60
Der Bühnenvorhang fällt hinunter, das Banner mit den Silhouetten der vier Rockmusiker ist in sich zusammen gefallen. Status Quo treten leibhaftig auf die Bühne. Der Leadgitarrist Francis Rossi steht zunächst Auge in Auge dem Schlagzeuger John Coghlan gegenüber, dann dreht er sich weg zum Publikum, er zählt bis vier, und dann legen die vier Rock-Legenden so richtig los. Alan Lancasters nachdrückliche Stimme leitet das erste Stück „Juniors Wailing“ ein, das Duett der Gitarren von Francis Rossi und Rick Parfitt peitscht die Rhythmen vorwärts. Im Jahr 2013 hatten sich Status Quo in ihrer Originalbesetzung zur „Frantic Four Reunion Tour“ wieder vereinigt. Das Youtube-Video über ihr anderthalb Stunden dauerndes Konzert im Londoner Wembley-Stadion ist ein Hammer. Die in die Jahre gekommenen Rock-Opas spielen besser denn je drauf los. Francis Rossi, zu diesem Zeitpunkt 64 Jahre alt, Rick Parfitt 65 Jahre alt, Alan Lancaster 64 Jahre und John Coghlan 67 Jahre. Auf absehbare Zeit wird es kein Youtube-Video eines Rockkonzertes geben, was ich mir dermaßen oft ansehen werde. Nachdem sich die wieder vereinigten Status Quo nach zwei Jahren wieder auflösten und Rick Parfitt 2016 verstarb, geht heutzutage Francis Rossi im Alter von 70 Jahren immer noch auf Tour und spielt Klassiker wie „Down down“ oder „Roll over lay down“ wie zu seinen besten Zeiten.
Im Schnittpunkt meines 60. Geburtstages schaue ich zu den Vorbildern von Status Quo hoch hinauf. 1984 hatte ich sie in Düsseldorf Live erlebt, 29 Jahre später sind sie besser denn je, und selbst heute in geänderter Formation macht der Oldtimer Francis Rossi allen etwas vor.
Er sei eher der etwas stillere und introvertierte Typ, das hatte Francis Rossi in einem Interview geäußert. Schaut man auf die Bühne, wie er bei den Stücken „Down down“ oder „Roll over lay down“ gestikuliert und das Publikum einfordert, mag man diese Charaktereigenschaften kaum glauben. Ganz still und auch introvertiert ließ ich so den 60. Geburtstag auf mich zukommen. Als Mann der stilleren Töne ist mir allzu großer Rummel und Tammtamm um solch einen Tag fremd. Ich hatte auch lange überlegt, ob ich überhaupt in größerem Kreis etwas feiern wollte, bis ich mich für den Theaterabend mit Anka Zink am 30. August im Senftöpfchen-Theater in Köln entschieden hatte.
Dass der 60. Geburtstag als ganz gewöhnlicher Tag nicht aus der Reihe fiel, dazu trug maßgeblich mein Arbeitstag bei, der voll gepackt war mit Terminen. Von 13 Uhr bis 16 Uhr war ich durchgängig in Terminen, so dass ich seit dem Morgen damit beschäftigt war, mich einzulesen in Themen, die Termine vorzubereiten und wichtige Sachverhalte heraus zu schreiben. Ich verschwendete keinen Gedanken an diesen bedeutungsschweren Tag, und ähnlich erging es meinen Kollegen. Nur ein Kollege gratulierte. Ein anderer Kollege wollte mich unbedingt während der nahtlos ineinander übergehenden nachmittäglichen Termine sprechen, leider musste ich ihn abwimmeln. Mein Chef dachte erst am nächsten Tag an mich und gratulierte nachträglich.
