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Vor-Ort-Termin in Bad Kreuznach

Es war ein Vor-Ort-Termin in unserer Niederlassung in Bad Kreuznach, der Qualitätskontrollen betraf, Plausi-Checks bei der technischen Schaltung von Anschlüssen, das Abarbeiten von Listen und Prüflisten. Nichts sollte schief laufen, wenn der Kunde auf seinen Anschluss wartete, dazu wurde eine Reihe von Prüfroutinen eingearbeitet – und trotz aller Kundenbeschwerden: die Kollegen in Bad Kreuznach taten ihr bestmögliches, um den einen oder anderen Patzer beim Kunden zu verhindern. Wie so oft, war der Vor-Ort-Termin lehrreich, wie die Arbeitsabläufe vor Ort aussahen. Und weil ich noch nie in meinem Leben in Bad Kreuznach war, ließ ich es mir im Anschluss nicht nehmen, im Schnelldurchlauf die Stadt Revue passieren zu lassen.

unsere Niederlassung in Bad Kreuznach

Nachdem ich von unserem Dienstgebäude zurück spaziert war zum Bad Kreuznacher Bahnhof, hatte ich zuerst einen Blick geworfen auf den Fahrplan, auf die Abfahrtszeit des Zuges in Richtung Koblenz, dann auf den Stadtplan. Dabei hatte mich der mittelalte Mann mit dem runden Gesicht und dem spitz zulaufenden Bart beobachtet. Ob ich etwas suchen würde, ob er mir weiter helfen könne, erkundigte er sich. Ich schilderte ihm meine Situation: nach meinem Vor-Ort-Termin blieben mir etwas mehr als dreißig Minuten, in denen ich durch die Innenstadt schreiten wollte, einmal hin und zurück. Gesucht hatte ich auf dem Stadtplan, in welcher Richtung es zum Stadtzentrum ginge. Ich solle ihm folgen, meinte der freundliche Ortskundige. Bei meinem Stichwort, dass ich aus dem Rheinland käme, blühte er auf. Nähe Bonn, beschrieb ich auf seine Nachfrage. Ob es Troisdorf sei, hakte er nach. Das war nicht ganz mein Wohnort, aber nahe dran. Er selbst komme aus Mainz, und das hörte ich klar und deutlich an seinem sprachlichen Einschlag, obschon ich die hiesigen Dialektfärbungen zwischen Bad Kreuznach oder Mainz ganz und gar nicht unterscheiden konnte. Als Einkäufer für Spezialmaschinen hätte er häufig in Bonn, Köln oder auch in Troisdorf zu tun gehabt, und Rheinländer und Mainzer seien derselbe Menschenschlag. Offen, weltoffen, gesellig, bodenständig, habe er sich stets gerne im Rheinland aufgehalten. Aber die Bad Kreuznacher seien komplett anders. Verschlossen, eigenwillig, unzugänglich. Und die Stadtzentren von Bad Kreuznach oder etwa Mainz seien andere Größenordnungen. In dreißig Minuten einmal hin und zurück durch die Innenstadt sollte zu schaffen sein. Ein Wink in eine Seitenstraße mit dem Fußgängerschild, welches den Beginn der Fußgängerzone markierte, ein Hinweis, dass ich der nächsten Seitenstraße rechts folgen sollte, dann immer geradeaus, so trennten sich unsere Wege.

In Bad Kreuznach war es wie in vielen anderen deutschen Städten, dass man sich an der Fußgängerzone zu den wesentlichen Sehenswürdigkeiten entlang hangeln konnte. Die Fußgängerzone war zunächst wenig spektakulär und unterschied sich kaum von den identitätslosen Einkaufsstraßen in anderen namhaften deutschen Städten, wo man in Warenhäusern wie dem Kaufhof herum stöbern konnte oder in Modeläden, Boutiquen, Einzelhandelsgeschäften oder Kramläden. Die Fußgängerzone langweilte nicht gerade, doch ein erster Blick in die Seitengassen versprach Hoffnung, dass sich Bad Kreuznach als eine Stadt mit Struktur und Atmosphäre entwickeln könnte. Hinter dem weiten Platz des Kornmarktes nahm die Struktur dann Formen an.

Bad Kreuznach definierte sich über seine einstigen Handelswege und über die Brücke, die die Nahe überquerte. Diese Brücke über die Nahe, die im Saarland entsprang und über 125 Kilometer in den Rhein floss, umschloss eine Art von Wesenskern, welcher die Stadtwerdung von Bad Kreuznach in sich zusammenfasste. Ich bestaunte die einzigartigen Brückenhäuser, die kerzengerade dastanden, als sei nichts gewesen. Schön anzusehen, waren die Gebäude eine waghalsige Konstruktion, und es war gar ein Wunder, dass die Statik dieser Häuser ohne Planung irgendwelcher Ingenieurbüros über Jahrhunderte hinweg stimmte. Raumnot in Städten gab es von den Römern bis zur Gegenwart, daraus entwickelten die Stadtplaner Phantasie, welche zusätzlichen Räume bebaut werden konnten. Höchst ungewöhnlich, wahrscheinlich einmalig in Deutschland, war die Idee, eine Brücke mit Häusern zu bebauen.

Seit der Römerzeit kreuzten sich in Bad Kreuznach zwei Fernstraßen, die eine vom römischen Mainz (Moguntiacum) nach Trier (Augusta Treverorum), die andere von Metz (Divodurum) zum Römerlager in Bingen (Vingium). Dennoch hatte Bad Kreuznach bei den Römern eine strategisch untergeordnete Bedeutung, denn keine regulären Truppen bewohnten das Römerlager, sondern es waren sogenannte Auxiliartruppen, die sich aus Einheimischen rekrutierten. In ihrer Ausrüstung und in der Kavallerie hatten diese nur eine begrenzte Schlagkraft.

