das Katzenmanifest
Manifest – dieses Wort verbindet man gemeinhin mit Bewegungen und Erklärungen, die politisch gemeint sind. Manifestum aus dem Lateinischen, Erklärung auf Deutsch, damit haben nicht nur politische Gruppierungen etwas erklärt, sondern der Begriff des Manifestes ist weit gefasst. Am bekanntesten ist das kommunistische Manifest von Karl Marx und Friedrich Engels, womit sie ihre neue Ideologie des Marxismus kundtaten. Es äußern sich aber genauso Künstler in Form von Manifesten, Start-Up-Unternehmen im digitalen Zeitalter, Comics, die als Kunstform anerkannt werden wollen, oder Filmregisseure, die auf Action-Szenen und Effekthascherei verzichten wollen.
Warum also nicht ein eigenes Katzenmanifest ? Obschon sie miauend ziemlich einsilbig unterwegs sind, können auch sie etwas erklären. Sieht man einmal davon ab, dass sie gelegentlich Mäuse fangen, was durchaus sehr nützlich sein kann, sind Katzen durchweg friedlich unterwegs. Sie tun niemandem etwas zuleide, den Bewegungen für Frieden sowie gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus könnten sie sich ohne Wenn und Aber anschließen. Wenn sie nicht gerade ihre friedlichen Ziele verfolgen, schlafen sie viel oder sie sind untätig, indem sie über den Entwurf einer besseren Welt für Katzen nachdenken, indem sie über das Katzenglück philosophieren oder wie Streicheleinheiten die Empathie beim Menschen steigern können. Das Katzenmanifest beschreibt mithin einen sinnstiftenden Kreislauf, dessen Anfangs- und Endpunkte das Essen und das Schlafen sind. Dazwischen verfolgen sie ihre friedlichen Ziele, wenn sie herumlungern, einen anschauen oder in eine Kuschelecke unterwegs sind.
Heute hatte unser Kater Jumbo eine eindeutige Erklärung abgegeben, dass er mit unserer Tierärztin Kontakt aufnehmen wollte, in dessen Wartezimmer das Katzenmanifest neben all den Fotos von Hunden und Katzen die Wand verschönert. Die ungewöhnliche und einzigartige Erklärung hatte uns aufhorchen lassen, als unsere drei Kater morgens ihr Fressen bekamen. Während unsere beiden anderen Kater Rambo und Oskar ihre morgendliche Mahlzeit in sich hinein schleckten, rührte Jumbo sein Fressen nicht an. Das war ein Alarmzeichen, denn ansonsten strotze er vor Gefräßigkeit, Ausgehungertheit und Gier nach Fressen. Stets beugte er sich über die Küchenanrichte, bevor er sein Fressen bekam, und er fraß ständig den beiden anderen Katern ihr Fressen aus dessen Schale weg. Folglich musste etwas mit ihm nicht stimmen, zumal er am Vortag hechelnd in der Küche saß, nachdem unsere Tochter mit ihm im Garten gespielt hatte. Kurz darauf hatte er gewürgt, ohne sich zu erbrechen, dazu war sein Stuhlgang weich bis flüssig.
das Katzenmanifest (oben), Transportbox in der Tierarztpraxis (Mitte), unser Kater Jumbo zu Hause (unten)
Das Katzenmanifest studierend, harrte ich im Wartezimmer der Tierärztin aus. Regungslos verkroch sich Jumbo in einer Ecke der Transportbox, und ich brauchte Geduld, bis wir an der Reihe waren. Die Tierärztin pendelte zum Operationsbereich hin und her, und obschon nur drei weitere Katzen das Wartezimmer füllten, betrug die Wartezeit etwas mehr als eine Stunde.
Als die Tierärztin unseren vierbeinigen Patienten untersuchte, wandelte sich seine Regungslosigkeit in Aggression. Sie wollte in seinen Rachenbereich schauen, und da biss Jumbo zu. Scharfkantig und spitz waren seine beiden Schneidezähne, die zubeißend die Wirkung einer Pfeilspitze erzeugten. Da die Tierärztin ihre Finger nicht zerfleischen lassen wollte, musste sie auf eine genaue Diagnose des hinteren Mundbereichs verzichten. Keineswegs begeistert davon, sich in den Mund schauen zu lassen, fauchte er anschließend. Seinen Unmut äußerte er nachdrücklich, indem er seinen langen schwarzbehaarten Katzenkörper zusammen buckelte und seine fauchenden Geräusche in unsere Richtung stieß.
Dennoch verdichteten sich die Krankheitssymptome. Unser Kater Jumbo hatte Schluckbeschwerden und die Lymphknoten waren geschwollen. Das Gesamtbild reimte sie sich aus einer Katze zusammen, die sie zuvor behandelt hatte. Ihr Krankheitsbild war identisch dasselbe, weicher bis flüssiger Stuhlgang, Beschwerden beim Schlucken, geschwollene Lymphknoten – und ihre Mandeln waren entzündet, weil sich diese Katze in ihren Rachenbereich hinein schauen ließ. Die Entzündung könnte das Wetter verursacht haben, meinte die Tierärztin. Der Wechsel von Hitze zu einer kühlen Witterung könnten Katzen nicht immer vertragen. Gegen die Halsentzündung verpasste die Tierärztin unserem Kater eine Spritze in die Seite, was er überraschend widerstandslos über sich ergehen ließ.
Zu Hause verinnerlichte Jumbo das Katzenmanifest, indem er ausgiebig auf unserer Couch schlief. Beim Abendessen hatte die Spritze ihre Wirkung entfaltet. Unser ausgehungerter, gefräßiger, gieriger Kater stürzte sich auf sein Fressen.