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Tagebuch August 2022

1. August 2022


Was der Führer uns über Kernbereiche und unterstützende Bereiche erzählte, das kam mir aus meiner Arbeitswelt allzu bekannt vor. Betriebswirtschaftlich war dies in das Thema Organisation einzuordnen: das waren all die Kästchen, die sich trennen ließen in all diejenigen, die mittendrin waren im Prozess der betrieblichen Leistungserstellung, und all diejenigen, die indirekt mitwirkten an dieser Leistungserstellung. In der Zeche Zollverein hatte man die Gebäudeteile höchst anschaulich in geometrischen Linien angeordnet. Schritt man durch den Eingang, so richteten sich die Blicke geradlinig auf die Fördertürme der Zeche. So wie bei den großen Kathedralen, geschah die Ausrichtung in eine Ost-West-Richtung. Fördertürme und Zeche umfassten den eigentlichen Produktionsbereich der Kohleförderung. In der Senkrechten zu dieser geradlinigen Perspektive reihten sich die unterstützenden Bereiche auf, namentlich nannte der Führer die Stromversorgung und die Druckluftzentrale. Beeindruckend war der Baustil Ende der 1920er Jahre, der zur sogenannten neuen Sachlichkeit gehörte. Dieser Baustil war streng geometrisch, dies in einer Ziegelbauweise, wo in der Nachkriegszeit jeder Ziegel gesichtet worden war. Die Zielsetzung war die Wiederverwendung der vorhandenen Mauerziegel, die in der Nachkriegszeit einzeln geprüft wurden, wieder eingesetzt wurden, in wenigen Fällen wurden sie ersetzt durch neue Ziegel. Dieser peniblen Vorgehensweise bei der Restaurierung war es zu verdanken, dass die Zeche Zollverein zum Weltkulturerbe ernannt worden war. Manchmal malte ich im Tagesgeschäft an meinem Arbeitsplatz auch solche Kästchen der Produktionsbereiche und unterstützenden Bereiche: Prozesse in den Call-Centern, an denen die Kunden mit ihren Wünschen hingen, und unterstützende Prozesse wie IT, Gebäude, Leitung oder Sekretariate. Ich verrichtete aber meine Arbeit nicht in einem solch beeindruckenden Ensemble wie der Zeche Zollverein, die zum UNESCO-Weltkulturerbe ernannt worden war.

2. August 2022


Einmal in Essen angelangt, wollten wir auch die Essener Innenstadt in Augenschein nehmen. Auf dem Rückweg von der Zeche Zollverein, stiegen wir aus an der Haltestelle Viehofplatz, von wo aus wir eine alt aussehende Kirche erblickten. Als Ziel hatten wir den Essener Dom ins Visier genommen, doch diese alt aussehende Kirche entpuppte sich als eine evangelische Kirche, die etliche Jahrhunderte jünger war als der Dombau, dessen Ursprünge in der Zeit der Karolinger lagen. Also stapften wir durch die Fußgängerzone vorwärts, und selten kann ich mich an eine Fußgängerzone erinnern, wo sich soviel Glas und Glasscherben auf dem Straßenpflaster angesammelt hatten. Wir begegneten weder Bettlern, noch Drogenabhängigen oder Betrunkenen, aber die hohe Menge an Glasscherben deuteten auf Frust, Schlägereien oder reinen Vandalismus hin. Wahrscheinlich war die Armutsschicht in Essen überproportional hoch, die Verwerfungen zwischen Arm und Reich ebenso, jedenfalls suchten wir nach dem Essener Dom zunächst vergeblich. Fündig wurden wir erst, als wir gar nicht so weit weg waren vom Hauptbahnhof. Es war ein Kirchenbau mit einem großen Domvorplatz, dessen Domschatzkammer allerdings leider geschlossen war, weil die Öffnungszeit bis 17 Uhr überschritten war. Das war schade, aber die Kirche war noch geöffnet, die eigentlich eine Doppelkirche war aus zwei miteinander verbundenen Kirchenbauten.  

3. August 2022


In der Mittagspause, auf dem Weg zum China-Imbiss „Jumbo“ – über diese Bezeichnung wird sich unser Kater freuen – wurde mir bewusst, wie sehr ich ein Stück Ausblick in die Welt brauche. An Restaurants aus dem Nahen Osten bin ich vorbei spaziert, die arabischen Schriftzüge waren mir suspekt, aber genau diese arabischen Schriftzeichen strahlten diese Weltoffenheit aus, andere Gewohnheiten und Kulturen kennen zu lernen. Der Durchmischung mit der arabischen Bevölkerung stehe ich normalerweise distanziert gegenüber, gerade wenn es um die Bekleidungsformen der Verschleierung geht, aber nach dem Ende des dreiwöchigen Urlaubs gewinnt diese arabische Note einen neuen Akzent. Während des Urlaubs habe ich mich gefesselt gefühlt rund um das eigene Haus, unseren Ort und die nächste Umgebung. Gewiss, schön waren die Momente, wenn wir in Restaurants essen gegangen waren und schön waren die Momente mit Freunden. Aber der Radius rund um das eigene Haus war einfach zu klein. Meine Frau hatte keinen Urlaub, und so beschränkten sich die Unternehmungen (alleine) auf eine Busfahrt zum Bertha-von-Suttner-Platz nach Bonn, auf eine Fahrradfahrt nach Sieglar oder auf eine Autofahrt zum Wanderparkplatz im Siebengebirge. Die Zeche Zollverein in Essen gehörte aber auch zu den Unternehmungen. In den Diskussionen war die Fixierung auf das eigene Zuhause zu spüren, auf Erledigungen und vor allem auf die Differenzbetrachtung, was alles nicht zu schaffen war. Im Endeffekt war das unbefriedigend, in eine Mikrostruktur der Heimat einzutauchen, wo man in einen Modus von Erledigungen zurück geführt wird, während ich so etwas wie Entspannung und Erholung im Urlaub gesucht habe. Dieses Stück Ausblick in die Welt war während des Urlaubs vollkommen abhanden gekommen. Die Diskussionen waren engstirnig gewesen, das Betätigungsfeld ausschließlich zwischen unserem Zuhause, der Dreier-WG und der Abarbeitung von To do-Listen zu sehen. In der Mittagspause vom Büroarbeitsplatz wieder raus zu können, war wie ein Befreiungsschlag. Die städtischen Strukturen waren ganz anders geartet wie die kleinstädtischen Strukturen zu Hause. Die Eindrücke waren vielfältiger, nichts war abgestumpft und so langweilig wie dieses Konglomerat von Häuseransammlungen in unserem Ort.

4. August 2022


Ohne es zu wissen, hatten wir gleich mehrere Weihnachtsfeiern in einer historischen Gaststätte abgehalten, wo verschiedene historische Persönlichkeiten verkehrten. Es handelte sich um die Gaststätte Em Höttche“ auf dem Marktplatz neben dem Rathaus, die mehr als 600 Jahre alt war. Diese mehr als 600-jährige Geschichte hatte sich in den Deckenbalken verewigt. Demnach wird eine Nesa von der Bomen als Besitzerin (1389) genannt, später hieß das Gasthaus „zur Blomen“. 1582 soll hier der (im gleichen Jahr wegen seines Übertritts zum Protestantismus abgesetzte) Kurfürst Gebhart Truchseß von Waldburg unter turbulenten Umständen sein Hochzeitsmahl gehalten haben: sein Gegner stürmten die Kneipe und schlugen die Festgemeinde in die Flucht. Das Lokal war auch Schauplatz einer Hexenverbrennung (1628). Von 1737 bis 1739 war das Gasthaus beim Bau des Alten Rathauses Ausweichquartier für den Stadtrat und sah den jungen Ludwig van Beethoven angeblich beim Tanz mit seiner Jugendliebe. Den Namen „Em Höttche“ trägt das Gasthaus seit 1822, als es von einem Bierbrauer namens Gottfried Wolf erstanden wurde. Wie das benachbarte Rathaus, so fiel auch das Gasthaus dem Bombenangriff vom 18.10.1944 zum Opfer, wurde jedoch liebevoll wieder aufgebaut und ist bis heute ein Wirtshaus geblieben. Wenn wir nicht gerade in Köln unsere Weihnachtsfeier gefeiert haben, haben wir uns in Bonn an dieser Stelle zum gemütlichen Beisammensein eingefunden.