Altstadt (oben links), Kauzenburg (oben rechts), Brückenhäuser (Mitte und unten links/Detail), Paulskirche (unten rechts)

Bad Kreuznach, dessen Namensgebung sich aus dem Keltenfürsten „Cruciniac“ ableiten soll, belebten letztlich die Handelsstraßen aus der Römerzeit. War es zur Zeit der Franken, 823, noch ein Gutshof, die „villa Cruciniacus“, welcher in den „annales regni Francorum“ genannt wurde, so waren es im Mittelalter die römischen Handelsstraßen, die unter den Grafen von Sponheim Reichtum und Blüte bescheren. 1105 ging das Lehen „in villa crucinach“ vom Hochstift in Speyer auf die Grafen von Sponheim über, die um 1200 eine Doppelstadt planten und bauten. Das war die Altstadt und die Neustadt diesseits und jenseits der Nahe, welche durch die Brücke über die Nahe verbunden waren. Beide Stadtteile umfasste jeweils eine eigene Stadtmauer. 1230 wurde die Kauzenburg, die im 17. Jahrhundert von französischen Truppen zerstört wurde, Teil der Stadtbefestigung. Genau am 9. Januar 1290 verlieh dann der römisch-deutsche Kaiser Rudolf von Habsburg der „Feste Crucenach die Immunität, Rechte und Freiheiten, wie sie seit 1226 der Freien Reichsstadt Oppenheim zustanden“.

Ab 1480, als es längst zu eng geworden war zwischen ihren beiden Stadtmauerringen, kamen die Kreuznacher auf die Idee, die Brücke über die Nahe als Baugrundstücke zweck zu entfremden. Die Bebauung der Brücke geschah zwischen 1480 und 1600, und die Bauweise der Brückenhäuser war robust, indem Holzverstrebungen den überstehenden Gebäudeteil abstützten. Bauherren dürften nach heutigem Standard die Haare zu Berge gestanden haben. Da allerdings die Brückenhäuser eine ausreichende Höhe besaßen, konnten ihnen all die Hochwasser der Nahe nie etwas anhaben.

Während die Häuser über die Brücke gebaut wurden, hatte die Herrschaft der Grafen von Sponheim bereits ein jähes Ende gefunden. Das Grafengeschlecht war ausgestorben, weil kein männlicher Erbe vorhanden war. 1417 wurde Bad Kreuznach an die Kurpfalz abgetreten.

Die Wege der Grafen von Sponheim führen übrigens auch ins Rheinland. Nachdem Graf Gottfried III. Adelheid von Sayn geheiratet hatte, fielen 1247 Besitzungen der Grafen von Sayn an die Sponheimer. Das waren im Rheinland die Festungen Blankenberg an der Sieg, die Löwenburg im Siebengebirge und die Herrschaft Heinsberg. Mit dem Tod des letzten Sponheimer Grafen Simon III. fielen diese rheinischen Sponheimer Besitzungen danach an die Grafen von Jülich und von Berg.

In Bad Kreuznach führte noch ein anderer Weg ins Rheinland. Karl Marx, gebürtig aus Trier, in Bonn hatte er Rechtswissenschaften studiert, in Köln war er Chefredakteur der Rheinischen Zeitung, wollte nach sieben Jahren Verlobung seine Jugendliebe Jenny von Westphalen heiraten. Als 1842 ihr Vater verstarb, verzog ihre Mutter zu Verwandten nach Bad Kreuznach. Wie sehr die beiden Liebenden ihre Fernbeziehung zusammen schweißte, das bezeugen Tagebücher und Liebesbriefe. 1843 schrieb Jenny an ihren geliebten Karl: „Denkst du noch an unsere Zwielichtgespräche, unsere Winkpartien, unsere Schlummerstunden ? … Überall begleit ich dich hin, und geh dir vor, und folg dir nach … Könnt ich dir doch die Wege alle ebnen .. „ Als der Hochzeitstermin feststand, schrieb Karl zurück: „ … mein Herz ist so überströmend voll von Liebe und Sehnsucht und heißem Verlagen nach Dir der unendlichen Geliebten … Ich kann nicht mehr, sonst wird es mit ganz wirr im Kopf … adieu liebes Mädchen … Gell, ich kann Dich doch heiraten ?“.

Bahnhof

Am 18. Juni 1843 war es dann so weit, dass Jenny und Karl Marx in der protestantischen Paulskirche, die 1558 in den Wirren der Reformation evangelisch wurde, unterhalb der Nahebrücke vom Pastor Johann Wilhelm Schneegans getraut wurden. Obschon Bad Kreuznach in bezug auf sein grandioses Werk provinziell angemutet haben dürfte, fand Karl Marx in der Stadtbibliothek vieles vor, was er in seinen Schriften verwenden konnte. Drei Monate dauerte seine Schaffensperiode in Bad Kreuznach, in der er die zweihundertfünfzig Seiten der Kreuznacher Hefte 1-5 verfasste. Die Hefte enthalten Dossiers zur Geschichte der europäischen Länder, aber auch Studien zu Rousseau, Montesquieu, Macchiavelli und Hegel, auf den Marx‘ Argumentationen immer wieder Bezug nehmen.

Nachdem ich in der gebotenen Kürze die Schlaglichter von Bad Kreuznach betrachtet hatte, führte mich der Weg über die Fußgängerzone zurück zum Bahnhof. Genau um 15:41 Uhr hieß es Abschied nehmen von Bad Kreuznach, als die Regionalbahn den Bahnhof verließ.

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