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Urlaubstagebuch Freiburg - Titisee

Das Ergebnis war knapp, und im Endeffekt konnte ich mich nicht durchsetzen. Zwei Stimmen für die Schiffstour, eine Enthaltung und eine Stimme für die Drei-Seenbahn. Wie in Demokratien üblich, tauschten wir Argumente und Gegenargumente aus, darunter das Argument des Umweltschutzes und dass mit Kohle betriebene Dampflokomotiven wahre Drecksschleudern seien. Unmassen von CO2 würden ausgestoßen, und da wir uns für Schiffstour entschieden hatten, musste ich auf die Faszination für eine alte Technik und auf einer Route abseits der Touristenströme verzichten. Die Drei-Seenbahn hätte uns auf Eisenbahngleisen durch die Einsamkeit des Schwarzwaldes entlang des Titisees, des Windgfällweihers und des Schluchsees geführt.

Von Freiburg aus kommend, wählten wir die geradlinige Verkehrsverbindung über die Bundesstraße B31, eine Verkehrsverbindung, die sich nach einem vierspurigen Ausbau verengte, danach stetig anstieg und im Höllental und der Ravenna-Schlucht markante Akzente von Gesteinsformationen setzte. Die Autofahrt über die Bundesstraße war entspannt, wenn man den Straßenverlauf etwa mit demjenigen vom Simonstal nach Furtwangen vergleicht, der mir auf der Fahrt nach Triberg höchste Konzentration abverlangt und einigen Respekt eingeflößt hatte.

Dass die Sprache und der Dialekt gepflegt wurden, das bewiesen die Hinweisschilder an den Rastplätzen. Die Sprachformen und Mundarten des Schwarzwaldes benannten sich nach dem Volksstamm, der in Südwestdeutschland die Römer verdrängt hatte, das waren die Alemannen. Die alemannischen Wortschöpfungen der Rastplätze klangen urgemütlich. In einer „Tschuuderecke“, einem „Teufelsschwänzli“ oder einem „Verschnuufeckli“ dürfte man es gut aushalten, um eine Verschnaufpause einzulegen.

Hinweisschild auf Alemannisch

Ein „Verschnuufeckli“ der Alemannen im Höllental dürfte allerdings ein reines Fantasieprodukt sein, denn die Alemannen taten es den Römern gleich und breiteten ihre Gutshöfe und Dörfer nur selten in den Seitentälern des Schwarzwaldes aus. Den Schwarzwald betrachteten sie als eine Art von Niemandsland, den der Römer Tacitus Jahrhunderte zuvor als „mons abnoba“ beschrieben hatte: „ … in diesem Wald habe ich unglaubliche Naturszenen gesehen. Wer das Thelassische Tal Tempe oder die Engpässe bei Thermopyle oder den großen gefürchteten Berg Taurus in Asien für schwer gangbar hält, hat nur einen kleinen Maßstab für die Unzugänglichkeit dieses Waldes …“ Die Oberrheinische Tiefebene war durch Römerstraßen erschlossen, so die Nord-Süd-Verbindung von Offenburg nach Basel, während Querverbindungen über den Schwarzwald auf die Schwäbische Alb fehlten, wenn man von Funden einer Römerstraße im Kinzigtal bei Offenburg absieht. Um 1200 waren es die Zähringer, die erste, befestigte Wege durch das Höllental anlegten.

Aber nicht nur die Alemannen sorgten in diesen Gegenden des Schwarzwaldes für eine Wortverwirrung, denn Schwaben und Badenser beteiligten sich im Verlauf der Geschichte an diesem Verwirrspiel. Nachdem die Alemannen ab dem 6. Jahrhundert vom Ostfrankenreich aufgenommen wurden, herrschten zwei Jahrhunderte lang, ungefähr von 1100 bis 1300, die Herzöge von Schwaben im Schwarzwald, als die Staufer den römisch-deutschen Kaiser stellten. Badisch wurde der Schwarzwald erst rund fünf Jahrhunderte später, als nach dem Untergang Napoleons den Herzögen von Baden im Wiener Kongress 1815 ein eigenes Herzogtum zugestanden wurde. Nun besinnt man sich in der Gegenwart wieder auf die Alemannen zurück, indem man Mundarten und Dialekte mit diesem längst verschollenen Volk in Verbindung bringt. Glaubt man den Sprachforschern, so haben die vereinigenden Elemente Alemannischer Mundarten nicht nur im Badischen, sondern auch in Württemberg, Bayern, Österreich, ja, sogar in der Schweiz und im Elsass Wurzeln geschlagen.