Dass nicht großartig „Happy Birthday“ gesungen wurde oder große Geschenke überreicht wurden, war mir sehr lieb. So mancher mag über die Oberflächlichkeit von sozialen Netzwerken schimpfen, doch in dieser Hinsicht erfüllen sie genau ihren Zweck. Insgesamt 25 Facebook-Freunde hatten mir zum Geburtstag gratuliert, darunter viele, bei denen zuletzt meine eigenen Geburtstagwünsche infolge Zeitmangels untergegangen waren. Gegenüber den übrigen Gratulanten waren diejenigen aus der Facebook-Community am zahlreichsten vertreten.
Als ich zu Hause ankam, war es nicht so, dass das Telefon pausenlos bimmelte. Die eigene Familie war dabei, Freunde aus Düsseldorf und Freunde aus dem Saarland. Per SMS kam nichts an, Whatsapp habe ich nicht auf meinem Handy. Etwas komisch, verzerrt und nicht unbedingt erwünscht waren Glückwünsche aus irgendwelchen Kundendatenbanken. So gratulierte mir etwa die Raiffeisenbank, obschon ich gar kein Konto bei der Raiffeisenbank habe. Andere Kundendatenbanken haben mir Knauber als Gratulanten beschert, die mir einen Einkaufsgutschein über einen einstelligen Betrag zukommen ließen.
Geschenkekorb unserer Nachbarn
Riesig gefreut habe ich mich über einen Geschenkekorb unserer Nachbarn, den sie mir über den Zaun ihres Nachbargrundstücks überreichten. 3 Flaschen spanischen Roséwein und 3 Flaschen spanischen Rotwein – das traf genau meinen Geschmack. Ein Geschenkekorb, der mit viel Liebe dekoriert war. Meine eigene Familie hatte sich etwas einfallen lassen, um meinen Dauerbrenner Status Quo zum neuen Hörerlebnis werden zu lassen. Klein und mit sehr viel Liebe mit mir unsere Tochter aus Freiburg einen Gutschein geschenkt. Den Ort kenne ich bereits, wo ich den Gutschein für die geschenkte Flasche Wein aussuchen werde. Es gibt da diesen Münsterladen gegenüber der Münsterkirche, der auch Wein im Angebot bereithält. Dort werde ich bestimmt einen leckeren Tropfen badischen Weißwein finden, der meinen Geschmack trockenen Weißweins treffen wird. Die Geschenkeauswahl des Restes meiner Familie ging in eine andere Richtung. Da ich gerne Status Quo über Youtube auf meinem Laptop höre, bekam ich Kopfhörer geschenkt.
Die Abläufe zu Hause waren so normal gestrickt wie die Abläufe in unserem Büro. Gekocht wurde nichts außergewöhnliches – wenn man absieht von dem geplanten Restaurantbesuch am Folgetag. Da Regen nicht in Sicht war, musste im Garten gegossen werden. Die Fahrt zum Haus des verstorbenen Schwiegervaters, um die Rolläden herunter zu lassen, war genauso normal, wie auch das Gießen der Blumen auf dem Friedhof.
Wie fühlt man sich mit 60 ? Naturgemäß gehen das 59. Und das 60. Lebensjahr nahtlos ineinander über, so dass ich mich genauso fit fühlte wie ein paar Tage vorher. Genauso fit auf dem Fahrrad, genauso mobil, genauso rege und aktiv, genauso fit am Arbeitsplatz, und wohl auch genauso träge, was die handwerklichen Aktivitäten betraf. Das wird für die nächsten Jahre die Hauptsache sein: wie leichtfüßig ich es mit dem Rennrad über die Margarethenhöhe schaffe, wie gut ich all die Anstiege bis nach Maria Laach bewältige. Wie sehr ich all die Schönheiten von Eifel, Ahrtal oder Siebengebirge genieße, indem die dicksten Anstiege die schönsten Erlebnisse sind. Beschwerdefrei und ohne Krankheiten, denn dies wird mir ein Gräuel sein, dass Arzttermine und Arztbesuche den Alltag bestimmen. Irgendwann wird das Alter auch altersbedingte Verschleißerscheinungen sowie Krankheiten mit sich bringen, und dieser Zeitpunkt soll bitte möglichst weit nach hinten geschoben werden. Aber bereits in meinem Alter gibt es gewisse Horror-Krankengeschichten. So erzählte zum Beispiel meine Friseuse beim letzten Friseurtermin, dass ihr Schwager, 63 Jahre alt, nur noch 15% Herzleistung habe und nicht allzu weit vom klinischen Tod entfernt sei.