5. August 2022


Zwei wichtige Ereignisse gab es heute, davon nahm eines einige Zeit in Anspruch, das andere Ereignis dauerte um so kürzer und war um so wichtiger. Beim ersten Ereignis half der Freund wieder mit, indem er einen Sichtschutz auf dem Betonsockel zum Nachbargrundstück anbrachte. Den Sichtschutz hatten wir bei LIDL gekauft, und beim Auspacken hatten wir festgestellt, dass die Vorrichtung zum Ausziehen des Sichtschutzes an einer Wand oder einer Mauer angebracht werden musste. Da auf dem Betonsockel keine solche Wand oder Mauer vorhanden war, mussten wir am Vortag zuerst einen Holzbalken mit diversen Kleinteilen im Baumarkt besorgen, um die Vorrichtung zum Ausziehen ersatzweise dort zu befestigen. Die Befestigung des Holzbalkens und die Montage der Vorrichtung zu Ausziehen nahm einige Zeit in Anspruch, bis der Sichtschutz ausgefahren werden konnte und nunmehr einen freien Blick auf die Terrasse versperrte. Das zweite, um so wichtigere Ereignis, war ein Termin beim Tierarzt. Dort war meine Frau mit unserem vierbeinigen Familienzuwachs, und die Tierärztin stellte fest: es ist eine Katze. Unsere drei Kater haben es fortan mit einem Weibchen zu tun, wobei die ersten Annäherungsversuche eher unharmonisch verlaufen sind. Noch faucht man sich gegenseitig an, aber wir denken, dass solche Feindseligkeiten mit der Zeit verschwinden werden. Lilli wollen wir unsere Katze nennen, und mit Hochspannung dürfte auch unsere Tochter, die am Sonntag zu uns zurück kehren wird, unserem Familienzuwachs entgegen sehen.

6. August 2022


Habe vermehrt Diskussionen mit meiner Frau, was im Garten unzureichend erledigt wird. So bei den Buschbohnen, die man stets gießen muss, selbst wenn es regnet, da eine Buche auf dem Nachbargrundstück kein Wasser hindurch läßt. Bei all der Trockenheit hat es gestern und heute geregnet, und prompt habe ich mir das Gießen im Garten erspart. Als ich meine Frau darauf angesprochen hatte, die Buschbohnen ernten zu wollen, verwies sie darauf, dass man sie sich genau ansehen müsse, was davon noch zu retten sei. Beim gestrigen Essen im Restaurant sah ich Analogien zum Mythos vom Sisyphos: einen enormen Zeitaufwand stecken wir in den Garten hinein, Schädlinge, die Trockenheit oder die Buche auf dem Nachbargrundstück machen bisweilen unsere Arbeit zunichte, dabei bemängelte meine Frau meine innere Einstellung, dass zu vieles unzureichend erledigt würde. Bei der anhaltenden Trockenheit und der lästigen abendlichen Gießerei kam mir abermals der Mythos von Sisyphos in den Sinn. Die heutige Ernte der Buschbohnen zeigte, dass doch nicht alles so schlecht war, wie man Frau es daher redete. An den Rändern waren einige Bohnen vertrocknet, aber auf dem eigentlichen Hochbeet waren genügend Bohnen schön grün und dicht in die Länge gewachsen. Wir werden noch etwas aussortieren müssen, und dann werden wir die Bohnen, die ich als Bohnensalat gar nicht einmal so gerne esse, im Gefrierschrank im Keller einfrieren.

7. August 2022


Auf der Suche nach großen Europäern in unserer Stadt. Robert Schuman war Verfechter eines geeinigten Europas, er war einer der Urheber Europas, er gestaltete die Römischen Verträge, die 1957 die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft gebildet hatten, 1958 war er erster Präsident des Europäischen Parlamentes in Straßburg. 1886 in Luxemburg geboren, kann man ihn in seinem Werdegang als deutsch-französischen Grenzgänger bezeichnen. 1904 zogen seine Eltern nach Metz, das damals zum Deutschen Reich gehörte. 1919, als im Frieden von Versailles Elsass-Lothringen nach Frankreich zurück gegeben wurde, wechselte seine Staatsbürgerschaft von Deutsch nach Französisch. Kurze Zeit, in den ersten Semestern, hatte Schuman Rechtswissenschaften an der Universität Bonn studiert. Nach diesem großen Europäer ist ein eigener Platz in unserer Stadt benannt worden, wo sich etliche Nachfolgebehörden und Nachfolgeministerien unserer einstigen Bundeshauptstadt befinden. Funktional ausgerichtete Bürogebäude umgeben den Platz, der man sogar über eine eigene U-Bahn-Haltestelle erreichen kann. Den großen Europäer Robert Schuman wird man aber in einer körperlichen Gestalt, dass man ihn anfassen kann, oder was er für Europa geleistet hat, vergeblich suchen. Zum Anfassen und zum Anschauen wird man an einer komplett anderen Stelle fündig. In der Nähe des Hofgartens hat sich dieser große Europäer vor dem Eingang des Institut Francais verewigt. Sein Kopf ziert eine runde Bronzetafel, die zwölf Sterne symbolisieren Europa.


8. August 2022


An diesen beiden Kühlschränken erregt sich regelmäßig unser Unmut. In der Küche der Dreier-WG besitzt inzwischen jeder Bewohner seinen eigenen Kühlschrank. Die Kühlschränke haben eine solche Größe, dass die Bewohner kaum so viel Lebensmittel einkaufen wie sie dort verstauen können. Dazu fressen die Kühlschränke dermaßen viel Strom, dass die Stromrechnung deutlich in die Höhe gegangen ist. Außerdem nehmen sie viel zu viel Platz weg. Unnütz, wieso jeder Bewohner einen solchen Riesenkühlschrank benötigt, das ist unser Empfinden. Zuletzt machte meine Frau eine höchst komische Entdeckung: das Gefrierfach des Schwagers war beinahe leer, obschon es mit eingefrorenen Lebensmitteln eigentlich hätte rappelvoll sein sollen. Der Verursacher war der eine WG-Bewohner, der an chronischem Geldmangel litt. War sein Geld aufgebraucht und sein Kühlschrank leer, so nahm er sich Lebensmittel aus dem Kühlschrank des Schwagers – ohne ihn zu fragen. Dies war in der Vergangenheit einige Male geschehen, denn er kannte sich im Kühlschrank des Schwagers besser aus als in seinem eigenen Kühlschrank. Die sehr konkrete Vermutung meiner Frau war daher, dass er sich im Gefrierfach des Schwagers bedient hatte, weil entweder nichts oder nicht das richtige in seinem Kühlschrank war. In der Vergangenheit hatten all die Hinweise nichts gefruchtet, dass es zumindest fragen solle, wenn er sich am Kühlschrank des Schwagers bediente. Einkaufen und das Haushalten mit dem zur Verfügung stehenden Geld waren stets ein Problem. Den Betreuern war es nach mehr als einem Jahr nicht gelungen, dieses Problem in den Griff zu bekommen.

9. August 2022


All die Impressionen von Hitze und Trockenheit sind nicht unbedingt hübsch anzusehen. Man fühlt mit, wie die Natur gestresst wird. Wie viel Trockenheit die Vegetation aushalten kann, das stößt an seine Grenzen. Wie beim Menschen, entstehen Kurzzeit- und Langzeitschäden, wenn ein bestimmtes Maß an Belastbarkeit überschritten wird. Beim Gras oder Rasen entstehen Kurzzeitschäden, über die man in anderen Jahren gerne hinweg geschaut hat. Ein paar Regengüsse haben damals ausgereicht, damit der Rasen wieder satt und grün ausschaut. Aber in diesem Jahr ist alles anders. Wir kennen nur noch Sonne, der Regen läßt endlos auf sich warten und bleibt im Endeffekt vollständig aus. Der Rasen dörrt vor sich hin, nieder gestreckt in einem verblassten Farbton, Blätter rieseln wie Herbstlaub herab, und das einzige, was frisches Grün in sich hinein saugt, sind die Disteln. Und noch schöner, entfalten die Disteln sogar zartviolette Blüten. Dieser flächendeckende ausgedörrte Zustand des leblosen Rasens, durchzogen von dem hitzebeseelten Asphalt des Fahrradweges, zieht die Stimmung herunter. Dabei kann man die Disteln als Anspielung verstehen, dass eine Wüstenvegetation mit Kakteen und Disteln im Anflug begriffen ist. Ein mediterranes Klima voller Sonne und ohne Regen ist nie mein Ding gewesen. Wie lange hält die Natur so etwas noch aus ?

10. August 2022


So wie die Natur, so auch der Rhein. Er stöhnt unter der Trockenheit und zieht sich zurück. Er wird in die Enge getrieben, die Wasserzufuhr bleibt aus, das Flussbett verkleinert sich, das Niedrigwasser lässt ihn zusammen schrumpfen. Die Schiffe haben Mühe, durch die Fahrrinne zu navigieren, stellenweise liegt die Wassertiefe bei kaum noch einem Meter. Bei den Schifffahrtskapitänen ist eine besondere Vorsicht geboten, nicht auf Grund zu laufen. Die Schiffe auf dem Rhein dürfen nur noch weniger beladen werden, was dann höhere Kosten und mehr Fahrten verursacht. Das sind Mehrkosten, die sich in dieser Ausprägung der Klimakatastrophe quantifizieren lassen. In einer anderen Ausprägung der Hochwasserkatastrophe an der Ahr und in den übrigen Teilen des Rheinlands, die wir im letzten Jahr erlebt haben, sind die Schäden wieder so immens, dass es sich eigentlich lohnen sollte, in Klimaschutz zu investieren. So wie bei anderen Schäden durch die Trockenheit, ist das Niedrigwasser auch rein optisch einfach kein Hingucker. Anstelle des breiten Stroms blickt man auf die Ansammlung von Kies und anderen Steinen, auf diesem frei gelegten Sediment beginnt Gestrüpp zu wachsen. Der majestätische Strom des Rheins erinnert an dieser Stelle eher an eine Kiesgrube, aus der mit viel Wohlwollen etwas Wasser heraus quillt, welches dann seine vorgesehenen Stellen zugewiesen bekommt. Diese Wüste von Kies geht dann an der anderen Rheinseite über in eine Wüste aus Beton, welche die neuen und alten Hochhäuser in sich vereinigt. Apokalyptische Visionen münden an dieser Stelle in eine ästhetische Katastrophe. Der Rhein hat sich in ein scheußliches Ungetüm verwandelt, nicht mehr schön anzusehen. Die Zeiten der Rheinromantik haben sich gewandelt in ein Wegschauen zu einem Rhein, den niemand mehr haben will. Wir alle warten auf Regen, der einfach nicht kommen will.

