen bei real waren wir zurückgekehrt, unser Mittagessen in Form einer selbst zubereiteten Erbsensuppe hatten wir verspeist, da telefonierten wir das eine Mal mit meinem Schwager, und das zweite Telefonat hatte es in sich. In der Behindertenwerkstatt gäbe es einen Covid19-Fall, und er sei die erste Kontaktperson. Wer infiziert war, wurde nicht genannt, zumal die komplette Behindertenwerkstatt eigentlich geimpft sein sollte, er müsse jedenfalls in Quarantäne. Den ganzen Tag in sein Zimmer, kein Kontakt zu seinen WG-Bewohnern, das Rote Kreuz, welches die Augentropfen verabreichte und die Stützstrümpfe anzog, musste informiert werden, sowie die Betreuer, die beim Einkaufen, Kochen und Saubermachen unterstützten. Diese Anrufe erledigte meine Frau. Ein Selbsttest war negativ, ein PCR-Test machte erst am Dienstag nach Pfingsten Sinn. So musste mein Schwager der Dinge ausharren, eingesperrt in sein Zimmer und hoffen, dass der PCR-Test negativ ausfallen würde. Dazwischen würde fast eine Woche in solch einem Zustand vergehen. Der zweite Knaller wartete beim banalen Thema des Fußballs. Da wurde am letzten Bundesligaspieltag die FC-Seele überstrapaziert bei einer solchen Dramatik, wer absteigt. Weil ich diese Dramatik nicht mehr ertragen konnte, hörte ich nur sporadisch hinein in die Berichterstattung auf WDR2. Ich erwischte so um die 80. Minute, als es in Köln gegen Schalke 0:0 stand und Bremen gerade das 1:4 gegen Mönchengladbach erzielt hatte. Dann schaltete ich das Radio aus und erst wieder ein, als die Partien beinahe vorbei waren. Köln hatte soeben 1:0 gegen Schalke gewonnen und in Bremen liefen noch einige Sekunden beim Stand von 2:4 gegen Mönchengladbach. Der Reporter wurde ironisch und suchte den Bremer Abstieg schön zu reden, weil es in der Zweiten Liga viele Nordduelle geben würde gegen den HSV, Hannover 96, den FC St. Pauli oder Eintracht Braunschweig. Obschon die Freude groß war, war Köln noch nicht ganz durch. Es standen noch zwei Relegationsspiele an gegen einen Gegner, der am Sonntag am letzten Spieltag der Zweiten Liga noch zu ermitteln war.
24. Mai 2021
Spaziergang am Pfingstsonntag zur Baustelle. Baustellen haben in unserer Stadt etwas Spezifisches. Sie signalisieren, dass es vorwärts geht, wenngleich sie unentwegt stören, stets an der falschen Stelle auftauchen und eine Endlosaktion nach sich ziehen, die nicht aufhören will. Nachdem ich die Straßensperrung zu unserer Umgehungsstraße gesehen hatte, war ich neugierig geworden, was die Ursache der Baustelle war und wie sie geartet war. Baustellen können so einen gewissen Wesenskern entfalten, wenn sie nicht planlos, sinnlos oder unkoordiniert sind, weil um des Bauens Willen ein größtmögliches Chaos verursacht wird. Als wir dorthin spazierten, wo die Umgehungsstraße den spontanen Knick machte, während geradeaus die Erdbeerfelder in Sichtweite lagen, war der Plan an der abknickenden Straße klar erkennbar: ein weiteres Stück wurde die Umgehungsstraße ausgebaut, und der Knick sollte durch einen Kreisverkehr ersetzt werden. Die Kreisform des Kreisverkehrs fügte sich in Bruchstücken von Seitenteilen zusammen. Ein bißchen Halbrund eines Kreisverkehres zeigte sich auf der rechten Seite, zur neuen Umgehungsstraße hin, während die Kurve nach links noch ohne Baustelle war. Der Baufortschritt verriet, dass es noch dauern würde, dass die Autofahrer die Unannehmlichkeiten ertragen mussten. Der Kreisverkehr war lediglich zu einem kleineren Bruchteil gebaut worden, und eine Woche lang mussten nun die Autofahrer auf die alte Landstraße in unseren Nachbarort ausweichen. Bis der Kreisverkehr fertig gestellt sein würde, könnte es einen Monat oder länger dauern. Die Autofahrer würden sich gedulden müssen, aber ein Plan war erkennbar.