Überfliege ich, was ich mit den vergangenen 60 Jahren gemacht habe, so gibt es sicherlich Licht und Schatten, vieles, was ich richtig gemacht habe und so manches, was ich falsch gemacht habe. Zu meinem Ich, wie ich bin, stehe ich jedenfalls, und ich bin auch nicht gewillt, mich von anderen so zurechtbiegen zu lassen, wie sie es haben wollen.
Wenn ich mir die Rockmusiker von Status Quo im Schnittpunkt meines 60. Geburtstages zum Vorbild nehme, dann gibt es Ausblicke, Perspektiven und Potenziale für die Zukunft. Auch als Ü60 können sich neue Horizonte auftun. Mit Mitte 60 hatten die Rockmusiker von Status Quo die Fetzen noch einmal so richtig fliegen lassen. Ich selbst höre leidenschaftlich gerne Rockmusik, ich bin allerdings kein Musiker. Wie in meinem vergangenen Leben, habe ich so viele Interessen, dass ich diese in dem begrenzten Zeitkontingent gar nicht untergebracht bekomme. Viel Potenzial und Erweiterungsfähigkeit wird in meinem Blog schlummern, wo stets viele Ideen in meinem Kopf herum geschwirrt waren, ich aber nur einen Bruchteil niederschreiben konnte. Vielleicht wird auch etwas aus dem innigen Wunsch, mal ein Buch zu schreiben. Viel Potenzial und Erweiterungsfähigkeit wird es auch bei den Unternehmungen mit der Familie geben. Da ich kleinteilig unterwegs bin, wird es so manche Ziele, Events und Unternehmungen in der näheren Umgebung geben. Und selbst auf beruflicher Ebene schiele ich weniger darauf, mich zur Ruhe zu setzen, sondern nehme gerne neue Herausforderungen an. Als Essenz gebe ich gerne wieder, was ich beim Eisessen in der Königswinterer Fußgängerzone aus einem Gespräch am Nachbartisch mit gehört hatte. Männer, die in der Pflege tätig waren, diskutierten, dass der Gesundheitszustand vieler Menschen dadurch geprägt wurde, wie geistig rege sie waren. In der einen Kategorie sei das Denken auf wenige Denkprozesse zusammen geschrumpft, so dass Menschen mit Mitte 50 bereits steinalt seien, in der anderen, höherwertigen Kategorie, seien die Denkprozesse über alles miteinander vernetzt, ständig entstünden neue Gedanken und neue Ideen, so dass Menschen mit 95 jahren noch geistig topfit seien. Ich hoffe, dass ich selbst der letzteren Kategorie zugehöre.
Zurück schwenkend auf Status Quo, stimme ich in einem Punkt nicht überein. In ihrem Stück „Most of the Time“ singen sie:
„May I be wiser, yes, than most men will ever be? May I be younger most of the time Most of the time, most of the time … “
Als weise kann ich mich sicherlich nicht bezeichnen. Ich mag zwar über den Dingen stehen, dass sie nicht in mich eindringen, sondern mich unberührt lassen. Zu einem gewissen Teil werde ich auch diejenigen Charaktereigenschaften haben, die man mit einem Rheinländer verbindet – wie etwa Gelassenheit, Optimismus, Skepsis oder Demut vor dem eigenen Leben. Weisheit in dem Sinne, wie es Wikipedia formuliert als „wissend, klug, lebenserfahren“, davon bin ich ein gutes Stück entfernt.