11. August 2022


Den Text musste ich mir auf der Zunge zergehen lassen. Banana Rama ist eine derjenigen Gruppen aus den 1980er Jahren, von denen ich einen Hit kenne, dem allemale nur wenig bekannte Nummern gefolgt waren. Und dieser Hit „Cruel Summer“ hatte mir seiner Zeit nur mittelmäßig gefallen, weil er im Mainstream daher plätscherte. Zum Mitsingen war er gut, es fehlten aber die Akzente, die Ausdrucksformen in Gitarre, Stimme oder anderen Instrumenten. Diesmal war das Umfeld ganz anders geartet, als ich im Auto daher fuhr in dieser brüllenden Hitze, in der ich nicht wusste, ob ich diesen Hitzeschock durch geöffnete Fenster oder durch die Klimaanlage erträglich gestalten sollte. Im Autoradio plärrte dieser „Cruel Summer“ mit den melodischen Stimmen der drei hübschen Sängerinnen von Banana Rama, die stets eine Banane in Griffweite hielten:


Hot summer streets and the pavements are burning I sit aroundTrying to smile but the air is so heavy and dry Strange voices are sayin' (what did they say?) things I can't understand It's too close for comfort, this heat has got right out of hand


Der Kontext war zwar ein anderer, mit einer verlorenen Liebe hatte ich nichts zu tun, nicht ertragen konnte ich vielmehr die wirklich sengende Hitze. Aber nichts konnte die Situation treffender beschreiben wie diese Zeilen. Wahrhaft, wir durch lebten einen grauenhaften Sommer, dessen Ende ich mehr als herbei sehnte. So lange hieß es durch zu halten, sich mit diesem gräßlichen Sommer zu arrangieren und das beste daraus zu machen.

12. August 2022


Ein Tag im Krankenhaus, der nicht nur diesen Tag kaputt gemacht hatte. Ein Zeitfresser sondergleichen. Das Krankenhaus als Apparat, wo der Patient von einer Abteilung zu der nächsten durchgereicht wird, die nichts voneinander wissen. Der in den bürokratischen Strukturen gefangene Patient wird vor allem durch eines genervt: Wartezeiten, die sich aufsummieren und über den Tag hinweg erstrecken. Bei meinem Schwager war ein Leistenbruch festgestellt worden, der operativ behoben werden sollte. Dies sollte im Krankenhaus Troisdorf geschehen. Die Operation sollte am Freitag erfolgen, einen Tag vorher sollten all die Gespräche mit den Abteilungen geführt werden und der Schwager auf der Station aufgenommen werden. Um 9.30 Uhr sollten die beiden im Krankenhaus sein. Das erste bürokratische Hemmnis, den tagesaktuellen Corona-Test, erledigte meine Frau vorher vor dem Krankenhaus. Dann Warten vor der Anmeldung. Einige Patienten waren vorher an der Reihe, bei der Anmeldung wurden die persönlichen Daten und die Krankenkassendaten aufgenommen. Um das OP-Gespräch durchzuführen, dazu mussten beiden zur Notaufnahme, die eigentlich nichts mit einem OP-Gespräch zu tun hatte. Es waren aber dieselben Ärzte, die in der Notaufnahme tätig waren und das OP-Gespräch machen konnten. So mussten die beiden zwischen diversen Notfällen warten, bis dann doch irgendein Arzt frei war für das OP-Gespräch. Inzwischen war die Zeit so weit fortgeschritten, dass das Gespräch mit dem Anästhesisten in die Mittagspause fiel. Meine Frau rechnete 30 Minuten Mittagspause, doch die 30 Minuten wurden bei weitem überschritten. Es war einiges nach 13 Uhr, als der Anästhesist die Warteschlange abgearbeitet hatte und die beiden an der Reihe waren. Die Aufklärung war kurz, das Kleingedruckte im Formular dafür um so umfangreicher, und weiter ging es in die nächste Abteilung, das war die Chirurgie. Vom Prinzip her geschah dort nichts Neues: die vorhandenen Unterlagen mussten kopiert werden. Dennoch vergrößerte sich die Warteschleife, weil anscheinend eine größere Anzahl von Anliegen telefonisch geklärt werden mussten. In der Tat, waren lediglich drei Patienten vor den beiden an der Reihe. Der erste verließ rasch wieder das Büro des Chirurgen, doch dann tat sich nichts mehr. Schließlich war meine Frau ungeduldig und schaute rein: der Chirurg telefoniert und äußerte seinen Unmut, wie dringend das Telefonat war und wie wichtig der telefonische Austausch vor einem OP-Termin sei. Die Wartezeit dort zog sich hin, und danach stand die Aufnahme in der Station aus. Dort hing alles an einer Schwester Eva, die das allumfassende Know-how zur Aufnahme der Patienten hatte. Das Problem war, dass sie nicht greifbar und verfügbar war. Niemand anders konnte weiterhelfen, alles wartete auf die Schwester Eva. Spät, sehr spät kam sie, und sie hatte gleich eine äußerst schlechte Botschaft im Gepäck: um 15 Uhr war Schluss, denn dann endete ihre Schicht. Alle Wartenden durften nach Hause und konnten nicht aufgenommen werden. So verlagerten sich die bürokratischen Strukturen des Krankenhauses Troisdorf in den nächsten Tag. Vor dem OP-Termin sollte der Schwager um 7.00 Uhr im Krankenhaus sein, um die Aufnahme in der Station durchzuführen. Der Ankunftstermin um 7.00 Uhr führte dazu, dass bei uns um 5.30 Uhr der Wecker losging und ich im Schlepptau mit aufstehen musste, um Kaffee aufzuschütten und die Katzen zu versorgen. Es kam, wie es kommen musste: um 7.00 Uhr hatte die Schwester Eva ihren Dienst noch nicht angetreten, sondern erschien etwas später. Ich hätte nicht gedacht, dass das Amtsgericht mit seinen bürokratischen Vorgehensweisen noch getoppt werden könnte. Das ist schlimm, wer uns mit den Anliegen von Behinderten in welche bürokratischen Schleifen schickt. Und alle meinen, wir hätten alle Zeit dieser Welt, um unsere Zeit abzusitzen und einfach nur zu warten.

13. August 2022


So ein ziemliches Gedöns um die Regalbretter, die ein Freund mit mir im Keller der Dreier-WG angebracht hatte. Meine Frau war dabei gewesen und ließ ihren Unmut erst dann heraus, als der Freund weggefahren war. Wie des öfteren, hatte ich nicht zugehört. Die obere Regalreihe stimmte, die Abdeckung des Kanalrohres darunter aber nicht. Ich hätte im Baumarkt Bretter in einer Breite von 20-25 Zentimetern mit weißem Furnier besorgen sollen, wir hatten hingegen die vorhandenen Bretter aus Kiefernholz verwendet, was nicht optimal aussah, weil die Farbe des Kiefernholzes höchst unterschiedlich war. Alles wieder herunter nehmen, das meinte meine Frau radikal, worüber ich wenig begeistert war. Diese Diskussion hatten wir heute Morgen, als ich meine Frau darauf ansprach, Regale für die Garage der Dreier-WG im Baumarkt zu besorgen, so wie wir sie im Vorratsraum hatten. Es hingen mehrere Umräummaßnahmen miteinander zusammen. Die im Keller verarbeiteten Regalbretter waren eigentlich für die Garage angedacht, um dort Hausrat für den nächsten Dorftrödel anzubieten. Aus dem Keller sollten wiederum ein Bett und eine Matratze zu uns zurück. Einstweilen musste ich mich dahin gehend umorientieren, was genau zu erledigen war. Als erstes die Bretter mit weißem Furnier im Baumarkt besorgen und dann die vorhandene Abdeckung auseinander nehmen.

