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Tagebuch Februar 2020

1. Februar 2020

Was die Behinderten so veranstalten und auf welche Art und Weise. Sie feiern Karneval, und viele helfende Hände sorgen für ein gutes Gelingen. Es waren gleich mehrere Behindertenwohnheime, die beisammen waren. Selbstverständlich auch Behinderte, die nicht in Wohnheimen lebten. Sogar aus Königswinter-Ittenbach waren extra Behinderte angereist, um an dieser Karnevalsveranstaltung teilzunehmen. Behinderte bildeten den Elferrat, und es ging los mit dem Karnevalsprinzen aus Lülsdorf, der alle begrüßte. Dem folgten herzliche und warme Begrüßungsworte des Bürgermeisters, dem allerdings ein Lapsus passierte. Die Sitzungspräsidentin redete er mit „Anja“ an, sie hieß aber gar nicht „Anja“, sondern „Andrea“. Wohlwollend verziehen alle, und nach dem karnevalistischen Auftakt folgte eine Zäsur, damit sich alle an dem Büffet mit Salaten und Kuchen bedienen konnten. Damit dies nicht ungeordnet geschah, indem alle mit einem Mal losrannten, war jeder Tisch mit einem Schildchen gekennzeichnet. Auf unserem Tisch stand das Schildchen einer Seiltänzerin, und wie der Zufall es wollte, durften wir uns als erster Tisch auf das Büffet stürzen. Bis alle Tische an der Reihe waren, dauerte es eine geraume Zeit, so dass die Zäsur ohne Karnevalsrhythmen ausgiebig lange ausfiel. Und irgendwann hoben dann doch die Karnevalsrhythmen ab, als ich mich gerade auf der Toilette befand. Zwei Gesangsdarbietungen folgten, die ihr bestes gaben. Die zweiten Gesangsstücke kamen von einer Frauengruppe, die nicht direkt Karnevalslieder besangen, aber Musikstücke wie das Maus-Lied von der Sendung mit der Maus, was bestens zu dem karnevalistischen Rahmen passte. Die Karnevalsfeier schloss eine Tanzgruppe aus Mondorf ab, worin drei Tanzformationen aus drei unterschiedlichen Altersstufen tanzten. Obschon alle drei Gruppen infolge der Erkältungswelle bis auf die Hälfte dezimiert waren, klappten die Tänze bestens. Alle waren hellauf begeistert, und nach rund drei Stunden Karnevalsveranstaltung gingen oder fuhren alle zufrieden nach Hause.

2. Februar 2020

Den Abend bei einem leckeren Glas Wein ausklingen lassen. Es ist ein besonderer Wein, den ich von unserem letzten Besuch unserer Tochter in Freiburg mitgebracht habe. Auf dem Wochenmarkt auf dem Münsterplatz habe ich den Wein gekauft, von einem Weingut rund dreißig Kilometer nördlich von Freiburg. Stets schmecken die Standard-Weinsorten am besten. Bei den Weinen aus Baden ist es der Weißburgunder, ein süffiger Weißwein, der golden in unserem Wohnzimmerchaos schimmert. Vor dem Fernseher habe ich es mir gemütlich gemacht. Samstags abends steht Danny Lowinski auf dem Programm. Eine brilliante Annette Frier in ihrer Paraderolle in der Traumstadt Köln. Schlagfertig, bodenständig und genial dreht sie als Rechtsanwältin die Fälle in ihre Richtung und gewinnt überraschend so manchen Gerichtsprozess. Wie so häufig, ein Abend vor dem Fernseher, aber diesmal ganz anders.

3. Februar 2020

In diesen Tagen kreist die Erkältungswelle in unserer Familie. Irgendwie haben wir uns gegenseitig angesteckt, und dies im Zuge der allgemeinen Verunsicherungswellen des Coronavirus, dessen Infektionsfälle Tag für Tag in Deutschland steigen, allerdings noch in einer sehr übersichtlichen Größenordnung. Beunruhigen brauchen wir uns deswegen nicht, aber dennoch machen wir uns unsere Gedanken, dass das Coronavirus – wir sind bereits erkältet – in unserem Hause grassieren würde. Eingefangen hatte sich die Erkältung möglicherweise unsere Tochter während ihres Praktikums im Behindertenwohnheim, wo es eine Reihe von Erkältungsfällen gab. Danach war unser Sohn an der Reihe. Mein Schwager war bereits etwas länger erkältet, er nahm ACC Akut und seine Husterei wurde trotzdem immer schlimmer. Zusätzlich nahm er Sinupret ein, dazu spritzten wir ihm Nasenspray. Zu Sinupret kamen nun Tonsipret-Dragees für unsere Tochter dazu, dessen Verpackung täuschend ähnlich aussah zum Sinupret. Den Fehlgriff tätigte ich allerdings nicht wegen des gleichen Designs der Verpackung, sondern wegen der Art und Weise, wie die Medikamente einzunehmen waren. Die Sinupret-Tabletten waren zusammen mit einem Glas Mineralwasser einzunehmen, während die Tonsipret-Dragees zum Lutschen waren. Ich stellte hingegen unserer Tochter ein Glas Mineralwasser hin, so wie ich es beim Schwager handhabte.

4. Februar 2020

Eine beeindruckende Fotografie im Café Extrablatt in Krefeld. Ein Ausbruch der Leidenschaft, mitten im Stadtleben von Paris. „Le baiser de l’hôtel de ville“, so nennt sich die Fotografie des Künstlers Robert Doisneau, die kurz nach der 1900er-Jahrhundertwende entstanden ist. Ein Schnappschuss voller Spontanität, wie sich die beiden küssen. Das Paar nimmt nur noch sich selbst wahr, die Umgebung wird ausgeblendet, die umher rauschenden Menschen sind egal. Für das Paar wird der Augenblick in diesen Momenten angehalten.

