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Treffen mit Freunden in Aachen

Wir mussten nur einige Gehminuten zu Fuß bewältigen, um vom Parkhaus am Aachener Bushof, einem etwas unansehnlichen Betonbauwerk, zu unserem Treffpunkt zu gelangen. Einige Schritte trotten wir über die Peterstraße, zu unserem Treffpunkt am Elisenbrunnen, der eineindeutig auszumachen war. Unter den Säulen im neoklassizistischen Baustil, die dem preußischen Allround-Architekten Schinkel zugeschrieben wurden, dessen Bau er als Architekt aber nie wirklich betreut hatte, begrüßten wir unsere Freunde. Sie wohnten nicht in Aachen, sondern vierzig Kilometer entfernt, konnten uns aber einiges aufgrund ihrer Studienzeit über Aachen erzählen.

Wir bestaunten die homogene Säulenarchitektur, wozu der preußische König Friedrich Wilhelm III. 1822 den Grundstein gelegt hatte. Die Namensgeberin Elise werden Filmkenner mit den Sissi-Filmen assoziieren: es war die Tante von Sissi, der österreichischen Thronfolgerin. Als preußische Kronprinzessin Elisabeth Ludovica von Bayern gehörte sie zu all denjenigen Kurgästen, die mit der wohltuenden Wirkung der Aachener Quellen ihre Gesundheit regenerieren wollten. Mehrere Tafeln dokumentierten, welche Herzöge, Grafen, Prinzessinnen und welche weitere Prominenz die Aachener Quellen besuchten, angefangen vom König Pippin im Jahr 753 bis zu Prinz Oskar von Schweden im Jahr 1819. Wir fassten hinein in das in den Brunnen fließende Wasser, das brühwarm war und stank. Der Geruch erinnerte an die allerersten Schulstunden im Chemieunterricht, an Experimente mit Schwefel, Salzsäure und Schwefelwasserstoff, der entsetzlich nach faulen Eiern roch. Der Geruch sei nicht abwegig, bekamen wir erläutert, denn es sei kein zertifiziertes Trinkwasser, sondern Heilwasser.

Es gäbe eine gute und eine schlechte Nachricht, informierten uns unsere Freunde. Die gute Nachricht sei, dass man am heutigen Tag den Turm des Aachener Doms besteigen könne, die schlechte, dass ein Antikmarkt statt finde. Das sahen wir etwas anders, da wir gerne über Antikmärkte bummelten. Andererseits war ich nicht schwindelfrei, so dass ich der Turmbesteigung nicht unbedingt zugeneigt war.

Büste der Elisabeth Ludovica von Bayern (oben links),

Säulenarchitektur (oben rechts und unten links), Heilquelle (unten rechts)

So begannen wir unsere Stadterkundung, indem wir in Sichtweite des Elisenbrunnens zu einem Glaspavillon gelangten, der römische Ausgrabungen beherbergte. Obschon die Römerstraßen – namentlich von Köln über Jülich nach Maastricht und Bavai – an Aachen vorbei führten, waren es letztlich die Badeanlagen, in deren Umfeld sich die Römer ansiedelten. Die heilende Wirkung der heißen Aachener Quellen lernten die Römer schätzen, dabei entstand wahrscheinlich um die Zeit des römischen Kaisers Tiberius (14-37 n. Chr.) die römische Ansiedlung „Aquae Granni“ zwischen dem Elisenbrunnen und dem Dom. Römische Legionen verweilten in Aachen nur zeitweilig, so dass Aachen nie wirklich eine Römerstadt oder ein Römerlager war. In die Namensgebung ihrer Siedlung hatten die Römer den keltischen Heil- und Wassergott Grannus übernommen.

Als wir im Schatten der eingerüsteten Kirche St. Foillan an den Marktständen herum stöberten, fiel uns jede Menge Neuware auf. Beim näheren Hinsehen handelte es sich gar nicht um einen Antikmarkt, doch das war überhaupt nicht schlimm. Vielmehr hatten Handwerker und Künstler ihre Stände für den Aachener Europamarkt aufgebaut, der rege besucht, aber nicht überfüllt war. Gemächlich spazierten wir an den Ständen von Schmuck, Uhren, Keramik, Handtaschen, Porzellan oder Holzbildhauerei vorbei.

