Tagebuch September 2018
1. September 2018
Blau-weiß, die bayrischen Nationalfarben, schmückten das diesjährige Sommerfest im Behindertenwohnheim. Am ersten Septembertag, noch ein Stück weit von den prägenden Oktoberfesten entfernt, gaben die beiden Löwen, die stolz das bayrische Staatswappen mit dem geviertelten Schild trugen, eine prima Tischdekoration ab. Die Blau-weißen Karrees zeichneten die Papiertischdecke auf der Biertischgarnitur, blau-weiß auf den Außenwänden oder auch über der Eingangstüre. So hatten wir uns um die Mittagszeit im Kreis unserer Familie verabredet, Essen vom Grill, dazu Salate, später Kuchen und Kaffee. Rege besucht, saßen die Bewohner des Behindertenwohnheims, Angehörige und Freunde zusammen. Als ich mich hingesetzt hatte, erregte ich prompt mit meinem T-Shirt die Aufmerksamkeit. Das war nicht das erste Mal, denn die Aufschrift und das Foto von den Doors schienen voll im Trend vergangener Rockmusik zu liegen. Diesmal war es kein anderer als der Leiter des Behindertenwohnheims, der mich auf die Doors und den 1970 verstorbene Legende Jim Morrison ansprach. Ja, das sei noch wahrhaft tolle Musik gewesen, die alle Zeiten überdauern würde, urteilte mein Sitznachbar, während ich überlegte, was ich vom Grill zum Mittagessen zu verspeisen gedachte. Der Wohnheimleiter fing an zu schwärmen, als er im Jahr 2000 die Doors live auf der Bonner Museumsmeile erlebt hatte. Ohne den verstorbenen Jim Morrison, hatten die Doors in der Original-Besetzung gespielt. Für die tote Legende sang allerdings ein wirklich toller Ersatzsänger, dessen Stimme dem Original erstaunlich nahe gekommen war. Während ich einen Leberkäse aß, ging mir die Melodie von „Light my Fire“ nicht aus meinem Kopf, und ich trauerte der verlorenen Zeit nach, dass ich solch eine Gelegenheit verpasst hatte.
2. September 2018
Treffen mit Freunden in Aachen. In der Kürze der Zeit – das waren drei Stunden – suchten wir, die Highlights der Stadt zu erkunden. Wir trafen uns am Elisenbrunnen, wo wir die Tafeln mit all den Königen, Grafen, Prinzessinnen und der übrigen Prominenz lasen, die dort verweilt hatten. Wir schauten hinein in den Glaspavillon mit den römischen Ausgrabungen im Elisenpark. Es war viel los in der Innenstadt, denn die Handwerksstände des Europamarktes hatten sich quer durch die Innenstadt verteilt. Etwas mehr Zeit nahmen wir uns für den Dom und die Domschatzkammer, wo sich vieles um Karl den Großen und die Krönungszeremonien der römisch-deutschen Kaiser drehte. Anschließend schlenderten wir über Gassen und Plätze, die in Aachen gerne dreieckig waren. Wir schritten vorbei an dem römischen Portikus auf dem Platz, der sich „Hof“ nennt, und wir bummelten vorbei an dem Grannusturm aus dem 8. Jahrhundert, der Teil der karolingischen Pfalzanlage war und einige Jahrhunderte später mit dem Rathaus verbaut worden war. Für eine Rathausbesichtigung fehlte uns die Zeit, da wir müde vom Laufen waren. In einem Café in einer Seitengasse zwischen Rathaus und Hühnermarkt tranken wir einen Kaffee, danach betrachteten wir das Rathaus mit all den Marktständen des Europamarktes von vorne, dann wendeten wir uns der Rückseite des Rathauses zu. Dort begutachteten wir den Kräutergarten, wozu im „Capitulare de villis“ die Karolinger Vorgaben formuliert hatten. Zum Abschluss aßen wir im Wirtshaus Gaffel am Hühnerdieb, ein im Stil eines Brauhauses eingerichteten Restaurants.
3. September 2018
Insgesamt 31 Kaiser, die als römisch-deutsche Kaiser in Aachen gekrönt worden waren, zählten sich auf der Tafel an der Wand zur Domschatzkammer zusammen, bis mit der Jahreszahl 1531 die Aufzählung endete. 1531, das verorteten wir mit der Reformationszeit, in der sich die Einflusssphäre von Papst und Kirche und Krönungszeremonie aufgelöst und verschoben hatten. Aus dieser Zeit besichtigten wir Glanzlichter, die mit der Person von Karl dem Großen zu tun hatten, mit anderen Kaisern oder der Krönungszeremonie. Es waren wahre Prachtstücke, die zu sehen waren, so der Proserpinasarkophag, in dem Karl der Große vierhundert Jahre begraben lag, ein Armreliquiar mit der Speiche und Elle von Karl dem Großen, ein Dreiturmreliquiar, ein Jagdmesser Karls des Großen, die Karlsbüste mit der Kaiserkrone, die den gekrönten Kaisern aufgesetzt wurde, oder das Lotharkreuz, das in der Kreuzesmitte einen Siegelstempel für Lothar I., dem Sohn Ludwigs des Frommen, enthält, der 869 verstarb.
4. September 2018
Die Currywurst. Beiläufig, nach den Nachrichten, zwischen daher plätschernder Musik und der Nachbetrachtung der Fußball-Bundesliga am Wochenende, erläuterte der Radio-Moderator, dass der 4. September ein ganz besonderer Tag sei. Viele Tage sind ganz bestimmten Themen gewidmet, dabei ist der 4. September zum Tag der Currywurst ernannt worden. Man streitet sich zwar, aber in der offiziellen Lesart war es eine Köchin aus Berlin-Charlottenburg, die zum ersten Mal am 4. September 1949 das Rezept der Currywurst entwickelte, 1959 ließ sie sich die Soße unter der Bezeichnung „Chiliup“ patentieren. Was für ein Meilenstein in der Imbisskultur. Wie der Zufall es wollte, erfuhr ich zwei Tage vorher, beim Treffen mit unseren Freunden in Aachen, dass die Currywurst aufgewertet worden ist. Man darf sie nicht nur als Arme-Leute-Essen begreifen, das jedweder Esskultur zuwiderläuft und im Stehen, um den Hunger möglichst schnell loszuwerden, als Fas-Food-Kost hinter sich gebracht wird. In Restaurants ist die Currywurst inzwischen salonfähig geworden. Als Spezialität erscheint sie auf der Speisekarte. Im Gasthaus am Hühnerdieb in Aachen wurde sie fein verziert garniert, mit Zwiebeln in der roten Ketchupsoße, und mit Fritten, die wie handgemacht schmeckten. Die Currywurst, die in Restaurants auf ihre Entdeckung wartet.
