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es ist Wahlkampf angesagt ...

Wahlen sind ein normales Prozedere in demokratischen Staaten wie Deutschland. Diesmal ist die Regierung vorzeitig zurückgetreten, die Phase des Wahlkampfes ist so kurz wie bei keiner anderen Wahl. Welche Eindrücke vermittelt dieser Wahlkampf ?


Wie mitten aus dem Schlaf gerissen, wurde mir direkt nach dem Jahreswechsel bewusst, dass wir mitten im Wahlkampf stecken. Dabei war der Zeitplan, aufsetzend auf der Vertrauensfrage, klar und abgesteckt: am 16.12.2024 hatte der Bundestag über die Vertrauensfrage abgestimmt, am 27.12.2024 hatte der Bundespräsident den Bundestag aufgelöst, die Neuwahlen waren auf den 23.2.2025 terminiert worden. Mit der Auflösung des Bundestages konnte der Wahlkampf beginnen. In den vergangenen Jahren war solch ein Wahlkampf stets etwas Unspektakuläres: ich wusste, wo ich mein Kreuzchen machen würde, ich stand zu dieser Partei, Politik war allerdings ein eher lästiges Übel im Alltag. Politik gehörte zum Tagesgeschehen dazu, sie bestimmte aber weniger meine Interessenssphären. Gesellschaftliche, kulturelle oder wirtschaftliche Themen machten diese Interessenssphären aus, dabei schuf die Politik die Rahmenbedingungen, wonach sich insbesondere die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Themen ausrichteten. Hinzugekommen waren neue, drängende Themen, die die Fragen unserer Zeit auf den Kopf stellten, Ukrainekrieg, Klimakrise, Terrorismus, Migration, innere Sicherheit, Energieversorgung und so weiter. Manche Themen wie der Ukrainekrieg waren wie von einem Tag auf den anderen eingeschlagen, andere köchelten über viele Jahre vor sich hin. Sehr viele dieser Themen wurden zu Wahlkampfthemen, wo die Parteien sich abgrenzen wollten. Mit Hilfe dieser Themen formten sie ihr Profil, sie instrumentalisierten diese Themen, indem sie die Perspektive der Wähler einnahmen. Sie antizipierten seine Gefühle, Wünsche, Ängste, sie hoben diese Themen auf eine Sachebene und schufen eine Vision, um die Dinge besser gestalten zu wollen. Die Grundgesamtheit von Ideen, die politischen Handlungsfelder für den Bürger besser gestalten zu wollen, war in der Wahlkampfphase erfahrungsgemäß groß. Im Alltag des Politikbetriebs schrumpfte dieses Reservoir an Ideen, es klaffte eine Lücke zwischen den Erwartungen an die neue Regierung und was diese von ihrem Ideenreichtum umgesetzt hatte.


langweilige Fotostrecken von Wahlplakaten


Selbst eingefleischte Anhänger der Demokratie sind mittlerweile der Meinung, dass es um sie nicht gut bestellt ist. Pessimistische Niedergangs- und Krisendiagnosen haben Konjunktur. Der Tenor der Debatte lautet: Demokratische Regime büßen an Qualität und Quantität ein, sie werden durch Antidemokraten bedroht, versagen bei der Lösung öffentlicher Probleme und verlieren allmählich auch in der gesellschaftlichen Mitte an Unterstützung. Politik ist nicht lernfähig. Zuhauf werden Debatten in der Öffentlichkeit und in Talkshows geführt, ohne dass sich etwas ändert. Alle reden nur, niemand tut etwas, aber die Parteien versprechen das Blaue vom Himmel. Zurzeit werden ganze Stadtlandschaften und das Umland mit Wahlplakaten geflutet. Um die potenziellen Wähler zu erreichen, bedarf es einer solchen Aufmerksamkeitsökonomie. Kennt man noch die Gesichter der Spitzenpolitiker, lässt der Bekanntheitsgrad des kompletten Parteienspektrums oder der Kandidaten für den Wahlkreis deutlich nach. Man setzt auf Effekte der Werbung, aber weitaus weniger einfallsreich. Es fehlen die pfiffigen Werbesprüche, ein alles umfassender Slogan oder ein Unique Selling Proposition, um sich von den Wettbewerbern abzuheben. Anstatt dessen ergibt die Summe der Wahlplakate eine Einheitssoße oder einen Einheitsbrei, wo sich niemand von dem anderen abhebt. Die Fotostrecken von Wahlplakaten sind zum Gähnen langweilig, die Kandidaten sind austauschbar und erzeugen kaum Anstoß, genau bei dieser Partei das Kreuzchen zu machen. An den Ständen der Parteien im öffentlichen Raum oder vor Supermärkten ziehen die Wähler es vor, einen Kugelschreiber oder einen Notizblock ausgehändigt zu bekommen, als mit den Parteien in der Sache zu diskutieren. Dabei sind die Parteien über das Grundgesetz in unserer Demokratie fest verankert. Nach Artikel 21 wirken sie bei der politischen Willensbildung des Volkes mit, also sind sie wesentliche Träger und Gestalter der Wahlentscheidung des Wählers, bei welcher Partei dieser sein Kreuzchen setzt. Durch die Parteien – im Endeffekt nur durch sie – fließt Staatspolitik von oben nach unten, in Form von Gesetzen, Verordnungen, administrativen Maßnahmen, erklärenden und anfeuernden Reden in den Organen der Bundespolitik oder auch in Fernsehauftritten. In hohem Maße hat sich das Grundgesetz als Hüterin der Demokratie bewährt: die Hürden und die Restriktionen, um dieses zu ändern, sind sehr hoch, Eingriffe in die Parteienlandschaft sind so gut wie unmöglich. Gleichwohl sind Wahlen als zentrales Element unserer Demokratie aus der Mode gekommen. Die Wähler fragen sich, was sie damit bewegen können. Die Zusammenhänge zwischen dem gewählten Kandidaten und ihren Beiträgen im Tagesgeschäft des Politikbetriebs sind nur in Ausnahmefällen transparent.


