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noch ein runder Geburtstag

Es war das Datum des 11.11., das unsere Planungen über den Haufen geworfen hatte. Ein magisches Datum für alle Karnevalisten. Deren Eröffnung der Karnevalssession fiel in diesem Jahr auf einen Samstag, so dass sie noch umgebremster, noch spontaner, noch leidenschaftlicher feiern konnten als in den Vorjahren. Mein Schwager Udo, der im Behindertenwohnheim lebt und am 6. November seinen 50. Geburtstag hatte, wäre gerne an dem darauf folgenden Samstag in einem Restaurant lecker essen gegangen. Einen Tisch für all seine Freunde an dem Datum des 11.11. hatten wir nicht bestellen können – wegen der Feierlaune vieler Karnevalisten.

So hatten wir umdisponiert, und wir hatten auch kein schlechtes Gewissen dabei. Einen gefüllten Braten hatten wir besorgt, Nudel- und Kartoffelsalat hatten wir zubereitet, dazu einen Salat aus Tomaten, Gurken, Frühlingszwiebeln. Bofrost hatte uns tiefgefrorene Frikadellen geliefert, die so groß wie ein Tischtennisball waren. Die Geburtstagsfeier zu U’s 50. Geburtstag hatten wir dann kurzer Hand zu uns nach Hause verlegt.

die "50" als Tischdeko

Meine Frau hatte sich fleißig um die Tischdeko gekümmert. Aus ihrem Wohnheim, wo sie arbeitet, hatte sie Girlanden und Lampions organisiert. Wichteln, die wir im Dänischen Bettenlager gekauft hatten, verzierten die aufgetischten Gedecke. Ich hatte noch Baguette besorgt, Getränke standen bereit, und kurz vor 17 Uhr war es dann so weit: seine Geburtstagsgäste fanden sich ein. Mal wurden sie alleine von einem Angehörigen gebracht, mal waren es mehrere, wenn sie zu zweit oder dritt von einem Auto eingesammelt worden waren. Gespannt packte U. im Wohnzimmer seine Geschenke aus. Viele Geldgeschenke waren dabei, ein Gutschein von Saturn, so manche Leckereien wie Mohrenköpfe oder Ferrero Küsschen, ein Buch voller Mandalas, zwei Becher zum Kaffeetrinken, ein Duschgel mit Rasierwasser. Besonders freute er sich über drei mit Schleifen umwickelten Flaschen Weizenbier, die ein außergewöhnliches Schicksal hinter sich hatten. A.H.‘s Schwester hatte sie im Supermarkt gekauft, und, zu Hause angekommen, war der Kronkorken explosionsartig geplatzt und das Bier war übergeschäumt. Beim nochmaligen Einkauf war alles gut gegangen, denn A.H.‘s Schwester hatte jegliche Bewegung der Bierflaschen in der Einkaufstasche unterbunden. Eine besonderes Augenmerk schenkten alle A.B.‘s Geburtstagsgeschenk, das war ein Weihnachtskalender in der Form eines Tannenbaums, dessen 24 Türchen jeweils mit einem Rubbellos gespickt waren. U. strahlte.

U's Geburtstagsfeiern mit seinen behinderten Freunden sind in jedem Jahr etwas besonderes. Wechselweise haben wir mal auswärts gefeiert, mal bei uns zu Hause. Behinderte sind spontan, unvoreingenommen, natürlich, ehrlich, ungehemmt ohne Hintergedanken oder strategisch-taktische Spielereien. Die Feier läuft von Grund auf harmonisch ab. Die Freude stand allen ins Gesicht geschrieben, dass der Anlass ein ganz besonderer war. Viele Kontakte unter den Behinderten hatten Jahrzehnte überdauert, weil sich viele langjährig aus der Schule für Geistig Behinderte, aus der Behindertenwerkstatt oder aus unterschiedlichen Behindertenkreisen kannten, die von den Eltern oder den Kirchen organisiert wurden. Viele Ehrenamtliche halfen dort mit.

U. begrüßte seine Gäste mit einem Sektempfang. Es gab roten Sekt, weißen Sekt, mit Orangensaft und ohne Orangensaft. Meine Vermutung, dass viele Behinderte vom Alkohol Abstand nehmen würden, wurde widerlegt. Es waren nur wenige, die wegen einzunehmender Tabletten auf alkoholische Getränke verzichten mussten. Genüsslich süppelten sie ihren Sekt hinunter, und manche orderten gleich das zweite Glas, was ihre Abläufe und Bewegungen gar nicht einmal beeinträchtigte. Im Anschluss servierten wir den Braten, Salate, Frikadellen, Baguette.