25. Mai 2021
Es war die Runde durch den Japanischen Garten, die es mir angetan hatte. Die Fahrt in die Rheinaue und die Runde durch den Japanischen Garten waren kurz genug, um die Zeit des späten Nachmittags bis zum Abendessen auszufüllen. Den hinteren Teil des Parkplatzes an der Ludwig-Erhard-Allee beanspruchte eine Baustelle, so dass wir über einen Trampelpfad die Brücke über die breite Autobahnauffahrt beschreiten mussten. Die Kehre, bevor wir zum Japanischen Garten gelangten, belagerten Jugendliche um die zwanzig, die sich mit Whisky und anderen hochprozentigen Sachen am betrinken waren. Wir waren nicht nur wegen des hohen Alkoholkonsums entsetzt, sondern auch, wie wenig sie sich um die Corona-Regeln scherten, denn die Gruppe bestand aus sieben bis acht Personen, ganz dicht standen sie beisammen, und es waren bestimmt mehr als zwei Haushalte. Um frische Luft zu tanken, hatte ich den Japanischen Garten ausgesucht, weil er so schön übersichtlich war und weil er wahnsinnig reich war an Details und Facetten. Japanische Schriftzeichen auf einem Basaltblock begrüßten den Besucher am Eingang, und einmal im Kreis führte der Rundgang an einem großen Teich vorbei, wo fette Goldfische bisweilen in größeren Schwärmen an die Oberfläche tauchten. Ich entdeckte Ziergehölze, die in einem prallen Rosa aufgeblüht waren. Dieselbe Pflanze, dessen Namen ich nicht kannte, blühte in demselben prallen Rosa in unserem Hauszugang, aber hier war sie um ein vielfaches größer und war angewachsen vielleicht auf die Größe einer Garage. Das Ufer des Teiches war gut frequentiert. Rund um einen Rastplatz scharte sich ein Familienausflug. In Körben hatten sie Brote, Knabbereien und Kekse mitgebracht, und unter dem überdachten Holzpavillon machten sie ein Picknick. Ein Kleiner kraxelte auf Steinen am Uferrand den Teich entlang. Wir machten den Rundgang durch den japanischen Garten und stellten fest, dass das Wasser abgestellt war, so dass von oben kein Wasser die Steine herabfloss in den Teich, der hingegen gut gefüllt war mit Wasser. In aller Gemächlichkeit des Sonntagnachmittags drehten wir die Runde durch den Japanischen Garten und schritten danach über den Weg mit den römischen Denkmälern.