14. August 2022


Es sah nach einem endgültigen Schlussstrich aus, und dies war dann doch reichlich überraschend. Erst am Samstag, am frühen Nachmittag nach dem Mittagessen, war unsere Tochter mit dem Zug zu ihrem Freund nach Dortmund. Mit nur wenigen Unterbrechungen von Arztterminen, an denen sie zu uns nach Hause zurück kehrte, verbrachte sie die kompletten sechs Wochen der Sommerferien in Dortmund. Nun klingelte es zu sehr später Uhrzeit, wir infiltrierten gerade einen der zahlreichen Fernsehkrimis, an unserer Haustüre. Ich hatte mich zusätzlich vor meinem Laptop vergraben, so dass meine Frau öffnete. Unwillig, meine eingegrabene Stellung im Fernsehsessel aufzugeben, suchte ich die Flut meiner Gedanken in eine Reihenfolge zu bringen, blätterte nebenbei in der Fernsehzeitung und unsere kleine Katze hatte das Wohnzimmer für sich. An der Haustüre war nichts zu vernehmen, so dass ich davon ausging, dass die Welt in Ordnung war. Es war nach halb elf Uhr abends, als ich dann doch das Bedürfnis verspürte, die Toilette aufzusuchen. Und im Flur vor der Toilette entdeckte ich etwas, was dort gar nicht hinein gehörte: die weißen Sneakers unserer Tochter. Ich wunderte mich sehr, denn unsere Tochter sollte eigentlich bei ihrem Freund in Dortmund sein. Was hatten ihre Schuhe dort zu suchen ? Das Rätsel löste sich auf, als meine Frau kurz darauf zur Haustüre eintrat. Unsere Tochter war zurück gekehrt, ihr Freund hatte Schluss mit ihr gemacht. Das war natürlich höchst tragisch, ziemlich genau ein Jahr lang hatte die Wochenendbeziehung gehalten. Gekriselt hatte es schon einmal im April um die Osterzeit, doch dann hatten sich die beiden wieder zusammen gerafft. War der Schlussstrich nun endgültig ? Die nächsten Wochen würden es zeigen. Die Mutter des Freundes hatte unsere Tochter mit dem Auto nach Hause gefahren, was eine großzügige Geste war, da unsere Tochter mit öffentlichen Verkehrsmitteln erst gegen Mitternacht zurück gekehrt wäre. Vor der Haustüre hatte sich meine Frau noch mit der Mutter des Freundes, mit der wir uns sehr gut verstanden hatten, ausgiebig unterhalten. Als ich zu unserer Tochter in ihr Zimmer schritt, hatte sie sich tief in ihr Bett eingegraben. Gerade ihr Augen schauten heraus, sie sahen mich ungläubig an und waren belegt mit Fragezeichen, was ich dort zu suchen hätte. Die Fenster stand auf Kippstellung, und es herrschte eine lähmende Hitze, die das zwischenmenschliche Beisammensein einschnürte.

15. August 2022


An diesem Tag mussten wir zwei Dinge nebeneinander unterbringen: der Schwager war am Leistenbruch operiert worden, und er konnte aus dem Troisdorfer Krankenhaus abgeholt werden. Parallel dazu hatten wir Besuch von Freunden aus dem Saarland, die uns mit dem 9 Euro-Ticket besuchen wollten. Was dazu passte, war der Treffpunkt: das war Troisdorf. Kurz vor Mittag wollte meine Frau den Schwager im Krankenhaus besuchen, und dazu galt es, einen Parkplatz zu finden, was ein längerwieriges Problem war. Nach dieser ziemlich aufwändigen Suche entschloss ich mich, den Weg zum Bahnhof in 15 Minuten zu Fuß zu absolvieren. Der Zug, in den die beiden Freunde in St. Wendel eingestiegen waren, war diesmal um 12.27 Uhr pünktlich. Auf dem Weg zum Krankenhaus zeigte ich den beiden ein Stück der Troisdorfer Fußgängerzone, wobei die beiden bestaunten, wie großzügig doch die Fußgängerzone war. In der Raiffeisenbank hob ich noch Geld am Geldautomaten ab, und bei Hitzetemperaturen um die 35 Grad trafen wir uns am Krankenhaus. Von dort aus wurde unser Plan, an der Siegfähre essen zu wollen, über den Haufen geworfen. Wie befürchtet, herrschte dort das blanke Verkehrschaos, ein Parkplatz war am frühen Nachmittag nicht zu finden. So disponierten wir um und aßen in unserem Ort in einem kroatischen Restaurant. Wir saßen im Biergarten hinter den Innenräumen, ein großer Laubbaum hielt die Sonne fern. Selbst wenn wir in dem großen Biergarten der Siegfähre einen Platz gefunden hätten, war es an diesem Platz in unserem Ortskern weitaus gemütlicher. Wir aßen zweimal Cevapcici, einmal Salatteller und einmal Balkanleber, alles gut ausgewogene Portionen, die lecker zubereitet und in ihrer Menge genau richtig waren. Als das Restaurant um 14.30 Uhr schloss, quasselten wir noch eine Zeitlang weiter. Seitdem wir unsere Freunde aus dem Saarland kannten, die beide im Niedriglohnsektor arbeiteten, kreisten unsere Gespräche um einige zentrale Themen. Das Geld reichte bei weitem nicht, beide mussten an vielen Ecken sparen. Die Eigentumswohnung hatten ihnen ihre Eltern finanziert, die nicht unbedingt reich waren, aber gelernt hatten zu sparen und regelmäßig etwas beiseite gelegt hatten. Das 9 Euro-Ticket kam ihnen gerade Recht. Sie waren viel in Rheinland-Pfalz unterwegs gewesen, für die Strecke nach Troisdorf hatten sie vier Stunden gebraucht. Er träumte davon, die mögliche Strecke mit Nahverkehrszügen so weit es ging auszunutzen, das war zum Beispiel nach Duisburg in den dortigen Zoo. Ein zweites dickes Thema war das Zerwürfnis mit ihren Schwiegereltern beziehungsweise seine Eltern. Irgendwann entstand die Aussage, dass ihre Schwiegermutter die Familie ihres Sohnes meiden würde, weil sie keine Enkelkinder hätten; sie würde sich lieber um ihre Enkelkinder kümmern. Unsere Freunde konnten aber keine eigenen Kinder zeugen, es klappte einfach nicht oder sie hatte Fehlgeburten gehabt. Dann ging es noch um Krankheiten. Er hatte Gicht, seine Arterien waren verkalkt und der Arzt hatte ihm verordnet, keinen Alkohol mehr zu trinken. Sie kam beim Treppensteigen vollends außer Atem, was allerdings nicht an einem Herzinfarkt lag. Tabletten mussten die beiden in einer ähnlichen Masse wie ich schlucken. Das hinderte sie ganz und gar nicht daran, mit dem 9 Euro-Ticket quer durch die Republik zu reisen. Das war erschwinglich für den chronisch knappen Geldbeutel, und so machten wir mit den beiden einen längeren Spaziergang zum Rhein mit seiner waldartigen Vegetation zwischen dem alten Rheinarm. Das Niedrigwasser des Rheins war eklatant, auf der Zugfahrt war die Mosel an einigen Stellen zu einem schmalen Rinnsal verkommen. Die Trockenheit war schlimm, wobei die Kiesbänke und Steinansammlungen auf dem Rhein scheußlich aussahen. Wenn die Bäume keinen Schatten spendeten, schleppten sich unsere Schritte durch die Hitze mühsam voran. Der Spaziergang war ziemlich anstrengend, bis wir im Haus der Dreier-WG Kuchen aßen und Kaffee tranken. Etwas später, mussten unsere Freunde wieder zurück ins Saarland. Um 17.56 Uhr sollte ihr Zug am Bonner Hauptbahnhof einfahren. Wir fuhren mit unserem Auto in die Uni-Tiefgarage, doch der Zug sollte eine größere Verspätung haben. Die Einfahrt des Zuges sollten wir nicht mehr erleben, weil wir bis 19 Uhr im Troisdorfer Krankenhaus sein mussten, um den Schwager abzuholen. Um diese Tageszeit waren ausreichend Parkplätze auf dem Parkplatz neben dem Krankenhaus vorhanden. Während ich draußen wartete, weil ich keinen Negativtest hatte, spürte ich erneut, wie anstrengend die Hitze gewesen war. Ich war froh, regungslos auf einer Mauer zu sitzen, mich auf nichts konzentrieren zu müssen und einfach vor mir her dösen zu können.