Die Anfahrt in den Ortskern von Titisee war kurz und knapp, nachdem wir die Bundesstraße B500 verlassen hatten. Der Ortskern war nicht zu verfehlen, und genauso eindeutig wiesen die Hinweisschilder auf einen einzigen Großparkplatz, der auf der dem Bahnhof zugekehrten Seite lag, nachdem wir unter eine Bahnunterführung hindurch geschlüpft waren. Um die Mittagszeit wurde uns rasch bewusst, dass wir nicht die einzigen waren, die den Titisee erkunden wollten. Wir mussten suchen, die entfernten Ecken des Großparkplatzes sichten, bis wir einen freien Parkplatz fanden. In Zeiten islamistischer Terroranschläge und der Unbeliebtheit von Reisezielen in der Türkei oder in Nordafrika dämmerte uns, dass deutsche Reiseziele, darunter der Schwarzwald, von der Verlagerung dieser Touristenscharen profitierten, Touristen, die sich nicht durch den ruppigen Wind bei stark abgekühlten Temperaturen abschrecken ließen.

Kitsch in der Fußgängerzone

Gerne hätte ich mir am Bahnhof eine Dampflok der Drei-Seenbahn angeschaut, doch daraus wurde nichts, weil unsere Ankunfszeit außerhalb der Abfahrtszeiten der Drei-Seenbahn lag. Anstatt dessen marschierten wir mit dem Tross anderer Touristen unter die Bahnunterführung hindurch, wo uns Schilder einen sicheren Weg zum Seeufer wiesen.

Nachdem Alemannen und Franken die Tiefebene besiedelt hatten, passierte Jahrhunderte lang wenig auf den Höhen des Schwarzwaldes, so auch in Titisee. Es ist eine Schnapszahl, nämlich das Jahr 1111, an dem der Titisee zum ersten Mal in der Geschichte erwähnt wurde. Vom 4. September 1111 datiert eine Urkunde von Kaiser Heinrich V. darüber, dass ein adeliges Paar namens Bernhard und Bertha von Saig dem Benediktinerkloster Allerheiligen zu Schaffhausen ihr Gut und den „Titinsee“ samt einer Wiese dort schenken. Es soll dort also ein Gutshof gestanden haben. Dazu könnte passen, dass im Jahr 1840 am Ausfluss des Titisees auf einem Hügel zwei vollständig erhaltene Sarkophage aus Tuffstein gefunden waren. Obschon diese auf das 12. Jahrhundert datiert werden konnten, konnten keine weiteren Schlüsse auf die Besiedlung des Titisees gezogen werden, da weder Knochen noch Grabbeigaben gefunden wurden.

Danach geschah zwar so manches auf den Höhen des Schwarzwaldes: Burgen wurden gebaut, Städte mit Festungen umgeben, Heere marschierten auf, Kriege wurden geführt, doch all diese Entwicklungen gingen am Titisee vorbei. An der Einsamkeit und Verlassenheit des Titisees vermochte auch die Straßenverbindung durch das Höllental nichts zu ändern, die eigens für die Hochzeit von Marie Antoinette mit Ludwig XVI., deren Brautzug 1770 mit 250 Zug- und Reitpferden von Donaueschingen nach Freiburg ritt, ausgebaut wurde. So wurde der Titisee erst spät, mit der Industrialisierung, erschlossen.

Gästehäuser, Hotels, Pensionen, Ferienwohnungen. Als wir mit dem Tross anderer Touristen unter die Bahnunterführung hindurch marschierten, führte unser Fußweg automatisch an Unterkünften und Übernachtungsmöglichkeiten vorbei, die in Titisee so reich vorhanden waren wie in den übrigen Urlaubsgebieten des Schwarzwaldes. Je nach Lage und Geldbeutel konnte der Feriengast wählen, ob er in einem Wellnesshotel mit karibischem Feeling in der Palmenoase oder in einem einfachen Schwarzwälder Bauernhaus unterschlüpfen wollte.