26. Mai 2021
Schaut man auf die Wildblumenwiese, ahnt der Betrachter wenig von dem Behördenschlamassel, der sich dahinter in den Büroräumen verbirgt. Wenn ich mit dem Fahrrad ins Büro fahre, komme ich jedesmal an der Wildblumenwiese vorbei, die in diesen Sommertagen ein wahrer Blickfang ist. Margariten sind in die Höhe gesprossen, die sich an den Rändern zu Büscheln verdichten. Lange Zeit, über mehrere Jahre, befanden sich die Büroräume im Werdenszustand einer Baustelle. Im Jahr 2020 zogen dort 1.500 Büroarbeitsplätze ein, die zu der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit gehören. Dabei geht das, was die Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit – in der Kurzform GIZ – so umtreibt, in einem gewissen Behördenschlamassel unter. Aus den neuen 1.500 Arbeitsplätzen läßt sich schlussfolgern, dass die internationale Zusammenarbeit massiv angewachsen sein muss. Ein bißchen Corona, ein bißchen Projektmanagement, ein bißchen Infrastrukturausbau rund um die Welt, während das große Ganze der internationalen Zusammenarbeit nicht aufleuchtet, weil es noch das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik ein paar Straßen weiter in den Bürokomplexen am Tulpenfeld gibt. Was die GIZ im Internet so beschreibt, liest sich abenteuerlich und exotisch. Baumaßnahmen sollen im Rahmen von internationalen Friedensmissionen geplant und ausgeführt werden. Und was soll da genau gebaut werden ? Die GIZ verweist auf globale Projekte zur Förderung nachhaltig produzierten Palmöls. Ist die Nachhaltigkeit von Palmöl, wenn tropischer Regenwald abgeholzt wird, nicht ein Widerspruch in sich ? In China soll mit demselben Argument der Nachhaltigkeit eine nachhaltige Waldbewirtschaftung umgesetzt werden. Haben wir selbst in Deutschland nicht Riesenprobleme mit der Trockenheit und dem Borkenkäfer ? In Uganda wurden Gelder für eine App bereitgestellt, dass Kunden nicht mehr Märkte aufsuchen müssen, sondern anstatt dessen mit der App Obst, Gemüse und Milchprodukte Online bestellen können, die dann per Fahrrad oder Moped ins Haus geliefert werden. Was bringt diese App ? Schaut man auf die sinnstiftenden Inhalte der GIZ, dann schaue ich auf der Fahrradfahrt ins Büro gerne auf diese Wildblumenwiese. Der Behördendschungel erscheint allerdings undurchdringlich.
27. Mai 2021
Das Wetter war so richtig usselig, ungemütlich und kühl. Gleich mehrere Regenschauer waren herunter gekommen, aber glücklicherweise schaffte ich es trocken auf dem Rennrad ins Büro und auch wieder nach Hause zurück. Wenn zwischen den Schauern die Sonne hervor blinzelte, dann nur schüchtern und zeitweilig, ohne dass sie größere Portionen Wärme spendete. Alles in allem, ein Tag zum drinnen bleiben, zum Verkriechen in den eigenen vier Wänden. Ein Tag fürs Home Office und die Dinge zu Hause organisieren, doch ich war komplett anders unterwegs. In der Stadt hatte ich einen Corona-Schnelltest organisiert, und ich wollte hinaus in die neuen Freiheiten des beendeten Lockdowns. Ein Ende, das wir alle so sehr herbei gesehnt hatten und das ich selbst nun auskosten wollte. Draußen eine Tasse Kaffee trinken bei diesem usseligen, ungemütlichen und kühlen Wetter. Es waren höchst emotionale, befreiende, beflügelnde und motivierende Momente. Ein halbes Jahr waren wir beraubt worden dieser kleinen Dinge, die die Schönheiten des Alltags ausmachen. Zu einem Volk voller Griesgräme waren wir geworden, die nur auf Abstand gehalten wurden und es gab nichts mehr, worauf wir uns freuen konnten. Diese Zeit war nun vorbei und wir konnten wieder beginnen, in Restaurants essen zu gehen und in Biergärten eine Tasse Kaffee zu trinken. Ein neues Lebensgefühl konnte sich wieder einstellen. Zu einem normalen Lebensrhythmus konnte ich wieder zurückkehren, nachdem die Gastronomie wieder öffnen durfte.
