Mord, Intrigen, Giftmischer und die Stadtgründerin Kölns - Claudia Colonia Ara Agrippinensum
Das Rheinland, diese sumpfige Talsenke diesseits und jenseits des Rheins, gelegen in der Wildnis der Germanen, benötigte Geduld. Kaiser Augustus, der erste römische Kaiser nach Caesar, hatte diese Geduld. Nachdem Caesar um 55 v. Chr. über Gallien das Gebiet bis zum Rhein erobert hatte, schickte Augustus seinen Feldherren Marcus Vipsanius Agrippa vor, um sich in der dunklen Welt der Germanen zurecht zu finden.
Da ihr Reich groß, unübersichtlich und schwer regierbar war, warf Rom nur ein grob geknüpftes Netz der Macht über seinen Herrschaftsbereich. Die Verbindungsglieder zu den Provinzen waren verdiente Senatoren oder Feldherren, oft im Rang eines Praetors, manchmal eines Konsuls: hohe Persönlichkeiten mit politischer Erfahrung und viel Einfluss in Rom.
Agrippinas Vater Germanicus, Vatikanische Museen Rom
So wie Marcus Vipsanius Agrippa unterließen sie es, sich in der Provinz durch Kriege aufzureiben, sondern sie suchten die Kooperation. Marcus Vipsanius Agrippa gewann ab 20 v.Chr. den germanischen Stamm der Ubier für sich, der vom Vinxtbach im Süden bis Krefeld im Norden siedelte. Er lockte mit den Errungenschaften der römischen Zivilisation, Straßenbau, Häuserbau, Wasserversorgung, Bäder. Römische Pioniere entwickelten die Grundstruktur von rechtwinklig sich kreuzenden Straßen, von Wohngebieten und einer Stadtummauerung. Aus Gruben wurden Metalle gefördert, eine Finanzadministration etablierte sich, Steuern wurden erhoben. Als Handwerker und in der Verwaltung erwiesen sich die Ubier als lernfähig. Als Datum für die Stadtwerdung der Stadt Köln als Verwaltungszentrum der neuen römischen Provinz Germanien nehmen die Historiker das Jahr 7 v. Chr. an, da der Kaiser Augustus in diesem Jahr die Eroberung Germaniens als abgeschlossen betrachtete. Um diese Zeit wurde außerdem für den Statthalter, dem höchsten römischen Vertreter, eine eigene Residenz gebaut.
Es ging aber nicht nur friedlich zu, denn die Ausdehnung des römischen Reiches war begleitet von Mord, Intrigen und Giftmischern. Um ihr Reich aus dem fernen Rom regieren zu können, waren die Römer bestrebt, Kaiser, oder „Caesaren“ in der römischen Begriffswelt, Feldherren und Statthalter in einer geraden Linie von Verwandten aus Rom zu besetzen. Passte die gerade Verwandtenlinie nicht, so wurden die potenziellen späteren Herrscher einfach adoptiert. So konzipierte Kaiser Augustus die Verwandtenlinie über seinen Stiefsohn Tiberius, der nach seinem Tod Kaiser wurde. Gleichzeitig adoptierte Tiberius den Germanicus, der dann die Anwartschaft auf den übernächsten Caesarentitel innehatte. Als Feldherr schlug sich Germanicus in Germanien nicht ganz so gut, denn 14 n. Chr. verlor er die Varusschlacht im Teutoburger Wald, worauf sich die Römer wieder an den Rhein zurückzogen.
Agrippina, römisch-germanisches Museum Köln
Weitaus glücklicher und auch fruchtbarer verlief die Ehe mit Agrippina der Älteren, der Enkelin von Augustus, denn Agrippina gebar insgesamt neun Kinder. Während Germanicus beim Volk sehr beliebt war, zweifelte sein Stiefvater Tiberius nach der verlorenen Varusschlacht an seinen militärischen Fähigkeiten. Aus dem fernen Rom berief er ihn als Feldherren ab und schickte ihn weg vom Rhein in die syrische Provinz. 19 n. Chr. verstarb er dort unter mysteriösen Umständen. Man munkelt, dass das Verhältnis zu seinem Stiefvater zerrüttet war. Dieser habe ihn über den Syrischen Statthalter vergiften lassen.
