Tulpen und der erste Börsencrash im Jahr 1637
Die Königin der Tulpen trug ihr Haupt hoch, so kamen die leuchtenden Farben noch besser zur Geltung: Blau am Blütenboden, wo der schlanke Stil ansetzte, nach oben übergehend in ein reines Weiß, aus dem blutrote Flammen zur Spitze hin züngelten. "Semper Augustus" tauften die Züchter ihr Wunderwerk. Dieses in natura betrachten zu dürfen, daran durfte nur ein exklusiver Kreis von Freunden und Gönnern teilhaben. Von der seltensten und teuersten Sorte zirkulierten in den Niederlanden zeitweilig nur rund ein Dutzend Tulpen-Zwiebeln, und deren Preis war unerschwinglich: 1.000 Gulden verlangten Händler zu Beginn des Jahres 1623 für eine "Semper Augustus", ("Allzeit erhaben"), eine Summe, für die ein normaler Arbeiter rund sechs Jahre schuften musste.
Ursprünglich eine Wildpflanze in den Hochtälern Zentralasiens, fand die Tulpe ihren Weg über Persien und das Osmanische Reich in die Niederlande. Ab 1593 widmete sich der flämische Botaniker Carolus Clusius, der zuvor Präfekt des Kaiserlichen Heilkräutergartens in Wien war, intensiv der Tulpenzucht. Er hatte einen Lehrstuhl für Botanik an der Universität Leiden inne und forschte, züchtete, selektierte, kreuzte und veredelte Tulpenarten auf den Feldern zwischen Leiden, Haarlem und Amsterdam, in immer neueren exotischen Farbtönen. Mit seiner humanistischen Bildung und seiner Wertschätzung für Pflanzen baute er ein Netzwerk auf, das die unteren mit den gehobenen Gesellschaftsschichten verband.
Bald avancierte die Tulpe zur Modeblume der Reichen und Schönen, sie verlieh den Gärten einen Hauch von Extravaganz und Exotik. Ein Statussymbol nach dem Geschmack der Niederländer, erlaubte sie aufstrebenden Bürgern und Kaufleuten, auf botanisch-bescheidene Art den eigenen Reichtum zur Schau zu stellen. Die Tulpe hatte zudem ein Alleinstellungsmerkmal: eine Tulpen-Mutterzwiebel bringt nur wenige Brutzwiebeln hervor, so dass sie sich nur in begrenzter Anzahl vermehren kann. Mit der Schöpfung neuer Tulpenarten schossen die Preise in astronomische Größenordnungen. 1633 kostete die Zwiebel der „Semper Aurora“ 5.000 Gulden. Dann überholte die „Semper Augustus“ wieder die „Semper Aurora“: 1637 verdoppelte sich der Tulpenzwiebelpreis auf 10.000 Gulden, eine Summe, mit der sich mühelos ein großes Stadthaus an einer der vornehmsten Grachten Amsterdams erwerben ließ.
Inzwischen hatte 1602, mit der Gründung der ostindischen Kompanie, das Zeitalter der Börsen, Aktien und Warentermingeschäfte begonnen. 1609 eröffnete die Börse in Amsterdam auf dem heutigen Beursplein. Sie gab Aktien aus für den Aufbau der Schiffsflotte der ostindischen, später der westindischen Kompanie. Nicht nur Aktien und Staatsanleihen, sondern auch Blumen weckten bald die Begierden der Investoren nach schnellem Geld und schnellem Reichtum.
Gehandelt wurde mit Blumenzwiebeln zunächst während der Pflanzzeit in den Sommermonaten, dann dehnte man den Zeitraum aus auf Tulpenzwiebel, die sich noch in der Erde befanden und erst später, nach der Blüte, ausgegraben wurden. Spekulationsgeschäfte, die heutigen Zockerpapieren wie Optionsscheinen, Derivaten, Futures oder Swaps vorgriffen, schlossen eine Wette auf die Zukunft ab. Niemand konnte vorhersagen, wie die gehandelten Tulpen aussahen, ob sie in der neuen Saison überhaupt blühen würden, und aufgrund dieser schwammigen Geschäftsgrundlage wurden harte Verkaufspreise ausgehandelt. Gehandelt wurde an der Amsterdamer Börse, aber auch vor Ort in der Nähe der Tulpenfelder, wo sich der Handel in Wirtshäuser oder Veranstaltungshallen verlagerte.
Von 1635 an dealten die Spekulanten mit Tulpen-Derivaten, es gab Anteilsscheine auf Tulpen-Zwiebeln und handelbare Bezugsrechte, ganzjährig wurden Terminkontrakte abgeschlossen. Da die Tulpenzwiebeln mitunter noch im Erdreich steckten, wiesen Schuldscheine und Schilder in den Beeten die künftigen Besitzer und das Datum des Bezugs aus. Die Preisexplosion verlockte zu Zwischengeschäften. Eine Luftblase von Vermögenswerten blähte sich auf, die der Markt in künstliche Höhen geschossen hatte. Floristen verkauften Tulpen, die sie nicht liefern konnten, an Käufer, die nie die Absicht hatten, diese Zwiebeln einzupflanzen. Manche Tulpen wechselten zehnmal pro Tag den Besitzer, ohne dass auch nur einer von ihnen die Zwiebel, geschweige denn die Blüte jemals zu Gesicht bekommen hätte. Doch der Einbruch des Marktes für Tulpen blieb so lange aus, wie frisches Kapital in den Spekulationskreislauf floss.
Der Börsencrash nahm im Februar 1637 seinen Lauf: Bei einer Auktion in einem Schankkollegium von Haarlem konnte der Auktionator die geforderten Preise nicht erzielen und musste Abschläge zugestehen. Diejenigen Investoren, die erst spät eingestiegen waren, fuhren nun plötzlich Verluste ein. Die Neuigkeit machte die Runden durch alle Schenken der Stadt und bald darauf durchs ganze Land. Immer mehr Besitzer von Tulpen-Zwiebeln wollten schnell verkaufen, die Preise fielen ins Bodenlose. Die meisten Spekulationspapiere waren mit einem Schlag wertlos geworden. So wie im Jahr 2008 die Immobilienblase platzte und die Lehman Brothers Bank in den Ruin trieb, so verlor mancher Tulpenhändler sein gesamtes Hab und Gut, das er auf seinen Wunschtraum verwettet hatte, wie sich der Marktpreis bei Tulpen entwickeln würde.
Ähnlich wie im Jahr 2008, griff die Obrigkeit ein, um das vollständige Chaos zu vermeiden. Die Städte bildeten Schlichtungskommissionen, die festlegten, dass alle offenstehenden vertraglichen Verpflichtungen durch Zahlung von 3,5 Prozent des ursprünglichen Kaufpreises abgegolten werden konnten. Ging es 2008 darum, einen Dominoeffekt bei Banken zu verhindern, so mussten im Jahr 1637 die Züchter ihren Beitrag leisten, um ein Übergreifen der Krise auf andere Wirtschaftssektoren zu vermeiden.
In ihrem Ablauf haben die Börsencrashs, die auf der Spekulationsblase bei Tulpen im Jahr 1637 beruhen und auf der Immobilienblase aus 2008, einiges gemeinsam: Insider, Kenner und Liebhaber trieben die Marktpreise in die Höhe, dem das massenhafte Auftreten von Spekulanten mit undurchsichtigen Finanzprodukten folgte, bis die Ordnungshüter nach dem Crash intervenierten.