Tischdeko und Geschenke

Je nach Art der Behinderung, entwickelte sich die Kommunikation mal zögernd und schleppend, mal flüssig und oder auch impulsiv. Bisweilen waren Sätze unvollständig oder abgehackt. Manchmal mussten Sätze mehrfach angesetzt werden, um diese auszusprechen. Dann wanderten Blicke durch unser Wohnzimmer, sie fanden sich zusammen und verstanden sich ohne große Worte.

Schon eine Stunde saßen wir zusammen, allen schmeckte es bestens, da klingelte das Telefon. Es war das Behindertenwohnheim, in dem U. wohnte. L. und M. warteten dort und waren nicht abgeholt worden. Ja, L. und M. hatten wir genauso vermisst. N. hatten wir bereits im Ortszentrum abgeholt, weil er den Geburtstag vergessen hatte. Weil wir keinerlei Handynummer von L. und M. hatten, konnten wir ihren Verbleib nicht klären. Gewöhnlich sprachen sich Eltern und Angehörige untereinander ab, wer wen mitnimmt. L. und M. waren dabei vergessen worden. Also setzte ich mich in unser Auto und holte die beiden ab.

A.B., U's frühere Freundin, mischte dann die fröhliche Geburtstagsgesellschaft auf. Sehr oft ging es unter den Behinderten harmonisch zu, doch S. war eine Ausnahme. Anderenorts legte sie sich mit allen anderen an, sie wurde handgreiflich und aggressiv. Als sie A.B. anderswo weggeschubst hatte, schlug A.B. zurück. Ihr Mitteilungsbedürfnis war groß, der Runde zu schildern, wie sie S. in den ARSCH getreten habe. A.B. gefiel das Unwort ARSCH so sehr, dass sie den Satz gleich mehrfach wiederholte. A.B. hatte vielerlei zu erzählen, all die Freuden und Leiden, die Behinderte wahrscheinlich intensiver erleben als Nicht-Behinderte. A.B. hatte Verwandte aus Oberstdorf, wo sie das Weizenbier schätzen gelernt hatte, das sie bis heute gerne trank. Dort hatte man ihr auch gezeigt, in welcher Position man genau das Weizenbier aus der Flaschen in das Glas schüttet. Vor einiger Zeit war ihr Opa aus Troisdorf gestorben, dem sie sehr nachtrauerte. Ihr eigenes Schicksal hatte sie aber auch schwer getroffen. Die Fehlstellung ihres linken Fußes sollte durch eine Operation gerade gestellt werden. Danach war eine offene Wunde geblieben, die sich entzündet hatte. Es musste eine Bluttransfusion vorgenommen werden, da der Blutverlust zu hoch war. Schließlich hatten die Ärzte keine andere Wahl als den Fuß zu amputieren. A.B. konnten nun mit einer Fußprothese wieder laufen.

Vielen sah man die Behinderung nicht an, und S.K. sprühte vor Intelligenz. Mit seinem Down-Syndrom hörte er gerne die Gruselgeschichten von John Sinclair auf CD’s, er hörte gerne Musik von Club 3 oder Jasmin Wagner, die mir als „Blümchen“ ein Begriff war. Natürlich auch Helene Fischer, über die sich Udo an seinem Geburtstag besonders freuen durfte. L. hatte U. eine CD von Helene Fischer geschenkt, dazu noch eine CD von Andrea Berg.

die Feier ist vorbei

An U's Geburtstag wurde noch so manches Weizenbier in der feucht-fröhlichen Runde geleert, in der auch Mineralwasser, Cola, Fanta getrunken wurde. Die 50 war eine Jahreszahl voller Ausstrahlungskraft, die auch andere Geburtstagsgäste ereilt hatte. L. hatte im Mai ihren 50. Geburtstag gefeiert, bei S.K. war es im nächsten Jahr so weit. Er freute sich auf die Feier, stellte sich schon heute einen Berg von Geschenken, eine wilde Feier und sein Elternhaus voller Geburtstagsgäste vor.

Gegen 20 Uhr trudelten die ersten Eltern ein, um ihre Kinder abzuholen. Die Abschiede kleckerten sich dahin. A. gaben wir Nudelsalat mit, weil das Behindertenwohnheim ihn in das betreute Wohnen, eine Wohngemeinschaft mit anderen Behinderten, ausgegliedert hatte. Die Behinderten mussten dort grundsätzlich selber kochen. Das funktionierte eher schlecht, weil seine Mitbewohner am Wochenende stets bei ihren Eltern aßen. Mit dem Nudelsalat konnte er sich dann das Kochen sparen.

Ein bisschen Smalltalk mit den abholenden Eltern oder Geschwistern. Alle schwärmten von der schönen Geburtstagsfeier und freuten sich auf ein Wiedersehen im nächsten Kreis einer Geburtstagsfeier. Oder auf ein Wiedersehen bei einer der zahlreichen Weihnachtsfeiern in der Vorweihnachtszeit.

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