Doch dem war nicht immer so, denn der Tourismus war eine verhältnismäßig junge Erscheinung. Noch 1873 klammerte sich ein einziges Gasthaus an den Ufern des Sees, und dies sollte sich erst mit dem Bau der Eisenbahnverbindung durch das Höllental entscheidend ändern. Das war 1887, als die Höllentalbahn von Freiburg nach Titisee gebaut wurde und der Bahnhof Titisee eröffnet wurde. 1887 war in Titisee erst einmal Schluss, denn die schwierigen Felsschluchten und die Tunnelbauten durch das Höllental hatten so viel Geld verschlungen, so dass dieses für den Weiterbau der Eisenbahntrasse nach Donaueschingen fehlte.

Dasselbe Schicksal erlitt die Drei-Seenbahn, die als Anbindung über St. Blasien bis an den Hochrhein angedacht war, wo sie entweder in Bad Säckingen oder in Waldshut auf die Hochrheinbahn Basel – Singen/Hohentwiel treffen sollte. Hätten nicht die Verantwortlichen im Fremdenverkehr ihr Ziel so hartnäckig verfolgt, wäre die Drei-Seenbahn wahrscheinlich nie zustande gekommen, dazu war die strategische und wirtschaftliche Bedeutung einfach zu gering. 18 Jahre waren geplant und gebaut worden, bis das gerade zwanzig Kilometer lange Stück bis Seebrugg im Jahr 1926 eröffnet wurde. Das Schicksal der Drei-Seenbahn klingt abenteuerlich, dass eine Stilllegung der Stichstrecke in der dünnen Besiedlung des Hochschwarzwaldes bis heute verhindert werden konnte. Auch der Betrieb der Dampfeisenbahn wird dazu einen Beitrag geleistet haben.

Bootsfahrt auf dem Titisee

Längst hat der Tourismus den Ortskern und die Fußgängerzone aus dem Boden gestampft. Das Menschengelage aus aller Welt schlenderte, bummelte, schaute hier, schaute da. Schwarzwalduhren, Bollenhüte, Kuhglocken. Die Fußgängerzone bediente allerlei Klischees, was der von weit angereiste Tourist gemeinhin mit dem Schwarzwald verband. Ein Abklatsch der wirklichen Schönheit, die der Schwarzwald dem durch Rummel und Attraktionen gelenkten Blickwinkel des Touristen verbergen musste. Die Charakterformen des Schwarzwaldes taten sich schwer, ihr Gesicht zu wahren. Anstatt dessen überschwemmten Andenkenläden und Souvenirs den kleinen und übersichtlichen Fußweg durch die Fußgängerzone an das Seeufer.

Das Schwarzwalddorf war so etwas wie die Wiege des Kitsches. Schon der Name war klug gewählt, weil man allerlei damit assoziierte, was den Schwarzwald ausmachte. Touristengerecht, international und weltoffen nannte es sich auch „Black Forest Village“, in dem die einfachen Dinge des täglichen Bedarfs zu haben waren, Bierkrüge, Hüte, Stofftaschen, Kappen, Spielzeuge wie Fidget Spinners oder Halsketten. Marktschirme spannten sich weit in die Fußgängerzone hinein. Emojis lächelten aus gelben Rundkissen. Halstücher, gestreift, grün-gelb gemustert, gepunktet, aus Polyacryl, mit Spitzen, mit Bommeln an den Enden baumelten an Verkaufsständern. Ein anderer Verkaufsständer auf Rollen versuchte, mit einem Sonderpreis von vier Euro seine Airbrush-Tattoos unters Volk zu schmeißen. Deutsches Kulturgut wechselte in die Variante des Kitsches, als das Volkslied „Muss I denn, muss i denn zum Städele hinaus“ in diesen Krimskrams hinein trällerte. Es fehlte nur noch Elvis Presleys Stimme, die dieses in Englisch vertonte Volkslied als „Wooden heart“ weltweit exportiert hatte.

Wie gut, dass wir uns um Erkältungen jeglicher Art nicht zu sorgen brauchen. Dagegen hatte die Apotheke ein Gegenmittel: Tannenblut – die Urkraft des Schwarzwaldes in der Erkältungszeit. Die lose Verknüpfung, was Touristen mit dem Schwarzwald verbanden, riss auf dem Fußweg zum Seeufer nicht ab. In dem Andenkenladen ein Stück weiter gab es Bierkrüge zu Hauf, und nicht aus dem Schwarzwald stammende Biertrinker konnten den Genuss ihres Getränkes in einem Bierglas mit aufgedruckten Bollenhüten, einem daher gemalten Triberger Wasserfall oder dem Seesymbol des Titisees veredeln. Wer sich schwarzwaldmäßig bekleiden wollte, der hatte in einem Beleidungsgeschäft für Moden und Trachten des Schwarzwaldes eine ansprechende Auswahl.