5. September 2018
Um sich vorzustellen, wie es in der Stadt früher ausgesehen hat, braucht man an manchen Stellen ein gehöriges Maß an Phantasie und Vorstellungsvermögen. Wer hätte gedacht, dass in dieser Seitenstraße, gegenüber des Universitätsgebäudes, der erste Vorgängerbau der Beethovenhalle gestanden hat ? Man schrieb das Jahr 1845, als 18 Jahre nach dem Tod Beethovens das erste Beethovenfest veranstaltet werden sollte. Dabei regte sich der Wunsch, ein eigenes Konzertgebäude für den berühmtesten Bürger der Stadt zu bauen. In unglaublichen elf Tagen wurde das Bauvorhaben realisiert, wozu der Kölner Dombaumeister Vinzenz Statz die Bauleitung übernahm. Die Halle, 68 Meter lang, 25 Meter hoch und 14 Meter hoch, von 95 Zimmerleuten zusammen gezimmert, kann man sich an dieser Stelle nur schwer vorstellen, wo heutzutage das Bonner Stadtmuseum steht. Und es waren nicht einmal die Kriegszerstörungen, die den ersten Bau der Beethovenhalle vernichtet haben. Vielmehr waren es Irrtümer und Fehleinschätzungen, wie man sie in anderer Form vom Umbauvorhaben der heutigen Beethovenhalle kennt. Liegen die Planungsverantwortlichen heutzutage mit ihren Kostenschätzungen vollkommen daneben, so war es bei der ersten Beethovenhalle der Brandschutz. Bereits zwei Monate nach dem Beethovenfest von 1845 hatte ein Notar die Halle zum „Verkauf auf Abbruch“ angeboten, so dass 1870 der Grundstein für die zweite Beethovenhalle in der Nähe des heutigen Hotels Hilton an der Kennedybrücke gelegt wurde. Nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg bauten die Bonner ihre dritte Beethovenhalle am heutigen Standort. Aalglatt, schnörkellos und mit hellen Fassadenelementen fügt sich das Erscheinungsbild des Viktoriakarrees zusammen. In der Tat, man braucht sehr viel Phantasie, um sich eine Säulenhalle, bestehend aus einem Mittel- und Seitenschiff, verziert mit Friesen, Kapitellen und Wandverkleidungen, wie man sie von Kirchenbauten kennt, an dieser Stelle vorzustellen.
6. September 2018
200 Kilometer für ein Selfie – so verrückt muss man sein. So verrückt waren meine Tochter und ich, so dass wir für ein Selfie mit den Lochis 200 Kilometer über die Autobahn A3 nach Hanau fuhren. Während unsere Tochter in der Warteschlage aushielt, schaute ich mich ein wenig in Hanau um. Der Charme der Kreisstadt am Main haute mich nicht gerade um, dazu war der Wiederaufbau nach den Kriegszerstörungen zu glatt und zu identitätslos im Stil der 1950er- und 1960er-Jahre. Ein paar nette Ecken gab es dennoch in Hanau zu sehen. Dass die Gebrüder Grimm in Hanau geboren waren und gelebt hatten, das hätte ich vorher nicht gewusst. Ein wuchtiges Denkmal, das sie zu würdigen wusste, erhob sich auf dem Marktplatz. Den Gebrüdern Grimm begegnete man an vielen Ecken dieser Stadt – eine Gedenktafel markierte das Geburtshaus, es gab einen Skulpturenweg mit Märchenfiguren, das Café Dornröschen am Marktplatz sah urgemütlich aus. Gegen halb sieben war es dann soweit, dass das Selfie unserer Tochter mit den Lochis unter Dach und Fach war. Über Wochen und Monate hinaus war sie stolz darauf. Danach bewegten wir uns wieder zurück über die Autobahn A3 nach Hause.
7. September 2018
Es geschieht selten, dass Fernsehsendungen Gegenstand des Tagebuches sind. Als Zuschauer sind wir lange nicht mehr zu Fernsehsehaufzeichnungen eingeladen worden, und zu Hause kann ich aus den Drehbüchern von Krimisendungen oder Fernsehfilmen keine Essenz oder keinen Kern herausziehen, um dies in Tagebuchform heraus zu arbeiten. Die Anzahl der Quiz-Shows, die lehrreich sein können, hat deutlich zugenommen. Einmal hatte ich den Manneken Pis für das Tagebuch verwenden können, als es darum ging, wie oft er in Brüssel gestohlen worden war. Bei seiner Quiz-Show stellte Jörg Pilawa eine Frage aus der Lebensmittelchemie: wie hoch der Anteil Kirschen sein muss, damit man ein Kirsch-Joghurt noch als solches bezeichnen darf. Er nannte Prozentsätze von 6%, 16%, 26% oder 65%. Niemand war darauf gekommen, dass es die unterste Zahl war mit dem absolut niedrigen Anteil von Kirschen, der Rest waren Zucker und eine joghurtähnliche Masse.
8. September 2018
Die Trockenheit verhilft zu neuen, ungewöhnlichen Geschäftsideen. So hat sich die Gaststätte „Rheingold“ im Nachbarort das Niedrigwasser auf dem Rhein zunutze gemacht. Es ist eine schön gelegene Gaststätte, direkt am Rheinufer, mit einem Sandstrand vor dem Lokal, mit Liegen am Rheinufer und einem verschwärmten Blick über den breiten Strom des Flusslaufs, der Urlaubsgefühle aufleben läßt. In Zeiten des Niedrigwassers kann die Tuchfühlung mit dem Rhein noch intensiver werden. Der Kiesstrand verlängert sich bis in den Rhein, die Palmen freuen sich über die Sonne. Wer Urlaub machen will, muss nicht nach Mallorca fliegen oder sonst wo ans Mittelmeer. Tische und Stühle haben sich im Flussbett des Rheins ausgebreitet, und vor den sanft daher plätschernden Wassern des Rheins kann man die Seele baumeln lassen.
