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Eupener Straße in Köln-Braunsfeld

Es waren Wege, die ich einst tagtäglich beschritten hatte, die nunmehr seit weitaus mehr als 20 Jahren der Vergangenheit angehörten. Der Wechsel in der Großstadt war abrupt. Köln-Braunsfeld war einer derjenigen Stadtteile, wo Villen in Stadtwaldnähe schnell übergingen in Reihenhäusern. Dann wechselte die Bebauung plötzlich in Industrie und Produktion, mit Fabrikhallen, Lagerhallen und hohen Schornsteinen, die einst ein Symbol für Wirtschaftswachstum gewesen waren.


Ich stieg an derselben Straßenbahnhaltestelle aus, die zwischen den Jahren 1987 und 1993 den Weg zu meinem Büroarbeitsplatz gewiesen hatte. Die Reihenhäuser auf der Eupener Straße sahen vertraut aus, jeder Vorgarten hatte seinen eigenen Charakter, die Hauszugänge waren individuell, die Fassaden waren nicht über einen Kamm geschert. Die steilen Aus- und Auffahrten zu den Garagen waren ein merkwürdiges Konstrukt, da die Fahrmanöver mit den Autos herein und heraus, vor allem in der Rückwärtsfahrt, halsbrecherisch waren.


So ziemlich genau an dem Übergang zwischen Wohngebiet und Fabrikgebäuden stand denn das 11-geschossige Hochhaus, wo ich in den sechs Jahren Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre meine Arbeitsleistung erbracht hatte. Schaute man auf die Fassade, so hatten die Spuren der Veränderung das Gesamtbild belassen. Der Baukörper war derselbe geblieben, anstelle der Elemente aus Waschbeton waren Fassadenbleche zwischen den Fensterreihen angebracht worden. So hatte sich der stumpfe Charakter der Fassade nicht grundlegend verändert, sondern der Charakter war nur auf ein anderes Material gewechselt. Heute lasteten die elf Stockwerke unter einem grauen Dezemberhimmel, der querstehende Gebäudeflügel klammerte sich an der Hochhausfassade fest. Der Eingangsbereich zum Pförtner war etwas umgestaltet worden, im rückwärtigen Bereich sah es so aus, als wäre die Anzahl der Parkplätze ein wenig angewachsen.


Die Post nutzte das Gebäude weiterhin. Eine Niederlassung war dort untergebracht, die irgendeinen Rentenservice erbrachte. Dass man sich auf dem Hoheitsgebiet der Deutschen Post befand, das hinterlegte das postgelbe Pylon an der Zufahrt zum Bürogebäude. Daneben ein Briefkasten, beides mit dem geschwungenen Posthorn, das ich lange als Symbol für steife Strukturen und die Ablehnung von Flexibilität, Kunden- und Mitarbeiterorientierung betrachtet hatte. Ein weiteres typisches Post-Emblem war vor dem Eingang zu sehen: das war der gelbe Stier „Aktie gelb“, der den Börsengang der Deutschen Post im Jahr 2000 begleitet hatte. Der Eingang war etwas gedrungen, sein Erscheinungsbild war wenig repräsentativ wie bereits vor mehr als 20 Jahren und schrumpfte angesichts des Börsenwerts der Deutschen Post von 70 Milliarden Euro noch mehr zusammen.


Die Krümmungen des Posthorns hatten die elf Stockwerke überdauert. So nackt und inhaltsleer die Fassade aussah, so wenig inhaltsleer war das Innenleben des Bürogebäudes gewesen. Das Arbeitsleben und die Büroarbeit hatten sich dort entfaltet, Freude und Leid lagen dicht beieinander. Wenige unsympathische und ganz viele nette Arbeitskollegen hatte ich dort kennengelernt. Bevor die großen Umwälzungen durch die IT und Personal Computer sich durchgesetzt hatten, arbeiteten wir in Papierform in der guten, alten Welt der Bürokratie. In großen Aktenschränken wuchs die Reihe von Aktenordnern, und auf dem Arbeitsplatz hatte man sich sein eigenes System geschaffen, in welchen Stapeln von Papier gerade welche Vorgänge bearbeitet wurden. Man blätterte in Dienstanweisungen, schaute in Gesetzestexten nach, sichtete Verordnungen und sammelte die Verfügungen. Nachdem mein Arbeitsplatz vom Postamt zur damaligen Oberpostdirektion gewechselt hatte, sollten die steifen und verkrusteten Formen der Bürokratie aufgebrochen werden.