Der Rummel riss am Seeufer nicht ab, was allerdings unsere Tochter anspornte. Ein Riesenrad beherrschte den Titisee, drehte seine Kreise, die Gondeln wippten jedesmal ruckartig , wenn das Rad stoppte, damit die neuen Fahrgäste einsteigen konnten. Fasziniert von dem Anblick, sich hoch hinaus in Lüfte tragen zu lassen, zog es unsere Tochter auf das Riesenrad, und so ich durfte mit ihr zusammen einsteigen. In der Höhe baumelnd, spürte ich schnell das schwindlige Gefühl, irgendwo in luftiger Höhe zu schweben, doch mit der gleichmäßigen Drehbewegung des Riesenrades stellte ich fest, dass ein Riesenrad keine Achterbahn ist. An dieses Auf und Ab konnte man sich gewöhnen, und der Blick von oben faszinierte: auf diesen vor einem unermesslich langen Zeitraum von 10.000 Jahren entstandenen See, als sich eine Gletscherzunge das Tal hinunter nach Freiburg erstreckte. In der letzten Eiszeit hoben und senkten sich die Gipfel und Täler des Schwarzwaldes, dabei schichteten sich Steinmassen aus dem Gletscher auf, sie verhinderten das Abfließen des Wassers ins Tal, das sich staute und drei miteinander verbundene Seen formte, den Titisee, den Windgfällweiher und den Schluchsee.

Unter uns, vom Riesenrad aus, schauten wir steil auf die Stelle des Seeufers hinab, wo die eiszeitlichen Geröllmassen den See gebildet hatten. Dort schwärmten nun die Ausflugsschiffe aus, die in einer halbstündigen Rundfahrt den länglichen, wie eine Zunge geformten See erkundeten. Hautnah erlebten wir auf dem Riesenrad den Wetterumschwung. Ein ruppiger Wind, der die Hitze der vergangenen Tage abgelöst hatte, blies uns um die Ohren, er wühlte die Seeoberfläche auf und ließ uns auf achthundert Meter Höhe frösteln, weil wir keine Jacke angezogen hatten.

Bei der anschließenden Bootsfahrt trauten wir uns zögernd auf die Deckfläche des Ausflugsschiffes, während wir uns die meiste Zeit in dem behaglichen, überdachten Rumpf des kleinen Schiffes vor der rauen Gepflogenheiten des Wetters schützten. Umhüllt von der schroffen Topografie des Schwarzwaldes, rankten sich allerlei Sagen um den See. Angeblich soll eine Stadt in dem See untergegangen sein, und dies als Strafe dafür, dass ihre Bewohner Brotfrevel begangen hatten. Sie höhlten Brotlaibe aus, um sie als Schuhe zu gebrauchen. Eine andere Sage erzählte, dass grauenhafte Stimmen aus dem See erklangen. „Ergründest Du mich, so ersäufe ich Dich“, sollen sie gerufen haben, obschon der See nur rund vierzig Meter tief ist. Oder sie riefen: „Willst Du mich messen, will ich Dich fressen.“

Indes war die Fahrt über den See harmlos, das Ausflugsschiff hüpfte über die Wellen, der Elektroantrieb des Bootes surrte vor sich hin, weil Motorboote verboten waren, der Wind fegte über das Vorderdeck. Niemand hatte Angst, gefressen zu werden. Die Rundfahrt war eine überschaubare Angelegenheit. Auf der Höhe des Campingplatzes, wo das Ausflugsschiff wendete, wechselte der See in einen kurzen Ausdruck von Einsamkeit und Unberührtheit, als würden sich an dieser Stelle die Touristenströme zerlaufen. Eine grau-weiße Villa mit Turm und hoch aufkragendem Dach, ein Strandbad, ein Kurpark: zunächst stiegen die Berghänge wild an, in dessen Lücken erspähten wir zwischendurch die gierigen Rauchschwaden, die die Dampflok der Drei-Seenbahn hinaus stieß. Doch das Dampfross verschwand viel zu schnell, das ansteigende Geländeprofil mäßigte sich, flachte über Wochenendhäuser ab in das seichte Niveau der Seepromenade mit der vertrauten Kirche, dem vertrauten Riesenrad, Hotels und Restaurants, die sich natürlich in reicher Auswahl am Seeufer gruppierten, und dem Anlegesteg, wohin uns das Ausflugsschiff zurück brachte.