9. September 2018
Es war ein Sonntag, an dem wir einiges Schöne ins Auge gefasst hatten, Theaterfest in Godesberg, Pützchens Markt, was die Ereignisse am Vorabend und in der Nacht allerdings hinfällig machten. Universitätsklinik anstelle Vergnügen. Immerhin: den Besuch bei meiner Mama und die 100 Kilometer Autofahrt an den Niederrhein bekam ich noch untergebracht. Nachdem wir erst zu sehr später nächtlicher Stunde – nach 2 Uhr – zurück gekehrt waren, begann meine Frau erst später ihre Arbeit, das war gegen neun Uhr. Ich verbrachte die Zeit derweil an meinem Laptop, dann Kochen. Nach Arbeitsende waren wir mitsamt Schwager zur Universitätsklinik, wo wir in der Intensivstation der Chirurgischen Station zwischen Hoffen und Bangen schwebten, wobei die Hoffnung während unseres Besuchs zu überwiegen schien. Bei der späteren Fahrt an den Niederrhein war es ein Besuch mit ein paar Dissonanzen. Mein Bruder hatte die Kur abgebrochen, ab Montag wollte er sich für eine Woche krank schreiben lassen, mit seinem Zustand er belastete nach dem Tod unseres Vaters die Mutter. Derzeit sah der Alltag der Mutter geregelt aus, sie kam alleine weitgehend klar. Über alledem schwebte aber die Angst, dass ein fürchterlicher Sturz alles verändern könnte.
10. September 2018
Das Problem, das Lisa Ortgies in ihrem letzten Buch „Ich möchte gerne in Würde altern, aber doch nicht jetzt“ beschrieb, ist uns geläufig. Urlaub und WLAN. Wesentliches Kriterium für ein geeignetes Feriendomizil am Urlaubsort ist die Verfügbarkeit von WLAN. So war es etwa bei unserem letzten Urlaub in Freiburg praktisch und bequem, Informationen vor Ort über das Internet recherchieren zu können und Ausflüge besser planen zu können. Bei der Familie Ortgies war dies offensichtlich nicht immer so einfach. Als die Ortgies in Spanien Urlaub machten, war der WLAN-Router ganz oben im Ferienhaus installiert, so dass ihr Mann ständig auf der Dachterrasse verweilte. Einen anderen Urlaub in Norwegen hatten die Ortgies eigentlich Offline geplant, doch die Sehnsucht nach einer Netzanbindung nahm Überhand. Da es am Ende des Fjordes einen Hotspot gab, ruderten die Ortgies in regelmäßigen Zyklen mit einem Boot zum Hotspot, um e-Mails zu checken, um zu prüfen, ob in der Firma noch alles rund läuft, und um Wichtiges im Interner zu recherchieren. Die Ausstellung im Kölner Hauptbahnhof über neue Arbeitswelten liefert Visionen, von denen die Ortgies nur träumen können. Wird dies wirklich irgendwann Realität ? WLAN auf dem Berggipfel. Dieses Gefühl stelle ich mir in der Tat berauschend vor. Den Berggipfel bestiegen, losgelöst die Dinge von einem höheren Standpunkt betrachtend, ist das Gefühl totaler Entspannung und Zufriedenheit noch steigerbar. Oben auf dem Gipfel im Netz zu sein.
11. September 2018
Insgesamt fünf Brücken zählen sich zusammen, die den Rhein im Stadtgebiet von Köln überqueren. Davon dient als das berühmteste Fotomotiv die Hohenzollernbrücke, mit ihrer Stahlkonstruktion in Rundbogenform, mit der Perspektive über den Rhein auf den Dom, mit in dichtem Takt aufeinander folgenden Eisenbahnen, manchmal mit der untergehenden Sonne zwischen den Stahlbögen. Zwei Brücken weiter rheinaufwärts, dürfte die Südbrücke weniger bekannt sein, die so manche Parallele zur Hohenzollernbrücke aufweist. Auch sie befahren nur Züge und kein Autoverkehr. Das Erbauungsdatum trennt nur ein Jahr: 1910 wurde die Südbrücke fertig gestellt, 1911 war es die Hohenzollernbrücke. Ebenso ähneln sich die Stahlkonstruktionen, deren Stützweiten etwas mehr als einhundert Meter betragen. Es ist mir sogar gelungen, die aufgegangene Sonne zwischen den Stahlpfeilern auf einem Foto einzufangen. Sieht man von den fürchterlichen Schmierereien in den Treppenaufgängen ab, ist die Südbrücke mindestens genauso hübsch wie die Hohenzollernbrücke. Nur der Dom fehlt, er läßt sich nicht herüber zaubern auf das linksrheinische Ufer, wo die Bahntrasse alsbald in den Grünanlagen verschwindet.
12. September 2018
Dies dürfte Kölns berühmteste Imbissbude sein, ebenso die berühmteste Imbissbude im Ersten Fernsehprogramm. Ist der Fall gelöst und ist der Mörder hinter Gittern, dann resümieren die Kölner Tatort-Kommissare Alfred Schenk und Max Ballauf alias Klaus J. Behrendt und Dietmar Bär bei einer Stange Kölsch ihren gelösten Fall. Das ist die originale Stelle, wo die „Wurstbraterei“ an der rheinaufwärts gelegenen Ecke des Rheinau-Hafens ihren Standort hat. Ich hätte nicht gedacht, dass jedermann und jederfrau nicht nur das echte Tatort-Feeling in sich hinein schnuppern kann, sondern auch Fritten und eine Bratwurst und eine Currywurst und Schaschlik dort verspeisen kann. Mit einem Blick über den Rhein, den Dom mit der Altstadt und der Hohenzollernbrücke im Hintergrund.
13. September 2018
Unansehnlichkeit, Blässe und Erstarrung in der Rheinaue. Es hat zwar zuletzt geregnet, aber viel zu selten und viel zu wenig. Die Trockenheit, Hitze und Dürre des Sommers wirken nach. Der grüne Rasen ist ausgebleicht, der Zustand ist jämmerlich und bedauernswert. Es sieht so aus, als hätte sich die Rheinaue in eine Steppe verwandelt, bewässert durch den Rhein, der das lebensnotwendige Wasser aber nicht ausgreifen kann in die benachbarten Rasenflächen. Diese leiden und verformen sich auf eine merkwürdige Art. Disteln, fahrig, hoch gewachsen, knorrig, haben sich in diese unnatürliche Parklandschaft hinein gepflanzt. Die Parklandschaft bedrückt, und die umstehenden Baumgruppen vermögen an dieser Szenerie auch nichts zu ändern.
