die Flüchtlingskrippe in der Kirche St. Maria Lyskirchen
Auf hoher See, in den unendlichen Weiten des Ozeans wird der Mensch als gehandelte Ware zu einer anonymen Nummer. Er wird abkassiert, gnadenlos. Die Gewinne mit Flüchtlingsbooten gehen in die Hunderttausende von Euro. Gefahren werden klein geredet. Boote, für die keinerlei Qualitätsstandards gelten, werden angeheuert. Einhundert Kilometer trennen den afrikanischen Kontinent von Europa über das Mittelmeer. Anonyme Nummern von Menschen sind auf den Booten zusammen gepfercht, wie eine Viehherde, und drohen, vor Platzangst zu ersticken. Boote dümpeln vor sich her, der Wellengang kann sie heftig durch schütteln, sie können so sehr schwanken, dass sie zu kentern drohen. Wenn sie kentern, kann es geschehen, dass die Anonymität der Wassermassen sie auf immer verschlingt.
Das Flüchtlingsboot, welches Schleuser auf der Route von Libyen eingesetzt haben, hat eine lange Reise hinter sich. Es ist nicht anonym, sondern trägt eine genaue Nummerierung. "S17662" steht in schwarzer Schrift auf den weißen Planken des Holzbootes. Nachdem es von der Armee Maltas beschlagnahmt worden war, hatte es der Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki nach Köln verfrachten lassen. An Fronleichnam diente es auf dem Roncalliplatz vor dem Dom als Altar. Danach wurde es im Dom ausgestellt als Mahnmal für die Not der Flüchtlinge. Das Boot sollte die Menschen sensibilisieren, welches Leid Flüchtlinge erlebt haben, dass Tausende die Flucht über das Meer nicht überleben, dass wir allzu gerne wegschauen, wie sie als Menschen einer artfremden Rasse ausgegrenzt werden.
Nun hat dieses Flüchtlingsboot einen neuen Bestimmungsort gefunden. In der Kölner Kirche Sankt Maria Lyskirchen ist es Schauplatz der dortigen Milieukrippe. Die Milieukrippe, inzwischen seit 20 Jahren bestehend, gehört zum Kölner Krippenweg, an dessen Stationen die einzelnen Krippen nach Themen und Arten gestaltet worden sind. Dabei hat sich die Milieukrippe in der romanischen Kirche St. Maria Lyskirchen in den vergangenen Jahren mit den Außenseitern unserer Gesellschaft beschäftigt: Bettler, Obdachlose, Drogensüchtige, Roma, Sinti sind auf der Krippenbühne als handelnde Personen dargestellt worden, als wären sie aus dem wirklichen Leben heraus gegriffen worden. Biblische Gestalten und Persönlichkeiten aus dem Viertel rund um die Kirche treffen dabei aufeinander.
Das Flüchtlingsboot ist in diesem Jahr zu einer Milieukrippe der besonderen Art umfunktioniert worden. Das Flüchtlingsboot soll ein Mahnmal sein für die Brüchigkeit der Lebens, für die Verwerfungen zwischen den unterschiedlichen Lebensbedingungen auf der Erde, für die Kluft zwischen Arm und Reich, für die Kluft zwischen Krieg und Frieden, für die Verfolgung von Menschen im Namen von Religionen.
Der Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki hatte beim Fronleichnamsgottesdienst gepredigt: "Wer Menschen im Mittelmeer ertrinken lässt, der lässt Gott ertrinken". Wenn Christus selbst mitten unter den Flüchtenden in dem Boot gesessen hat, dann läßt sich auch der Ort der Geburt in das Flüchtlingsboot verlegen, so baut sich die Argumentation der Milieukrippe in diesem Jahr auf.
„Und tschüss bis zum neuen Jahr“, diese Worte formulieren nicht nur die besten Neujahrsgrüße, sondern sie trennen auch diejenigen Flüchtlinge, die auf das Boot gehen dürfen von denjenigen, die warten müssen. Eine Flüchtlingsgruppe steht am Ende eines Bretterstegs, auf Treppenstufen, die Menschen schauen und wenden ihren Blick ab. Sie stehen so weit weg, dass sich der Blick schrittweise die Treppenstufen hinauf tasten muss.
Im Vergleich zu den Vorjahren ist es in diesem Jahr alleine der Drogensüchtige, der von der Gruppe der Ausgestoßenen den Weg auf das Flüchtlingsboot gefunden hat. In sich zusammen kauernd, hält er den Stern hoch in den Himmel, damit dieser dem Flüchtlingsboot den Weg weist. Neben Maria, Joseph und dem Jesuskind stehen dem Flüchtlingsboot ein uniformierter Soldat aus der Kaiserzeit voran und ein Mensch in einem Gewand, der vor einem Pult steht mit der Europa- und der Deutschland-Fahne. Ein Paragraphenzeichen, dem eine goldene Krone aufgesetzt ist, dominiert die Rhetorik des Redners, der sich festhält an seinem Federkiel, was schriftlich fixiert ist und was ihm seine eigenen inneren Leitlinien vorgeben.
"Wir sitzen alle in einem Boot, aber doch in zwei Welten", so hatte es der Erbauer der Flüchtlingskrippe formuliert. Wie Recht er doch hat. Wir sollten nicht länger wegschauen. Wir sollten uns annähern und von den menschlichen Begegnungen profitieren.