Auf dem Weg zum Eingang des Doms schauten wir dann auf eine auffällige Bronzeskulptur in glänzender Königstracht, das war der ungarische König und Nationalheilige Stephan I., der um 1000 das ungarische Volk grundlegend christianisiert hatte. Vor der Mission durch das Christentum waren in den spätantiken Zeiten der Völkerwanderung die Hunnen, ein Mongolenvolk, in Ungarn mit ihren heidnischen Bräuchen sesshaft geworden. 1993 hatten ungarische Pilger die alle sieben Jahre statt findende Heiligtumswallfahrt, wenn der Marienschrein feierlich geöffnet wurde, zum Anlass genommen, die Skulptur mit dem Heiligen Stephan zu stiften. Mit den Heiligsprechungen in den Anfängen des Christentums pilgerte man zu den sterblichen Überresten der Heiligen, und so prägten rege Pilgerströme das Mittelalter – nach den Fertigstellungen des Dreikönigsschreins in Köln und des Karlsschreines in Aachen um 1200 erfassten diese Pilgerströme auch das Rheinland. Dabei waren die Ungarn eine besondere Pilgergruppe, die die Quellen erstmals 1211 benennen, als diese nach Aachen pilgerten. König Ludwig I. von Ungarn stiftete das Geld für den Bau und die Ausstattung der Ungarnkapelle, die 1366 vollendet wurde. Im 15. Jh. kamen dann ungarische Pilger aus Angst vor der Pest. Im 16. Jahrhundert machten die Menschen Bitt-Wallfahrten wegen der Türkengefahr. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts konnten nur noch wenige Ungarn nach Aachen kommen, weil das Land teilweise von den Türken besetzt war. Dafür kamen mehr Pilger aus Böhmen und Österreich. Nach der Vertreibung der Türken und der Vereinigung von Österreich und Ungarn zur Doppelmonarchie 1687 lebte die Ungarnwallfahrt wieder auf. Im Stil des Barock wurde die Ungarnkapelle um 1700 umgestaltet.

Skulptur des Heiligen Stephan von Ungarn (oben links), Ungarnkapelle von innen (oben rechts), Eingangstüre mit Löwenköpfen (unten links), Modell Aachener Dom (unten rechts)

Kurz hinter der Skulptur des Heiligen Stephan, gelangten wir zum Eingang des Aachener Doms, wo uns die schwere eiserne Eingangstüre die Legende vom Pakt mit dem Teufel erzählte, wie der Teufel untrennbar mit dem Bau des Doms verbunden war. Nach der Legende kam diese schicksalshafte Verbindung zustande, weil der Stadt Aachen während des Dombaus das Geld ausging. In diesen schweren Zeiten schlug der Teufel den Aachenern einen Handel vor, dass er den Dombau finanzieren würde. Als Gegenleistung müssten ihm die Aachener zusagen, dass er die erste Seele erhalten würde, die die Eingangstüre des fertig gebauten Doms durch schreitet. Als der fertige Dom feierlich eingeweiht wurde, rangen die Aachener nach einem Ausweg aus diesem Dilemma und ließen sich einen Trick einfallen. Anstelle des Menschen ließen sie einen Wolf in den Dom hinein. Als der Teufel einen Schatten durch das Innere des Doms huschen sah, sprang er hinein, stürzte sich auf das Tier und entriss ihm die Seele. Nach dem Wortlaut hatten die Aachener ihre Vereinbarung erfüllt, und wütend schleuderte der Teufel die Seele auf den Boden, voller Zorn schlug er die Eingangstüre zu und klemmte sich dabei den Daumen und einem der Löwenköpfe ein. Wer heute in die Löwenköpfe der Eingangstüre zum Dom hinein fasst, der kann einen Daumen ertasten.

Im Inneren des Doms betraten wir einen Fußboden, der bespickt war mit kostbaren Marmorplatten und byzantinischen Motiven. Wir standen unter dem Oktogon, welches als ältester Teil des Doms zwischen 793 und 813 erbaut wurde. Als Vorbild die Hagia Sophia in Konstantinopel aufgreifend, beschrieb das Achteck die Aussage, dass der Tag des jüngsten Gerichtes der achte Tag war. Danach winkt den gläubigen Christen ein ewiges Leben im himmlischen Jerusalem, so steht es in der Offenbarung. Das Oktogon war Mittelpunkt der Kaiserpfalz, die gleichzeitig als Haus und Heim, als Festung, als Verwaltung, als Aufenthaltsort für den Hofstaat sowie als Kristallisationskern für Denker und Gelehrte diente, während Kaiser und Herrscher ununterbrochen auf Feldzügen unterwegs waren. Über uns schwebte der Barbarossaleuchter, den Kaiser Barbarossa 1165 anlässlich der Heiligsprechung Karls des Großen anfertigen ließ. Im gotischen Chorraum des Doms, der 814 zur Grabeskirche Karls des Großen erklärt wurde, verbarg sich der vor Gold funkelnde Karlsschrein, der durch den Marienschrein im vorderen Teil des Chorraums verdeckt wurde. Nach seinem Tod war die Kaiserpfalz zu Aachen der bedeutendste Ort, an dem bis zum Jahr 1531 die meisten Krönungen der römisch-deutschen Kaiser statt fanden. Insgesamt wurden dort 31 Könige geweiht, gesalbt und gekrönt.

