Auswärtiges Amt
Allmählich erholte man sich von den Schrecken des Zweiten Weltkrieges. 1949 war das Jahr, als das Grundgesetz beschlossen wurde. In freien, demokratischen Wahlen wurde Konrad Adenauer zum ersten Bundeskanzler eines Staatsgebildes gewählt, das sich „Bundesrepublik Deutschland“ nannte, dem die vier Siegermächte England, Frankreich, USA, Sowjetunion aber noch skeptisch gegenüber standen. Es galt das Besatzungsstatut, aufgeweicht durch das Petersberger Abkommen vom 22. November 1949.
Die Siegermächte erlaubten es, konsularische Beziehungen zu Drittstaaten aufzunehmen. Nachdem Generalkonsulate in den USA, in Frankreich, England, Belgien, Italien, Griechenland, den Niederlanden und der Türkei eingerichtet worden waren, gestanden die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges der jungen Bundesrepublik am 6. März 1951 ein eigenes Außenministerium zu. Dieses musste Konrad Adenauer leiten. Gleichzeitig und in einer Person war er Bundeskanzler und Außenminister, bis der Deutschlandvertrag 1955 der jungen Bundesrepublik neue Souveränitätsrechte einräumten, wozu auch ein eigener Außenminister gehörte. So wurde Heinrich von Brentano der erste deutsche Außenminister der Nachkriegszeit.
In diesen Wiederaufbauzeiten unserer Republik war nicht alles einfach. So mussten im kriegszerstörten Bonn Gebäude für Ministerien regelrecht aus dem Boden gestampft werden. Ein früherer Ministerialbeamter des Auswärtigen Amtes erinnert sich: „… Bonn war im vorigen Jahrhundert immer eine Universitäts- und eine Rentnerstadt mit provinziellem Zuschnitt gewesen. Ein hauptstädtisches Publikum konnte hier nicht über Nacht wachsen. Alles in dieser – zudem noch als Provisorium konzipierten – Hauptstadt musste improvisiert werden: Büros, Sitzungssäle, Unterkünfte, Transportmittel, sogar das Personal: es gab keinen intakten Beamtenkörper, auf den Ministerien hätten zurück greifen können.“ Man improvisierte. Das Auswärtige Amt zerstreute sich über das gesamte Stadtgebiet, Bahnhofsviertel, Ermekeilkaserne, Museum König, Dahlmannstraße, Palais Schaumburg, Villen auf der Koblenzer Straße.
Vier dieser Villen überlebten die Pläne nicht, einen Neubau des Auswärtigen Amtes vor die Rheinpromenade zu pflanzen. Sie wurden abgerissen, als der wuchtige und ausladend große Gebäudekomplex entstand, wie man ihn heute vorfindet, durch organisiert und durch geplant vom damaligen Star-Architekten Hans Freese. Die Größe imponiert. Acht Stockwerke zählt das 1954 entstandene Gebäude, 908 Büros hinter einer blank geputzten Natursteinfassade, grundsaniert von 2000 bis 2001, nach dem Umzug der Bundesregierung nach Berlin umfunktioniert zum Zweitsitz des Auswärtiges Amtes und des Justizministeriums.
Diplomaten gingen ein und aus, und von hohen Staatsgästen hatte das Auswärtige Amt nie etwas mitbekommen. Ob Kennedy oder de Gaulle, Breschnew oder die Queen, Gorbatschow oder der Schah: die illustren Runden tagten in repräsentativen Locations, der Petersberg oder Schloss Gymnich wurden dem Mief der Büroräume vorgezogen. Die große Außenpolitik berührte das Tagesgeschäft nur am Rande. Große Namen von Außenministern wie Willy Brandt, Walter Scheel oder Hans-Dietrich Genscher standen dem Ministerium voran. Auf Arbeitsebene machten die Beamten im Auswärtigen Amt ihren Job, quasi unsichtbar und im Hintergrund.
Nach der Geburt des Auswärtigen Amtes im Jahr 1951 konnten sich alle darüber freuen, dass die Planstellen wuchsen und wuchsen. Da es zum Wesenszweck des Auswärtigen Amtes gehört, Botschaften im Ausland zur Verfügung zu stellen, befindet sich die größte Anzahl der Planstellen im Ausland. 1951 begann das Auswärtige Amt mit 763 Beschäftigten, davon 433 im Ausland, 1976 waren es 6518 Beschäftigte, davon 4598 im Ausland. 1990, im Jahr der Wiedervereinigung, erhöhte sich die Beschäftigtenzahl abermals, auf 7840, davon waren 5275 im Ausland tätig. Eingebettet einerseits in den Ost-West-Konflikt, andererseits in die europäische Gemeinschaft, machte die bundesdeutsche Außenpolitik nicht die großen Sprünge, sondern setzte auf Kontinuität, politische Stabilität und Entspannungspolitik, trotz Aufrüstung. So bedient das Auswärtige Amt nicht nur Botschaften im Ausland, sondern führt die außenpolitischen Strömungen zusammen, artikuliert diese, verschafft ihnen Geltung und nimmt die damit zusammenhängenden Aufgaben wahr. Das Aufgabenspektrum ist äußerst vielfältig: transatlantische Beziehungen, Krisen- und Kriegsgebiete, UNO-Einsätze der Bundeswehr, humanitäre Hilfe, Terrorismusbekämpfung, deutsche Politik im Europarat, außenpolitische Fragen des G7-Prozesses, Krisenprävention, Frühwarnsysteme, Friedenskonsolidierung, Völkerrecht und so manches mehr.