16. August 2022


Während der Zugfahrt und nachdem ich in Leverkusen-Opladen ausgestiegen war, gingen mir die Begriffe statisch und dynamisch durch den Kopf. Was ich in den drei Wochen Urlaub erlebt hatte, davon war allzu vieles statisch. Vieles kreiste um unser Zuhause, ein weiterer Radius wurde zur Dreier-WG gezogen. Mit wenigen Ausnahmen waren die Abwesenheiten kurz. Ein klein bißchen veränderte sich im Garten, wenigen Freunden begegneten wir, darüber hinaus waren die Dinge statisch. Die Veränderungen, die meine Frau wünschte, betrafen im wesentlichen Haus und Garten, und das Innere der eigenen vier Wände entsprach nicht meinem Verständnis von Freiheit. Die Tagesabläufe, vom Abarbeiten der To do’s bis zur Gestaltung des Speiseplans, waren statisch. Nun, heute, mit meinem Rennrad ausgestiegen im Bahnhof Leverkusen-Opladen, war diese statische Dimension wie weggeblasen. Schon das Gelände rund um den ehemaligen Bahnhof, offenbarte eine große Dynamik. Ein großflächiges Industriegebiet war angesiedelt worden, neue Straßen gelangten von Kreisverkehr zu Kreisverkehr. Ich freute mich auf den Tag, an dem es neue Dinge zu erkunden galt. Ich wechselte von der statischen Dimension zum Unterwegssein. Mit dem Rennrad wollte ich auf Erkundungstour gehen. Auf dem Bahntrassenradweg von Leverkusen-Opladen nach Remscheid-Lennep. Burscheid hatten wir bereits auf unseren Fahrten nach Dortmund kennen gelernt, und ich war gespannt auf Remscheid-Lennep, das im Internet sehr hübsch aussah. Es ging ab durch Leverkusen-Opladen, und ich war froh, mein Herz wieder auf Trab zu bringen.

17. August 2022


An diesem Ort, in Remscheid-Lennep, kamen Erinnerungen auf an Monschau, wo ich drei Jahre lang hintereinander in einem Café gegenüber dem Roten Haus gesessen hatte, wo ich belgisches Trappistenbier getrunken hatte. Monschau war nicht mehr machbar, 140 Kilometer Radtour quer durch die Eifel waren nunmehr zu viel. Remscheid-Lennep, 30 Kilometer über den Bahntrassenradweg, war aber machbar und nicht weniger schön. Das Ambiente ähnelte sich. Der Platz war einfach harmonisch, historisch, alt und schön komponiert, so wie die Altstadt in Monschau. Überhaupt war heute vieles schön gewesen: Burscheid, Wermelskirchen, das vollkommen unbekannt und sehr schön war, und Remscheid-Lennep mit dem typisch bergischen Aussehen der Häuser in den Verschieferungen und den grün gestrichenen Fensterläden, wovon Monschau ebenso reich an Häuserfassaden voller Schiefer war. Einerseits war ich der nachdenkende Typ, der Gedankenanstöße brauchte, andererseits suchte ich solche Orte voller Harmonie. Im letzten Jahr war es Kempen am Niederrhein gewesen, in diesem Jahr Remscheid-Lennep. Gedankenanstöße fand ich hier nicht so direkt, jedenfalls schwebte das Röntgen-Museum in irgendwelchen naturwissenschaftlichen Gefilden, wo ich die naturwissenschaftlichen Weltbilder noch in keine Rangordnung mit den übrigen Gedankengebäuden gebracht hatte. Aufs erste fühlte ich mich hier wohl auf diesem Platz in Remscheid-Lennep mit dem Bedürfnis nach Wiederholung, weil solche Orte in unserer näheren Umgebung eine wahre Seltenheit waren.

18. August 2022


Von Remscheid-Lennep ein Abstecher mit dem Zug nach Remscheid mit gedämpften Erwartungshaltungen. Nahezu komplett zerstört im Zweiten Weltkrieg, soll Remscheid eine der unattraktivsten Städte in Deutschland sein. Das muss man sowieso relativieren, weil zum Beispiel viele Ruhrgebietsstädte nicht direkt ansehnlich sind, aber mit ihren Industriedenkmälern einfach spitze sind. Das allgemeine Urteil über Remscheid kann ich aber so bestätigen, zumindest auf den ersten Blick: Remscheid ist in der Tat unattraktiv, sieht man ab von einer evangelischen Kirche im Barockstil, führte der Fußweg vom Hauptbahnhof über breite Straßenschneisen und namenlose Straßenzüge, wo es gerade in einem Café einen Auflauf von Italienern gab, zur Fußgängerzone, wo sich eine Apotheke, ein Postamt, ein Nagelstudio, ein Pfandhaus und ein Ein-Euro-Shop aneinanderreihten. Weiter bin ich nicht vorgedrungen, weil meine Erwartungshaltungen ohnehin gedämpft waren. Remscheid hat in den geschichtlichen Epochen kaum Glanzlichter hervor gebracht, ebenso ist seine historische Substanz unwiederbringlich zerstört worden. Nennenswerte Industriedenkmäler des bergischen Städtedreiecks wird es allenfalls am Stadtrand geben. Wie der Stadtteil Lennep gezeigt hat, werden die wahren Schönheiten eher in den Tiefen des Bergischen Landes zu sehen sein. Hückeswagen, Wipperfürth oder Wermelskirchen liegen abseits, das bergische Städtedreieck Solingen, Wuppertal, Remscheid wird in seinen Zentren entleert und gesichtslos sein, man wird abseits der gängigen Wege suchen müssen. Die gedämpften Erwartungshaltungen sind bestätigt worden. Leider, sieht es in unserer Heimatstadt und in den umliegenden Gemeinden nicht so viel anders aus.

19. August 2022


Die Messmethoden von Corona-Testverfahren können verwirren – was die Aussagefähigkeit der Messwerte betrifft, gibt Raum für Interpretationen, wie wir selber festgestellt haben. Der Schwager hatte Corona gehabt und war genesen, ganze sieben Wochen lagen zwischen der Genesung und seiner Operation. Vor der OP war ein Schnelltest gemacht worden – negativ – im Krankenhaus ein PCR-Test – dieser war positiv. Das positive Testergebnis aus dem Krankenhaus muss man relativieren: PCR-Tests messen die Viruslast und je höher der Wert ist, um so mehr Messverfahren mussten durchlaufen werden, um die Viruslast nachzuweisen. Beim Schwager lag dieser Ct-Wert bei 33. Diese Zahl 33 konnte so interpretiert werden, dass aus der Genesung von der zurück liegenden Corona-Infektion noch eine Rest-Viruslast verblieben war. Diese Rest-Viruslast war aber so niedrig, dass diese nicht mehr ansteckend war (die Ansteckung liegt kleiner 30). Seit der Freitestung vor sieben Wochen ist die Quarantäne zu Ende gegangen, danach durfte sich der Schwager ganz normal in der Öffentlichkeit frei bewegen. Nun soll das Rad wieder zurück gedreht werden – das meinten zumindest die Betreuer in der Dreier-WG. Auf jeden Fall würde ein negativer Schnelltest benötigt, eigentlich gelten aber die Vorgaben des Gesundheitsamtes. Dies bedeutete das volle Programm der Quarantäne: Aufenthalt nur um Zimmer, vollständige Kontaktvermeidung zu den anderen WG-Bewohnern, nur definierte Personen dürfen den Schwager besuchen. Dies hatten sie den beiden anderen WG-Bewohnern in dieser exzessiven Form mitgeteilt: Meidung der Person, Meidung der Person und nochmals Meidung seiner Person. Der Schwager verstand die Welt nicht mehr. Zwei Tests hatten widersprüchliche Ergebnisse, die Betreuer ritten darauf herum, dass der wissenschaftlichere Test der bessere Test war. Obschon die Corona-Erkrankung für andere nicht ansteckend war, sollte er in die Isolationshaft der Quarantäne abgeschoben werden. Einstweilen hofften wir, dass dieses Trauerspiel durch einen weiteren negativen Schnelltest beendet würde.

20. August 2022


Zum zweiten Mal, das erste Mal war ziemlich genau vor einem Jahr, besuchten wir den Open-Air-Auftritt des Kabarettisten Christoph Brüske auf dem Vorplatz vor der evangelischen Kirche. „Schätze aus dem Silbersee“ hatte er sein Programm genannt, in dem er auch aus seiner 25 jährigen Bühnengeschichte erzählte. Christoph Brüske gab sich als feiner Beobachter seiner Mitmenschen, mit ihren Verhaltensweisen und Eigenheiten, worüber er sich dann lustig machte. Mit seinem Humor beleuchtete er Alltagssituationen, in welchem Outfit die Menschen Walking trieben, wie andere Menschen über Weight Watchers abnehmen wollten oder wie rüstig Rentner doch sind. Er mischte die Marotten seiner Mitmenschen mit Gesang, wenn etwa Autofahrer auf der Autobahn langsam fahrend den linken Fahrstreifen blockierten: aus der Ballade „Feelings“ machte er ein Wortspiel: aus „Feelings“ wurde „viel links“ für die links langsam daher kriechenden Autofahrer. Im zweiten Teil nach der Pause wurde er dann politisch. Seine 25 jährige Bühnengeschichte hatte lange Zeit Angela Merkel begleitet, was sich nach den letzten Bundestagswahlen grundlegend geändert hatte. Dies veranlasste ihn, sich mit dem Aussehen von Politikern zu befassen. Dabei kam die SPD ganz schlecht weg. Er zeigte ein Foto des SPD-Führungs-Duetts eines Walter-Borjans und einer Saskia Esken. Alles andere als fotogen, blickten sie finster und trübe drein und ließen einen erst gar nicht an politische Inhalte denken. Dann kam unser Kanzler dran, der noch schlechter weg kam. Eine Fotomontage kombinierte ihn mit dem blauen Gesicht eines Schlumpfes, dabei neutralisierten sich die Denkfalten auf seiner Stirn mit dem umtriebigen Wesen der Zeichentrickfiguren, was ganz viele Trickspiele in seiner hohen Politik vermuten ließ. Natürlich durfte der Krieg in der Ukraine nicht fehlen in seinem Abriss politischer Diskurse. Dem so vielfach zitierten Begriff der Zeitenwende schloss er sich an. Alles sei anders, der Boden würde einem unter den Füßen weg gerissen, nicht gälte mehr. Und dann wurde er tief philosophisch, was er aus früheren Auftritten übernommen hatte: der Preis einer Matratze im Sonderangebot betrage weiterhin 99 Euro. Der Markt gegen die Politik und die Philosophie  und die Praxis des Alltags. Der Abend mit Christoph Brüske war höchst unterhaltsam, wenngleich er nicht das hohe Niveau anderer großer Kabarettisten hatte wie etwa Konrad Beikircher, Ralf Schmitz, Jürgen Becker oder Anka Zink.