Schwarzwälder Kirschtorte

Um einzukehren, entschieden wir uns aus dieser reichen Auswahl von Hotels und Restaurants für das Café Restaurant Seeblick. Wir überlegten nicht lange, ließen uns von dem Menschengewimmel an der Eingangstüre nicht beeindrucken, die in das große, aus einem Hauptbau und einem Querbau bestehende Gasthaus hinein führte. In den Innenräumen, die vor Menschen überquollen, hatten wir Glück, dass wir genau einen freien Tisch für vier Personen erwischten.

Das innere Ambiente wähnte mich in den Sechzigerjahren. Teppichboden aus angestaubtem Grün mit Blümchenmuster, ein Karomuster in der Stuhllehne, eine Deckenlampe aus acht Einzellampen, dessen Lampenschirme in Kunststoff eingefasst waren. Das biedere Erscheinungsbild tat dem Besucherandrang keinen Abbruch.

Eine gewisse Magie kann ich den Restaurant- und Cafébesuchen nicht absprechen, wenn ich dem Geschmack des Schwiegervaters folge, ein Stück Schwarzwälder Kirschtorte zu essen. Das ist nicht irgend eine Kuchensorte, sondern eine, die wir ganz original in der Region der Namensgebung essen. Der Genuss ist perfekt, die Kuchenstücke sind mächtiger als sonst wo, der Geschmack der aromatisierten Kirschfüllung im Schokoladenbiskuitboden zerfloss im Gaumen. Das ist so wie mit den Fritten in Belgien, dass die Gastronomen in der Herkunftsregion es am besten können. Hier war es ein Touristennest im Schwarzwald.

Während allerdings der Chronist Joseph Gérard 1781 berichtet, dass die Einwohner von Namur, Huy und Dinant – Städte, die zweifelsfrei in Belgien liegen - ihre Kartoffeln in eine längliche Stäbchen schnitten und frittierten, liegen bei der Schwarzwälder Kirschtorte die Verhältnisse anders. Wer hätte gedacht, dass ein Rheinländer, nämlich der Konditor Eugen Agner aus Bad Godesberg die Schwarzwälder Kirschtorte als seine eigene Kreation für sich reklamiert hatte ?

1887 war der Konditorgeselle Josef Keller aus dem schwäbischen Riedlingen an der Donau auf Wanderschaft gegangen, die ihn ins Rheinland führte. Mitten in seine Wanderschaft hinein platzte der Erste Weltkrieg, so dass er im Mai 1915 einberufen wurde. Da er nicht mehr der Jüngste war, wurde er nicht an der Front verheizt, sondern in einer Feldbäckerei eingesetzt. Dort begegnete er dem Godesberger Konditor Eugen Agner, ebenfalls ein gebürtiger Schwabe, der sein im Zentrum von Godesberg seine Konditorei betrieb. Die beiden wurden Freunde, und als der Große Krieg vorbei war, arbeiteten die beiden Schwaben Hand in Hand. Die beiden experimentierten und nutzen die reiche Kirschenernte im Jahr 1927, um ihren Café-Gästen Sahne und Kirschen als Beilage zu ihrer Kuchenauswahl zu reichen. Dann hatte Josef Keller die Idee, daraus eine Torte herzustellen. Unter seine Kirschsahne legte er einen Boden, streute Schokoladenspäne oben drauf und veredelte das Ganze mit Schwarzwälder Kirschwasser. Nach dem hochprozentigen Wässerchen nannte er seine Kreation "Schwarzwälder Kirschtorte".

im Haus der 1.000 Uhren

In der frühen Nachmittagszeit begann das Lokal, sich etwas zu leeren. Die Enge zu den angrenzenden Tischen war nicht mehr so bedrückend. Ich warf einen Blick auf die Stillleben auf der verblassten und mit einer Rauhfaser tapezierten Wand, Stillleben, dessen lebendige Schattierungen von Rot die bauchigen Vasen mit Zweigen von Johannisbeeren ausfüllten.

