Wochenrückblick #4/2016
25. Januar 2016
Der Schwung fehlte noch, die Fahrt trug mich noch nicht auf Flügeln, etwas schwerfällig und behäbig ging es vorwärts. Die erste Fahrt mit dem Fahrrad im neuen Jahr ins Büro. Meine Beine waren noch nicht im Rhythmus des neuen Jahres angekommen, die Tritte waren müde, ich musste mich anstrengen. So schnell geschah es, dass meine Kondition nachließ, wenn ich einen Monat lang nicht auf dem Fahrrad gesessen hatte – zumindest nicht auf einer etwas längeren Strecke. Aber Sinne und Wahrnehmungsvermögen hatten zu alter Kraft zurückgefunden. Über die Siegbrücke, auf dem Rheindamm, durch die Rheinaue, über die Konrad-Adenauer-Brücke spürte ich die magische Kraft des Rheins. Nicht in Bus, Straßenbahn oder Auto unterwegs, streifte ich nun durch die Mitte der Natur, die zwischen kahlem Geäst sparsam ihre Akzente setzte. Das machte aber nichts. Dieser Blick über den Rhein mit dem Siebengebirge im Hintergrund entschädigte für alle Anlaufschwierigkeiten des neuen Jahres.
26. Januar 2016
Ehrlich gesagt, ich mag ihn nicht. Weil ich die Bürohausarchitektur im allgemeinen nicht mag, zu glatt, zu funktional, zu kalt, abweisend. Der Posttower schießt dann gleich 42 Stockwerke in die Höhe, mit genau diesen Eigenschaften seiner Hochhausfassade: glatt, funktional, kalt, abweisend. Mit der Hochhausarchitektur tue ich mich sowieso schwer, wenn es nicht gleich ein ganzer Haufen ist – wie in Frankfurt – oder wenn ich Filme sehe, die in New York spielen: leider war ich nie in New York, aber die Schönheit dieser Hochhäuser hinter Fassaden aus Backstein gleicht in den Himmel gebauten Kathedralen. Zurück zum Posttower. Immerhin erzeugt er keine Stilbrüche zu anderen, schöneren Fassaden, weil er einsam und alleine in der Rheinaue steht. Ebenso sprießt sommers so viel Grün in der Rheinaue, dass Bäume und der Park den funktionalen und abweisenden Charakter bisweilen verdecken. Was mich wundert, ist die Tatsache, dass niemand schimpft über den Posttower wegen des nicht gerade hübschen Aussehens. Einen Grund zum Schimpfen hätte man jedenfalls, wenn die Nachtbeleuchtung mit ihren 5.775 Leuchtstoffröhren eingeschaltet wird. Angeblich verbraucht der Posttower in einer Nacht so viel Strom wie ein Einpersonenhaushalt über einen Jahreszeitraum. Und warum schimpft niemand über den Posttower ? Zum einen wird dies daran liegen, dass die Deutsche Post einer der größten Arbeitgeber in Bonn ist. Zum anderen, dass Größe in unserem Denken verankert ist. Schneller, höher, weiter, der Mensch greift nach Superlativen. Unser Denken ist technokratisch geworden, beherrscht von Technologien, die alle Menschenträume in die Wirklichkeit umsetzen können. Unser Denken will neue Horizonte durchstoßen, so dass neue Dimensionen von Hochhäusern von den Bürgern adaptiert werden. Da bleibt zu hoffen, dass Stadtplaner ihre Aufgabe mit Verantwortung wahrnehmen. Ich selbst hätte jedenfalls kein solches Ungetüm in die Rheinaue gebaut.
27. Januar 2016
Der Blick aus dem Fenster stocherte über ein altes Fabrikgelände hinweg, über rot verklinkerte Werkshallen, die in den 1914er-Kriegsjahren aus dem Boden gestampft worden waren. Ein Fabrikschornstein mit der Aufschrift „Böhler-Park“ stach senkrecht aus dem Gemengelage von alten Industriebauten heraus. Eine Dienstreise. Es ging an den Stadtrand von Düsseldorf, genau gesagt, nach Düsseldorf-Lörick in ein blitzsauberes und flammneues Bürogebäude, das an das alte Stahlwerk angrenzte, das dann schon wieder zu Meerbusch gehörte. Es war die erste Dienstreise nach mehreren Jahren. Dienstreisen beleben, man lernt neue Kollegen kennen, persönlich und in der Herzlichkeit von Mehraugengesprächen. Blickwinkel kehren sich um, man lernt dazu, indem gegenseitig Meinungen und Standpunkte reflektiert werden. Ebenso fördert die geänderte Umgebung geänderte Blickwinkel. Denkweisen sind nicht mehr starr, sie lösen sich und relativieren mit den geänderten Dingen, wie sie anderswo sind. Leider fehlte mir die Zeit, etwas detaillierter die Stadt Düsseldorf zu betrachten. Ein Stück Altstadt musste aber sein. Zurück von Düsseldorf-Lörick, bin ich an der U-Bahn-Station Heinrich-Heine-Allee ausgestiegen, zum Rhein gelaufen und dann in einem kleinen Schlenker zum Hauptbahnhof. Nun bin ich nach meiner Dienstreise vollgestopft mit Eindrücken.
