Abschied, Demonstration, WLAN im Selbstbedienungs-Café, holländische Pommes und Tierarztpraxis - ein
Beim Abschied hatte ich ein ziemlich mulmiges Gefühl. Allein klar kommen, kochen für alle, rechtzeitig genug aufstehen, damit unser Mädchen pünktlich in die Schule käme. Hausaufgaben, Einkaufen, Aufräumen, Spülen, Haus des verstorbenen Schwiegervaters versorgen. Erfahrungsgemäß waren solche Tage, wenn meine Frau zu einem Kurztrip nach Freiburg unterwegs war, dermaßen pickepacke voll gepackt, dass ich froh war, etwas später abends die Beine hoch legen zu können und mich vom Fernsehprogramm oder von Musik auf Youtube berieseln zu lassen.
Dazu kamen die Katzen. Unser Kater Rambo hatte Fieber gehabt, er aß nicht vernünftig; die Kater Jumbo und Oskar hatten die Augen verklebt, so dass sie Augentropfen bekommen mussten; Oskars Verletzung am Schwanz war noch nicht vollständig verheilt, außerdem war eine Stelle an Oskars Ohr von einem Pilz befallen. Regelmäßig waren wir in den letzten Wochen bei der Tierärztin gewesen. Würde ich mit alledem klar kommen ? Derweil hatte meine Frau den bekannten Stress, wenn man insgesamt sechs Tage verreist. Sechs Tage in Freiburg, dessen Highlight der Geburtstag unserer Tochter in Freiburg sein sollte. Der Stress meiner Ehefrau betraf diesmal meinen Schwager, der mitfuhr. Zu wenige warme Wäsche, zwei Tage vorher kam der über den LIDL-Shop bestellte Koffer, er besaß keine warmen Schuhe. Als der Eurocity um 9.14 Uhr mit fünf Minuten Verspätung einfuhr, mussten die beiden ein ganzes Stück nach vorne laufen, um zu den reservierten Plätzen in dem dazugehörigen Wagen des Eurocitys zu gelangen, der mit dem Reiseziel Interlaken einfuhr.
Ich musste die Innenstadt queren, um zu einem Ort zu gelangen, der einen WLAN-Zugang ermöglichte, um dienstliche Mails und dienstliche Themen bearbeiten zu können. Ich hatte keinen Urlaub genommen, so dass es ein gewöhnlicher Arbeitstag war. Auf diesem Weg hielt ich auf der großzügigen Fläche des Münsterplatzes inne, die hölzernen Absperrwände vor der Baustelle der Münsterkirche im Rücken. Es wurde demonstriert und der Platz füllte sich. Die Demonstrierenden ließen sich auf die Altersgruppe von Schülern eingrenzen, die Schilder, Spruchbänder und Transparente hoch hielten. „Carpe diem – rettet das Klima“, „Schule ohne Rassismus“ oder „Artenschutz statt Kohleschmutz“, das waren ihre Herzensangelegenheiten, wofür sie auf diesem Mittelpunkt der Stadt Gehör finden wollten.
Abreise am Bonner Hauptbahnhof (oben), Demonstration auf dem Münsterplatz (unten)
Dass es mich in der Nähe einer Stadt verschlagen würde, in der Demonstrationen als wesentlicher Bestandteil zum Stadtbild gehört haben, hätte ich in der 1980er Jahren niemals zu denken gewagt. Die großen Zeiten der Friedensdemonstrationen hatte ich lediglich in den Fernsehnachrichten verfolgt. Bis heute ist unstrittig, dass sich in der früheren Bundeshauptstadt eine Kultur von Demonstrationen etabliert hatte, die so zur Demokratie gehörte wie das Volk zum Staat. Obschon der Sitz der Bundesregierung längst nach Berlin umgezogen war, hatte die frühere Bundeshauptstadt als Plattform für Meinungsfreiheit und Demonstrationen nicht ausgedient. So war es eine feine Sache, wenn Schulen selbst zum Akteur wurden, indem sie eine Demonstration organisierten. Was in Politik und Zeitgeschichte auf dem Lehrplan stand, setzten die Schüler nun in der Praxis um. Getreu dem Motto „Fridays for future“ demonstrierten eine Vielzahl von Schülern auf dem Münsterplatz, und aus den Seitenstraßen hinzu strömend, vermehrte sich die demonstrierende Menge rasch. Was es mit dem Hintergrund der Demonstration auf sich hatte, erfuhr ich in den Abendnachrichten. Das war die 16-jährige schwedische Schülerin Greta Thunberg, die die Bewegung „Fridays for future“ während des Dürresommers, der auch Schweden heimgesucht hatte, ins Leben gerufen hatte. Am ersten Schultag nach den Sommerferien, dem 20. August 2018, hatte sie vor dem schwedischen Reichstag in Stockholm für den Klimaschutz protestiert. Ihrem Protest, den sie jeden Freitag wiederholte, hatten sich immer mehr schwedische Schüler angeschlossen. Nun hatte diese Welle des Protestes gegen den Klimawandel auf Deutschland übergegriffen. Die Themen der Demonstration auf dem Bonner Münsterplatz waren vielfältiger worden: nicht nur für den Klimaschutz, sondern auch gegen das Bienensterben, gegen Rassismus oder für eine bessere Fahrradinfrastruktur hielten die Schüler ihre Spruchbänder hoch.