So entstand achtzehn Jahre später, nach dem Tod des Kaisers Tiberius im Jahr 37, ein Machtvakuum, wer denn nun der Nachfolgekaiser werden sollte. Genau in diesem Ringen um Macht und Posten mischte eine Frau mit, das war Agrippina die Jüngere, eines der neun Kinder von Agrippina der Älteren. Sie sollte ganz entscheidend den Werdegang der Stadt Köln prägen und zur Legende werden.
Jugendliche 22 Jahre alt war sie im Jahr 37, und bereits mit 13 Jahren war sie mit ihrem Ehemann aus der Sippschaft des Kaisers Augustus verheiratet worden. Ihr Bruder Gaius Julius Germanicus, besser bekannt als Caligula, war der einzige lebende männliche Erbe in der Erbfolge seines Großvaters Tiberius. Labil und exzentrisch, hatte er sich seinen Großvater gefügig gemacht, indem er jahrelang in seiner engeren Umgebung auf der Insel Capri gelebt hatte – und er wurde Kaiser. Mit seiner unsteten Persönlichkeit, der Unterwürfigkeit, die er von anderen forderte, seiner Exzentrik, seinem fehlenden Realitätssinn und seiner Willkürherrschaft erregte er rasch Unmut. So auch bei seiner Schwester Agrippina, die ihn schnellstmöglich beseitigen wollte. Sie versuchte, die engere Führungsmannschaft für sich zu gewinnen, doch das Komplott flog auf. Agrippina konnte fliehen, aber vier Jahre später war es dann soweit: eine Gruppe von Senatoren und höheren Offizieren gelang es, Caligula in Rom zu ermorden.
Agrippinas Bruder Caligula, Ny Carlsberg Glyptotek
So wurde Claudius, der Bruder ihres Vaters Germanicus, im Jahr 41 Kaiser, also ihr Onkel. Im gallischen Lugdunum – dem heutigen Lyon - geboren, hatte er keinerlei Erfahrung als Feldherr. Vielmehr hatte er sich bis zu diesem Zeitpunkt mit geistigen Studien befasst, mit Schriften und historischen Werken. Indes war Agrippinas erster Ehemann verstorben, so dass sie genau im Jahr 41 ihren zweiten Ehemann, den Senator Passienus Crispus, ehelichte.
Als Agrippina den Kaiser, also ihren eigenen Onkel, sah, signalisierte ihr Machtinstinkt: sie wollte Kaiserin des römischen Reiches werden. Doch dem stand ihr Ehemann Passienus Crispus entgegen. Dazu formulierte der römische Geschichtsschreiber Tacitus, dass Crispus plötzlich verstarb „durch die weise Voraussicht der Götter Witwe“. Manche interpretieren das plötzliche Hinwegscheiden des im Wege stehenden Ehemannes so, dass Agrippina nachhalf, indem sie Giftpilze unter das Abendessen mischte.
Nicht anders verhielt es sich bei Claudius, dessen zweite Ehefrau ihn verlassen hatte, als diese einen weitaus jüngeren Senator geheiratet hatte, ohne dass die vorherige Ehe mit Claudius aufgelöst worden wäre. Auch hier half ein Mord nach, um seine zweite Ehefrau Messalina zu liquidieren. Diesmal war es ein eifersüchtiger Tribun.
Agrippinas Ehemann Claudius, Vatikanische Museen Rom
Nachdem der römische Senat einberufen wurde und nichts einzuwenden hatte, konnten Onkel und Nichte heiraten. Agrippina hatte also ihr Lebensziel erreicht und zog als römische Kaiserin mit ihrem Ehemann von Gallien nach Köln an den Rhein. Dabei hatte sie übrigens keinerlei Funktionen als Kaiserin, sondern rein formal war sie lediglich Ehefrau des römischen Kaisers. Jedenfalls war sie präsent im politisch-sozialen Netzwerk der Macht im römischen Reich. Das geschah um das Jahr 50.