Wir verließen den Dom, der 1978 zum Weltkulturerbe erklärt worden war, und besichtigten im Anschluss die Domschatzkammer. Im Proserphina-Sarkophag, gleich zu Beginn des Rundgangs, war Karl der Große, wenn man der Legende glaubt, mehr als dreihundert Jahre begraben – von seinem Tod 814 bis zu seiner Heiligsprechung durch Kaiser Barbarossa 1165. Der Sarkophag aus Marmor war allerdings noch einige Jahrhunderte älter. Als römische Arbeit aus dem 2. Jahrhundert, die Karl der Große nach Aachen transportieren ließ, vermischte der Sarkophag Mythen aus der griechischen und römischen Antike. Die Vorderplatte des Sarkophags erzählte den Raub der Proserpina, wie Pluto, der Gott der Unterwelt, in einem vierspännigen Wagen die Proserphina entführte. Während die Unterwelt nahte, die von Cerberus, einem doppelköpfigen Höllenhund bewacht wurde, entbrannte ein Wettrennen um die Befreiung. Die Fruchtbarkeitsgöttin Ceres, die Mutter Proserpinas, verfolgte die Reitergruppe auf einem Pferd in einem eigenen Wagen, geführt von einem Drachen. Als der Drachen sich mit seinem Schwanz im Rad verfing, schien das Rennen verloren. Obschon die Befreiung nicht gelang, zeigte sich Pluto gutmütig. Proserpina brauchte nur die Hälfte des Jahres in der Unterwelt, unter den Toten, zu verbringen.

Dom vom Katschhof aus (oben links), Karlsschrein (oben rechts), Barbarossaleuchter (Mitte links), Kuppel (Mitte rechts), Domschatzkammer: Proserphina-Sarkophag (unten links), Karlsbüste (unten rechts)

Siegelstempel, Jagdmesser, Jagdhorn, Brustkreuz, Dreiturmreliquiar: die Domschatzkammer war überreich mit Exponaten, die Karl dem Großen zugeschrieben wurden. Beim Armreliquiar erschrak unsere Tochter, dass man früher Reliquien von Heiligen sammelte so wie heutzutage Puppen, Lego-Steine oder CDs. Ihr wurde bei der Vorstellung übel, dass sich wirklich ein Knochen des Armes im Armreliquiar verbarg. Danach staunten wir bei der Karlsbüste, welche Masse an Gold in dem Kopf verarbeitet worden waren.

Nachdem wir die Domschatzkammer verlassen hatten, bummelten wir über den Katschhof, wo die Marktstände des Europamarkts dicht an dicht standen. Dann schlenderten wir durch die Seitengassen, Hof, Körbergasse, Hühnermarkt. Unsere Freunde erzählten uns die Geschehnisse, wie der Hühnerdieb-Brunnen entstanden war, den wir leider nicht zu Gesicht bekamen, weil er renoviert wurde und durch eine Staubschutzfolie verdeckt war. Die Brunnenfigur, die um 1910 errichtet wurde, drückt die Tragik und den Leichtsinn des Diebstahls aus. Ein Kerl im besten Mannesalter hatte sich ein Huhn geschnappt, welches jemandem anderes gehörte. Er drehte sich um, ob ihn jemand bemerkt hatte, und wollte sich aus dem Staub machen. Keine Menschenseele war zu sehen, doch dem Hahn passte der Diebstahl überhaupt nicht. Er krähte lauthals aus voller Kehle, machte auf den Diebstahl aufmerksam, so dass man den Hühnerdieb fassen konnte. Am Hof bestaunten wir den Torbogen aus der Römerzeit, vom Hühnermarkt aus blickten wir auf den Granusturm, der mit dem Rathaus verbaut war. Es fiel uns schwer, uns vorzustellen, dass die karolinigsche Kaiserpfalz mit der Pfalzkapelle des Doms mit den dazugehörigen Festungsanlagen einen riesengroßen Gebäudekomplex umfasst hatten. Dieser Granusturm, der noch aus dem 8. Jahrhundert stammte, hatte einst zu den Festungsmauern der Kaiserpfalz gehört, während dieser in einer späteren Epoche zu den Außenmauern des Rathauses umfunktioniert worden war.