5. Februar 2020

Straßenbahnfahrten hängen bisweilen zwischen Langeweile und Verdruß, zwischen Unbeteiligtheit und fahrplanmäßiger Routine, zwischen innerem Gedrängele und äußerer Ereignislosigkeit. So ungefähr verlief die Straßenbahnfahrt von der Krefelder Rheinstraße zur Burg Linn, wo ich mir das archäologische und das Krefelder Textilmuseum anschauen wollte. Nach dem Hauptbahnhof fuhr die Straßenbahnlinie 44 durch Allerweltsstraßen, die wenig Aufregendes boten und wo die Industrie- und Geschäftsbebauung die Wohnviertel verdrängt hatte. Fabrikflächen verschanzten sich hinter hohen Mauern, Lagerflächen weiteten sich auf ihrem Areal aus. Breite Ausfallstraßen zerschnitten die Bebauung, riesige Verkaufsräume von Fliesen, Haustüren und individuellen Küchenplanungen überlagerten die dahinter versteckten Reihenhaussiedlungen. Kein direkt schöner Anblick, das dachte ich mir, und gleichzeitig stellte ich mir die Frage, wo denn die schönen, ruhigen und angenehmen Wohngebiete der Krefelder lägen. Ein wenig wurde meine Fragestellung im Stadtteil Linn beantwortet, wo ich ausstieg, um mir die beiden Museen anzuschauen. In direkter Nachbarschaft zu der mittelalterlichen Burg, war Linn ein wirklich hübscher Stadtteil. Fein herausgeputzt, präsentierten sich viele Häuser im Ortskern mit ihrem rostbraunen Ziegelmauerwerk, wie man es häufiger am Niederrhein vorfindet. Mittendrin, am Andreasplatz, gelangte ich schließlich zum Deutschen Textilmuseum. Ich hatte mir mehr davon versprochen, weil ich Krefeld als eine gewisse Pulsader der deutschen Textilindustrie verortet hatte. Das mochte zwar stimmen, auch wenn nach Abwanderung dieses Industriezweigs in Niedriglohnländer die Relikte von verlassenen Fabrikbauten jede Menge aus der Vergangenheit zu erzählen hatten. Das Erlebnis der Textilindustrie wurde sogleich dadurch geschmälert, weil Fotografieren verboten war. Die Sonderausstellung im Erdgeschoss war durchaus interessant, weil sie die Methoden des Färbens von Textilien mit der chemischen Industrie verband. Kohle und Teer waren Färbsubstanzen, dazu Anilin oder … Das erklärte, wieso entlang der Rheinschiene die Konzentration von Chemiefabriken größer war als anderswo. Aber all die Farbspektren, die Regale voller Apothekengläser oder die Verformelungen von chemischen Substanzen durfte ich nicht fotografieren, dadurch verloren die Exponate ihren Reiz. Während das Erdgeschoss noch interessant aufbereitet war, verlor sich das Obergeschoss in einer Monotonie, die mich zumindest als Mann nicht interessierte. Das war eine einzige Modenschau von Kleidern, die um die 1900er-Jahrhundertwende begann und in den 1950er Jahren aufhörte. Zwei Stockwerke umfasste die vollständige Ausstellung – das war zu wenig für ein Stück Geschichte der Stadt Krefeld, die über bestimmt drei Jahrhunderte die Stadt geprägt hatte. Im Erdgeschoss ließ ich mich noch von den Eindrücken eines chemischen Labors faszinieren, das ein wenig an längst vergangene Zeiten aus dem Chemieunterricht in der Schule erinnerte. Über Glasgefäße, Kolben und Reagenzgläsern war alles vernetzt miteinander. Das erinnerte mich an die Anspannung vor einem Versuch, wie ich es in meiner Schulzeit erlebt hatte. Andere Spannungszustände, wie ich sie in dem Museum erwartet hatte, fehlten allerdings. Über das Aussehen der alten Textilfabriken, über die Maschinen, über die Produktionsverfahren und über die Arbeitsbedingungen hatte das Deutsche Textilmuseum überhaupt nichts erzählt.

6. Februar 2020

Den ersten Tag im neuen Jahr mit dem Rennrad ins Büro – und dies gleich bei Hochwasser. Bislang hatte ich mich in diesem Jahr von den äußeren Bedingungen abschrecken lassen, dass Rennrad anstelle öffentlicher Verkehrsmittel zu benutzen. Es war zu kalt, zu nass und vor allem dunkel. In der Dunkelheit spüre ich, dass mit zunehmendem Alter die Unsicherheit auf dem Rennrad zugenommen hat. Nun, im Februar, ist es deutlich länger hell – und das Hochwasser, welches die Fahrradfahrt begleitet, ist plötzlich gekommen. In den letzten Tagen war während der Busfahrt über die Kennedybrücke nichts bis gar nichts von dem Hochwasser zu sehen. Und nun ist das Wasser auf dem Rhein mächtig angeschwollen. Die Sieg hat vor ihrer Mündung große Teile der Felder überschwemmt, und auch der Rhein macht es der Sieg nach, indem der Fluss sein Bett bis an den Damm ausgedehnt hat. Baumreihen umspült das Wasser, Möwen kreisen, es ist ein gewisses Naturschauspiel.

7. Februar 2020

Wie das Gedankengut einer Revolution bis in die Gegenwart überlebt hat. Sieht man vom Fall der Berliner Mauer 1989 ab, ist in Deutschland nie ein Volksaufstand entstanden, der eine Revolution ausgelöst hat. Die Herrscher haben ihre Macht behauptet und sind nie gestürzt worden. Das Volk hat sich ohnmächtig in seine eigenen vier Wände zurückgezogen und ist von den repressiven Kräften des Staates mundtot gemacht worden. Die Demokratie ist heute mit der Meinungsfreiheit etwas anders, wobei die einzige Revolution in Deutschland im November 1918 den Pfad zur Weimarer Republik bereitet hat. Rosa Luxemburg war auf diesem Pfad abwegig, obschon sie mit ihrem Vorbild für eine Revolution bis heute nachwirkt. In unserer heutigen Demokratie sammeln sich Unzufriedene, die mit Politik nichts zu tun haben wollen und zu den linken und rechten Rändern des Parteienspektrums abwandern. Sie wollen die Ordnung und die Errungenschaften der Demokratie beiseite schaffen wollen und von Neuem anfangen. So vielleicht die Diktatur des Proletariats, dass das arbeitende Volk mit wenigen Parteifunktionären die klassenlose Gesellschaft bildet. Doch diese Revolution im Sinne von Marx und Engels ist längst in der Geschichte gescheitert.

