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Café-Kultur

Als ob ich es geahnt hätte. Noch im Herbst hatte ich in der Uni-Bibliothek in einem Magazin der Studierendenschaft herum geblättert, welches beschrieb, wie wenig der Name des Cafés „Kurzlebig“ zutraf. Das Café hatte im Viktoriaviertel eröffnet, und das zu einem Zeitpunkt, in dem die Diskussionen zur Umgestaltung zu einer Shopping Mall in vollem Gange waren. Mit einem Komplettabriss des Viktoriaviertels rechnete jeder. Provisorisch hatten sich die Inhaber an die Innengestaltung des Cafés heran gemacht, sie hatten wenig Geld hinein gesteckt, alte Tische und Stühle organisiert, aus Flohmärkten Bücherregale, handgefertigte Wohnaccessoires oder Vinylplatten besorgt. Dann platzte die Shopping Mall, während das Café Kurzlebig langlebiger wurde, als die Menschheit vermutet hatte. Nichts wie hin, um in Ruhe einen Kaffee zu trinken, in einem guten Buch zu schmökern und meine Zeit sinnvoll zu vergeuden, das dachte ich mir, als ich die einladenden Fotos sah. Damit werde ich mich beeilen müssen. Das Café Kurzlebig, aus dessen dreimonatigem Projekt inzwischen 41 Monate geworden sind, wird zum 31. März schließen. Diese Nachricht ereilte mich zuletzt aus dem General-Anzeiger. Der Vermieter, eine Immobilien-Holdinggesellschaft, die rund ein Viertel des Viktoriakarrees vor dem Radikalumbau in die besagte Shopping-Mall aufgekauft hatte, hat den Vertrag zum 31. März gekündigt.

Café Kurzlebig (oben), früherer Nachrichtentreff (unten)

Blickt man in die Vergangenheit zurück, so ist dieser Fall typisch für die Entwicklung der Café-Landschaft in der Bonner Innenstadt. Seitdem ich Bonn kenne, hat sich die Café-Landschaft komplett neu sortiert. Cafés machen dicht und machen an anderer Stelle wieder neu auf. Gerne schwärme ich noch heute von den Urzeiten, als ich meine Ehefrau kennen lernte. Waren wir Ende der 1980er Jahre in der Innenstadt unterwegs, so zog uns ein Ziel magisch an: der Nachrichtentreff. Die Inneneinrichtung deckte sich mit meiner Leidenschaft, Tageszeitungen aus aller Herren Länder aufeinander zu stapeln, quer Beet in Englisch, Französisch, Spanisch und natürlich Deutsch. In diesem Kuddelmuddel dieser Sprachen verschlang ich die Zeitungsberichte, die ich mal mehr, mal weniger, mal gar nicht verstand. Genau auf diese Art, nach Zeitungen aus aller Welt, gestaltete sich das Innere des Nachrichtentreffs, dessen Herz ein nachgebauter Eisenbahnwaggon ausfüllte. Im hektischen Leben der Stadt drangen wir in einen solchen Ort ein, um miteinander zu reden, zu uns zu finden, Gemeinsamkeiten zu entwickeln, die uns bis heute zusammengehalten haben. Der Schock saß tief, als 2008 der Nachrichten-Treff dicht machte. Dem folgte im Jahr 2012 die Bonner Brasserie, welche nach satten Mieterhöhungen und einer 30-jährigen Café-Existenz schließen musste.

Der Schicksalsschlag war groß, als diese Orte der Geselligkeit schlossen und einem anderen Verwendungszweck zugeführt wurden. Meine Leidenschaft für eine Café-Kultur hatte ich in den 1980er-Jahren aus Belgien mitgebracht. Auch Frankreich, auch die Niederlande, doch in Belgien, in Lüttich, Antwerpen, Leuven oder sonstwo, war diese Café-Kultur besonders intensiv ausgeprägt, weil sie schlicht war und nicht alles perfekt sein musste: an der einen oder anderen Stelle blätterte der Wandanstrich ab, die Bodenfliesen waren nicht wie geleckt, die Holzstühle hätten neu abgebeizt werden können. Hauptsächlich trank man Kaffee, die Besucher verschwanden hinter Zeitungen, in Nebenräumen wurde Billard gespielt. Dort lümmelte ich mich gerne herum, die Eindrücke gerieten nicht in Vergessenheit, sondern ich behielt sie. Ich dachte in klar geordneten Bahnen, die sich auf das wesentliche konzentrierten und unnützen Nebenkram ausblendeten.

Cafés in Leuven (oben) und Lüttich (unten)

Im Rheinland ist diese Art von Café-Kultur kaum erreicht worden. In Kölner Stadtteilen gibt es aber auch gemütliche Cafés, in der Bonner Innenstadt gestaltet sich die Café-Landschaft sehr heterogen. Den knallharten Vermarktungswettbewerb in der Fußgängerzone, in dem 1a-Lagen, Mieten und Umsätze das Erscheinungsbild bestimmen, spürt man deutlich.