14. September 2018
Nach diesen Tagen, noch vor der Jahreszeitenwende zum Herbst, werden wir alle diese Momente häufiger erleben, wenn die Sonne auf- und am Abend wieder unter geht. Morgens schiebt sich die Sonne immer später über den Horizont, während diese Uhrzeit abends immer früher wird. Besonders schön ist dieses Erlebnis, wenn ich mit dem Fahrrad ins Büro unterwegs bin. Einen Vorgeschmack habe ich heute darauf bekommen. Die helle Scheibe der Sonne hatte sich über die zart zergliederten Felder geschoben. Tiefrot funkelte der Streifen über dem Horizont und zerfaserte die schlapp daher ziehenden Schleierwolken. Baumgruppen umstanden die majestätisch aufziehende Sonne, die voller Tatendrang den neuen Tag mit seinen noch unbekannten Überraschungen begrüßte.
15. September 2018
Was ist Blush ? Das hat mit Schminken und Abschminken zu tun, erklärte uns unsere Tochter. Wir waren bereit für unsere samstäglichen Einkäufe, und Blush und ein Reinigungswasser zum Abschminken sollten wir ihr bei dm mitbringen, wozu sie uns eine leere Verpackung für das Reinigungswasser mitgab, anhand der wir uns orientieren konnten. Bei dm schoben wir die Einkäufe für unsere Tochter nach hinten, nachdem wir unsere eigenen Einkäufe in den Einkaufswagen gelegt hatten. Für uns war die Schmink-Ecke bei dm eine Art Tabu-Zone, aus der ich mich als Mann ohnehin heraus gehalten hatte. Und so machten wir einen gewissen Bogen um all diese Schminkutensilien, die die Farbfacetten von mehr oder weniger knalligen Rottönen um sich versammelten. In der Regalreihe neben der Schminkabteilung wurden wir sogar fündig. Meine Frau entdeckte das Reinigungswasser, das mit ihrer Markenbezeichnung „garnier scin active“ hieß, auf Anhieb. Wir suchten in den benachbarten Regalen weiter nach dem geheimnisvollen „Blush“. Da unsere Suche trotz intensivem Studiums der Produktbeschreibungen auf den Regalbrettern erfolglos war, tasteten wir uns vorsichtig an all die Schminksachen heran und konnten unsere groben Vorstellungen vom Schminken nicht so sehr erhellen, worum es sich bei „Blush“ handeln könne. Sicherlich hatte unsere Tochter Erklärungen gegeben, doch wir hatten nicht zugehört. Schließlich wagte ich den Gang zu einer Mitarbeiterin, die gerade Regale einräumte, die mich wiederum zu einer Schmink-Expertin schickte. Wie es so oft bei Produkten ist, wovon man keinerlei Ahnung hat, fragte mich die dm-Mitarbeiterin, welches „Blush“ wir haben wollten. Es gäbe jede Menge Varianten, erklärte uns die dm-Mitrfbeiterin, wobei „Blush“ der Oberbegriff dafür sei, was man allgemein als „Rouge“ kennen würde. Also ein Puder für die Gesichtshaut, die mit ihren Farbstoffen eine anders geartete Färbung hinterlassen würde. Im Englischen würde dies unter dem Namen „Blush“ geführt. Sie zeigte uns, dass dm „Blush“ von NYX, von L’Oreal, von Beauty Bay und einer ganzen Reihe anderer Marken gäbe. Sie klärte uns auf, dass das Wort „Rouge“ im Französischen eigentlich falsch sei. „Rouge“ bedeute „Rot“, und „Blush“ gäbe es in vielerlei Schattierungen, darunter zum Beispiel dunkelbraune Farbtöne. Durch die Erklärungen der freundlichen Mitarbeiterin von dm hatten wir dazugelernt, und schließlich wählten wir ein sehr dezentes dunkelbraunes „Blush“ von „Essence“. Die runde Verpackung legten wir in den gut gefüllten Einkaufswagen.
16. September 2018
War es ein Abschied für immer ? Der Anblick in der Intensivstation der Universitätsklinik war deprimierend, all die Schläuche, Verkabelungen, Messgeräte, Apparaturen. Monitore mit Kurven, gezackten Linien und großen Zahlen, die sich in den Vordergrund schoben, überragten das Krankenbett. Die Diagnose war genauso deprimierend, ja verheerend. Gewiß, alles Menschenmögliche wurde getan, aber der „worst case“ war beim Krankheitsverlauf eingetreten. Die Berührungen spürte der Kranke noch irgendwie, die Augen geschlossen, der Atem gleichmäßig, das Leben hing an all den Apparaturen. Zwanzig Minuten Beisammensein mit einem Menschen in einem Raum, wo die Anhäufung von Medizin und Technik einen unwürdigen Rahmen schufen.
17. September 2018
Fünf Monate lang geht die Prozedur mittlerweile, dass in der Verlängerung unserer Straße, wo wir wohnen, gebaut wird. Vollausbau, so hieß die Ankündigung vor Baubeginn in irgend welchen amtlichen Mitteilungen in diesen Wochenblättchen, die in Massen am Wochenende in unserem Briefkasten landen. Auf dem Weg mit dem Fahrrad zur Arbeit habe ich immer wieder Umwege fahren müssen, wenn die Straße aufgerissen wurde. Bagger haben sich eingegraben, Tiefbauarbeiten wurden durchgeführt, es herrschte das blanke Chaos, es gab kein Durchkommen. Bis alle Leitungen gelegt wurden, mit Erdreich zugeschüttet wurden und bis das Verbundpflaster für die neue Straßenoberfläche verlegt wurde, das dauerte ganz schön lange. Natürlich behinderten all diese Bautätigkeiten nicht nur mich als Fahrradfahrer auf dem Weg zur Arbeit, sondern auch die Anwohner. Um zu ihren Häusern zu gelangen, mussten sie dieses blanke Chaos durch schreiten. Bisweilen mussten sie ihre Fahrzeuge ganz weit weg parken, da keinerlei Straße existierte. Auf dem Nachhauseweg, als ich gestern mein Fahrrad über den glatt gestampften Schotter schob, herrschte Erleichterung. „Ist das nicht toll ???“ hörte ich eine Frau mittleren Alters sagen, der die Freude ins Gesicht geschrieben stand. In der Tat, die Arbeiten neigten sich allmählich ihren Ende zu. Das Stück, wo die Pflastersteine noch verlegt werden mussten, war überschaubar. „So langsam wird es … „ meinte die andere Anwohnerin. Es überwog die Hoffnung, dass all die Pflastersteine, die sich nunmehr vor den Häusern stapelten, bald abgearbeitet sein würden.