8. Februar 2020

Als der Kunden vor mir an der Käsetheke von real jede Menge leckere Käsesorten einkaufte, die nicht aufhören wollten, wurde mit bewusst, dass ein Stück Käsekultur in mir etwas verloren gegangen war. Wie gerne hatte ich doch Appenzeller, alten Holländer, Ziegenkäse oder Alta Badia aus Südtirol gegessen, alles Käsesorten mit einem intensiven Geschmack, natürlich auch Blauschimmelkäse aus unterschiedlichsten Regionen Europas. Mit dem schlechten Zustand meiner Zähne hatte sich eine Barriere aufgebaut. Die provisorische Prothese, die ich trug, drohte abzubrechen, wenn ich Brötchen mit Käse aß. Oder ich musste sie ausziehen, wodurch das Kauen umständlich wurde. Diese Zustände sind nunmehr vorbei. Ich hoffe, dass ich diese Hemmschwelle beim Anblick von soviel leckerem Käse ablegen kann. Das Genießerherz kann in mir wieder aufleben. Käse kann ich wieder genießen, und das sollte ich auch tun.

9. Februar 2020

In Erwartung des aufziehenden Orkantiefs Sabine waren wir alle wie gelähmt. Für den Nachmittag hätten ein paar Unternehmungen auf dem Plan gestanden, doch der Wind, der mit jeder Stunde stärker wurde, mahnte uns zur Vorsicht. Im Garten und auf der Terrasse beim verstorbenen Schwiegervater hatten wir die Dinge sortiert und diejenigen Dinge weggestellt, die hätten weggeweht werden können. So beobachteten wir den aufziehenden Sturm in unserem Garten. Die eine oder andere Windböe wehte den einen oder anderen Gegenstand durch unseren Garten, der Wind begann zu heulen, doch ansonsten blieb es in unserem Garten ruhig. Wir blieben in unseren vier Wänden, schlossen die Türen abends gut ab und warteten in der abendlichen Dunkelheit die Dinge ab. In der zweiten Nachthälfte sollte der Orkan seinen Höhepunkt erreichen.

10. Februar 2020

Zwei umgestürzte Mülltonnen, ein umgestürztes Blumenkübel im Hauszugangsbereich, darüber hinaus sah es aus, als seien wir mit dem Orkantief Sabine glimpflich davon gekommen. Als ich mit dem Schwager an der Bushaltestelle stand, sah die Abfolge der Busse vollkommen normal aus. Die Busse waren pünktlich, wenngleich sehr leer, da der Schulunterricht ausfiel. Der Bus, der die Behinderten zur Behindertenwerkstatt fuhr, war ebenso pünktlich. Da ein Schnellbus aus Bonn einfuhr, schloss ich, dass die Linienbusse in der anderen Richtung genauso regelmäßig verkehrten. Da unser Chef alle Termine telefonisch einstellte, stand mein Entschluss bereits fest, dass ich von zu Hause arbeiten wollte. So trottete ich zurück zu unserem Haus, wo alles unauffällig war – bis auf die beiden Mülltonnen und das eine Blumenkübel. Sabine mochte anderswo gewütet haben – uns hatte es sorgfältig ausgespart. Es war also alles in Ordnung und die Arbeit im Home Office konnte beginnen.

11. Februar 2020

Schockzustand und Schockstarre im benachbarten Mehrfamilienhaus. Ein Ehepaar – wenig älter als wir – war vor rund sieben bis acht Jahren mit ihrer Tochter in die großzügige Dachgeschoss-Maisonettewohnung eingezogen. Den Ehemann – etwas füllig, beleibt, aber nicht unbedingt fett – sahen wir regelmäßig im Hofbereich, wenn er zu seinem Auto ging oder auch vor dem Mehrfamilienhaus. Er war stets nett und freundlich, er grüßte und wir redeten mit ihm über Belanglosigkeiten im Rahmen des üblichen Small Talk. Genauso freundlich unterhielten wir uns mit seiner Frau, die Rentnerin war und bei der Sparkasse gearbeitet hatte. In der Vorweihnachtszeit hatte sein Leiden begonnen. Er hatte Schmerzen in der Seitengegend und war aber erst nach Weihnachten zum Arzt, weil über Weihnachten bis Anfang des neuen Jahres die Hausärzte geschlossen hatten. Im neuen Jahr schickte ihn der Hausarzt sogleich ins Krankenhaus, wo ein Tumor an der Leber diagnostiziert wurde. Dieser war so bösartig, dass er bereits gestreut hatte. Mit Bestrahlung versuchten die Mediziner noch, seinen Tod so weit wie möglich nach hinten hinaus zu schieben. Doch es hatte nicht allzu viel geholfen. Anfang Februar war unser Nachbar verstorben, der nur wenig älter war als wir.

12. Februar 2020

Die Preise für Strom werden sich erhöhen – und sie können wieder loslegen. Vor etwas mehr als zwei Jahren war dies eine Katstrophe, wie oft wir angerufen wurden, ob wir den Stromanbieter wechseln wollten. Das war Belästigung der übelsten Art, wenn der Anrufer sich wand und drehte und im telefonischen Gesprächsverlauf erst relativ spät zu erkennen gab, dass es um diesen Anbieterwechsel ging. Nun drohen neue Anrufwellen. Wie plump diese Anrufe sein können, hat sich in diesen Tagen gezeigt. Der Anrufer fragte nach unserer Anschrift, und als Erbengemeinschaft haben wir zwei potenzielle Häuser zur Auswahl. Wir nannten die beiden Anschriften – die er aber nicht Gegenstand seines Anrufs waren. Die Hausanschrift, worüber er reden wollte, gehörte zu unserem Haus, von wo wir längst umgezogen waren. Und das war zwölf Jahre her. Das fand unser Anrufer gar nicht tragisch. Verkauf sollte gleich Verkauf sein, egal welche Immobilie. Ohne Strom geht gar nichts. Ob wir in den Keller gehen könnten und unsere Zählernummer mitteilen könnten. Wir lehnten dankend ab und fürchten weitere Anrufwellen, zu denen uns die Handhabe fehlen wird, um diese abzustellen.

