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Antikmarkt in Linz

Waren es Sendungen wie „Bares für Rares“, die uns angesteckt hatten ? Ein Horst Lichter, der mit seinem gezwirbeltem Bart Händlerexperten zusammen rief, der Menschen motivierte, aus irgend welchen verstaubten Ecken wahre Schätze von Antiquitäten hervor zu kramen, und der eine Bühne schuf, wo all diese schönen und ausgefallenen Dinge begutachtet und gehandelt werden konnten. Genau danach war uns zumute, zwischen Antikem und Trödel und Flohmarkt herum zu stöbern, und all diese kuriosen und banalen Dinge zu bestaunen, die sich aus Kellerräumen, dem Dachboden oder anderen Ecken des Hauses hervor gewagt hatten. So fiel unser Entschluss spontan und einstimmig, den Antikmarkt in Linz zu besuchen.

In Linz war der Andrang groß, so groß, dass wir nur mit Mühe einen Parkplatz fanden. In der Nähe des Rheins war kein Parkplatz mehr zu kriegen, so dass wir erst in dem stadtaufwärts gelegenen Parkhaus fündig wurden. So mussten wir zu Fuß durch die Stadt abwärts zum Rhein zurück schreiten, durch die Fußgängerzone mit ihren adrett aneinander gereihten Fachwerkhäusern, wo ein erster Hauch von Flohmarkt an den Ständen von Anwohnern aufkam. Hinter dem Buttermarkt spielte ein lateinamerikanischer Musiker, der mit seinem Poncho und dem Federschmuck auf seinem Kopf einem Indio ähnlich sah, auf einer Panflöte. Wie an Wochenenden üblich, hatten eine Reihe von Geschäften geöffnet.

Als wir das Stadttor am Burgplatz durch schritten hatten, standen wir mittendrin in der Einzigartigkeit dieses Antikmarktes. Das Merkmal, das die Unverwechselbarkeit dieses Antikmarktes ausmachte, war der Bahndamm. Die Bahnlinie, die auf Betonpfeilern gebaut war, schuf unter der Bahntrasse ein System von Karrees, von Nischen und Freiräumen, wo die Händler die Stände mit ihrer Ware aufgebaut hatten. Innerhalb dieser Vierecke herrschte so etwas wie eine Wohnzimmeratmosphäre, wenn die Händler alte Möbel aufgebaut hatten und allerlei Hausrat zum Verkauf anboten. Jedes Karree war durch die Betonpfeiler abgetrennt und in sich abgeschlossen, und während alle halbe Stunde eine Regionalbahn über die Köpfe hinweg rauschte, konnte wir zwischen Nützlichem und Unnützem, zwischen alltäglichen und ausgefallenen Dingen, zwischen Nippes und Trödel herum stöbern.

Antikmarkt unter dem Bahndamm

Es gab so ungefähr nichts, was auf dem Antikmarkt nicht zu haben war. Die Auswahl war schier unendlich, und der Sammeltrieb der Händler hatte bergeweise in Kisten, in Boxen, auf Tischen, auf Leitern oder unsortiert auf dem Boden Kurioses und Ausgefallenes zusammen geschart. Hausrat, über den man gerne geflissentlich hinweg sah, der aber nun die Neugierde erweckte. Wir fragten uns, ob diese kryptische Ansammlung von Petroleumlampen, Nachttöpfen, Kronleuchtern, Wählscheibentelefonen, Abzeichen von Schützenbruderschaften, Bierdeckel, Gießkannen, Rosenkränzen, Reagenzgläsern, Kuhglocken, Bügeleisen, Pferdehufen oder Vogelkäfigen jemals ihren Besitzer wechseln würde.

Ein Stand mit alten Büchern faszinierte mich. Alt, sehr alt, bis in das Mittelalter waren die Jahreszahlen, die sich auf den weißen Zetteln mit den Kurzbeschreibungen wieder fanden. Anno 1801, Anno 1760 hatte ein roter Filzstift in Großbuchstaben notiert, und das älteste Exemplar datierte Anno 1554. Meine unsinnige Frage, ob solche Bücher aus dem Mittelalter von Museen oder Archiven entstammten, verneinten die Händler. Es seien ganz normale Haushaltsauflösungen, niemand unter den Angehörigen hatte erahnt, welche Schätze sich unter dem Nachlass befunden hätten.

Ein paar Stände weiter, offenbarte sich, welche ungewöhnlichen persönlichen Vorlieben Menschen haben konnten. Eine Glasvitrine mit neun Masken aus Südkorea war einem Händler angeboten worden. Die neun Masken, die irgendwo zwischen Totenmasken und Karneval lagen, waren gekonnte Handwerksarbeit, aber sie waren zu skurril, zu düster und zu außergewöhnlich und wohl auch nicht jedermanns Geschmack. Zähneknirschend hatte der Händler sie für 100 Euro abgekauft, und der Kreis derjenigen Kunden, die Interesse an den neun Masken bekundet hatten, gestaltete sich sehr übersichtlich. Für zwanzig Euro könne ich sie haben, bot sie mir der Händler in durchaus überzeugendem Ton für die künstlerische Detailarbeit an. Ich brauchte nicht zu überlegen, um dieses Angebot abzulehnen.