18. September 2018
Pizza als Abendessen, das kommt bei uns selten bis gar nicht vor. Bedingt durch die ein- bis zweimal täglichen Fahrten meiner Frau zur Universitätsklinik ergeben sich solche Ausnahmesituationen. So gestern: spätnachmittags waren Frau, Tochter, Schwager zur Universitätsklinik gefahren, dazwischen hing ein massiver Stau auf der Autobahn, und ich hatte mich in der Zwischenzeit abgemüht, Bologneser Auflauf von Maggi Fix zu kochen. Gegen halb acht hatte ich fertig gekocht, indes kehrte die Familie erst eine Stunde später, gegen halb neun, zurück. Nur die Hälfte aß von dem Auflauf, da er nicht mehr schmeckte, die andere Hälfte bediente sich aus der Imbissbude. Heute trat genau der umgekehrte Fall auf. Aufgrund der gestrigen Erfahrungen verzichtete ich heute auf eine Essensplanung, die Familie kehrte aber gegen halb sieben zurück und hatte Hunger zum Umfallen. Da blieb uns nichts anderes übrig, als den Plan B aus der Schublade zu kramen. Wir entschieden uns, eine Pizza aus der Pizzeria zu holen, die wirklich gut schmeckte. Ich aß eine Pizza Funghi, wovon ich die frischen Pilze als Delikatesse in mich hinein schlemmerte. Da kann man in Versuchung geraten, diesen sehr seltenen Fall künftig öfters vorkommen zu lassen.
19. September 2018
Wir freuen uns darüber, wenn unsere Tochter Freizeitaktivitäten gemeinsam mit anderen unternimmt. Es werden Kontakte untereinander geschaffen, und ein gemeinsames Erleben ist ungleich schöner als wenn man die Dinge für sich alleine unternimmt. So hatte sich vor den Sommerferien ergeben, dass unsere Tochter an der Chorprobe des der katholischen Pfarre angehörenden Jugendchors teilnehmen konnte. Da die Regelmäßigkeit der Teilnahme ständig unterbrochen wurde, haben wir nach den Sommerferien einen neuen Anlauf gewagt. Während es die beiden ersten Male nach den Sommerferien nicht geklappt hatte mit der Chorprobe, hat sie in den beiden letzten Wochen daran teilgenommen. Der Chor hat sich dann sogleich gefreut, unsere Tochter als neue Mitstreiterin begrüßen zu dürfen. Eine Chormappe hat die Chorleiterin ihr mitgegeben, dazu ein violettes T-Shirt, damit der Chor ein Wiedererkennungszeichen hat. „Crescendo“, so nennt sich der Chor. Ob unsere Tochter weiß, welche Bedeutung dieses aus dem Italienischen stammende Wort hat ? Wachsen und reifen, und genau dies wünschen wir unserer Tochter, dass sie mit jede Menge Freude am gemeinsamen Singen wächst und reift.
20. September 2018
Sechs Jahre sind inzwischen vergangen, und nach der Insolvenz von Schlecker streitet sich in unserem Nachbarort niemand um die Überbleibsel. Zugeklebt mit weißem Papier, interessiert sich niemand für die verlassenen Geschäftsräume. Ein Makler sucht zu vermitteln, offensichtlich genauso erfolglos, wie die Geschäfte von Schlecker vor der Insolvenz liefen. Zu teuer ? Eine zu schlechte Lage ? Ein zu trostloser Platz, wo der Hund begraben ist ? Soll die Drogeriekette nach sechs Jahren Tiefschlaf wieder zu neuem Leben erweckt werden ? Reste der Ladeneinrichtung dämmern hinter den zugeklebten Fensterflächen vor sich hin, Rollcontainer, Regalsysteme, die Kasseneinrichtungen sind nicht vollständig abgebaut. Das blaue Banner der Marke „Schlecker“ erstarrt in Leere und Verlassenheit. Ein erstarrtes Lebenszeichen des einstigen Drogerie-Discounters, der längst abgewickelt ist. Das blaue Banner der Marke „Schlecker“ verbirgt, welche Dramen sich abgespielt haben, die nach sechs Jahren längst in Vergessenheit geraten sind, aber nichtsdestotrotz bis in die Gegenwart fortwirken. Es ist eine Geschichte von den Mechanismen des Marktes, von den Fallstricken eines Familienunternehmens und von der Gier der Superreichen nach Geld. Das Unheil nahm seinen Lauf, als die Drogeriekette den Überblick über die Dichte des Filialnetzes verlor, welches sich bis in die letzten Winkel der Republik verteilte. Während die Konkurrenz von dm oder Rossmann ihr Filialen gestrafft und modernisiert hatten, häuften sich die Verluste bei Schlecker. Firmenintern erkannte man dieses Missmanagement, doch der Firmenpatriarch Anton Schlecker ignorierte die Zeichen der Zeit und glaubte, die Dinge würden sich von selbst zum besseren wenden. Zuerst flickte er die Löcher mit eigenen Geldreserven, doch bei der Insolvenz kam es knüppeldick für ihn. Gemäß des auf ihn als Alleinherrscher zugeschnittenen Familienunternehmens hatte er die Rechtsform eines Einzelunternehmers gewählt, wodurch er mit seinem Privatvermögen haften musste. Hätte er eine GmbH gewählt, bei der die Gesellschafter dementsprechende Machtbefugnisse gehabt hätten, dann hätte sich die Haftung auf die Gesellschaftereinlagen beschränkt. So folgte das Drama, dass nicht nur 13.000 Mitarbeiter arbeitslos wurden, sondern dass Anton Schlecker ebenso vor Eröffnung der Insolvenz das zu retten versuchte, was zu retten war. Noch besaß er Privatvermögen, welches er mit einem Buchungstrick zu retten versuchte. Er überwies eine Summe von 7 Millionen Euro an die Logistik-Tochter-Firma, deren Inhaber sein Sohn und seine Tochter waren. Diese wiederum transferierten jeweils 2,5 Millionen Euro auf ihre Privatkonten mit einem Vermerk „Vorab-Gewinnausschüttung“, den Rest erhielt das Finanzamt zur Begleichung von Steuern. Dieses Gebaren erfüllte den Tatbestand der Untreue, so dass die Staatsanwaltschaft ein Strafverfahren einleitete. Während Anton Schlecker eine Freiheitsstrafe auf Bewährung erhielt, sitzen seine beiden Kinder nunmehr für zwei Jahre und mehrere Monate im Gefängnis. Dagegen haben sie Berufung vor dem Bundesgerichtshof eingelegt. Eine missliche Lage, was die allerletzten Reste auf dem Dorfplatz im Nachbarort bezeugen.