Tacitus berichtet in seinen Annalen, dass die Hauptstadt der Provinz Germanien durch die Anwesenheit des Kaisers und der Kaiserin aufgewertet wurde: „Agrippina wollte ihre Macht auch den verbündeten Völkern zeigen. Deshalb setzte sie durch, dass in der Stadt der Ubier, in der sie geboren wurde, eine Veteranenkolonie gegründet und nach ihrem eigenen Namen benannt wurde: CLAUDIA COLONIA ARA AGRIPPINENSUM", oder CCAA in Kurzform. Claudia nannte den rechtlichen Urheber der Aufwertung, den Kaiser Claudius. Ara steht für den Heiligen Bezirk für den Herrscherkult innerhalb der Stadtmauern, Agrippinensium für die Kaiserin Agrippa. Sie hatte die Aufwertung auf eine römische Kolonie verlasst. Nicht nur Lugdunum, der Geburtsort ihres Mannes in Gallien war eine Kolonie, auch der Geburtsort von Agrippina erhielt den Status einer Kolonie. Das bedeutete, dass die Bewohner der Stadt am Rhein danach römische Bürger wurden und dieselben Bürgerrechte erhielten wie die römischen Städte in Italien. Diesen Status erhielten nur wenige Hauptstädte in den römischen Provinzen.
Doch damit wuchs die neue Kolonie Roms nicht nur in ungeahnte Dimensionen, sondern Mord, Intrigen und Giftmischer sorgten unverändert für Aufregung. Fast war es bei dieser machtbesessenen Ehefrau Agrippina zu erahnen, dass sie mehr wollte. Neue Ziele schwebten ihr vor, bei denen sie jegliches Maß verloren hatte. Aus ihrer ersten Ehe mit Dominitius Ahenobarbus hatte ihren Sohn Lucius geboren. Er sollte der nächste römische Kaiser werden.
Agrippina und Sohn Nero, Museum Aphrodisias, Türkei
Wie etwa zehn Jahre zuvor, trat der Tod ihres Ehemannes im Jahr 54 plötzlich ein, das berichtet wieder Tacitus. Er und weitere Geschichtsschreiber nennen ein vergiftetes Pilzgericht. Es ist wahrscheinlich, dass es erneut Agrippinas Kochkünste waren, um sich ihren Ehemann vom Leib zu schaffen. Das kümmerte freilich die römischen Senatoren wenig. Sie stimmten zu, dass der 17-jährige Lucius Domitius Ahenobarbus, besser bekannt unter den Namen „Nero“, der nächste römische Kaiser wurde.
Agrippina hatte ihr nächstes Ziel erreicht, doch danach kehrte sich die Geschichte von Mord, Intrigen und Giftmischern um. Agrippina selbst wurde ihr Opfer. Sie war so besessen von ihrer Macht, dass sie ihrem Sohn und Kaiser in die Tagespolitik hinein redete. Nero sperrte seine eigene Mutter aus dem römischen Kaiserpalast aus, doch sie ließ nicht locker. Im Jahr 59 war der Kaiser Nero so überdrüssig, dass er seine Mutter ermorden ließ.
Dennoch: in der Stadt Köln wiegt die Bedeutung von Agrippina auch nach ihrem Tod schwer. Zur römischen Kolonie aufgewertet, gibt es kaum eine andere deutsche Stadt, dessen Entwicklung von der Antike bis in die Gegenwart mit solch einem kontinuierlichem Wachstum verlaufen ist. Auch die Namensgebung wirkt nach: Jahrtausende später wurde aus COLONIA „Köln“. Und selbst die Jungfrau im Kölner Dreigestirn symbolisiert in der Karnevalszeit die Agrippina.