13. Februar 2020

Neuss, eine Stadt bei der ich nicht das Gefühl haben werde, dass ich beim ersten Mal bereits alles gesehen habe. Gerne herrscht ja dieser touristische Blickwinkel vor: die Sehenswürdigkeiten abklappern. Gesehen ist dann gleich abgehakt, und der Entdeckungsdrang damit abgeschlossen. Jeder weitere Besuch bringt dann keine neuen Erkenntnisse, weil die Dinge statisch sind, weil sie nicht neu definiert werden können. Die Ergründung hat bereits statt gefunden, und bei einer nochmaligen Betrachtung stellt sich Langeweile ein, weil der touristische Blickwinkel erschöpft ist. Beim heutigen Besuch von Neuss wird das nicht so sein. Das ist vielleicht gerade die Mischung aus Geschichte, historischer Bausubstanz, Wiederaufbau in der Nachkriegszeit und Modernität. Neuss ist nicht wie geleckt und gemalt. Neuss hat viele, ganz viele Stilbrüche und Überreste seiner reichen Vergangenheit bewahrt. Ecken und Winkel mit schönen, erhaltenen Hausfassaden, die sich mit all der Modernität der Nachbarbebauung überlagern, muss man suchen. Eine banale Fußgängerzone mit Einzelhandelsgeschäften und Warenhäusern wechselt ab mit Ruhepolen wie dem Markt, der trotz mancher Neubaufassaden in sich geschlossen und homogen wirkt. Widersprüche vereinigen sich – wie etwa das Kölsche Brauhaus Früh in direkter Nachbarschaft zur Stadt Düsseldorf mit seinem Alt-Bier-Monopol. Der Hafen verkörpert Reichtum und Handelsbeziehungen, die im Laufe von Jahrhunderten gewachsen sind, angereichert von Lagerhäusern, Mühlen, Produktionsanlagen und Verladekränen. Neuss – eine Stadt, in der es stets etwas Neues zu entdecken geben wird.

14. Februar 2020

Wie die Bürokratie meine Frau von einem Ort zum nächsten Ort verfrachtet hatte. In ihren Zuständigkeiten verhaftet, sind die Domänen der Beschäftigten der Stadtverwaltung fest abgesteckt. Obschon die Bürgerbüros unterschiedliche Tätigkeiten miteinander vermischen, bleibt ein großer Rest, bei dem sie nicht machen können, wie der Kunde es gerne hätte. Sie erstellen Bescheinigungen jedweder Art – Personalausweise, Meldebescheinigungen, Pässe – mit Dokumente von Standesämtern außerhalb ihres Bereiches haben sie hingegen nichts zu tun. Für unsere Tochter in Freiburg benötigten wir eine beglaubigte Kopie der Geburtsurkunde. Eine Geburtsurkunde hatte meine Frau zur Stadtverwaltung in unserem Ort mitgenommen, aber irgendetwas zu kopieren und zu beglaubigen, das lehnte der Mitarbeiter ab. Die Begründung war so monoton, als habe man diesen Satz den Mitarbeitern der Stadtverwaltung in die Wiege gelegt: sie sind nicht zuständig. Zuständig sei vielmehr dasjenige Standesamt in derjenigen Stadt, wo unsere Tochter geboren war. Und das war Troisdorf, also musste meine Frau zum Troisdorfer Rathaus. Die Parkplatzsuche war nicht ganz einfach, dabei entging meine Frau beim Rückweg vom Rathaus zum Auto nur knapp einem „Knöllchen“ wegen Falschparkens. Das Troisdorfer Standesamt hatte alle standesamtlichen Daten verfügbar, womit sich das Formular der Geburtsurkunde am Rechner füllte. Ein Ausdruck, die Unterschrift war bereits auf dem Bildschirm vorgefertigt. Das Aufrufen der Daten, die Erstellung und der Ausdruck des Dokuments, das dauerte nicht einmal fünf Minuten. Ein vollkommen unkomplizierter Vorgang. Wir lernten, dass entweder die IT-Anwendungen grottenschlecht sein müssen, dass die Daten des Troisdorfer Standesamtes in unserem Ort nicht verfügbar sind oder dass es irgendwelche Befindlichkeiten gibt, dass die ortsansässigen Standesämter ihre Zuständigkeiten nicht abgeben wollen. Der Bürger wird jedenfalls aus scheinbar unnötigen Beweggründen durch die Gegend geschickt.

15. Februar 2020

Die Reaktion auf unsere auf den letzten Drücker getätigten Einkäufe hätte vernichtender kaum sein können. Um sich als Manga für die abendliche Karnevalssitzung verkleiden zu können, fehlten unserer Tochter Kleidungsstücke wie eine weiße Bluse, weiße Hose, schwarze Springerstiefel, eine Perrücke und vor allem ein Schal in einer Farbe, die im Farbspektrum eines tiefen, vollmundigen Rotweins lag. Mit Bravour schafften wir all unsere Einkäufe, und gegen halb 12 waren wir pünktlich aus der Bonner Innenstadt zurück, um das Mittagessen zu kochen. Dabei benötigten wir die längste Zeit auf die Farbe des Schals, der fast gar nicht in dem benötigten Rotton zu haben war. An die fünf bis sechs Bekleidungsgeschäfte mussten wir abklappern, bis im Kaufhof schließlich die gewünschte Farbe des Schals im Angebot war. Wir fanden dort sogar die schwarzen „Wanderstiefel“, preisreduziert, bis auf unter dreißig Euro, einmal als Restposten reduziert und das zweite Mal, weil wir gleichzeitig Besitzer der neuen Kundenkarte wurden. Hochzufrieden mit dem Einkauf, machten wir uns nach dem Mittagessen an die Verkleidung unserer Tochter als Manga. Meine Frau schnitt die Perrücke ihrem Kopf zurecht, während unsere Tochter ein Foto der benötigten Manga-Frisur auf ihrem Smartphone zeigte. Indes fuhr ich zur Raiffeisenbank, um Geld für die spätnachmittägliche Karnevalssitzung abzuheben. Als ich zurückkehrte, war das Desaster perfekt. Schreie schallten durch das Treppenhaus, unsere Tochter rannte weg, die weiße Hose flog im Flur herum. Was wir gekauft hatten, hatte einen Makel. Was es war, war in dem erregten Disput mit unserer Tochter nicht auszumachen. Das wäre ohnehin nicht zielführend gewesen, weil sie mit einem Mal beschlossen hatte, nicht mitzufahren. Wir reagierten uns ab, indem wir ohne sie die spätnachmittägliche Karnevalssitzung des Garde-Corps in Köln-Porz-Zündorf besuchten. Die Sitzung war schön, einfallsreich und mit einem bunten Programm bespickt, so wie wir es von den Vorjahren kannten. Es war etwas schwierig, mich aus meiner Reservehaltung heraus zu locken. Doch spätestens Rednern wie Guido Cantz oder einer musikalischen Größe wie den Bläck Fööss gelang dies.

