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Robinien

Manchmal geschieht es unfreiwillig, dass Autofahrer an den Schönheiten der Seitenstraßen teilhaben können. Die Bahnlinie teilt das Bonner Stadtgebiet rigoros. Wer von der Friedrich-Ebert-Straße nach Friesdorf gelangen möchte, dem kann dieses Schicksal blühen: Bahnschranke zu, Motor aus, das Auto steht auf der Annaberger Straße, warten, ein Zug von rechts, warten, ein Zug von links, warten, dann wieder ein Zug von rechts. Wenn sich die Bahnschranke sich erlaubt, sich wieder zu öffnen, können schnell satte zehn Minuten zusammen kommen.

Mit Sicherheit wird kaum ein Autofahrer seine Blicke in den Himmel richten. Dennoch lohnt es sich. Auf der Annaberger Straße, exakt vor dem Bahnübergang, wächst eine regelrechte Prachtallee von Robinien. In dieser Jahreszeit, Mitte Mai bis Anfang Juni, blüht die Allee in schneeweißen, spitz zulaufenden Blüten, die sich in ganzen Zweigen ausdehnen.

Die Geschichte der Robinie in Europa ist lang, relativ lang. Hofgärtner koordinierten die Anlage von Gärten vor Schlössern und öffentlichen Parkanlagen. Der Hofgärtner in Paris, Jean Robin, unterstand denjenigen französischen Königen, die vor dem Sonnenkönig Ludwig XIV. regierten, das waren vor allem Heinrich III. und Ludwig XIII. 1597 beauftragte ihn die Universität von Paris, also die Sorbonne, einen botanischen Garten anzulegen, den heutigen „jardin des plantes“. 1601 importierte er eine Pflanze mit Fiederblättchen aus Nordamerika, hauptsächlich beheimatet in den Appalachen und der Sorte der Hülsenfrüchtler angehörend, die Akazien ähnelte. Demgemäß benannte er die Pflanze: Robinia pseudo-acacia. Nach dieser Namensgebung aus dem Jahr 1601 bezeichnet man gemeinhin diese Bäume bis heute entweder als Robinien oder als Schein-Akazien.

Mit dem exotischen Aussehen ihres Gehölzes verbreiteten sich die Pseudo-Akazien in Parkanlagen und Schlossparks in Europa. 1640 gelangten sie nach England, 1670 in den Berliner Lustgarten, 1726 nach Italien.

Die vorherrschende Zweckbestimmung als Baum in städtischen Parkanlagen erweiterte sich, als vor Beginn der industriellen Revolution Wälder regelrecht kahl geschlagen wurden. Bevor Kohle und Stahl das Holz als Rohstoff und Energieträger ablöste, wurden Massen an Holz für die Herstellung von Holzkohle, Schiffe, Pferdekutschen oder Brücken gebraucht. So wurden im 19. Jahrhundert Kahlschlagflächen mit Robinien aufgeforstet. Robinien waren robust, sie breiteten sich rasch über ihr Wurzelwerk aus, sie wuchsen auch auf anspruchslosen Bodenarten. Allerdings konnten längere Forstperioden ihnen Schaden zufügen, später stellten sich die Fichte und die Waldkiefer als Baumarten heraus, die sie mit ihrer Geschwindigkeit des Wachstums überholten. Somit wird man Robinien bis heute in Wäldern kaum vorfinden.

Die Robinie hat allerdings zurück gefunden zu ihrer Prägung als Baum in städtischen, urbanen Landschaften. Vor rund zweihundert Jahren waren es sowohl die Robinie wie die Platane, die in großem Stil in Städten angepflanzt wurden und dabei als schön empfunden wurden, die Platane wegen ihrer großen ahornähnlichen Blätter, die Robinie wegen ihrer dichten und schillernden weißen Blütenpracht im Frühjahr.

In der Nachkriegszeit, der Stunde Null in Deutschland, regierte überall das Chaos. Von diesen Freiräumen profitierte die Robinie. Anspruchslos, wie sie war, wuchs sie auf Trümmern und Schutt, die der Zweite Weltkrieg hinterlassen hatten, so in Köln auf dem Herkulesberg, wo sich die Trümmer hinter den Gleisen des alten Güterbahnhofs Gereon auftürmten.

Wieder waren es Parklandschaften oder auch Alleen, wo die Robinie sich einnisten konnte. Zudem profitierte sie vom Klimawandel. In Städten und Großstädten stiegen die Temperaturen, die Sommer verwandelte die Städte in einen Backofen. Hitzewellen und Trockenheit konnten der Robinie nichts anhaben – ganz im Gegensatz zu Eiche, Buche, Erle. Umgekehrt wurde es in Städten nicht so kalt, dass Fröste im Winter der Robinie hätten zusetzen können.

In rheinischen Großstädten führt die Robinie eine Nischenexistenz, die allerdings ausbaufähig ist. Das Holz ist erstaunlich resistent gegenüber Fäule und noch dauerhafter als das der Eiche. Es ist fest, zäh und biegsam, lässt sich leicht bearbeiten und gut drechseln und schnitzen. Aufgrund dieser den Tropenhölzern ähnlichen Eigenschaften ist die Robinie nach Pappel und Eukalyptus die am häufigsten in Plantagen kultivierte Baumart. Dazu gibt es Forschungsprojekte, die Nachhaltigkeit der Holzbewirtschaftung mit Hilfe der Robinie zu verbessern. Biomasse und alternative Energien liegen im Trend – und genau dort hat die Robinie ihre Platz.

Aber Achtung: so elegant und so schön sich die Robinie in die Stadtlandschaft einfügt, Besitzer von Hunden und Katzen müssen aufpassen. Die Rinde ist nämlich giftig, nicht für Menschen, sondern für Tiere. Die Baumrinde von Robinien enthält sogenannte Phasine, die die roten Blutkörperchen zerstören, wenn Tiere die toxischen Substanzen einatmen. Erst tritt eine Apatie ein, dann krampfhafte Zuckungen. Der Tod kann rasend schnell eintreten, teilweise nach einer Stunde.

Wenn sich die Bahnschranke öffnet, dann können die Autofahrer auf der Annaberger Straße ihren Motor unter der Allee von Robinien starten. Die Allee ist einzigartig, unter den weißen Blüten, die in dichten Trauben einen starken Duft verströmen. Bald wird die Blütezeit vorbei sein, und das dichte Laub wird sich danach wie ein schützendes Dach über die Allee spannen.

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