Wir schlenderten vorbei an Flohmarktständen, an denen alte Haushaltswaagen verkauft wurden, bei denen die Messskala mit Gewichten fixiert wurde. Unserer Tochter, die solche Waagen noch nie zu Gesicht bekommen hatte, erläuterten wir, dass wir ihre ältere Schwester, als sie noch ein winziges Baby war, auf der Waagschale einer solchen Waage gewogen hatten. Wir blieben stehen und lauschten, als eine Frau unter einer schattigen Linde eine Marionette an ihren Fäden führte. Sie spielte Geige – dabei führte sie den Geigenbogen über eine richtige Violine.

An einem ganz gewöhnlich aussehenden Marktstand wurde ich ausgebremst, als ich die lebendigen Eindrücke des Flohmarkttreibens mit meiner Digitalkamera festhalten wollte. Ich müsse den Händler um Erlaubnis bitten, fotografieren zu dürfen. Rein juristisch oder rechtlich mochte dies vielleicht stimmen, aber meine Fotografie bewegte sich ohnehin auf kritischem Gelände. In einer Ecke bot der Händler Gegenstände aus der Zeit des Nationalsozialismus an, darunter einen Bildband aus dem Jahr 1935, der in unterschiedlichen Posen Adolf Hitler zeigte. Als ich darin herumblätterte, entdeckte ich Adolf Hitler, der sich als den netten Menschen von nebenan präsentierte. Er lächelte, schüttelte Hände, redete mit den Menschen, umarmte Kinder. Er gab sich volksnah, suchte den Kontakt mit der Bevölkerung, er hörte zu und nahm sich Zeit für die Anliegen seiner Staatsbürger. Genau eine solche Seite hatte ich fotografiert, wo der Schein des freundlich lächelnden Führers und sein wirkliches Wesen dermaßen auseinander klafften. Hatte der Händler etwa Angst davor, ich würde die Grenzwertigkeit dessen, was er zum Verkauf anbot, über soziale Netzwerke anprangern ?

Ein paar Stände weiter, lief es mir ebenso eiskalt den Rücken herunter. Zwei Jahrzehnte zurück, waren es die Verbündeten des deutschen Kaisers, die auf einem Porzellanteller zu sehen waren. Eingerahmt vom Hexagon der französischen Flagge, hatte sich das Deutsche Reich den Sieg auf die Fahnen geschrieben. Zwei Jahre hatte der Erste Weltkrieg Tote auf den Schlachtfeldern wie am Fließband produziert, als 1916 dieser Porzellanteller hergestellt worden war. „Aus großer Zeit – Weltkrieg 1914-1916“, diese Botschaft verkündeten der deutsche Kaiser Wilhelm II., der österreichische Kaiser Franz Joseph I., der türkische Sultan Mehmed V. und der bulgarische König Ferdinand I.

Antikmarkt unter dem Linzer Stadttor, Bücher, Eimer, Schallplatten, Spiegel, VW Käfer und VW Bus auf Werbeplakat

Der Drang, etwas Hübsches für ihr Zimmer zu kaufen, war bei unserer Tochter unverkennbar. Mit einigen Dingen, die wir ihr kaufen sollten, konnten wir uns nicht ganz anfreunden, wie etwa ein roter Sitzhocker von Coca-Cola oder eine leere Flasche Motoröl. Als sie eine Werbetafel mit den Volkswagen-Typen des VW Käfer und des VW Bus aus den 1950er Jahren ins Visier genommen hatte, entsprach dies eher unserem Vorstellungsvermögen, was ihr Zimmer verschönern könnte. 15 Euro sollte die Werbetafel kosten, was für mich entschieden zu teuer war, so dass ich, wie auf Flohmärkten üblich, zu handeln versuchte. Ich bot zwölf Euro. Doch da war aber nichts zu machen, erklärte mir der Händler. Er verkaufe nur Neuware. Händlern mit Neuware Platz zu bieten, sei durchaus im Sinne des Veranstalters, um Leerflächen auszufüllen. Und weil er nur Neuware verkaufe, habe er die Einkaufspreise und die Gewinnspannen fest kalkuliert. Wenn er seine Verkaufspreise absenken würde, dann bräche sein Geschäftsmodell in sich zusammen. Zudem käme zu solchen Antikmärkten nur Laufkundschaft und keine Stammkunden.

Da wir nicht bereit waren, fünfzehn Euro auszugeben, waren wir enttäuscht und schauten uns weiter um. Wir schauten hier, schauten da, schauten nach links, schauten nach rechts und drehten uns wieder um. Der Blick unserer Tochter fiel auf Karten, deren Formate einiges kleiner waren als die Werbetafeln von Volkswagen. Sie sprang zwischen den Automarken französischer, amerikanischer, schwedischer und deutscher Hersteller hin und her. Diesmal war es ein Motorrad von BMW. Mit dem kleineren Format verringerte sich der Preis. Wie bei der Preisgestaltung weithin üblich, belief sich der Preis für die Karte mit dem BMW-Motorrad auf einen Schwellenpreis von 1,99 Euro. Mit diesem sehr niedrigen Preis erübrigte sich das Handeln.

Bereitwillig zahlten wir, und nun ziert das Motorrad der Marke BMW den Schreibtisch im Zimmer unserer Tochter.

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