16. Februar 2020

Sinn und Baum – ein Wortpaar, das ganz selbstverständlich zueinander gehört. In unseren Zeiten der Klimadebatte machen Bäume selbsterklärend Sinn. Wir brauchen sie, um die Treibhausgase bändigen zu können, und davon möglichst viele, am besten Laubbäume in unerschöpflichen Waldgebieten. Sinn und Baum – das ergibt die Wortschöpfung des „Sinnbaums“, dessen Denkzusammenhänge allerdings nichts mit dem Klimawandel zu tun haben, sondern mit Fühlen und Sehen und den menschlichen Sinnesorganen. Im Park der Wasserburg Wissem in Troisdorf schärfen Künstler die Sinnesorgane des Menschen, indem sie in ihrem Erfahrungsfeld der Sinne fünfzehn Stationen künstlerisch gestaltet haben. Augen, Nase, Ohren, Berührungen durch die Haut und der Tastsinn werden an den Stationen sensibilisiert. Spaziert man im Schatten der Wasserburg an dem Wildpark mit dem eingezäunten Gehege der Rothirsche vorbei, so erhebt sich am Ende des Drahtzauns ein drei Meter hoher Baumstamm, der die Konzentration schärfen soll und zur Meditation einlädt. Das Innere des Baumes vermittelt Sinn und Inhalt, daher die Namensgebung „Sinnbaum“. Das Innere des Baumes ist ausgehöhlt und man kann sich hinein setzen. Die Umgebung kann man ausblenden, man ist für sich ganz alleine, eine geradezu klösterliche Abgeschiedenheit. Der Sinnbaum – ein Weg zur Selbstfindung.

17. Februar 2020

So sehr der Winter einen ärgert, weil das Wetterprogramm weder Frost, noch Kälte oder Schnee zu bieten hat, um so schöner sind seine Wetterphänomene. Regenschauer wühlen die Atmosphäre auf, auftreibender Wind zerfetzt das Gewölk, das sich sammelt, verdichtet und den Horizont verdunkelt. Die Stimmungslage wechselt unvermittelt in der Atmosphäre, wenn die Wolken aufbrechen und die Sonnenstrahlen schräg in das Geplätschere des Regens hinein scheinen. Der Regenbogen, den wir von unserem Großraumbüro aus beobachteten können, ist eine Wucht. Die Lichtwellen des Regenbogens spannen sich von der einen auf die andere Straßenseite. Das Ende des Regenbogens krallt sich an weiß erstrahlten Häuserblöcken, während die Regentropfen auf den Fensterscheiben der Büroräume tanzen. Einfach schön, diesem Naturschauspiel beiwohnen zu können.

18. Februar 2020

Der Spruch war klug, den wir in dem Café Bröhl in der Troisdorfer Fußgängerzone lasen. Ein kluger Geist von belesenen Denkern bei einer Tasse Kaffee, die die Gemüter inspirierte, das Denken in einen Fluss brachte, Gedanken einsammelte und Sprüche und Weisheiten bereithielt, um sich aus diesem gedanklichen Gebäude für Zwecke jedweder Art schlau zu machen. „Essen ist ein Bedürfnis, Genießen ist eine Kunst“, so lautete die Weisheit des französischen Adligen La Rochefoucauld, der im 17. Jahrhundert mit seinen Aphorismen und Reflexionen bekannt geworden war. Neben dem Kaffeetrinken dürfte in den Salons des 17. Jahrhunderts auch gut gegessen worden sein, und das nicht nur im damaligen Frankreich. Und im 17. Jahrhundert dürften so ungefähr die Beginne des Kaffeetrinkens liegen, weil zuerst in den niederländischen Kolonien die Kaffeepflanze in größerem Stil angebaut worden war. Dass La Rochefoucauld mit klugen Geistern und belesenen Denkern in Kaffeehäusern verkehrt hat, passt somit nicht ganz zusammen. In Salons hat sich anstatt dessen getroffen, und dies dürfte die ähnliche Wirkung einer Inspiration gehabt haben wie unser Besuch des Cafés Bröhl in Troisdorf. Zumindest mit diesem klugen Spruch von La Rochefoucauld.

19. Februar 2020

Eine etwas verkehrte Welt in der Behindertenwerkstatt. Dass der Karneval von Weiberfastnacht einen Tag vorgezogen wird, hätte ich nie zu denken gewagt. Die Jecken sind auf den Tag und auf die Uhrzeit gepolt, genau das ist mein Menschenbild der Karnevalisten. Punkt 11 Uhr 11 an Weiberfastnacht geht es los, der Weg zur Arbeit und den Vormittag inbegriffen. Ausnahmen, bereits am Vortag mit der Feierei zu beginnen, sind da unzulässig. Ganz anders sieht das die Behindertenwerkstatt. Ab 11 Uhr 11 am Mittwoch vor Weiberfastnacht steigt die Karnevalsfeier. Der Karnevalsprinz kommt, Karnevalslieder ertönen, und es wird gefeiert, gesungen, geschunkelt und gelacht. Alle sind in bester Feierstimmung – und an Weiberfastnacht kehren sich die Verhältnisse um. Die Feier am Vortag ist zu Ende, und nun wird wieder normal gearbeitet. Da es in der Behindertenwerkstatt auch ohne Alkohol hoch her geht, wird an Weiberfastnacht keine Katerstimmung einkehren.