28. Mai 2021
Diese Dosen Mixery Brew verursachten eine Aktion, auf die wir lieber verzichtet hätten. Unsere Tochter war, wie es manchmal geschah, von der Schule aus nicht zu uns nach Hause gekommen, sondern mit dem Bus direkt zu ihrer Freundin drei Orte weiter gefahren. Gewöhnlich verlief der Tag dann so, dass wir sie zwischen sieben und acht Uhr mit dem Auto dort abholten. Es war so einiges früher, dass wir einen Anruf von der Mutter der Freundin erhielten. Unsere Tochter hätte drei Dosen von einem Bier-Mix-Getränk getrunken, und nun sei sie vollständig von der Rolle. Sie sei so betrunken, dass sie sich nur noch schlecht auf den Beinen halten könne. Sie fühle sich verpflichtet, uns dies mitzuteilen, da sie ansonsten glaubte, man könnte denken, sie hätte nichts getan, um dies zu verhindern. Ich sagte zu, unsere Tochter sofort abzuholen. Als ich dort ankam, bekam ich unsere Tochter gar nicht zu sehen, weil sie sich auf der Toilette eingesperrt hatte. Dort regte sich nichts, anscheinend wollte unsere Tochter in dem eingesperrten Zustand verharren. Ganz wenige Worte konnten wir mit unserer Tochter wechseln, und wir konnten sie nicht bewegen, heraus zu treten. Im Zimmer der Klassenkameradin sichtete ich zwei 0,5 Liter-Dosen Mixery Brew, und auf der Aufschrift überzeugte ich mich, dass der Alkoholgehalt bei 5% lag. Drei Dosen konnte demzufolge unsere Tochter regelrecht umgehauen haben. Mit dem vorhandenen Werkzeug schafften wir es nicht, den Türbeschlag so zu demontieren, dass man den Türschlüssel auf der Innenseite öffnen konnte. Der Drang der Mutter der Klassenkameradin, auf die Toilette zu müssen, bewog dann doch unsere Tochter, diese zu verlassen. Tatsächlich war sie höchst unsicher auf den Beinen und kaum ansprechbar. Die Klassenkameradin und ihre Mutter begleiteten sie durch das Treppenhaus in unser Auto, so dass diese sehr schwierige Mission beendet war.
29. Mai 2021
Musste es so kommen ? Der Friseuse im Friseursalon, den wir mit unserer Familie regelmäßig aufsuchen, war nach 26 Jahren, in denen sie dort gearbeitet hatte, gekündigt worden. War die Kündigung alternativlos ? So ungefähr dieselben 26 Jahre sind wir genau zu derselben Friseuse gegangen, die uns die Haare geschnitten hatte, Freude und Leid miterlebt hatte und so nebenher mitbekommen hatte, wie klein unsere Kinder einmal waren und wie sie groß geworden waren. Die Kundenbeziehung zum Friseur ist eine andere als in „normalen“ Geschäften. Der Friseur ist ein bißchen Psychologe, Zuhörer und auch Erzähler. Der letzte Arbeitstag fiel ihr schwer, dazu hatte sie extra eine Tablette genommen. Eine neue Arbeit zu finden, sah sie optimistisch, weil Friseure überall gesucht würden. Punkt 13 Uhr würde sie heute den Friseursalon verlassen. Von ihren Kunden würde sie sich gebührend verabschieden, und für nachmittags um 16 Uhr hatte sie ihre besten Freundinnen zu einem Glas Sekt eingeladen. Auf ihr neues Leben wollte sie anstoßen. Ein Lebensabschnitt im Friseursalon war zu Ende gegangen, dem ein neuer Lebensabschnitt folgen würde.