21. September 2018
Um 7.15 Uhr war es geschehen, und naturgemäß traf mich der Tod eines nahen Angehörigen auf dem völlig falschen Fuß. Der letzte Sonntag war tatsächlich der Abschied gewesen, was ich an diesem Tag nicht erahnen konnte. Gegen 10 Uhr morgens rief mich meine Frau an, die selbst wiederum einiges früher die Rufnummer im Displays ihres Handys stehen hatte. Die Universitätsklinik hatte versucht, ihr die beängstigende Nachricht zu überbringen. Doch zu diesem Zeitpunkt war meine Frau damit beschäftigt, unsere Tochter zur Schule zu fahren, so dass sie zeitversetzt die besagte Rufnummer im Display bemerkte. Den Anruf meiner Frau bemerkte ich genauso verzögert, da ich mein Handy auf stumm geschaltet hatte. Die Fahrt zur Universitätsklinik verzögerte sich bei mir weiter, so dass ich erst gegen 13 Uhr dort ankam. Sprachlos und ernüchtert fuhren wir mit dem Auto nach Hause, nachmittags waren wir beim Beerdigungsinstitut, es wird eine Urnenbestattung geben. Wir sind alle todtraurig, einen geliebten Menschen verloren zu haben.
22. September 2018
Nach dem schockierenden Ereignis vom Vortag bemühten wir uns, einen Ansatz von Normalität erscheinen zu lassen. Morgens brachte meine Frau die Papiere beim Beerdigungsinstitut vorbei, indes erledigte ich Überweisungen per Online-Banking, ich spülte, schnitt Bohnen klein. Nach dem Mittagessen erledigte ich die Einkäufe, REWE und LIDL. Abends sind wir in die Messe gegangen, wobei unsere Tochter als Messdienerin eingeteilt war. Der Pastor leitete die Messe ein, indem ausrechnete, wie viele Stunden dem Menschen in der Woche zur Verfügung stünden. Er kam auf 168 Stunden, davon würde der Durchschnittsbürger 25 Stunden vor dem Fernseher verbringen. Diesen 25 Stunden stellte er die eine Stunde dauernde Abendmesse gegenüber, eine Zeit, die sicherlich nicht vergeudet sei. Man könne diese Zeit nutzen, zum Beispiel, um an einen Verstorbenen zu denken. Was für ein Zufall, dass er den Zweck unseres Messbesuchs auf den Punkt gebracht hatte. Die restliche Messe plätscherte vor sich dahin, ohne dass ich den Botschaften genau zugehört hatte. Danach war das Abendessen mehr oder weniger normal. Wir aßen Maultaschen mit Gehacktessoße, ein Essen, das bei uns ganz oben auf der Spitze der schnellen und gern gegessenen Speisen stand.
23. September 2018
Der Blick ganz von oben auf Köln, vom fünften Stock unseres Bürogebäudes. Es ist ein Blick auf eine amorphe Häusermasse, unsortiert und wie auf einem Haufen zusammen geschmissen, die eine Gemeinsamkeit hat: den vereinigten Willen, nach oben zu wachsen. Im Zentrum der Stadt herrschte stets Platzangst, über alle geschichtlichen Epochen hinweg, von den Römern bis in das Mittelalter, und in der Gegenwart ist die Platzangst noch bedrückender. Unaufgelöst stehen diese Epochen nebeneinander, während die Stadt Köln ihr geschichtliches und kulturelles Erbe bewahrt, welches die Stilbrüche der Moderne mit gestaltet. In diese Platzangst greift das Flachdach unseres Bürogebäudes hinein, es hat sich vor der romanischen Kirche St. Pantaleon auf die Lauer gelegt, wo der römisch-deutsche Kaiser Otto III. und seine Gemahlin Theophanu ihre letzte Ruhestätte gefunden haben. Solch ein stolzes Stück Geschichte der heiligen römischen Reiches deutscher Nation geht nahtlos über in Bürogebäude, die identitätslos in der Häusermasse verschwinden. Der Rhein trennt weder, noch verbindet er. Das andere Rheinufer wird aber deutlich markiert durch den Büroturm des Lanxess-Headquarter, daneben krümmt sich der Bogen der Lanxess-Arena, die wiederum in schroffem Gegensatz neben den Doppeltürmen von St. Pantaleon daher schwebt. Klar und deutlich ist eines der höchsten Hochhäuser auf der anderen Rheinseite zu verorten: der Büroturm des Landschaftsverbandes Rheinland, dessen Hochhausarchitektur die Stadtplaner vor rund fünf Jahren überraschend durch gewunken hatten. Der Büroturm durfte um zehn Meter über die anfangs festgelegte Obergrenze von sechzig Metern hinaus wachsen. Und diese Höhe, die mit einer Aussichtsplattform abgeschlossen ist, löste sich rasch auf in dieses in sich zerrissene Stadtbild, das in seinem Willen, nach oben zu wachsen, mehr Widersprüche offenbart als dass es wie aus einem Guss das eine, wahre und schöne in sich vereinigt.
