Ausstellung "Mit anderen Augen" im Kunstmuseum Bonn
Bei Malern war das Portrait berüchtigt. Herrscher und herausgehobene Persönlichkeiten zu portraitieren, damit verdienten sie sich einerseits ihren Lebensunterhalt, andererseits konnte die Selbstwahrnehmung des Portraitierten und das, was schließlich gemalt worden war, gefährlich voneinander abweichen. „Das Portrait ist eines der merkwürdigsten Kunstformen. Er verlangt besondere Qualitäten in der Künstler, und eine fast vollständige Verwandtschaft mit dem Modell“, so hatte sich Henri Matisse einmal ausgedrückt. Maler mussten einen Sinn für Psychologie haben, um in die Persönlichkeit des Portraitierten einzudringen, um diese dann mit dem wahren Charakter, aber nicht schmeichelnd darzustellen.
Es scheint so, dass die Portraitfotografie die Portraitmalerei verdrängt hat. Fotografieren kann heute jedermann und jederfrau, und die technischen Möglichkeiten über Spiegelreflex, Zooms, Weitwinkel, HD oder die Bildbearbeitung mit Hilfe von Bildbearbeitungsprogrammen scheinen unbegrenzt. Es sieht so aus, dass Versatze zwischen Selbstwahrnehmung und Fotoportrait sich verwischt haben, da die Wirklichkeit in einem Fotoportrait technisch haargenau festgehalten werden kann. Und dennoch: was als Kunst betrachtet werden kann, ist zu trennen, genau das zeigt die Ausstellung. Die Spielräume des Mediums Fotografie sind groß, sehr groß. Kreativität und Darstellungsformen sind vielfältiger gefächert, als man gemeinhin denken mag. Die Ausstellung teilt sich auf zwei Teile auf, die Photographische Sammlung in Köln und das Kunstmuseum in Bonn. Während sich die Ausstellung in Köln stärker auf den Dokumentationscharakter der Fotografie focussiert, stellt die Bonner Ausstellung mehr die künstlerische Perspektive in den Vordergrund.
Die schier unendliche Vielfalt überrascht, welche Blickwinkel menschliche Gesichter offenbaren und in welchen Darstellungsformen diese Vielfalt von Fotos über- und nebeneinander geschichtet werden kann. Es überrascht, wie diese Blickwinkel ausgestaltet werden können. Dabei reicht die Spanne von Alltagsszenen im Haushalt bis zu Geschäftsleitungen in Unternehmen, vom einfachen Volk bis zu Politikern, von jung bis alt, von Europa bis zu entlegenen Ecken der Welt.
Die Ausstellung bewegt sich stringent zur klassischen Portraitmalerei, indem sie die Personen authentisch in ihrer Umgebung darstellt. Ein Teil der Ausstellung befasst sich mit Menschen im urbanen Raum. An zentralen Plätzen, in der Anonymität, an U-Bahn-Haltestellen wurden Menschen fotografiert. Die Stadtarchitektur wie Bürogebäude, Rahmungen und Fensterspiegelungen wurden in die Portraits einbezogen.
Mehrere Darstellungen erfassen die Portraits in Collagen, die sich zu riesigen Wänden vergrößern. Die Collagen sind bunt, schwarz-weiß, zentriert, nach oben und unten gestreckt, aufgereiht in einer gemeinsamen Entwicklung aus einem identischen Zeitgeist. Facebook-Nutzer werden zusammen getragen, Nutzer-Icons werden wild zusammen geschmissen. Wer steht in den sozialen Medien für Individualität ein: der Name, das Icon oder was ?
Standbilder aus Londoner Überwachungskameras wurden ausgewertet. Jugendliche wurden portraitiert, die auf Partys, Konzerten und Events herum eilten und sich die Freiheit nahmen, ihren Weg in ihren Subkulturen zu gehen, darunter Punks, Psychobillies, Gothic Lolitas, Transgender oder Künstler-Freunde.
Die Migrationsdebatte kommt auch nicht zu kurz. Passbilder von Einwanderern der ersten Gastarbeiter-Generation wurden zusammengestellt. Daraus wurde eine Bildtapete hergestellt, überdimensional und hoch zur Decke aufragend.
Der Ausstellung ist es bestens gelungen, ein im Grunde genommen antikes Thema aufzubereiten. Die Individualität und Identität von Menschen wurde in der Antike in Skulpturen verewigt. Wenn man diesen ins Gesicht schaute, sollte die Skulptur zeigen, was sie ausmacht, vor allem die Schönheit und die Wahrhaftigkeit der dargestellten Person. Einer Skulptur musste man trauen können, die Pose der dargestellten Person musste richtig in sein Inneres schauen. Ein Fotograf muss Tiefenbohrungen in die Persönlichkeit durchführen, um Rollendefinitionen, Selbstreflektionen und Begegnungsmomente ausfindig zu machen. Es ist ein Findungsprozess, die Position seiner Fotoportraits in der Kunst zu entwickeln.
Die Möglichkeiten der Bildsprache sind extrem vielfältig. Sie reichen, von hektisch agierenden Brokern, deren Individualität sich im Tun marionettenhaft zu verlieren scheint. Sie bedient sich der Fotomontage, indem sechs Bundesminister aus dem Kabinett von Gerhard Schröder auf einem Foto zusammen geführt werden. Sie erscheinen dabei als Protagonisten des politisch-öffentlichen Lebens im tiefen Schwarz des Bildraums in einer steifen Repräsentanz. Sie bedient sich der Einsamkeit von Bildern in der eigentlich kommunikativen Situation in einem Café. Jeder ist für sich, es wird fast nicht miteinander geredet, hier und da gleiten Finger über die Tastaturen von Smartphones.
Was ist ein gutes Portrait ? Diese Fragestellung hatte die Zeitschrift „Die Zeit“ in einer Sonderausgabe über die Fotografie beantwortet. „Ein gutes Portrait berührt den Betrachter, ein schlechtes läßt den Blick keine Zehntel-Sekunde daran haften. Gute Portraits sind für solche, welche nicht kitschig und aufgesetzt wirken, sondern den Betrachter emotional berühren und im besten Fall zur Identifikation mit dem Modell einladen …. Bei einem guten Portrait schaut das Modell den Betrachter direkt und ungekünstelt an. Wenn das Modell andererseits ins Off schaut, beschäftigt es sich mit etwas, was sich dem Betrachter nie erschließen wird; kitschiges Posing ist meist die Folge.“ So urteilte „Die Zeit“.
Genau auf diese Art und Weise ist die Ausstellung konzipiert. Sie macht neugierig und hilft der Fotografie, ihre künstlerischen Wurzeln wieder zurück zu entdecken. In Zeiten von Blogs, Facebook, Twitter, Instragram oder Pinterest, in denen Millionen von Fotos das Internet überschwemmen, trennt die Ausstellung Massenware von einer Kunst, die der Mensch nicht konsumieren soll, sondern zum Nachdenken bewegen soll. Jedes Portrait ist eine Konstruktion, voller Zusammenhänge und Querbeziehungen, voller Psychologie, an welcher Stelle sich der Portraitierte genau wieder findet.