30. Mai 2021
Es war ein Tag der Befreiung, ein Tag der großen Erlösung. Es war Sonntag, und meine Frau war im Ort unterwegs gewesen. Am Marktplatz war ihr aufgefallen, dass in dem Restaurant draußen alle Plätze belegt waren. Wenn wir hätten essen wollen, war dort bei dem schönen Wetter nichts zu machen. Anders sah es hingegen im Restaurant „Alte Post“ aus. Der Biergarten im Hinterhof des Restaurants war klein, aber dort war überhaupt nichts los. Nur wenige Plätze waren besetzt, das erzählte meine Frau, so dass sie sich eingeladen fühlte. All die Enthaltsamkeit der Pandemie nagte an uns, der Lockdown hatte seine Spuren hinterlassen. Wir befanden uns noch in einer Art von Schockstarre, dass die Geselligkeit auszublenden war. Restaurantbesuche waren der Notwendigkeit, Kontakte zu reduzieren, unterzuordnen. Nun waren die Dinge wieder im Fluss. In Zeiten sinkender Infektionszahlen konnte man sich aus dem Dauerzustand des Schocks wieder befreien, es wurde gelockert und es gab Öffnungsperspektiven. Und so befreiend war es für uns, in der Außengastronomie des Restaurants „Alte Post“ essen zu können. All die Einschränkungen von Corona fielen von uns herab. Wir brauchten nicht einmal einen negativen Corona-Test, das hatten wir zuvor telefonisch erfragt, was wohl an dem sehr niedrigen Inzidenzwert im Rhein-Sieg-Kreis von 29 lag. Wir waren auch nicht alleine, nur noch zwei Vierertische waren frei. Den Grillteller und das Hirtensteak ließen wir uns schmecken, und wir tranken ordentlich Wein dazu. Einen Roséwein, und bei mir war es ein schön gekühlter Weißburgunder. Ein komplett neues Lebensgefühl konnte wieder beginnen. In einer Zeit, in der wir Corona hoffentlich abschütteln sollten wie ein lästiges Insekt.
31. Mai 2021
Einmal anschauen, was wir in unserem Ort nicht anschauen konnten, weil wir selber mitgemacht hatten. Dreimal hatten wir am Dorftrödel in unserem Ort teilgenommen, wo wir jede Menge Hausrat zum Verkauf angeboten hatten – insgesamt mit einem durchaus zufriedenstellenden Ergebnis. Nun fand dieser Dorftrödel in unserem Nachbarort statt, und da hieß es: nichts wie hin. Bereits am Morgen kursierte die Nachricht, dass das Event so begehrt war, dass ein ganzer Bus aus Dortmund angereist sei. Bei uns wurde die Anreise mit dem Fahrrad sehr spät, denn erst gegen 15.30 Uhr waren wir durch mit dem Mittagessen und der anschließenden Spülerei. So wie in unserem Ort konnten wir uns schön orientieren an den Luftballons, wo dann Tische mit allem möglichen Nützlichen und Unnützlichen standen. Hausrat, der zuviel war in den eigenen vier Wänden und verkauft werden sollte. Wir hangelten uns hindurch durch Gassen und Nebenstraßen, vorbei an Haushaltsgegenständen, die sich oft wiederholten. Kinderbücher standen oft zum Verkauf, Anziehsachen auf Hängeständern oder Porzellan. Meiner Frau hatte ich mitgegeben, dass ich nichts zu kaufen beabsichtige, weil unser Reservoir an unbenutztem Hausrat immer noch groß war. Doch dies sollte sich bald ändern: für einen WG-Bewohner entdeckte meine Frau eine Stehlampe, da nicht alle Ecken seines Zimmers ausreichend ausgeleuchtet waren. Mit der Verkäuferin vereinbarte sie extra eine Lieferung, weil wir sie auf unseren Fahrrädern nicht transportieren konnten. An den Dorftrödelständen war auch die eine oder andere Kuriosität dabei. Der Mann einer Verkäuferin hatte eine Unmenge von alten Fotoapparaten gesammelt, die nun zu verkaufen waren. Eine andere Verkäuferin flehte uns ein wenig an, dass wir ein Keyboard kaufen sollten. Welchen höheren Sinn doch die Musik geben könne und was für ein wunderbares Musikinstrument doch ein Keyboard sei. Leider waren wir so spät, dass die Dorftrödelstände früher oder später ihre Sachen wieder in Kartons einpackten. Die offizielle Zeit des Dorftrödels ging von 10 bis 17 Uhr. Alles in allem war entspannend, die Dinge aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten, was im Nachbarort aus derselben Sache veranstaltet wurde.
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