20. Februar 2020

Karneval – Zeit für Chaoten. Wenige Chaoten, die sich wirkungsvoll in Szene setzen, überschreiten Grenzen des rheinischen Frohsinns und lassen die Sau raus. Mit gepflegtem rheinischen Brauchtum hat das nichts zu tun, wenn sie sich besaufen, herum pöbeln, randalieren, am nächsten Tag ihren Rausch ausschlafen und nicht mehr wissen, was sie angerichtet haben. In der Rudelbildung von Weiberfastnacht stieß mich dies ab, so dass ich mich vom Büro aus auf direktem Wege nach Hause begab. Bevor ich in die Straßenbahn eintrat, musste ich Angst haben vor diesen Randalierern. Sie terrorisierten und waren so ungezügelt, dass sich Straßenbahnen verspäteten. Diese Exzesse schufen ein negatives Gesamtbild, und das Treiben rund um die Wäscherprinzessin in Beuel ignorierte ich. Zu Hause schottete ich mich ab, wobei ich im Fernsehen gefiltert genau das rheinische Brauchtum auf dem Alter Markt in Köln oder sonstwo anschauen konnte, das einen in eine wirklich tolle Stimmung versetzt hätte. Die Chaoten konnte ich nicht ignorieren – und ich igelte mich ein.

21. Februar 2020

Welch ein geiles Fahrgefühl. Vor drei Jahren habe das SCOTT-Rennrad gebraucht gekauft – und es ist wie am Schnürchen gelaufen. Bis auf die Wintermonate bin ich damit regelmäßig ins Büro gefahren – das macht etwas mehr als 3.000 Kilometer pro Jahr. Oder 10.000 Kilometer in einem Dreijahreszeitraum, was eine ganze Menge ist. Da verschleißen so manche Teile, so dass ich das Rennrad einer Generalüberholung unterzogen habe. Nachdem ich das Rennrad abgegeben hatte, hatte mich das Fahrradgeschäft Hübel angerufen, mit dem ich beste Erfahrungen gemacht hatte, was Reparaturen, Zuverlässigkeit und Qualität betraf. Die 10.000 gefahrenen Kilometer hatten deutliche Spuren des Verschleißes hinterlassen. Nur noch wenige Teile waren nicht verschlissen, so dass viele Ersatzteile neu montiert werden mussten, Bremsen, Schaltung, Kette, Tretlager, Ritzel, Lenkerband und einiges mehr. Bei der heutigen Abholung kostete dies auch 370 Euro. Aber das Fahrgefühl ist genial, wie bei einem flammneuen Rennrad aus dem Fahrradgeschäft. Ein Fahrgefühl wie im Paradies. Ich freue mich auf die nächsten Wochen und Monate, in denen ich dieses intensive Fahrraderlebnis genießen kann.

22. Februar 2020

Nichts ist beständiger als der Wandel: dieses Zitat des griechischen Philosophen Heraklit, das rund zweitausendfünfhundert Jahre alt ist, sagt aus, dass unsere Welt einer permanenten Veränderung unterworfen ist. Dies gilt unter anderem für die Café- und Kneipenlandschaft. Kneipen und Cafés kommen und gehen, sie verschwinden von der Bildfläche und eröffnen neu, der Stil und das Innere passen sich dem Zeitgeist an. Beobachten kann man dies etwa in der Bonner Fußgängerzone, genauso in der Kölner Kneipenlandschaft, es gibt aber auch Ausnahmen. So ist alles im Zülpicher Viertel in Köln ständig im Fluss, es hat sich aber eine Konstante bewahrt: Gilberts Pinte. Regelmäßig hatte ich in dieser Kneipe verkehrt, als ich in den 1980er Jahren in Köln gewohnt hatte. Es war die Zeit eines unsteten Herumtreibens, einer ziellosen Suche in der Anonymität der Großstadt. Damals war ich neu und umgezogen nach Köln, die Suche nach menschlichen Kontakten war häufig vergeblich, viel war ich alleine unterwegs. Erst langsam ging ich auf Tuchfühlung mit der Stadt, und einen Teil der Menschenmassen, die die Großstadt an den Ringen ausspuckte, traf sich in den ausklingenden Abenden in Kneipen und Cafés, die rund um den Zülpicher Platz besonders vielfältig waren. Dort tauchte ich ein, oftmals in Gilberts Kneipe, dessen Fassade sich seit den 1980er Jahren nicht verändert hat. Es war gemütlich, gesellig, brachte Abwechslung in den steifen Büroalltag von Beamtenkollegen hinein. Im Rhythmus des Kneipendaseins schmeckte das Bier, wenngleich ich stets alleine in Gilberts Kneipe einkehrte und diese alleine wieder verließ. Nach all den Jahrzehnten überwiegen die positiven Assoziationen. Auch heute wäre Gilberts Kneipe bestimmt ein schöner Ort von Geselligkeit und Kneipenatmosphäre.