21. August 2022


Meine Frau wies mit dem Finger, ich solle gut hinschauen. Ihr war ein Wagen zum Schieben für Kleinkinder aufgefallen, mit vier Rädern und einer Ladefläche knapp über dem Erdboden und einer Stange zum Festhalten, die sich in Griffhöhe für Kleinkinder befand. Genau solch einen Wagen hatten wir besessen, als unsere kleine Tochter im Kleinkindalter war. Wenig benutzt hatte sie ihn, längst waren wir unseren Wagen losgeworden, und dieser Wagen im Vorgarten war hübsch aufgepeppt worden: als VW-Bus. Die Ladefläche erhöhte sich auf diese Art und Weise, die Seitenfront mit den geschwungenen Fensterreihen war ein Blickfang, ein hübsch anzuschauendes Kinderspielzeug. Solche und andere Besonderheiten bestaunten wir beim diesjährigen Dorftrödel, an dem wir dieses Mal nicht teilnahmen. Meine Frau hatte sich Regale im Haus der Dreier-WG gewünscht, ich hatte hingegen für die Abdeckung eines Rohres im Keller genau diejenigen Holzbretter verbaut, die in der Garage hätten verwendet werden sollen. Weil wir selbst nicht teilnahmen, hatten wir nun die Möglichkeit, uns all den anderen Trödelkram an den anderen Ständen anzuschauen. Zunächst zogen wir mit dem Schwager los, der mal hier, mal da neugierig schaute. Seine unentschlossene Haltung, die er gerne zeigte, brachte er an einem schwarzen CD-Regal aus Holz zum Ausdruck. Hinter seinem Fernseher stapelten sich CDs, die er nicht unterzubringen wusste. Lange Zeit überlegte er, bis er sich gegen dieses CD-Regal entschied, dessen schwarze Farbe vielleicht etwas zu düster wirkte. Etwas später, gingen wir getrennte Wege. Der Schwager ging nach Hause zurück, indes bewegten wir uns auf unseren Fahrrädern weiter, die wir mit uns geschoben hatten. Wahllos fuhren wir mit unseren Rädern dorthin, wo mehrere Stände nebeneinander zusammen standen. An einem Stand unterhielt sich meine Frau mit einer anderen Frau, die vielleicht um die fünfzig war. Ich hatte vermutet, dass sich die beiden über das Behindertenwohnheim kannten oder aus lange zurück liegenden Schulzeiten, doch ich lag schief. Meine Frau hatte zuletzt Geschirr über eBay Kleinanzeigen erworben, und so hatte sie zu der auf dem Cordulaweg wohnenden Frau gefunden. Wir fuhren die Hauptstraße weiter entlang, wo wir alsbald den beiden Cousinen meiner Frau begegneten. Die drei unterhielten sich fleißig über Dorftrödel, über meinen Schwager und über alles mögliche. Derweil trank ich einen Kaffee, den die beiden Cousinen neben Muffins und anderem Kuchen angeboten hatten, dabei hatte ich Probleme, das eineindeutig blaue Sparschwein für den einen Euro Kaffeekasse zu finden, nachdem ich diesen ausgetrunken hatte. Zum Schluss hatte ich auf der Südstraße Gelegenheit, mich mit einem Verkäufer von Vinyl-Schallplatten über unsere Musikgeschmäcke auszutauschen. Barbara Streisand stand als vorderste seiner Vinyl-Lps, und ich äußerte, dass diese Dame überhaupt nicht mein Musikgeschmack sei. Ich nannte ihm meine Musikvorlieben, und dass ich die dazugehörenden Vinyl-Schallplatten vor einem Jahr verkauft hätte. Dieses Kapitel war bei mir abgehakt, und ich wusste nicht einmal, ob zu Hause bei meinen Eltern noch ein alter Vinyl-Plattenspieler stand.

22. August 2022


Bereits die Auswahl, wohin es gehen sollte, war eine Herzensentscheidung. Ich nahm einen der Extra-Zeitausgleichs-Tage, und ich wollte das Neun-Euro-Ticket nochmals ausnutzen. Mittelrheintal oder Ruhrgebiet, Moseltal oder Industriedenkmäler, Rhein oder Ruhr, so stellte sich die Frage. Die Antwort war vom Prinzip her eindeutig: die arbeitende Bevölkerung stand mir näher als das, was Künstler aus schönen Landschaften gemacht hatten. Oder man hätte es so auf den Punkt bringen können: was Arbeiterbewegungen erreicht hatten und unter welchen Bedingungen sie hatten schuften müssen, das Stand mir näher als die Sehnsucht des Menschen nach schönen Formen, nach der Perfektion der Landschaft in sich und nach einem Ausdruck dieser Schönheit in Kunst. So entschied ich mich für Duisburg, das mittlerweile zu einer Konstante wurde von Städten, zu denen es mich immer wieder hinzog. Schöne Formen gab es auch in Duisburg, so am Innenhafen oder auch all die Brückenkonstruktionen von der Innenstadt über die Hafenbecken nach Ruhrort, wo ich mir erneut in der Hafenkneipe „Zum Hübi“ einen Kaffee trank. Meist überwogen aber die schmucklosen Formen, davon viel sozialer Wohnungsbau, wo die arbeitende Bevölkerung wohnte. Der hohe Ausländeranteil war ebenso nicht kompatibel mit schönen Formen, manche Viertel hatten sich sogar zu No-Go-Areas herunter gewirtschaftet. Den Alsumer Berg mit seinen Stahlwerken hatte ich noch vor mir, ich wollte bis zum Norden von Duisburg radeln, dann wieder zurück, die Brücke des Solidarität wollte ich sichten, wo der Protest gegen die Schließung des Stahlwerks in Rheinhausen seinen Höhepunkt erreicht hatte. Schließlich sollte es weitergehen auf der anderen Rheinseite bis nach Krefeld. Eine schöne Tour lag vor mir.

23. August 2022


Der Alsumer Berg war in der Tat ein Ort, der gemeinhin typisch war für das Ruhrgebiet. Ein Ort, der belegte, dass im Ruhrgebiet die Kohle- und Stahlindustrie nicht nur Niedergang begriffen war. Dass Stahlwerke nicht nur als Industriedenkmäler im Landschaftspark Duisburg-Nord zu bestaunen waren, sondern auch Live in der Produktion von Unmengen von Stahl, dies bewies der Alsumer Berg. Von den Aussichtspunkten des Alsumer Bergs aus reihte sich Stahlwerk an Stahlwerk, so weit das Auge reichte. Die Hochöfen brummten, braune Wolken legten sich über diese Ansammlung von Stahl- und Hüttenwerken, über denen am Horizont die Silhouette der Stadt Duisburg mit seinem Fernsehturm hindurch schimmerte. Genau so stellte ich mir das Ruhrgebiet in den Boomzeiten von Kohle und Stahl vor: apokalyptische Industrielandschaften, ein einziges Gemengelage aus Kohle und Stahl und Dreck und Abgasen, das Wachstum der Industrieanlagen kannte kein Ende, durchzogen von Gleisanlagen und Zügen, wo die Rauchfahnen der Dampflokomotiven den Himmel noch mehr trübten als die Abgase der Stahlwerke. Kohle und Stahl als der Herzschlag des Ruhrgebietes. Der Alsumer Berg als ein magischer Ort, der von seinen Industrieanlagen lebte.