In der Fußgängerzone zurück gekehrt, ließ ich es mir nicht nehmen, in die Tiefen einzudringen, was es mit den Kuckucksuhren auf sich hatte. Die Touristenströme schleiften uns mit, das Seeufer entfernte sich, wir steuerten den Rückweg zu unserem Parkplatz an. Ich wagte mich hinein in das Getümmel bei „Brunners Welt der 1.000 Uhren“. Was Inneren des Ladenlokals vor sich ging, war höchst ambivalent. Das Volk von Touristen war bunt, und fernöstliche Besucher aus Japan oder China waren nicht zu übersehen. Kuckucksuhren waren in einer solchen Auswahl zu haben, als wären die Wände damit tapeziert. Die Schönheit und das individuelle Aussehen jeder Uhr ging unter in deren Masse. Was Touristen aus aller Welt kaufen konnten, war qualitativ hochwertige deutsche Handwerkskunst, die sich der industriellen Massenproduktion entzog. In Kleinbetrieben wurde alles mit der Hand gemacht.

Mit Schablonen wurden Umrisse in Holzplatten eingezeichnet, Rahmen wurden heraus gesägt, Gehäuse zusammen geleimt, eine Kuckucksuhr bestand aus unzähligen Einzelteilen, Verzierungen, Ornamenten, Figuren. Hölzerne Dachschindeln wurden aus einer Vorlage heraus gestochen, Stechbeitel schnitten die Verzierungen in die Oberfläche, sehr scharfe Messer machten sich an Figuren heran, um etwa Gesichtszüge heraus zu arbeiten. Die Farben erhielt die Kuckucksuhr in einem Beizbad, und besonders die Uhr und das Kuckucksgeräusch waren feinste mechanische Präzision. Ein Blasebalg blies in Pfeifen hinein, die die Tonlage des Kuckucksgeräusches erzeugten. Die qualitativ hochwertige deutsche Handwerkskunst hatte dann auch ihren Preis. Selbst kleinere Exemplare landeten schnell in einem hohen dreistelligen Euro-Bereich. Aber dafür konnte der Käufer sein Gewissen beruhigen, denn hier wurden weder Arbeiten in Niedriglohnländer verlagert noch heimische Leih- und Zeitarbeiter zu Billiglöhnen eingekauft.

Als wir uns in gemächlicher Ruhe samt Rollator zum Parkplatz am Behnhof zurück bewegt hatten, sollte ich abermals die Drei-Seen-Bahn verpassen. Mit Werbung und Promotion für die Drei-Seen-Bahn wurde nicht gegeizt, dazu hatte die Interessengemeinschaft der Drei-Seen-Bahn ihren Stand auf dem Bahnsteig plaziert. Auf einem Hochglanzplakat ratterte eine Dampflok in all ihrer Schwere durch den Schwarzwald. Sie fuhr zu jeder Jahreszeit, auch durch den Schnee. Eine halbe Stunden hätten wir noch im Bahnhof verharren müssen, um kru nach 16 Uhr die Abfahrt der Drei-Seenbahn miterleben zu können.

Hinweistafel auf die 3 Seenbahn

Doch so weit kam es dann nicht, weil uns nicht nach Warten zumute war. Gemessen an unseren Fähigkeiten, was wir zu Fuß erkunden konnten, war der Ausflug zum Titisee ein rundes Familienerlebnis. Was war aber mit all den anderen Touristen, die uneingeschränkt mobil waren ? Welchen Charaktertyp beschrieben diese anderen Touristen, die sich einfach nur ins Menschgetümmel hinein stürzten, um dann wieder nach Hause zu fahren ?

So sortierten wir uns auf dem Parkplatz in unser Auto ein, wir studierten die all die fremden Autokennzeichen, die von weit her kamen. Urlauber, so wie wir, von denen einige Kennzeichen, so wie wir, in NRW beheimatet waren, oder andere Urlauber, deren Kennzeichen ganz weit weg, aus Schleswig-Holstein oder den neuen Bundesländern kamen. Wir sichteten Kennzeichen mit den Endziffern 67 und 68, die aus den Departements des Elass im Frankreich kamen, oder Kennzeichen mit einem weißen Kreuz auf einem roten Wappen, die Schweizer Kantonen zuzuordnen waren.

Allmählich leerte sich die Blechlawine auf dem Parkplatz hinter dem Bahnhof, wir verließen das Gemengelage von internationalen Autokennzeichen, und die Einbahnstraße führte uns ganz weit weg, abgewandt vom Ortskern, aus Titisee heraus. Hinauf auf die Bergkuppen des Schwarzwaldes, über die die Windstöße unverändert hart hinüber bliesen, zurück über das Höllental nach Freiburg.

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