Überlebt haben in diesem Verdrängungswettbewerb diverse Bäckereien. Die Kunden kaufen Brot, Brötchen, Hefeteilchen, Baguettes und trinken nebenher einen Kaffee. Mit einer urwüchsigen Café-Atmosphäre, in der man verweilen kann, Menschen beobachten kann und Inspirationen sammeln kann, hat das nichts zu tun. Zum Beispiel das Café Schell am Bertha-von-Suttner-Platz. Gerne fahre ich auf dem morgendlichen Weg zur Arbeit vorbei, ich schütte den Kaffee herunter, der für 1,29 € in einer akzeptablen Preiskategorie liegt. Ich lasse den vor mir liegenden Tag Revue passieren, grüble herum, um mich mit einem klaren Kopf in den Arbeitsalltag zu stürzen. Das ist in Ordnung so, hat aber mit meinem Begriffsverständnis einer Café-Kultur nichts mehr zu tun.

Noch weiter weg von diesem Begriffsverständnis liegen all die Filialen des Backwerks, die, etwas übertrieben formuliert, wie Pilze aus dem Boden geschossen sind. Eine Café-Unkultur, so finde ich. Billige Einrichtung, billige Brötchen, billiger Kaffee, wahrscheinlich auch Billiglohn unterhalb des Mindestlohns. Und das in solch einer zentralen Lage, in der andere Cafés wie etwa die Bonner Brasserie Insolvenz anmelden mussten.

Café Schell am Bertha-von-Suttner-Platz (oben) und Starbucks am Münsterplatz (unten)

Die unsichtbare Hand des Marktes. Die Bonner Café-Landschaft ist reichlich heterogen, das spürt man ebenso bei Starbucks. Gesteuert aus Seattle in den USA, will das Unternehmen eine eigene, globalisierte Café-Kultur überstülpen. Das ist nicht ungemütlich, sieht aber gleich gemacht aus. „Unsere Mission besteht darin, Menschen in jeder Umgebung zu inspirieren und zu fördern – Tasse für Tasse, Kaffeetrinker für Kaffeetrinker“, mit dieser magischen Vision wirbt der Konzern mit seiner Café-Kultur auf der ganzen Welt. Angeordnet von oben ? Auf mich wirkt das Innere zu glatt, mit dem überladenen Kaffeeangebot aus der ganzen Welt. Aus genau 19 Kaffeesorten kann der Gast wählen, von Burnt Caramel Latte über Iced Caramel Macchiato oder Caramel Macchiato bis hin zu Iced Flavored Latte.

Nachdem die Bonner Brasserie 2012 schloss, ist es uns schwer gefallen, einen gleichwertigen Ersatz zu finden. Seitdem kommen uns Cafés vor wie die Modeszene, die ständig kommen und gehen, die in der Versenkung verschwinden und wieder auftauchen, die solchen Veränderungszyklen unterworfen sind, dass man sie kaum noch wahrnehmen kann. Konstanten aus Antwerpen, Lüttich oder Leuven fehlen. Belgien ist weit, wir sind alle total mit einander vernetzt und rund um die Uhr Online unterwegs. Ich vermisse ausgebreitete Zeitungen, eine von Mund zu Mund wandernde Gesprächskultur oder eine Beobachtungsgabe, die Eindrücke aus der direkten Umgebung aufsaugt.

Backwerk (oben) und Pendel (unten) am Friedensplatz

Das Pendel. Ich muss suchen, um solche Orte der Inspiration zu finden, die früher selbstverständlich waren. Ein seltenes Beispiel, dass Café-Kultur und Kommerz miteinander klar kommen. Diese Symbiose des Jugendstils finde ich genial, all diese Werbetafeln, die in der Art-Deko-Kunst gestaltet worden sind. Im Erdgeschoss hält der übergroße Spiegel die Bewegungen an. Der Gang der kommenden und gehenden Gäste stockt in der Verengung. Die überladene Bar spiegelt sich mit Biertulpen, Sektkelchen und Schnapsgläsern. Schleichend, wie auf Pantoffeln, tappst der Kellner heran. Ich kann sinnieren, grübeln, beobachten, meinen Laptop auspacken, mich zerstreuen. Und ich kann zuhören, an welchem Uni-Seminar die beiden sehr attraktiven Studentinnen am Nachbartisch gerade teilnehmen. Die Begegnung geht so ziemlich in die Richtung, wie ich Cafés einst in Antwerpen, Lüttich oder Leuven erlebt habe.

Szenenwechsel. Das Kommen und Gehen von Cafés ist kaum noch kalkulierbar. So wie das Café Kurzlebig. In Reichweite zum Universitätsgebäude, musste ebenso das Café Göttlich weichen. Sebastian Eckert, der Blogger „Kaffeegeflüster“; berichtet darüber. „Das Göttlich, es hatte immer einen verlebten Flair. Die Wandfarben, die Marmortische mit Macken, der auch lange nach dem Rauchverbot festklebende Hauch von Zigarettenrauch. Im Barbereich öffnete sich der Raum ein wenig. Kaum zu glauben, dass es auch Konzerte und Vernissagen dort stattfanden.“

Die Schließung tut weh, genauso wie beim Nachrichtentreff oder der Bonner Brasserie.

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