24. August 2022


Die Wegbeschilderung war schlecht, nachlässig, fehlerhaft auf der linken Duisburger Rheinseite. Wunderschön wies mich die Beschilderung den Rhein entlang, eine schöne Strecke, die dann jedoch abknickte, weg vom Rheindamm. Über ein paar Straßenkreuzungen wiesen die Schilder geradeaus, doch dann waren sie wie vom Erdboden verschluckt. Hatte ich etwa verpasst, dass sie wieder nach links zurück wiesen auf den Rhein ? Immer geradeaus, wies das Netz von Neben- und Seitenstraßen immer mehr in die Irre, während nirgendwo ein Hinweisschild auftauchen wollte. Schließlich begegnete ich einem Spaziergänger, dem ich – ohne dass ich ein Fahrrad-Navi besaß – mein Suchanliegen schilderte, den Weg nach Krefeld-Uerdingen zu finden. Das sei kein Problem, erklärte er pauschal, doch er stutzte, als er mein Fahrrad sah. Schnellstraßen, ausgebaute Bundesstraßen, auch Autobahnen, das hätte er unkompliziert erklären können, aber eine Fahrradroute ? Er musste lange überlegen, und der Kern seiner Routenbeschreibung war der Logport. Einmal musste ich im Kreis über die Eisenbahnlinie fahren, über einen Kreisverkehr hinweg, den zweiten Kreisverkehr rechts und dann immer geradeaus. Er nannte den Ort Hohenbudberg, den ich durchqueren musste, und irgendwann nach sechs bis sieben Kilometern würde ich Uerdingen erreichen. Zuvor hatte mich der Alsumer Berg noch fasziniert mit seiner Ansammlung von Stahlwerken, von rauchenden Hochöfen und seiner Dichte an Industrie, die erinnerte an die Boomzeiten von Kohle und Stahl im Ruhrgebiet. Hier, im Logport, war die Dichte an Industrie ähnlich, aber ganz anders. Zunächst hatten Containerterminals an den Duisburger Hafen erinnert, ein Konkurrenzhafen auf der anderen Rheinseite sozusagen, dann folgten riesige Hallen, genauso riesige Fuhrparke von LKWs und Hallen von Logistikdienstleistern. Der Logport entpuppte sich als ein Monstrum, das große Flächen von Industriegebieten verschlang und mir vollends die Orientierung raubte. Irgendwann kam aber doch der Rhein und die Abzweigung auf den Rheindamm, den man separat als Fahrradweg nutzen konnte. Der ruhigere Charakter des Rheins kehrte zurück, doch man musste wegschauen. Große Industrieanlagen und auch Stahlwerke waren allzeit am Rheinufer präsent.

25. August 2022


Hatte ich Duisburg als eine Konstante von Städten genannt, so war die Stadt Krefeld nicht unähnlich in seiner Konstanz. Dreimal war ich in den letzten Jahren in Krefeld gelandet, allerdings mit dem Unterschied, dass ich zweimal auf der Durchfahrt war und das dritte Mal nicht so viel Anziehendes an Krefeld entdeckt hatte. In gewissem Sinne war Krefeld historisch – wenn man auf die Zeit der Reformation schaut, als protestantische Industrielle aus katholischen Gebieten vertrieben worden waren und Krefeld sie aufgenommen hatte. Krefeld hatte eine reiche Geschichte der Textilindustrie, wovon allerdings nur wenige alte Fabrikhallen überdauert hatten. Im Stadtzentrum hatte man sich viel Mühe gegeben, die älteren Bauwerke – meist aus der Zeit nach 1700 – zu kennzeichnen und deren Geschichte auf Hinweistafeln zu erzählen. Krefeld war nicht so schlimm wie Remscheid, die Fußgängerzone war nicht nur uniform und identitätslos, die wenigen Monumentalbauten belebten die Stadt. Krefeld war vor allem eines: der Übergang vom ländlichen Charakter des Niederrheins mit ganz viel Natur zum industriellen Ballungsraum des Ruhrgebietes. Wie erdrückend die Industrieanlagen waren, das hatte ich auf der Fahrradfahrt den Rhein entlang von Duisburg nach Krefeld erlebt. Krefeld war dann noch etwas anderes, eher praktisches: die Verkehrsanbindung mit der Bahn war optimal, und die Züge waren genauso optimal für den Fahrradtransport. Das Fahrradabteil war nie überfüllt, die Sitzplätze waren bequem und die Fenster schön groß zum Herausschauen. Da in Uerdingen nichts zu finden war, musste ich warten bis zur Gaststätte gegenüber dem Hauptbahnhof, um ein Weizenbier trinken zu können. Die Rennradtour war anstrengend gewesen, in einem Stück war ich zum Alsumer Berg und vom Alsumer Berg nach Krefeld geradelt, das müssen etwas mehr als 40 Kilometer gewesen sein. Nun war ich platt in der Hitze, auf die altehrwürdige Fassade des Krefelder Hauptbahnhofs schauend.  

26. August 2022


Vorfreude auf ein großes Ereignis. Beim diesjährigen Sommerprogramm des Kunstrasens hatte ich mich noch darüber geärgert, dass die Karten für das Konzert der Simple Minds für den Front of Stage-Bereich vergriffen waren. Ich hatte zu lange gewartet, bis drei Wochen vor dem Termin des Konzertes, als ich die Karten buchen wollte, Front of Stage alles weg war. Danach hatte ich nach anderen Gruppen/Interpreten und Veranstaltungshallen gesucht, aber mein Musikgeschmack war nicht so ganz dabei. Als ich beim Veranstalter Cubana in Siegburg nachschaute, entdeckte ich einen Auftritt von Chris Thompson, dem früheren Sänger der Manfred Mann’s Earth Band. Diese Musikgruppe hatte ich in früheren Zeiten rauf und runter gehört, von den frühen bis zu den späten Alben, wobei mir die frühen LPs wie etwa „Solar Fire“ oder „Nightingales & Bombers“ am besten gefielen. Nun entdeckte ich in Youtube gleichzeitig Konzertmitschnitte der Manfred Mann’s Earth Band aus diesem Jahr. Bei der Suche überraschten mich die Tourdaten: Manfred Mann’s Earth Band – ohne den früheren Sänger Chris Thompson - traten in Windeck und in Euskirchen auf. Dabei war Manfred Mann – inzwischen 82 Jahre alt – immer noch ein Meister seines Spieles auf dem Syntheziser. Der Schlagzeuger und der Gitarrist aus der Zeit der Alben „Solar Fire“ und „Nightingales & Bombers“ waren bei der Tour dabei, der Sänger und der Bassist waren später zu der Band hinzugekommen. Trotz des betagten Alters der Bandmitglieder hörten sich die Stücke auf den Youtube-Konzertmitschnitten immer noch exzellent an. Karten waren für das Konzert in Euskirchen noch verfügbar, also geht es übernächsten Sonntag, den 4. September, nach Euskirchen ! Ich freue mich auf Manfred Mann’s Earth Band.

27. August 2022


Eine etwas düstere Szenerie, die in diesen Tagen und Wochen immer auf dasselbe hinaus läuft: die Regengebiete machen einen großen Bogen um unsere Region. Neidisch schauen wir auf andere Orte – wie zum Beispiel Freiburg – wo gestern die Fußballspieler bei strömendem Regen und widrigen Bedingungen in der Europa-Park-Arena gegen den VfL Bochum gespielt hatten. 1:0 gewann der SC Freiburg nach einem Tor kurz nach der Halbzeitpause und einem verschossenen Elfmeter kurze Zeit später. Ein Seitfallzieher, Distanzschüsse, gleich mehrere Dreifachchancen und viermal Aluminium – der Unterhaltungswert des Spiels war für das Publikum bei anhaltendem Regen sehr hoch, so konnten wir den Dauerregen in der Fernsehaufzeichnung des ZDF-Sportstudios am Samstag zur Kenntnis nehmen. Es regnete Bindfäden auf den Rasen, die Trikots der Spieler hingen klatschnass am Körper. Nicht so bei uns. Wir warten auf den Regen, der nicht kommt. Dunkle Wolken haben sich über den Horizont geschoben, bedrohlich dunkel ist es über dem Horizont geworden, der Regen bleibt aber aus. Die Natur ist weiterhin wie ausgedörrt, den Garten müssen wir weiterhin gießen.

28. August 2022


Jede Menge Kaffeekannen an der Wand, neue Kunst ? Nein, mitnichten, ich habe ein mehr oder weniger neues Café aufgesucht, an dem sich diese etwas außergewöhnlichen Wandutensilien wieder fanden. Es war das anhängende Café einer Bäckerei in Beuel, das bei mir nicht im Focus stand, weil ich ein anderes Café in Beuel bevorzugte. Doch an diesem Tag war dieses Café mit einem Mal und unerwartet geschlossen. Eigentlich hatte das Café keinen Ruhetag, vielleicht war es Personalmangel, jedenfalls sah nichts nach einer dauerhaften Schließung aus. So suchte ich ein Ersatz-Café, dessen Auswahl gar nicht schlecht war. Das Café war durchaus gemütlich eingerichtet, ein längerer Gang führte in weiter hinten liegende Innenräume, ein Teil der Wände war mit Kacheln aus Delfter Blau gekachelt, der Holzfußboden schuf eine warme und angenehme Atmosphäre. Ich selbst saß genau an der Stelle mit den etwas designmäßigen Kaffeekannen an der Wand. Für ein Café passte diese thematische Zusammenstellung außergewöhnlich gut. Das einzige, das nicht ganz in das Café hinein passte, war der Umstand, dass ich mutterseelenallein in dem Café saß. Diese Atmosphäre der Leere erdrückte zwar nicht, aber der Fluss der Gedanken kam nicht ganz in Gang, weil die umgebenden Menschen fehlten. Dennoch sprach mich das Café, und es hatte insbesondere einen Vorteil: über den angrenzenden REWE-Supermarkt klappte der WLAN-Zugang vorzüglich.