23. Februar 2020

So untätig wie unser Kater Jumbo, genauso untätig ließen wir den Karnevalssonntag über uns ergehen, den der Wetterbericht auf den Kopf zu stellen gedroht hatte. Da jede Masse Regen gemeldet war, verspürten wir bereits am Tag vorher eine Unlust, uns beim Karnevalszug am Karnevalssonntag patschnass regnen zu lassen. Dazu sollte es stürmisch werden, was den Ausschlag gab. Bis Mittags regnete es nicht bis gar nicht, aber der Sturm fegte mit seinen Windböen daher. Den Wecker hatte ich nicht gestellt, unsere Tochter mit ihrem langsamen Aufstehtempo gewähren lassen, gegen 12.11 Uhr, dem Startzeitpunkt des Karnevalszugs, waren wir überhaupt nicht startklar. Am Vormittag hatte ich einen Kinobesuch vorgeschlagen, doch wir konnten uns nicht einigen. Nun saßen wir in unserer Essecke, so träge wie unser Kater Jumbo auf dem Kratzbaum, wir lamentierten mit uns selbst, was wir mit dem im Karneval verloren gegangenen Nachmittag anfangen sollen. Auf den Sitzen in unserer Essecke klebend, suchte ich die Zeit an meinem Laptop mit der Erbauseinandersetzung totzuschlagen, indem ich fehlende Sätze eines Antwortschreibens an unseren Ergänzungsbetreuer formulierte. Meine Frau komplettierte ihren Entwurf, den wir dann per E-Mail an unseren Rechtsanwalt absendeten, damit er uns am Karnevalsdienstag antworten sollte. Es war bereits später als 14 Uhr, als sich unser Hungergefühl regte und wir die Soljanka aßen, die wir bereits am Vortag vorgekocht hatten. Noch bevor der Reis für die Soljanka fertig gekocht war, rief ich Freunde an, deren Steuererklärung ich monatelang bei uns liegen gelassen hatte. Da wir längere Zeit nicht miteinander telefoniert hatten, redete ich über dieses und jenes mit dem Ergebnis, dass die so lange liegen gebliebene Steuererklärung nicht so dringend war, dass sie an diesem nicht anderweitig verplanten Sonntag erledigt werden musste. Wir aßen die Soljanka, wir tranken Kaffee, wir aßen dazu die Berliner, die ich morgens aus der Bäckerei mitgebracht hatten, und wir lümmelten uns so untätig in unserer Essecke herum wie unser Kater Jumbo auf seinem Kratzbaum, der den Sturm im Garten an sich vorbei flitzen ließ. Es mangelte nicht unbedingt an Ideen, die Zeit auszufüllen, es fehlte aber an Einigkeit, was wir alternativ gemeinsam unternehmen könnten. Der Kinobesuch war bereits abgelehnt, einem Spaziergang in der Siegaue war kein Interesse beschieden, einen Besuch des Museums Alexander König wagte ich erst gar nicht vorzuschlagen, wo es eine Ausstellung über den Kosmos von Alexander von Humboldt zu sehen gab. Am Laptop stellte ich fest, dass der Auftritt von Konrad Beikircher im Bonner Pantheon ausverkauft war. Für eine spätere Veranstaltung am 8. März in Köln-Porz-Westhofen gab es aber noch Karten. Am späten Nachmittag tätigte ich einen Telefonanruf, den ich über Jahre vor mir hergeschoben hatte. Freunde an der Mosel waren quasi nicht verfügbar, weil sie mit der Pflege ihrer Schwester und ihrer Mutter beansprucht war. Der Kontakt lief ausschließlich über E-Mail, und das nur sehr spärlich. Zielführender war ein Telefonanruf. An der Beanspruchung durch die Pflege hatte sich nichts geändert. Die 92-jährige Mutter und ihre 64-jährige Schwester, die blind war und an Parkinson litt, hatten sie in ihr Haus aufgenommen. Da wir über mehrere Jahre nicht miteinander telefoniert hatten, war das Telefongespräch dementsprechend lang. Während wir telefoniert hatten, war es bereits dunkel geworden. Es war bereits so spät geworden, dass das zweite Abendspiel der Fußball-Bundesliga – Wolfsburg gegen Mainz – begonnen hatte.

24. Februar 2020

Wüste Spekulationen können angestellt werden, was die 398 Kilometer nach Mirecourt, die 309 Kilometer nach Metz und die 182 Kilometer nach Trier mit den Wäscheleinen zu tun haben. Am Rosenmontag hat sich der Karnevalstrubel vom Beueler Rathausvorplatz in die Innenstadt verlagert, und die Wäscheleinen sind die karnevalistischen Überbleibsel von Weiberfastnacht. Diese Überbleibsel führen allerdings nicht nach Mirecourt, Metz oder Trier. Es sind im Grunde genommen Dinge, die überhaupt nichts miteinander zu tun haben, sondern nur auf dem Foto zufälligerweise nebeneinander stehen. Das eine ist ein Motiv aus dem rheinischen Karneval, das andere die Städtepartnerschaft mit Frankreich. Aber vielleicht übernehmen die Franzosen irgendwann die rheinischen Ausprägungen des Karnevals. Karneval in Lothringen in Mirecourt ? Es wird Karnevalsumzüge geben in Lothringen, Mirecourt oder drum herum. Aber sicherlich keine Wäscherprinzessin, die ihre Wäsche an einer Wäscheleine aufhängt, so wie wir es hierzulande kennen.

25. Februar 2020

Ein dreitägiger Lehrgang, der an Weiberfastnacht begonnen hatte. Neben ihrer Regeltätigkeit ist meine Frau für den Betriebsrat tätig, und um die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Betriebsratstätigkeiten zu vermitteln, hat meine Frau an einem Lehrgang in Köln-Sülz teilgenommen. Die Teilnehmer waren bundesweit kunterbunt zusammengewürfelt, und wie umfassend die Beteiligungs- und Informationsrechte greifen, darüber waren wir verblüfft. Es können sogar Geldstrafen verhängt werden, wenn der Betriebsrat übergangen wird. Protokolle müssen sauber und wahrheitsgemäß geführt werden; wird dies nicht gemacht, kann dies ebenso der Gesetzgeber bestrafen. Ein Teilnehmer war von einer Firma dabei, die gar keinen Betriebsrat besaß. Anscheinend wollte der Firmeninhaber seinen Beschäftigten etwas Gutes tun, indem er einen Betriebsrat einrichten wollte. Meine Frau munkelte, ob er sich dies gut überlegt hätte. Hätte er gewusst, wie weit die Beteiligungsrechte des Betriebsrats gehen, hätte er die Initiative wohl nicht selbst aktiv aufgegriffen.