Einige Zeit später, als ich in einem Selbstbedienungscafé die WLAN-Verbindung zum Hotspot eines gegenüberliegenden Modeladens hergestellt hatte, trudelten einige Schüler ein. Sie diskutierten, quasselten, redeten über Gott und die Welt. Sie scrollten auf ihren Smartphones herum, als wäre nichts gewesen und der Geist der Demonstration vorbei und verflogen. Derweil beackerte ich dienstliche Mails und dienstliche Themen, während der Geräuschpegel nicht störte und den Schülern der Gesprächsstoff nicht ausging.
Um die Mittagszeit, als sich all die Schilder, Transparente und Spruchbänder in ein wohlwollendes Nichts aufgelöst hatten, verließ ich die Innenstadt. Meine Lust und mein Hunger hatten mich angetrieben, Fritten essen zu wollen, wie man sie in den Niederlanden und in Belgien zubereitet. Seitdem der Kaufhof umgebaut wurde, hat Bonn zu dieser gastronomischen Spezialität nichts mehr zu bieten. Der Imbiss „Bon’n Frietjes“ mit seinen sehr leckeren Fritten wurde von der Umbauaktion verschluckt, so dass ich mit unserem Auto eine Viertelstunde über die Autobahn nach Troisdorf fuhr. Die Mittelstadt Troisdorf macht es der Großstadt Bonn vor, wie man wirklich leckere Fritten so macht wie in Belgien oder den Niederlanden. In der Imbissbude „Holländische Pommes“ waren sie in der Fußgängerzone zu haben. Ich kostete den Geschmack nach frischen Kartoffeln aus, wenngleich die Belgier es in Belgien noch ein Stückchen professioneller hinkriegen.
holländische Pommes in Troisdorf (oben),
Transportbox mit unserem Kater Rambo in der Tierarztpraxis (Mitte), Rambo in unserem Bett (unten)
Zu Hause bekochte ich unsere Kinder, nachdem unsere Tochter von der Realschule zu Hause angekommen war. Es gab Nudeln von Barilla mit Arrabiata-Soße. Zunächst dümpelte der frühe Nachmittag vor sich hin, bis dieser an Fahrt aufnahm, als es auf 16 Uhr zuging. Um 16 Uhr öffnete die Tierarztpraxis, und um nicht in einem hoffnungslos überfüllten Wartezimmer zu landen, machte ich mich zwanzig Minuten vor der Öffnung auf den Weg. Dazu musste ich zunächst die sechs Kilogramm Gewicht unseres Katers Rambo in die Katzenbox verfrachten, was mir nach einigen Fluchtversuchen des Katers schließlich gelang. Dann hievte ich das Schwergewicht auf die Rückbank unseres Autos, wo ein protestierendes Miauen ausblieb.
Im leer gefegten Wartezimmer kraulte ich das Fell unseres Katers, in das sich meine Hand durch das kleine Loch auf der Oberseite der Transportbox hinein kuscheln konnte. Als die Tierärztin uns Punkt 16 Uhr in die Praxis hinein ließ, war Rambo brav und ließ sich mit neugierigen Blicken untersuchen. Sein Gesundheitszustand hatte sich wenig verändert. Wie beim letzten Tierarztbesuch, war das Fieber verschwunden, aber Rambo fraß schlecht. Mittags hatte er gefressen, aber den Tag davor überhaupt nichts. Die Tierärztin verpasste Rambo eine Spritze, am Sonntag Abend musste ich 1,5 Kesium-Tabletten in ihn hinein bekommen, Montag und Dienstag noch zweimal 1,5 Kesium pro Tag, Dienstag Abend wieder zur Tierärztin.
Eine Herausforderung bei über sechs Kilogramm Katzengewicht, das all seinen Widerstand sammeln würde, sich der Tablette zu widersetzen. Doch über diese Aktion, die erst in mehr als zwei Tagen bevor stand, zerbrach ich mir nun noch keinen Kopf.