Nunmehr waren wir so viel gelaufen, dass wir beschlossen, uns am Café Middelburg hinzusetzen und einen Kaffee zu trinken. Zum Zeitpunkt des Europamarktes war viel los in Aachen. Wir beobachteten die Passanten, die in der Nähe des Rathauses und des Rathausplatzes zahlreicher wurden. Gegen 18 Uhr war Schluss im Café Middelberg, die Öffnungszeit ging zu Ende, die Kellnerin kassierte ab, sie stapelte die Stühle aufeinander. Wir überlegten, ob und wie wir zu Abend essen sollten. Wir entschieden uns, zunächst das Rathaus mit seinem näheren Umfeld zu erkunden und danach ein Restaurant aufzusuchen.

Rathaus (oben links), Karlsbrunnen mit Reichsapfel in der linken Hand, (oben rechts)

Kräuter- und Gemüsegarten (unten links), Mahntafel an den Nationalsozialismus (unten rechts)

Wir standen vor dem Karlsbrunnen mitten auf dem Marktplatz vor dem Rathaus, wo wir den in der Hand erhobenen Reichsapfel betrachteten, der neben der Krone und dem Zepter zu den Reichsinsignien der Krönungszeremonie gehörte. Der Reichsapfel symbolisierte die Gleichwertigkeit der Macht von Kirche und Kaiser, welche die Symbole des Kreuzes für die Kirche und der Erdkugel für den Kaiser in sich vereinigten. Da die Zeit zu sehr fortschritten war, verzichteten wir auf eine Besichtigung des Rathauses. Anstatt dessen versuchten wir, die Figuren der römisch-deutschen Kaiser an der Rathausfassade ungefähr einzuordnen, was uns allerdings sehr schlecht gelang. Wir befanden, dass die Schönheit des Rathauses, dessen Bau 1332 begonnen wurde, und dann im 18. Jahrhundert wesentlich umgestaltet wurde, nur von wenigen anderen deutschen Rathäusern übertroffen wurde.

Wir registrierten die Mahntafel an den Nationalsozialismus „Wege gegen das Vergessen“, dessen Zeitrechnung 1944 erst nach einer vierwöchigen Schlacht zu Ende ging, bis die Alliierten einmarschierten. Die Kriegsschäden in Aachen als erster Großstadt, die die Alliierten im Westen erobert hatten, waren desaströs, und auf der Rückseite des wieder aufgebauten Rathauses erlebten wir einen Zeitensprung 1200 Jahre zurück in die bürokratisch anmutenden Vorgehensweisen des „capitulare de villis“. Bei den „capitulare de villis“ handelte es sich um Vorgaben, die zur Zeit Karls des Großen erlassen wurden, und die regelten, dass in einer buchhalterischen Genauigkeit alles in Büchern aufzuschreiben war, Bauern, Gebäude, Vieh, Geräte, Ernteerträge, was zu einem Gutshof gehörte. Diese Vorgaben erstreckten sich auch auf die Bewirtschaftung von Feldern und Gärten, was anzubauen war, zu welchen Jahreszeiten, in welcher Anordnung, kurzum: wann wieviel wovon. Diese Ordnung fand sich in dem Kräuter- und Gemüsegarten im Schatten des Rathauses wieder, der in dieser Form ungefähr zur Zeit Karls des Großen ausgesehen haben könnte.

Nach dieser Zeitreise zurück wendeten wir uns wieder der Gegenwart zu, indem wir ein Restaurant für unser Abendessen auswählten. Nachdem wir verschiedene Speisekarten in verschiedenen Restaurants studiert hatten, entschieden wir uns für das Wirtshaus Gaffel am Hühnerdieb. Wir aßen Schnitzel, Käsespätzle, Currywurst, alles gut und reichlich, dazu trank ich zwei erfrischende Zitrone-Fassbrause.

Wir quatschten viel, und ein schöner gemeinsamer Tag in Aachen neigte sich seinem Ende zu.

Restaurant "Wirtshaus am Hühnerdieb"

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