das Zerrbild in Facebook
Wer kennt sie nicht, die Herausforderung, seine eigene Persönlichkeit richtig einzuschätzen und wahrzunehmen. Gute und schlechte Eigenschaften, den Charakter, die Gefühle, innere Antriebe, eine Wertehierarchie, die Beziehungsebene, der Psychologie des Ich: auf diesem Fundament schreibe ich nach bestem Wissen und Gewissen meine Posts, wobei es geradezu notwendig ist, die eigene Privatsphäre und auch diejenige der Mitmenschen zu schützen. Nur so können glaubwürdige und authentische Posts entstehen.
Mit diesem Grundverständnis schreibe ich in Facebook eine Art von Tagebuch, wobei ich mich bemühe, mich an die eher kurz gehaltenen Formen anzulehnen: lesergerecht nicht zu viel Text, um den Leseaufwand auf ein handliches Format zu begrenzen, ein paar Kerngedanken, die gerne kritisch sein sollen, eine Botschaft, dazu ein Foto, seltener eine Foto-Serie. Auf meinem Blog ringe ich noch mit der Form des Tagebuches: die Tendenz geht zum Wochenrückblick zurück, da der Monatsrückblick dem Leser zu lang vorkommen dürfte.
Während es auf der Ebene meines Blogs durchaus gelingt, Gleichgesinnte auf einem ähnlichen in die Tiefe gehenden Niveau zu finden, deren Posts authentisch und glaubwürdig sind, scheint mir Facebook ein sinnloses Unterfangen. Inhalte finde ich selten, sondern meist Luftlöcher und - zum Teil asoziale - Meinungshetze. Nachrichten verbreiten sich im Inflationsmodus, die einstürzenden Bilderfluten sind nicht mehr zu bewältigen, nebenher poppen am Rand Icons voller Werbung auf.
Es ist unstrittig, dass viele Bilder schön gemacht sind: so mancher Fotograf gibt sich eine wahnsinnige Mühe, etwa auf den Petersberg zu fahren und genau den richtigen Zeitpunkt des Sonnenaufgangs über dem Rhein zu erwischen. Oder etwa den richtigen Fotoausschnitt von sich spiegelnden Bäumen im Wasser. Oder den optimalen Winkel, um aus den Wasserspeiern heraus das sprudelnde Wasser im Schlossgarten zu fotografieren.
Bei den Fotografen sind somit wahre Könner am Werke, doch wohin mit all diesen Bilderfluten ? Sie sind hübsch, nett anzusehen, manchmal auch zum Lachen, aber abgekoppelt von den Persönlichkeiten dahinter. In Summe ergeben all die aufgehübschten Fotos lediglich ein Zerrbild. Eine Parallelwelt, ein Trugschluss und eine Täuschung, die kaum etwas mit der Wirklichkeit und den Menschen dahinter zu tun hat.
Facebook hat zudem dieses Makel, das der übrigen Online-Welt ebenso anhaftet. Ob What’s app, Instagram, Xing, Youtube oder e-Mails: wir verlieren uns in der Unendlichkeit des Netzes, neue Nachrichten erreichen uns im Hochgeschwindigkeitszyklus, so dass wir diese nur noch schnell und oberflächlich abarbeiten können – oder gar nicht.
In diesem Hochgeschwindigkeitstempo wird geliked, ohne dass wir zu Ende gelesen haben, was wir überhaupt liken. Es wird eine Art von virtuellem Wettbewerb durchgeführt: wer die meisten Likes erhält, der steht auf der Beliebtheitsskala ganz oben, und in der Phantasie geistert eine Hitliste der bekanntesten und beliebtesten Facebooker herum. Es wird auch fleißig geteilt: kommentarlos, ohne jegliche eigenen Gedanken, werden Nachrichten in den Äther der Netzes verbreitet, Lustiges und Ernstes aus Youtube, weise Sprüche vervielfachen sich durch Teilen. Ekelhaft ist Facebook, wenn die Grenzen der Meinungsfreiheit überschritten werden. Wenn Tatsachen verdreht werden, wenn beleidigt wird, wenn Shitstorms entfesselt werden oder wenn eine verbale Hetzjagd auf ungeliebte Mitmenschen eröffnet wird.
Dennoch möchte ich all die Facebook-Freunde nicht vermissen, wenngleich die Kommunikation eher oberflächlich ist. Facebook zerplatzt im wirklichen Leben wie eine große Seifenblase. Facebook wird niemals menschliche Begegnungen ersetzen können. Facebook ist Stückwerk, ein bißchen wie in der Werbung. Die Aufmerksamkeit des Menschen ist auf wenige Schlüsselreize begrenzt. Das Lesen von Text strengt an, daher sollen Bildersequenzen die visuellen Reize des Menschen anregen. Das Wahrnehmungsvermögen stumpft dadurch ab, so dass die Botschaft in das Unterbewußtsein gelangt. Kurze, knackige Worte formulieren, was auch ferne Bildungsschichten verstehen sollen. Wenn wir aus dem Berieselungszustand erwachen, bemerken wir, dass alles nur eine Illusion war.