24. September 2018
50 Jahre, ein Dienstjubiläum, bei der die Jahreszahl an für sich Würde und Einzigartigkeit ausdrückt. Ein höchst seltenes Ereignis, zu dem unsere Kollege viele seiner Kollegen in die Kölner Altstadt eingeladen hatte. Mit 15 Jahren hatte er beim damaligen Fernmeldeamt 2 in Köln seine Ausbildung begonnen, als Fernmeldehandwerker hatte er geschraubt, gelötet, verkabelt. In diesem Jahr würde er 65, ein halbes Jahr würde er noch arbeiten, bis er in den Ruhestand ginge. Bei Time Line am Alten Markt trafen wir uns, wo er uns in eine Zeitreise in die Vergangenheit einlud. Der Höhepunkt dieser Zeitreise in das Jahr 1910 war eine Fahrt in einem stationären Straßenbahnwagen, wo wir 3D-Brillen aufsetzten, die uns dann in einer virtuellen Fahrt mit der Straßenbahn durch die Altstadt von Köln im Jahr 1910 führten. Nach rechts und links, sogar zurück konnte man schauen auf der Fahrt, die am Rheinauhafen begann, das Rheinufer entlang bis zur Hohenzollernbrücke führte, die 1910 mitten im Bau war. Dann fuhr die Straßenbahn am Hotel du Nord vorbei, wo heute das Museum Wallraf, über die Bechergasse, die so heißt, weil dort früher Bierbrauer ansässig waren, bis zum Alten Markt, wo die Fahrt endete. Während der Fahrt konnte man Menschen in ihrer Kleidung anno 1910 beobachten oder das Markttreiben auf dem Alten Markt. Im Anschluss ging es in das Restaurant „Höhnerstall“ neben der Malzmühle am Heumarkt. In dem Rstaurant dreht sich alles um die Höhner, der mit dem Kölner Karneval tief verbundenen Musikgruppe. Vinylplatten waren zu sehen, zahlreiche Utensilien aus ihrer 45jährigen Bandgeschichte, Musikinstrumente, Kostüme, Bühnenequipment, historische Fotos. Kostüme der Höhner, auch Gitarren. Wie so oft im Kollegenkreis, schwärmte man viel von der Vergangenheit. In seiner Altersgeneration hatte unser Kollege die 1968er-Zeit hautnah miterlebt. Es herrschte eine offene Atmosphäre, anderen Menschen und neuen Ideen stand man aufgeschlossen gegenüber. Der Gemeinschaftsgedanke stand über den Einzelinteressen. Häuser standen offen. Das war so in der Familie unseres Kollegen, und als seine Mutter mit seiner Schwester eine Woche lang im Urlaub verweilte, wurde die sturmfreie Bude zum Paradies für alle anderen, die in das offene Haus hinein strömen wollten. Feten und Partys wurden gefeiert, was das Zeug hielt. Nichts wurde aufgeräumt, totales Chaos, nur Feiern und Saufen. Bis vor sich dem Balkonfenster eine Gestalt krallte, die meinem Kollegen bekannt vorkam. Beim näheren Hinsehen handelte es sich um seinen Vater, der eigentlich durchgängig mit auswärtigen Übernachtungen mit der Bahnpost hätte unterwegs sein sollen. Die Pläne hätten sich geändert, nur vorübergehend sei er zu Hause und müsse dann wieder auf die Bahnposttour. Sein Vater erschrak nicht angesichts des Chaos und blieb überraschend ruhig. Nur einen Satz wiederholte er ständig und mehrfach: „Sorge bitte für Ordnung und sag nichts der Mama.“
25. September 2018
Die Frau, die nur wenig älter als ich war, trug eine Kurzhaarfrisur ohne Scheitel, bei der die Haare um ihren kugelrunden Kopf glatt nach unten fielen. Hilfe suchend, schaute sie mich an und schritt auf mich zu. Ihr Interesse galt dem Wandgemälde im Ratssaal des Aachener Rathauses, das zur Fensterfront hing. Welche nette Dame im bezaubernden Kleid denn gemalt sei, fragte sie mich. Sie sei kurzsichtig und könne die klein geratene Schrift auf dem vergoldeten Rahmen des Gemäldes nicht lesen. Joséphine, las ich ihr vor, doch wir beide wussten mit dieser Person nicht unbedingt etwas anzufangen. Deutlich besser wussten wir den Feldherren auf der anderen Seite der Türe zuzuordnen, denn das war mit seinen kaiserlichen Gesichtszügen eindeutig Napoelon. War die zierliche Frau ihm gegenüber seine Ehefrau ? Ja, Napoelon, wo er sich überall im Rheinland herum getrieben habe, startete die leicht ältere Frau ihren Monolog. Sie komme aus Essen. Und in Essen gäbe es ein Frauenstift, das älter sei als der Aachener Dom. Viele Kirchenbesitze habe Napoleon säkularisiert und zweckentfremdet. Aus dem Kloster sei ein Pferdestall geworden. Napoelon habe aber nicht nur Unheil gebracht, sondern auch Errungenschaften. Sie komme aus Essen, und gemeinhin unterschätze man das Ruhrgebiet, welche historischen Orte es verberge, setzte sie ihren Monolog fort. Die Abtei in Werden etwa hätte dieselbe Entstehungszeit wie der Aachener Dom und auch denselben Baustil. Dann sprang die Dame verbal nach Aachen zurück. In dieser so schönen Stadt, die sich Europastadt nenne, habe sie nicht einmal eine Europafahne gesehen. Ich entgegnete, dass ich in den Cafés jede Menge Niederländisch und auch Französisch gehört habe, was zeige, dass sich die Nationen vermischen würden und zum europäischen Gedanken beitragen würden. Trotz des Erbes des ersten großen Europäers Karls dem Großen, das in der Stadt unübersehbar war, mochte sie Recht haben, dass sich Aachen als Europastadt noch deutlicher positionieren könnte. Dann trennten wir uns, die Damen wünschte mir einen schönen Tag, und die spontane Begegnung nahm ein Ende.
26. September 2018
Klimacamps, Kohleausstieg, die Gegner des Braunkohletagebaus rüsten auf mit großen Transparenten an den Häuserwänden. Klar, den Gegnern des Braunkohle-Tagebaus gilt meine Sympathie. Nur schwer kann ich mir vorstellen, was die Menschen in Dörfern wie Immerath, Keyenberg, Borschemich oder Otzenrath, die umgesiedelt werden mussten, mitmachen mussten. „Damit wir Beschützer der Welt sind und nicht Räuber“ diesen Slogan verstehe ich vollumfänglich. Ich habe volles Verständnis dafür, dass der Hambacher Forst als Symbol des Widerstandes gegen die Braunkohle besetzt wird. Ich bin sogar der Auffassung, dass unsere Demokratie von solchen Bewegungen lebt. Damit die Verantwortlichen in der Politik gezwungen werden, den Willen des Volkes zu respektieren und ihre Strategien zu überdenken, ob diese in der angedachten Form in sich stimmig sind. Klimakiller Braunkohle: sicherlich ist das Argument richtig, dass der CO2-Ausstoß bei Kohle-, insbesondere Braunkohlekraftwerken besorgniserregend ist. Also Ausstieg aus Kohle und Braunkohle, um die Klimaziele der Weltklimakonferenz zu erreichen. All diesen Widerstand und zivilen Ungehorsam darf man allerdings nicht singulär und isoliert voneinander begreifen, denn der Widerstand regt sich an allen Fronten des Energiekonzeptes. Atomkraft ? Nein danke, der Ausstieg aus der Kernenergie ist längst beschlossene Sache. Windkraft ? Windräder verschanden das Landschaftsbild. Hochspannungsleitungen ? Die sollen bitte in die Erde eingegraben werden. Neue Hochgeschwindigkeitsleitungen über der Erde sollen einen Bogen um Bayern machen und anstatt dessen über Baden-Württemberg verlaufen. Pumpspeicherseen zur Speicherung der Windenergie will auch niemand, weil die Eingriffe in Landschaft und Natur zu gravierend sind. Bioäthanol ? Wenn er aus der Palmölgewinnung stammt, dann soll er am besten in Brasilien oder sonstwo bleiben, wo er hergestellt wird. Solarenergie ? Solarzellen auf Gebäuden mögen Potenziale in sich bergen, aber nicht jeder Hausbesitzer kann sich so etwas leisten. Erdwärme ? Neue Technologien wie die Erdwärme haben abschreckende Beispiele geliefert, dass in Häusern Risse entstanden sind. Stromgewinnung ja, aber bitte nicht vor der eigenen Haustüre. Als einzige Antwort, wo der Strom denn nun herkommen soll, dürfte all den Gegnern, die die Stromproduktion vor der eigenen Haustüre ablehnen, die platte Antwort übrig bleiben: aus der Steckdose. In dieser Gemengelage eine vernünftige Energiepolitik zu gestalten, die allen Bedürfnissen gerecht wird, gehört zu den Herausforderungen unserer Zeit. Wunsch und Wirklichkeit dürften weit auseinander liegen. Glaubt man den Besetzern des Hambacher Forstes, wollen alle den raschen Ausstieg aus der Braunkohle. Aber damit der Strom weiterhin in der Zukunft aus der Steckdose kommt, benötigen wir moderne, leistungsstarke, zuverlässige Stromnetze – zu bezahlbaren Preisen. Und niemand wird eine Lösung haben wollen, dass wir über die Hintertüre günstigen Strom aus Kernkraftwerken aus unseren Nachbarländern importieren. Es liegt in den Händen der Verantwortlichen, abzuwägen. Wie kann ein vernünftiger Energiemix in der Zukunft aussehen. Welche Einzelinteressen sind zu berücksichtigen. Und wie kann eine Lösung im Sinne des Gemeinwohls über all diese Einzelinteressen gestellt werden.