man muss sich einmischen


Ein zurück gewandter Geist lebt wieder auf, wenn sich der Wähler an die düsteren Zeiten der deutschen Geschichte zurück erinnert. Es bedurfte wenige Monate nach der Machtergreifung, dass die Nationalsozialisten 1933 das vorhandene System der Demokratie aus den Angeln hoben. Sie etablierten eine Schreckensherrschaft sondergleichen, rissen einen Weltkrieg vom Zaun und betrieben einen Völkermord, wie ihn die Geschichte bis dahin nicht gekannt hatte. Dass es ein Politiker wie Otto Wels 1933 im noch bestehenden Parlament es gewagt hatte, mit Adolf Hitler auf Konfrontationskurs zu gehen, stellt einen geradezu wahnsinnigen Wagemut dar. Er floh und überlebte das NS-Regime. Noch sind wir weit entfernt davon, das in der Nachkriegszeit gewachsene Gefüge der Demokratie aus den Angeln zu heben, das Gefüge der Parteien zeigt aber Risse. Die alte Aufteilung in links und rechts oder rot und schwarz ist obsolet geworden, die Parteien von rot, schwarz, grün und gelb sind in der Mitte zusammen gerückt. Unterschiede heraus zu finden, dazu bedarf es einer genauen Analyse der Parteiprogramme. Was sie sagen, wollen und tun, klingt gleich, so dass der Wähler in diesem Einheitsbrei keine Alternativen mehr sieht. Es bleiben die Ränder des Parteienspektrums, die sich von der Mitte unterscheiden. Gerade der rechte Rand wird aufgrund der geschichtlichen Erfahrungen als besonders gefährlich eingestuft – was wohl auch so stimmt. Hört man einen Björn Höcke oder Alexander Gauland reden, ist deren Tonfall nicht so weit weg von demjenigen eines Josef Göbbels. Nationalsozialismus als Fliegenschiss der Geschichte zu bezeichnen, ist mehr als makaber. Man muss sich einmischen, man darf dabei aber nicht abgleiten in ein politisches Theater, wo die Redebühne als Gradmesser für die Umfragewerte genutzt wird. Genauso wenig bringt reine Symbolpolitik: wenn etwa zwei Tage vor der Wahl in Thüringen 28 Asylbewerber öffentlichkeitswirksam in ein Flugzeug gesetzt werden und nach Afghanistan abgeschoben werden. Solch ein Possentheater durchschaut der Bürger, er hat genug davon und bezweifelt Sinn und Inhalt der Politik. Sinn und Inhalt waren ebenso verwischt angesichts des Dauerstreites in der Ampelregierung, solange diese noch bestanden hatte. Der Bürger hatte genug gehabt vom ständigen Zank und Streit, an Regieren war kaum noch zu denken. Die Regierungszeit der Ampelkoalition hatte gezeigt, dass eine aus drei Parteien bestehende Mehrparteienregierung ein hoch komplexes Konstrukt darstellt, welches einer besonderen Führungsstärke bedarf. Olaf Scholz hat eine solche Führungsstärke nicht besessen, die Interessen der einzelnen Parteien waren zu weit auseinander gelaufen.