26. Februar 2020

"Heiliges Köln, durch Gottes Gnade der römischen Kirche treue Tochter", diese Aufschrift steht auf einem Siegel aus dem Jahr 1106, das der römisch-deutsche König Heinrich IV. der Stadt Köln gewährte. Gleichzeitig erlaubte er der Stadt, die vorhandene römische Stadtmauer mit einem neuen Wall und einem neuen Stadtgraben zu weitern. Es war eine Epoche großer Bautätigkeit, denn bedeutende romanische Kirchenbauten wie St. Pantaleon, St. Andreas oder St. Maria im Kapitol waren im Bau oder fertiggestellt. Neu, wahnsinnige und zugleich kühne Architekturformen wie das Westwerk prägen die Kirchenneubauten. Als Vorbild für die Stadtummauerung diente Jerusalem mit seinen zwölf Stadttoren. Genau diese Stadtmauer ist auf dem Siegel aus dem Jahr 1106 abgebildet, während in dieser Zeit die Anzahl der Kirchen wuchs und wuchs. Wie das Heilige Köln ausgesehen haben könnte, das ist im Kölner Museum Wallraf mit den Anfängen der Ölmalerei zu sehen. Die ersten Gemälde in der neuen Maltechnik in Ölfarben, deren Gemälde quasi bis in alle Ewigkeit konserviert werden konnten, waren Ende des 14. Jahrhunderts in Flandern entstanden. Nachdem dieses know-how in das Rheinland exportiert wurde, blühten Ateliers auf, und als Schwerpunkt im Rheinland bildete sich Köln heraus. Eine Signatur nach dem Maler, der das Gemälde gemalt hatte, war damals noch nicht üblich, so dass sich die Ateliers nach den Motiven oder den Schwerpunkten der Malerei benannten. Meister der Passion: nach dieser einfachen Bezeichnung malte der Urheber im Jahr 1410 die älteste gemalte Darstellung von Köln. Man erkennt das Heilige Köln mit seiner Festung, die derjenigen auf dem Siegel aus dem Jahr 1106 nicht unähnlich ist. Nach der Legende war die Heilige Ursula auf dem Schiff am Rheinufer mit ihren elftausend Gefährtinnen angekommen, ihr Martyrium stand ihr bevor. Über dem Rheinufer erhebt sich das mittelalterliche Köln, umringt von der gewaltigen Stadtmauer, deren Zielsetzung es war, dass die selbstbewussten Bürger Köln Bewohner des himmlischen Jerusalem werden wollten. Innerhalb dieser quasi unbezwingbaren Stadtmauer steht die kleine Dimension der Gebäude in krassem Gegensatz zu der Mannigfaltigkeit der Kirchen. Diese überwiegen die Wohngebäude bei weitem, so dass man kaum in der Lage ist, die Anzahl der Kirchen durch zu zählen. Ist der Übergewicht an Kirchen überzeichnet ? Andere Kirchen sind jedenfalls detailgetreu und architektonisch genau gemalt, so St. Severin, Groß St. Martin oder der Chor des gotischen Domes. Die der Heiligen Ursula geweihte Kirche wird man hingegen auf diesem Gemälde nicht finden können. Es gibt zwar einen romanischen Vorgängerbau, das heute sichtbare Langhaus und der Kirchturm stammen allerdings aus der Epoche des Barock. Heilig ist die Stadt Köln aber auch durch die Ursulalegende geworden. Ihr Reliquienschrein ruht in eben dieser Kirche St. Ursula.

27. Februar 2020

Cafés kommen und gehen, die Cafélandschaft verändert sich ständig, und in der Vergangenheit gab es am Bonner Münsterplatz eine kleine Ausnahme. All die Selbstbedienungs-Bäckereien, die sozusagen wie Pilze aus dem Boden geschossen sind, fand ich mit ihrem billigen Aussehen abweisend, weil dieses billige Erlebnis, einen Kaffee zu trinken, in sich widersprüchlich war. Bei der Billig-Bäckereikette Mr. Baker am Bonner Marktplatz war dies ganz anders, nicht was ihr Aussehen betraf, sondern wegen ihrer Lage und auch wegen ihrer multikulturellen und bodenständigen Kundschaft. Während ich Backwerk & Co ablehnend gegenüberstehe, genoss ich es, auf dem Münsterplatz sitzen zu können. Gesellschaft leisteten mir gerne Müllmänner, Fensterputzer oder andere Handwerker in ihren Overalls oder Blaumännern. Dazu passte das multikulturelle Sprachengemisch, das gerne ins Osteuropäische abglitt, wobei ich die sprachlichen Nationalitäten aus Russland, Polen oder Rumänien nie zuordnen konnte. Mr. Baker hat nun die Filiale auf dem Münsterplatz dicht gemacht, das ist jammerschade. Das weltmännische und offene Flair werde ich vermissen.

28. Februar 2020

Meinem Ärger versuchte ich mir Luft zu verschaffen, indem ich unsere Tochter persönlich in der Realschule krankmeldete. Sei hatte ihre Tage, und sie sperrte sich, in die Schule zu gehen. Im Sekretariat war die Schulsekretärin nicht anwesend, so dass die stellvertretende Schulleiterin die Krankmeldung entgegennahm. Auf einem länglichen Zettel notierte sie den Namen und die Klasse unserer Tochter, während die Schulleiterin an uns vorbei schritt zu einem auf einem Wandschrank aufgestellten Mikrofon. Nachdem sie von uns keinerlei Notiz genommen hatten, klangen ihre Worte, die sie in einem scheinbaren Niemandsland gegen die Wand sprach, um so entschlossener. Ich hörte die Stadt „Hanau“ heraus, wobei ich das Sekretariat verließ, um danach mit meinem Rennrad ins Büro zu fahren. Im Eingangsbereich lauschte ich der Ansprache der Schulleiterin, deren Worte das ganze Schulgebäude durch drangen. Sie betonte, wie sehr die Straftaten zu verabscheuen seien. Niemand dürfe wegen seiner Rasse verachtet, diskriminiert und verfolgt werden. Alle Menschen seien gleich geboren, in unserem Land gelte die Freiheit der Person und die Freiheit der Religion. Sie betonte, dass die Realschule eine Schule ohne Rassismus sei. Die nachdrücklichen Worte blieben auch in mir haften. Ich überlegte allerdings, inwieweit die Ansprache im Rahmen des alltäglichen Schulbetriebs angemessen war. Unstrittig war das Thema hochwichtig, es drohte aber zwischen den Unterrichtsräumen, den Fluren und Zwischentüren verloren zu gehen.

29. Februar 2020

Der Februar, ein nasser und viel zu milder Monat, der all seine Feuchtigkeit in den Sonnenuntergang hinein warf. Am Nachmittag, als ich mich im Garten zu schaffen gemacht hatte, hatte es gestürmt und geregnet. Der Regen hätte stärker sein können, für eine kurze Zeit klatschten die Regentropfen, dann tröpfelte es nur noch, so dass ich mich beim Abschneiden der winterlich verwelkten Gartenbewirtschaftung nicht beeinträchtigt fühlte. Dunkle Wolken senkten sich über den Himmel hinab, das Himmelsblau war zu zögerlich, um die Oberhand zu gewinnen. Das Finale am Ende des Tages war fulminant. Der Himmel war aufgerissen und legte all seine Schaffenskraft in den Sonnenuntergang. In der noch regenverhangenen Luft präsentierte dieser viele Facetten von Rottönen, von Feuerrot bis zu einem lodernden Gelb. Das schöne Ende eines ausgefüllten Tages.

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