Karl-May-Festspiele in Elspe/Sauerland
In diesem Jahr stand er leibhaftig auf der Bühne. Karl May, noch grauer als sein Anzug waren seine Haare, stieg aus der Kutsche aus, in der Hand eine schwere Reisetasche, und dem Publikum erklärte er, dass er sich den Wilden Westen nur in seiner Phantasie vorgestellt habe. Sein Wissen über diese fremde Welt, über Völker und Eingeborene, seine Landschaftsbeschreibungen, seine Charakterdarstellungen, hatte er sich nur vom Hörensagen und aus Büchern angeeignet. Diese Welt aus längst vergangenen Zeiten machte er, aufrecht vor dem Westernsaloon stehend, lebendig auf der Freilichtbühne in Elspe, als in Fünfergruppen erst Indianer, dann Cowboys und schließlich wieder Indianer in schnellem Galopp auf ihren Pferden an ihm vorbei ritten. Er nannte die Jahreszahl 1866 und die Jagdgründe der Mescalero Apachen. Die Zivilisation der Einwanderer sei weit vorgedrungen in den Mittleren Westen. Ein wesentliches Anliegen sei in seinen Romanen Recht und Gerechtigkeit. Darum ginge es ihm in seinem Buch „Winnetou I“, dass der weiße Mann als Einwanderer gegenüber den Indianern nicht tun und lassen könne, was er wolle.
Festspielgelände
Wenn ich die Zeit genau zurück verfolge, ist es nunmehr das sechzehnte Jahr, dass wir zu den Karl-May-Festspielen nach Elspe im Sauerland pilgern. Die Festspiele bedeuteten für uns Familienspaß und Familienereignis. Unsere großen Kinder haben wir mitgenommen bis zu einem Alter, als sie volljährig wurden, in diesem Jahr war es unsere kleine Tochter, mein Schwager und eine gute Freundin.
In diesem Jahr hatten wir uns eine Variation einfallen lassen. Noch nie hatten wir eine Abendvorstellung besucht, und diesmal mussten wir durch das straff zusammen gestauchte Zeitmanagement, das Puffer- und Wartezeiten zwischen den Vorstellungen des Rahmenshowprogramms reduzierte. Ab 17.15 Uhr unterhielt das Rahmenprogramm, pünktlich um 20.15 Uhr begannen die Festspiele, so dass wir uns in dem Western-Saloon mit dem Abendessen beeilen mussten.
Mit der Action- und Stuntshow legte das Rahmenprogramm in der Showhalle los. Es hagelte Fausthiebe, man schlug sich, prügelte sich, vertrug sich wieder, und all dies an der Grenze von Amerika nach Kanada, wo ein kleinlicher Zöllner den Spaß verdarb. Je nach Lust und Laune ließ er die Menschen über die Grenze – oder auch nicht, und dann setzte es etwas. Menschen konnten in Flammen aufgehen oder auch die Felsklippe hinunter stürzen.
Einfühlsam, wie sich Pferde der Handlung und den einzelnen Szenen anpassen müssen, bereitete die Reitershow das Innenleben der Pferde auf. Ein junger Bursche mit Seitenscheitel, Cowboystiefeln, einer Westernjacke und einem weißen Samthemd erläuterte, dass Pferde nicht von Natur aus für Action-Szenen auf einer Freilichtbühne geeignet sind und daran heran geführt werden müssen. Wenn etwa Schüsse fallen, werden sie aufgeschreckt und drohen unkontrolliert wegzurennen.
Pferdeshow
Zunächst liefen die Reiter mit ihren Pferden einfach nur im großen Kreis herum, dann drehten sie paarweise Pirouetten im kleinen Kreis. Die Situationen waren anfangs harmlos, später aber zunehmend kribbeliger für die Pferde. Zunächst zogen sie ihre Reiter auf hölzernen Skiern hinter sich her, dann kam der Humor ins Spiel. Anscheinend ereignete sich hin und wieder Trunkenheit auf dem Pferd, und da griff der Hüter des Gesetzes gnadenlos durch: ein Zweispänner schleifte den Täter hinter einer Kutsche, angebunden mit einem Seil, auf dem Boden hinter sich her. Geschick wurde den Pferden abverlangt, als diese ihre Tritte über Spaghetti-Nudeln aus Styropor setzen mussten, was sie dann in all ihrer Eleganz bewältigten. Und dann kam das Feuer, eines der höchsten Schwierigkeitsgrade. Auf diese Situation wurden die Pferde gleich dreifach vorbereitet, dass eine Abfolge von drei Signaleffekten das Feuer ankündigte. Zuerst wurde das Fell der Pferde mit einem bestimmten Öl eingerieben, dann wurden ihr Fell mit Wasser abgespritzt, danach ritten sie durch einen Torbogen. Schließlich ritten die sechs Reiter mit ihren Pferden in einer Reihe, ohne dass auch nur ein Pferd aus dem Tritt geriet, durch eine Linie des Feuers von angezündetem Stroh.