Der Mauerfall 1989 veränderte die ruhigen Fahrwasser deutscher Außenpolitik grundlegend. Fortan gab es zwei deutsche Außenministerien: das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten in der sich auflösenden DDR (MfAA) und das Auswärtige Amt in Bonn. Der damalige bundesdeutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher sah seine historische Stunde gekommen, die deutsche Wiedervereinigung realisieren zu können, worauf das deutsche Volk mehr als vierzig Jahre gewartet hatte.
Noch existierte das Staatsgebilde der DDR und noch hing die deutsche Frage vom langen Arm der Sowjetunion ab, als dieselben Besatzungsmächte, die 1955 die Souveränitiät eines eigenen deutschen Außenministers eingeräumt hatten, im Februar 1990 bei einer Konferenz der KSZE den Weg für Verhandlungen frei gaben. Es wurde eine Nacht-und-Nebel-Aktion der deutschen Wiedervereinigung, wie die Geschichte beweisen sollte. In den sogenannten Zwei-plus-Vier-Gesprächen saßen die Verhandlungspartner am runden Tisch. Zwei: das waren die Außenminister der beiden deutschen Staaten, neben Hans-Dietrich Genscher der Außenminister Markus Meckel der im März 1990 demokratisch gewählten Volkskammer der DDR. Vier: das waren die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges USA, England, Frankreich, Sowjetunion. Geschichtsträchtig war das Ambiente des Weltsaals im Bonner Auswärtigen Amt, wo sich am 24. April 1990 eine illustre Runde von Verhandlungspartnern traf, rund um die beiden deutschen Außenminister, Staatssekretäre, Unterhändler, Volkskammerabgeordnete, Berater aus dem früheren Ministerium für Abrüstung und Verteidigung der DDR, um die Positionen vor dem Beginn der Zwei-plus-Vier-Gespräche auszuloten.
Diese starteten vierzehn Tage später, als die Verhandlungsrunde im Weltsaal um den runden, grünen Besprechungstisch herum zum Platzen brachte. Es gehe um einen Entwicklungsprozess, dass es mit der deutschen Einigung kein Zurück zum Europa der Nationalstatten geben dürfe, das betonte Markus Meckel. Bei ihm klang ganz viel Sowjetunion durch, so die Verpflichtungen gegenüber der Sowjetunion, um die handelspolitischen Folgen im Verhältnis der DDR zu den RGW-Staaten, um Vertrauensschutz gegenüber dem östlichen Nachbarn, aber auch, gesamthaft denkend, um die Vision eines neuen Europa mit neuen Perspektiven, neuen Strukturen und neuen Institutionen.
Bei den großen Verhandlungen im Sinne der Zwei-plus-Vier-Gespräche, an denen die vier Besatzungsmächte teilnahmen, ging es Schlag auf Schlag. Bereits bei den Gesprächen am 5. Mai 1990 machte der sowjetische Außenminister Schewarnadse im Weltsaal des Auswärtigen Amtes den bahnbrechenden Vorschlag, die inneren und äußeren Aspekte des deutschen Einigungsprozesses voneinander abzukoppeln. Im Klartext bedeutete dies, dass die Sowjetunion der deutschen Wiedervereinigung zustimmte. Der militärisch-politische Status und der Umgang mit dem Besatzungsstatus durch die vier Siegermächte sollte in einem separaten Vertrag geregelt werden. Gleichzeitig nannte Schewardnadse eine noch festzulegende Übergangsperiode bis zur Überführung in diesen neuen Status.
Unmittelbar nach dem 5. Mai 1990 kursierten einige Entwürfe, um ein gesamteuropäisches Sicherheitssystem zu konzipieren, Abrüstung, Denuklearisierung, Verringerung der Truppenkontingente, neue Rolle der KSZE-Sicherheitskonferenz, Einbindung von Tschechien und Polen in die Bündnisarchitektur, aber die Sowjetunion rückte von einer Position nicht ab: keine Mitgliedschaft des wiedervereinigten Deutschlands in der NATO.
Die Zwei-plus-Vier-Gespräche schraubten weiter an der deutschen Einheit herum, am 22. Juni in Ost-Berlin, am 17. Juli in Paris und am 12. September in Moskau. Der Durchbruch gelang fernab von Bonn, in den Weiten des Kaukasus, als Helmut Kohl im September 1990 Gorbatschow in seiner Heimat besuchte. Die Geschichte nahm in diese Monaten einen irrsinnig schnellen Lauf, als Gorbatschow den Abzug sowjetischer Truppen zugestand – innerhalb einer vierjährigen Übergangsfrist- und somit auch die Mitgliedschaft in der NATO. Unter dem Titel „Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland“ verzichteten die vier Mächte, dieHauptalliierten im Zweiten Weltkrieg, auf ihr Vorbehaltsrecht in Bezug auf Deutschland.
Ein nicht unbedeutender Teil dieser Geschichte wurde im Auswärtigen Amt in Bonn geschrieben. Im Jahr 2000 zog das Auswärtige Amt nach Berlin um. Seitdem erheben sich nur noch die Schatten der Geschichte über dem ehrwürdigen Bürokomplex. Dass das Auswärtige Amt in Bonn noch eine Bedeutung hat, nämlich als Zweitsitz des Auswärtigen Amtes der Bundeshauptstadt Berlin, das bemerkt man fast nur noch an der Bezeichnung der U-Bahn-Haltestelle:„Bundesrechnungshof/Auswärtiges Amt“. Und von der Adenauerallee aus hat das stattliche Gebäude nichts an Größe verloren.