29. August 2022


In reichlich festlichem Rahmen, so ziemlich zusammengewürfelt aus der gesamten Republik, saßen wir an dem runden Tisch. Es war Jubilartag, die Firma hatte alle Kollegen eingeladen, die ihr 25- und 40-jähriges Dienstjubiläum gehabt hatten, in den letzten beiden Jahren war die Feier wegen Corona allerdings ausgefallen. Der Arbeitgeber hatte keinen Aufwand gescheut, sich in einem feierlichen Rahmen für die sehr lange Loyalität seiner Mitarbeiter zu bedanken. Im Phantasialand in Brühl war ein großer Saal angemietet worden, ich zählte sechs mal sechs, also sechsunddreißig solcher Tische, die sich vielleicht mal 7-8 Jubilaren je Tisch zu 300 Ehrenjubilaren aufsummierten. Und die Veranstaltung war nicht die einzige: es kamen so viele Ehrenjubilare zusammen, dass insgesamt sieben solcher Veranstaltungen an sieben Tagen hintereinander statt fanden. Den Jubilaren sollte es an nichts fehlen. An Getränken wurden Wasser, Cola, Kölsch, Pils, auch Wein gereicht, und jeder konnte soviel trinken, wie er wollte. Mittags wurde an der gesamten Querlänge der Wand ein reichhaltiges Buffet serviert, nachmittags gab es Kaffee und Kuchen. So saßen wir, reichlich zusammen gewürfelt, an einem der runden Tische. Ein paar Herkunftsorte konnte ich aus den Gesprächsfetzen meiner Tischnachbarn heraus hören: es waren die Telekom-Standorte Hannover, Münster, Fulda und Köln dabei. So allmählich griffen die Gespräche um sich, man redete mehr miteinander, und unter Kollegen redete ich mit meinem Hannoveraner Tischnachbarn über dieses und jenes. Mit IT und Technik hatte er ganz viel zu tun, sein Home Office hatte er tagsüber ganz für sich ganz alleine, weil seine Frau in Vollzeit arbeitete; die 50 Kilometer Entfernung lagen nach Hannover zu ungünstig, so dass er, wenn er im Büro war, mit dem Auto dorthin fuhr. Er wohnte auf dem Gebiet des früheren Herzogtums Schaumburg, dessen Anwesen sich in ganz Deutschland verteilten, so etwa in Schleswig-Holstein oder auch das Palais Schaumburg in Bonn. Er hatte versucht, irgend welche früheren Adressenlisten seines Abschlussjahrgangs zu sichten, wer gleichzeitig mit ihm das Dienstjubiläum gehabt haben könnte – doch vergeblich. Die Kontakte waren abgerissen – dasselbe galt für mich. Mir wäre auch niemand eingefallen, der so lange durch gehalten hatte wie ich. Bei einzelnen wusste ich, dass sie in Ruhestand gegangen waren. Andere hatten bei den Standortkonsolidierungen in den 2000er-Jahren zur Bundesanstalt für Arbeit gewechselt, wiederum andere waren von der Bildfläche verschwunden. So genoss ich diesen Festakt, der mit dem Auftritt eines Improvisationstheaters brillant gestaltet war. Eine Jubilarin durfte auf die Bühne und von ihrem Werdegang erzählen, wieso sie gerade ihren Beruf gewählt hatte und was sie an ihrem Arbeitsplatz alles erlebt hatte. Privates wurde nicht ausgespart, wie sie ihren Mann kennen gelernt hatte, was ihre Hobbies waren und womit sie sich nach ihrem Ruhestand in drei Monaten beschäftigen würde. Danach spielten die drei Schauspieler des Improvisationstheater das Leben der Jubilarin in Sketchen, mit viel Witz und mit Gesang. Höhepunkt der Veranstaltung war die Rede des Vorstandsvorsitzenden, der seine Mitarbeiter als DNA bezeichnete und sich für die langjährige Treue bedankte. Er sprach von einem Lebenswerk, für die Firma tätig zu sein. Und er zählte viele Erfolge der Firma auf, wozu mir die gesamte Erfolgsgeschichte nur in Bruchstücken bekannt war. Als Mitarbeiter hatten wir das Klein-Klein des Büroalltags zu bewältigen, das große Ganze verloren wir allzu gerne aus den Augen. Am Ende des Tages war die Jubilarveranstaltung sehr schön gewesen und hinterließ tiefe Eindrücke.

30. August 2022


Beim Kochen kommt es stets zu gewissen Problemen der Koordination, des richtigen Rezeptes und vor allem der richtigen Ausführung, wenn ich mit dem Kochen an der Reihe bin. Eine Kollegin meiner Frau ist in Urlaub, so dass sie jeden Nachmittag – mit Ausnahme des Freitags – bis 18 Uhr arbeiten muss, was zur Folge hat, dass ich mich in dieser Woche um das Essen kümmern sollte. In unserem Garten sind Kürbisse groß gewachsen, und einmal hatte ich daraus mit unserem Sohn eine Kürbissuppe zubereitet, wobei der Sohn Rezepte in Youtube sich angesehen hatte und am Herd gestanden hatte. Diesmal ließ sich unser Sohn allerdings nicht in der Küche blicken, sein Interesse an Mithilfe war gering, so dass ich weitgehend alleine dastand, um nochmals eine Kürbissuppe zu kochen. Die Zutaten, Kürbis, Möhren, Zucchini, Zwiebeln, hatte ich klein geschnitten, unser Sohn hatte Paprika und eine Chili-Schote klein geschnitten, dann war er wieder weg. Ich stellte mir die Zubereitung ähnlich vor wie bei einer Rindfleischsuppe – aber ohne Suppenfleisch – ich war gerade dabei, einen Liter Wasser im Wasserkocher heiß zu machen, da kehrte meine Frau von der Arbeit zurück. Alles anders, das war die Stellungnahme meiner Frau. Bei den Zutaten fehlten Sellerie und eine Knoblauchzehe, die Zutaten sollten in der Pfanne angedünstet werden und danach erst im Wasser weiter gar gekocht werden, außerdem müsste eine gewisse Auswahl von Gewürzen verwendet werden, die die Kürbissuppe scharf, aber nicht zu scharf werden ließen. So beschränkte sich meine weitere Tätigkeit im wesentlichen aufs Zuschauen, weil ich alles komplett anders gemacht hätte. Bei der zeitlichen Abfolge geriet ich dann komplett durcheinander, weil wir Baguette bei der Kürbissuppe essen wollten. Das Kleinschneiden all der Zutaten hatte ziemlich lange gedauert, nach dem Zerkleinern mit dem Pürierstab ging es dann rasend schnell. Die Kürbissuppe war fast fertig, wir mussten aber noch Baguette besorgen, obschon die Bäckereien bereits geschlossen waren. Da verblieb nur noch die Möglichkeit, Baguette zum Aufbacken im Supermarkt zu besorgen, wobei der Vorgang des Aufbackens im Backofen die Essenszeit nach hinten schob. Dass das Kochen mit Holprigkeiten und Hinderlichkeiten verbunden ist, kommt bei uns immer wieder vor. Hätte meine Frau nicht eingegriffen auf meine Art und Weise der Essenszubereitung, dann hätte die Kürbissuppe wohl kaum jemandem geschmeckt.

31. August 2022


Die Situation ist immer noch etwas angespannt, was die Anzahl der geernteten Zucchini betrifft. Die Trockenheit lähmt, wir gießen wie verrückt, von dem wachstumsnotwendigen Wasser bekommen unsere Zucchini-Pflanzen mehr als genug ab. Vier Zucchini-Pflanzen haben wir gepflanzt, und bei dem heißen Wetter produzieren sie mehr Zucchini als genug, so viel, dass wir uns ständig etwas einfallen lassen müssen, um Gerichte mit Zucchini zu kochen. Grundsätzlich mag ich sie sehr gerne, aber irgend wann gehen die Essens-Kombinationen aus, was man mit Zucchini kochen kann. So stellt sich allmählich mit dem noch nicht schwindenden Sommer etwas Entspannung ein, nachdem die Hauptreifezeit der Zucchini vorbei ist. Die Blüten und die Triebe der Zucchini lassen nach, die Blätter werden welk, die bedeckende Fülle der Gemüsepflanze läßt nach. Die Früchte der Gemüsepflanze werden weniger, unsere tägliche Ernte schwindet. Die im Keller gesammelten Zucchini werden übersichtlicher. Wir werden etwas freier bei der Gestaltung unseres Speiseplans. Der Sommer ist in diesem Jahr eine heftige Bürde gewesen. Viel zu heiß, viel zu trocken, das ermattende Gießen jeden Abend, dazu die Überfülle an Zucchini, während die übrigen guten Erträge gemäßigter ausgefallen sind. Zucchini: eine Pflanze, die phasenweise unseren Alltag bestimmt hat.  


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