Das Rahmenprogramm wechselte nun in die Showhalle zurück. Die Überschrift der Musikshow „Best of Country Music“ irritierte etwas, denn Holly Sheperd aus den USA beschränkte sich mit ihrer Musikgruppe nicht auf die Stilrichtung der „Country Music“, sondern die Stile wechselten zwischen Rock, Pop und Balladen. Vor jedem Stück wanderte ein Punkt auf dem Globus zu demjenigen Land, aus dem das Musikstück stammte. Dabei kam die USA in der Länderauswahl so oft vor, dass der leuchtende Punkt sogleich auf den dazugehörigen Bundesstaat der USA steuerte. Die Hintergrundkulissen mit Fotos aus den wechselnden Ländern passten sich an, und Europa war auch vertreten, namentlich Finnland und Großbritannien, und aus Großbritannien namentlich London. Es war ergreifend, wie der Sänger mit seiner melancholischen und gleichzeitig aufbegehrenden Stimme die Ballade „Streets of London“ sang. Vor dem Hintergrund der Westminster Cathedral wachte ein schlafender Obdachloser gerade auf einer Parkbank auf. Auch bei den übrigen Musikstücken waren Kostüme, Musik und Hintergrundkulissen virtuos und mit vielen Details ausgearbeitet, ein echter Genuss für die Ohren und auch für die Augen.
das Musikstück "Streets of London" in der Musikshow
Nachdem wir uns mit dem Abendessen im Western Saloon beeilen mussten, hatten wir zu Beginn der eigentlichen Festspiele um 20.15 Uhr auf unseren Sitzplätzen Platz genommen. Der Regisseur Jochen Bludau, der 25 Jahre selbst die Rolle des Old Shatterhand gespielt hatte, begann die Abendvorstellung als Karl May mit seinem Prolog. Dargestellt wurde in der Aufführung von „Winnetou I“ das Kennenlernen der beiden Hauptcharaktere Winnetou, des Häuptlings der Apachen, und des Bleichgesichts und Greenhorns Old Shatterhand, den es als Bahnarbeiter in den Wilden Westen verschlägt. Dabei war das Gemengelage von Bleichgesichtern und Indianern kurzweilig und höchst unterhaltsam, da in vielen Szenen die Lachmuskeln strapaziert wurden. Während die Saloonwirtin Miranda mit ihren schlagfertigen Bemerkungen die Runde aufmischte, war der Sheriff Barker stets nur betrunken anzutreffen. Einmal glaubte der Sheriff Barker, eine Ladung Dynamit sei neben den Eisenbahnschienen vergessen worden. Er transportierte sie in den Saloon, übersah bei diesem Manöver allerdings die brennende Zündschnur, so dass eine Explosion im Saloon unvermeidlich war. Unnachahmbar dürfte auch das Lachen eines Sam Hawkins sein mit seinem Spruch “wenn ich mich nicht irre … hihihihi“.
Bleichgesichter und Indianer hatteen derweil mit der Santer-Bande zu tun, die auf der Suche nach dem Goldschatz der Apachen war und gegen alle kämpfte, die sich ihnen in den Weg stellten. Im Kampf gegen die Bösewichte der Santer-Bande entwickelte sich über Umwege eine Freundschaft zwischen den beiden Hauptdarstellern. Nachdem sich Apachen und Bahnarbeiter zunächst als Feinde gegenübergestanden hatten, wurden Old Shatterhand und Winnetou Blutsbrüder. Auf der Jagd nach dem Goldschatz töteten die Gauner dann schließlich Winnetous Vater Klakhi-Petra und seine Schwester. Für Old Shatterhand war es gleichzeitig das tragische Ende seiner jungen Liebe zu Nscho-Tschi, Winnetous Schwester. Winnetou und Old Shatterhand vernichteten schließlich die Bösewichte zum großen Finale am „Nugget tsil“, wo der Goldschatz der Indianer lagerte. In der Schlussszene stürzte Bösewicht Santer am Wasserfall spektakulär und brennend 20 Meter tief in den Tod.
Festspiele auf der Freilichtbühne
Am Ende der Vorstellung dauerten die Verabschiedung und der Applaus schier endlos, als Winnetou, Old Shatterhand, Sam Hawkins und andere Schauspieler jeweils einzeln nach vorne traten, sich auf ihrem Pferd verbeugten, ins Publikum lächelten, zuwinkten und zurücktraten, bis der nächste an der Reihe war. Der Beifall bauschte sich auf, Wellen der Begeisterung strömten den Schauspielern entgegen, die bunt kostümiert in Reih und Glied standen. Dann flaute der Beifall ab, bis der nächste Darsteller sich mit seinem Pferd dem Publikum zuwandte.
Bis wir zu unserem Auto auf dem Besucherparkplatz schritten, warteten wir noch eine Weile. Längst war es stockfinster in der Nacht, und gegen 23 Uhr war es soweit, dass wir in der Schlange wegfahrender Autos das Gelände verlassen konnten. Über die Bundesstraße B55 ging es dann weiter nach Hause.