ein sinnentleerter Wahlkampf


Bei den jetzigen Wahlen fehlt die große Vision. In den Regierungszeiten eines Konrad Adenauer war die Zugehörigkeit der Bundesrepublik zum Westen eine ideologische Frage. Die deutschen Staaten spalteten sich, die Integration in den Westen und in der NATO konnte den Expansionsdrang der Sowjetunion eindämmen. Willy Brandt war ein charismatischer Politiker, der mit seiner neuen Ostpolitik gerade die jüngere Generation begeisterte. Den sozialliberalen Koalitionen folgte Helmut Kohl, den die Vision eines geeinten Europa – namentlich als einheitlichen Wirtschaftsraum – beflügelte., nebenher brachte ihm ein Zufall der Geschichte die Wiedervereinigung. Die Vision eines Gerhard Schröder waren seine Reformen: seine ungeliebte Hartz IV-Reform, die Arbeit wieder bezahlbar machte. Deutschland wurde international wieder wettbewerbsfähig gemacht, ein neuer Niedriglohnsektor wurde geschaffen. Diese bedeuteten allerdings Einschnitte für die Bevölkerung, so dass er die rot-grüne Koalition vorzeitig auflösen musste. Ihm folgte Angela Merkel ins Kanzleramt, ihr Kennzeichen war eine einfache geometrische Figur – die Raute. Dieses durch ihre Finger geformte Viereck konnte vieles bedeuten, nämlich eine mütterliche Geborgenheit oder auch eine Unbestimmtheit. Gerade die Unbestimmtheit der Raute wurde zum Sinnbild ihrer Politik: ihre Sätze waren maximal allgemein und diffus. Man sollte die Dinge möglichst so lassen, wie sie waren. Diese Grundeinstellung, konkrete Aussagen zu vermeiden, prägte die letzten Wahlkämpfe, nicht nur diejenigen der CDU. Auch diesen Wahlkampf, sieht man einmal ab von der hoch emotionale Debatte im Bundestag in der letzten Woche zum Zuwanderungsbegrenzungsgesetz. Wie ist der Politikwechsel der CDU zu verstehen, der im Wahlprogramm mit Pauken und Trompeten angekündigt wird ? Schaut man dort hinein, wird der Wähler nicht wirklich schlau, allerhöchstens finden sich ein paar Umetikettierungen, dass etwa das Bürgergeld anders benannt werden soll. Aber ein grundlegender Wechsel ? Diesem Paradigmenwechsel, dass eine komplett andere Richtung beschritten werden soll, steht entgegen, dass sich das Gefüge des Gemeinwesens, dem der Staat voran steht, gewandelt hat. Originär hatte der Staat Aufgaben wahrzunehmen, die am Gemeinwohl orientiert waren. Der Bürger versteht sich aber nicht mehr als Teil des Gemeinwesens, sondern er erwartet von der Politik, dass seine partikularen Interessen vertreten werden. In einer Kosten-Nutzen-Relation fragen die Wähler, bei welcher Partei sich ihr individueller Nutzen maximiert. Wahlkämpfe sind bei solchen Interessenlagen sinnentleert geworden. Viel zu viele drängenden Baustellen haben sich in unserer Republik angehäuft, die Mega-Aufgabe der Klimakrise ist zu bewältigen, wir haben einen Reformstau in der Verteidigung, bei Kranken- und Rentenversicherung, bei Asyl & Migration, bei der Sanierung des Bahnnetzes und so weiter. Dazu müsste man die Reformen angehen und den Wählern sagen, was sie zu erwarten haben. Der Mut zu unpopulären Maßnahmen fehlt aber, die Parteien würden sich sofort bei ihren Wählern unbeliebt machen. Die Macht des Wählers bestimmt die Leitlinien in der Politik. Politiker wollen gewählt werden, also verlieren sie sich in Floskeln, die dem Wählerwillen nicht widersprechen sollen. Dazu tickt eine soziale Frage, worauf die Politik keine Antworten zu bieten hat, eine soziale Frage von Wohnen, Inflation und Energie. Die Preise schießen durch die Decke, während die Löhne in nicht oder schlecht gewerkschaftlich organisierten Branchen konstant bleiben. Die Unterschicht sortiert sich neu, die Löhne rennen hinterher, die Niedriglohnsektoren beflügeln soziale Abstiege. Dies äußert sich im Wählerverhalten: die Politik tut zu wenig für dieses Wählerklientel, die Reichen werden viel zu wenig zur Kasse gebeten – siehe Vermögenssteuer oder Erbschaftssteuer. Kein Land in der Welt hat so hohe Abgaben auf Einkommen wie Deutschland und kein Land in der Welt hat so niedrige Steuern auf Vermögen. Was kann man von diesem Wahlkampf erwarten ? Auf jeden Fall ganz viel Spannung. Gelingt es, die AfD zu isolieren ? Oder gibt es doch einen Trend – wie zuletzt von der CDU in der Person eines Friedrich Merz – mit der AfD zu kooperieren ? Wie sehen die Mehrheitsverhältnisse überhaupt aus, um eine Regierung zu bilden ? Zwischen Sinnentleerung und ohne Vision, kann man darüber bestenfalls spekulieren, am Wahlabend des 23.2. wird man einiges klüger sein.

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