27. September 2018
War dies der letzte schöne und warme Tag des bereits begonnenen Herbstes ? Nach diesem Super-Sommer wissen wir es nicht, definitiv nicht. Warme und sonnige Altweibersommertage mögen noch kommen, doch danach sieht der Wetterbericht derzeit nicht aus. Die Zeichen stehen auf Herbst, also heißt es, die Wärme und Sonne auszunutzen. Genau dies dürfte sich die Rennradfahrer des „Rad Treff Campus“ gedacht haben, die ausgeschwärmt sind für eine schöne Tour in der Natur. Mir bleibt dies verwehrt, weil mich dienstliche Termine davon abgehalten haben. Ihre Freude verstehe ich sehr gut. Das Stadtgebiet von Bonn werden sie in Kürze verlassen, nun warten sie an der Ampel darauf, dass es über die Siegbrücke weiter gehen kann. Vor der roten Ampel haben sie sich, auf den Pedalen stehen, versammelt, und im Pulk werden sie weiter radeln. Wohin geht die Tour. Zunächst ab ins Grüne, denn das Naturschutzgebiet der Siegaue. Viel schöne Natur werden sie in sich aufsaugen, jede Menge werden sie beobachten, ein Film von Landschaften wird sie befreien von allen Dingen, die ansonsten in ihren Köpfen herum schwirren. Ein Stückchen von diesem Ballast werde ich genauso abwerfen, wenn ich nach meiner eigenen Fahrradfahrt quer durch die Siegaue und durch die Felder zu Hause ankommen werde.
28. September 2018
In diesem Jahr habe ich es dokumentiert und in einem Foto festgehalten. Genau am 26. September, fast drei Monate vor Heiligabend, beginnt die Vorweihnachtszeit. Noch denkt niemand an den ersten Advent, an den am Freitag vor Totensonntag geöffneten Weihnachtsmarkt, an Weihnachtsbeleuchtung oder daran, die ersten Weihnachtsgeschenke zu kaufen. Aber im Supermarkt um die Ecke ticken die Uhren anders. Süßigkeiten, Plätzchen, Kinderschokolade gibt es zuhauf zu kaufen, und obendrein grüßt der Nikolaus in einem von einem Elch bespannten Schlitten.
29. September 2018
Herein und heraus geht es aus dem Mietshaus, auf der anderen Straßenseite uns gegenüber, so oft wird umgezogen. So fahren alle paar Wochen oder Monate LKWs und Transporter auf, die sich füllen mit Hausrat, Möbeln und allerlei Habseligkeiten, die liebevoll gehegt und gepflegt werden. Zahlreich sammeln sich Helfer und Helfershelfer, die anpacken und zu einem erfolgreichen Gelingen beitragen. Was so alles umzieht: es ist nicht nur der Kleinkram, der in Umzugskartons verstaut wird, oder auch Kleinteile wie Lampen, Regale, Zimmerpflanzen, die lose auf der Ladefläche herum stehen; es sind auch die großen, kompakten und schweren Teile, wovon das Quad etwas einzigartiges sein dürfte, dass dieses mit dem übrigen Hausrat ganz vorne auf der Ladefläche transportiert wird. Der Kraftaufwand dürfte immens gewesen sein, dieses schwere Gerät auf die Ladefläche zu hieven. Wie viele kräftige junge Männer haben bei diesem Kraftakt geholfen ?
30. September 2018
Ein Wochenende zwischen Tod und Beerdigung. Eine Woche haben wir gehabt, um uns zu sammeln und mit dem Weggang des geliebten Menschen klar zu kommen. Dazwischen lag allerlei Bürokratie, Organisatorisches und ein Ringen mit uns selbst, den Alltag an die geänderten Umstände anzupassen. Die Sterbeurkunden haben wir erhalten, die Todesanzeigen sind gedruckt. Wir wursteln uns durch, welche Institutionen außerhalb von Rentenversicherung und Krankenkasse über den Tod informiert werden müssen, anderweitige Versicherungen, Handyvertrag. Das Datum der Beerdigung steht fest, meine Frau hat viel telefoniert. Die Todesanzeigen haben wir sortiert und im Ort verteilt, andere haben wir mit der Post verschickt. Bei der Verteilung in der Nachbarschaft habe ich als Zugezogener festgestellt, dass ich nicht alle Nachbarn in der Nachbarschaft kenne. Bei diesem Briefkasten war ich mir unsicher, ob die besagte Nachbarin in diesem Haus wirklich wohnt. Die Beschriftung des Briefkastens fehlte. Es war die einzige Todesanzeige, die ich sicherheitshalber nach Hause zurück gebracht habe, weil mir der richtige Einwurf der Todesanzeige zu sensibel war.