In der Oberpostdirektion wurden feste Hierarchien aufgeweicht, über informelle Kreise redete man zwischen den Abteilungen, der Stil wechselte, was und wie angeordnet wurde. Das totale Gehorsamkeitsprinzip, dass das, was von oben angeordnet wurde, von Natur aus die eine und einzige Wahrheit war, wurde aufgegeben. Womöglich war es auch der Staat selbst, der erkannt hatte, dass sich nicht alles über die Köpfe seiner Beschäftigten hinweg regeln ließ. Bis zum Ministerium hatte der Staat einen Riesen-Verwaltungsapparat aufgebaut, um über Anweisungen, Verfügungen und Richtlinien das operative Geschäft regeln zu wollen. Dementsprechend groß war die Papierflut, um den Beschäftigten Handlungsanweisungen an die Hand zu geben, was man wie in welcher Situation zu tun hatte. Nun nahmen die Freiräume zu, dass solche Regelungen fehlten, was man im Jargon der Juristen als Ermessensspielraum bezeichnete. Oder dass der Beschäftigte nach seinem eigenen gesunden Menschenverstand, losgelöst von irgendwelchen Regelungen, entscheiden sollte, wie er in welcher Situation verfahren sollte.


Vielleicht konnte man diese Zeit zwischen den Jahren 1987 und 1993 sogar als die glücklichste Zeit des Arbeitslebens betrachten, weil das Beamtenprinzip in vollem Umfang griff, dass sich der Staat um die Daseinsvorsorge seiner Beamten kümmerte. Der Staat hatte dafür zu sorgen, dass ein Arbeitsposten vorhanden war. Seine Beamten waren amtsangemessen zu bezahlen, sie waren mit Arbeit zu versorgen. In diesen Zeiten war die Arbeit so bemessen, dass sie gut zu schaffen war. Ein Arbeitsdruck, schneller und produktiver zu arbeiten, war noch nicht angekommen. Im Tagesgeschäft gab es einige Regelungen, denen ich folgen musste, einen größeren Teil konnte ich meinem eigenen betriebswirtschaftlichen Verständnis überlassen. Hinzu kam, dass die Altersstruktur einiges jünger war als auf dem Postamt. So fand ich mich auf Anhieb mit Gleichaltrigen und Gleichgesinnten zurecht. Es gab informelle Kaffeerunden, privat unternahmen wir einiges zusammen, die informellen Kontakte entwickelten sich bereichsübergreifend. Im Fahrradkeller hatte ich ein Fahrrad stehen, und in der Mittagspause machte ich den einen oder anderen Abstecher in den Stadtwald, in den Stadtteil Lindenthal oder bis zur Universität. Lästig war die lange Anfahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln, wozu ich anderthalb Stunden benötigte, wenn ich die komplette Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklegte.


Die große Revolution eines IT-Arbeitsplatzes stand noch bevor. Anfang der 1990er Jahre hatten wir zwar Rechner in unseren Büros stehen, deren Leistungsfähigkeit und Intelligenz war aber stark eingeschränkt. Die Rechner arbeiteten mit MS DOS und waren kaum mehr als dumme Terminals. Windows, Excel und Word waren noch unbekannt, eine Anwendung namens „Framework“ sollte helfen, Datenbanken anzulegen. Vom Arbeitgeber ging keinerlei Initiative aus, seine Mitarbeiter aufzuschlauen, und so erzeugten die auf Framework allein gestellten Rechnerintelligenzen nichts als Frustration.


Die Zeit war begleitet von großen sowohl privaten wie weltpolitischen Umwälzungen. Privat fiel die Hochzeit und die Geburt unserer großen Tochter in diese Zeit, weltpolitisch war es der Mauerfall und die deutsche Wiedervereinigung. Als Fußballinteressierter kam noch der Gewinn der Fußball-WM 1990 dazu.


Als wir 1993 von dem Standort in der Eupener Straße wegzogen, leitete dies eine beruflich schwierige Phase ein. Ich hatte mich nämlich allzu sehr darauf verlassen, dass sich der Staat um die Daseinsvorsorge seiner Beamten kümmerte. Im Jahr 1990 war die damalige Bundespost in die Unternehmensbereiche Post, Postbank und Telekom aufgeteilt worden. Innerhalb des Unternehmensbereichs Telekom, wozu ich gehörte, sollte die mittlere Ebene einer Oberpostdirektion entbehrlich werden. Arbeitsplätze sollten hin- und hergeschoben werden, Arbeit sollte wegfallen. Obschon ein Arbeitsplatz erhalten blieb, sollte sich meine eigene Entscheidung, bleiben zu wollen, als falsch heraus stellen. Weil die Arbeit in größerem Umfang wegfiel oder verlagert wurde, sollte dieser Verbleib zu einer langen Hängepartie werden, ohne Perspektiven und neue Horizonte.


Erst im Jahr 1999 konnte ich diese Perspektiven und neuen Horizonte erkennen. Sechs Jahre Stillstand hatten mich bis dahin zerfressen. Sechs Jahre, in denen ich beruflich weder hin, noch zurück, noch irgend wo anders hin ausweichen konnte.

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