28. Januar 2016
„Häste Dich jeistisch un moralisch ad auf Karneval einjeställt ?“ – „Jooh, bin all voll drin“, diesen Wortfetzen lauschte ich morgens in einer Bäckerei, als ich mir meine Brötchen holte. In der Tat, eine Woche sollte es nur noch dauern, bis das Karnevalstreiben eröffnet werden sollte, wenn die Frauen die Schlüssel des Bonn-Beueler Rathauses überreicht bekämen und wenn die Horde von wilden Weibern das Rathaus stürmen würde. Als über Emanzipation noch niemand geredet hatte, das war 1824, begannen die Waschfrauen in Bonn-Beuel, den Männern zu zeigen, was Gleichberechtigung bedeutete. An Weiberfastnacht zogen nämlich die Männer nach Köln, wo man den Straßenkarneval nach 1815, als die Preußen das Rheinland zugesprochen bekamen, so ungefähr feierte, wie wir ihn heute kennen. Während die Männer den Karneval feierten, sollten die Frauen in den Beueler Wäschereien durcharbeiten und ihre Wäsche waschen. Das war um diese Zeit eine echte Plackerei. Seife wurde noch nicht in Massenfertigung hergestellt, anstatt dessen wuschen die Waschfrauen die Wäsche mit einem Gemisch aus Schmierseife, Pottasche und Buchenholz. Die Wäsche wurde über Nacht in einem großen Holzbottich eingeweicht, am nächsten Morgen wurde jedes Wäschestück einzeln ausgespült. Dieser Vorgang musste an die zehnmal wiederholt werden, damit alles blütenweiß wurde. Zum Schluß wurde die Wäsche auf den Rheinwiesen in Bonn-Beuel getrocknet. Den Rheinwiesen war es übrigens zu verdanken, dass Wäschereien in Bonn-Beuel um diese Zeit wie Pilze aus dem Boden geschossen waren, weil die Wäsche dort in der Mittags- und Nachmittagssonne schnell abtrocknete. 1824 hatten die Waschfrauen erstmals die Nase voll, sie streikten, sie forderten ihre Gleichberechtigung und feierten Karneval, so wie ihre Männer. Daraus ist in Bonn-Beuel die im Vergleich zu anderen rheinischen Städten etwas abgewandelte Tradition der Wäscherprinzessin entstanden. Nicht unweit des Stammlokals der Wäscherprinzessin an der Ecke Hermannstraße liegt die Bäckerei, wo ich mir gelegentlich morgens meine Brötchen hole. Noch eine Woche wird es dauern, dann werden die jecken Weiber in Beuel wieder alles im Griff haben.
29. Januar 2016
Heute ab 20:15 Uhr heißt es: Fernseher einschalten. Und zwar werden wir uns bei RTL die Sendung „ Die Puppenstars“ ansehen. Wir waren dort, in den MMC-Fernsehstudios in Köln-Ossendorf, bei der Live-Aufzeichnung am 9. Januar diesen Jahres. Insgesamt sechzehn sogenannte Acts haben wir gesehen, das waren Show-Darbietungen von Puppen auf einer Live-Bühne, die jeweils rund drei bis vier Minuten dauern. Diese Show-Darbietungen werden dann von einer Dreier-Jury bewertet, die von einer als Puppe verkleideten Kakerlake begleitet wird. Die Kakerlake redet nur Unsinn, so dass ich mich alleine über die Kakerlake krumm gelacht habe. Es sind grandiose Einfälle bei den Show-Darbietungen dabei, eine aus Altpapier recycelte Puppe etwa, die bei Sturm und Regen zu den Klängen von „I’m singing in the Rain“ tanzt. Oder eine Schulklasse aus Solingen, die Handpuppen gebastelt hat. All diese Handpuppen singen dann „Happyness“ und „Ein Hoch auf uns“ von Andreas Bourani. Ich will aber nicht zuviel verraten, weil es sich wirklich lohnt, die Fernsehsendung anzuschauen. Von diesen sechzehn Acts wird heute die Hälfte gezeigt werden, die andere Hälfte ist nächsten Freitag zu sehen.
30. Januar 2016
Unverhofftes Wiedersehen bei der Tierärztin: als unsere Katze Alia gestern spät nachmittags von ihrer Tour vor unserer Haustüre zurückkehrte, entdeckte unser kleines Mädchen einige Zeit später Blut auf ihrer Unterseite, als sie die Katze auf unserer Couch streichelte. Gleichzeitig war ihr Fell an dieser Stelle nass. Wir ließen unsere Katze sich ausruhen, in ihrer Ecke schlafen, sie aß zwischendurch ihr Nassfutter, später tappste sie die Treppe hinauf in unser Bett. Als ich – wieder etwas später – hochging in unser Schlafzimmer, bemerkte ich Bluttropfen auf Treppe und Fußboden, außerdem Blutflecken auf unserem Bettzeug. Heute Morgen war sie dann vollkommen schlapp, träge, sie fraß nichts, lag nur an derselben Stelle, miaute herzzerreißend, wenn wir die prekäre Stelle an ihrer Unterseite berührten, so dass wir mit ihr die Tierärztin aufgesucht haben. Die Tierärztin rasierte ihr Fell an der blutigen Stelle ab. Die Wunde war offen und so groß, dass sie nicht genäht werden konnte. Die Stelle war feuerrot entzündet, außerdem hatte unsere Katze vierzig Grad Fieber. Unsere Katze war vermutlich mit einer anderen Katze aneinander geraten, so dass sie dermaßen zerkratzt wurde. Oder sie war mit ihrer Unterseite sonstwie über einen scharfkantigen Gegenstand gerutscht. Die Tierärztin reinigte die offene Wunde und spritzte ein Antibiotikum. Montag will sie unsere Katze erneut sehen, ob es ihr besser geht. Gute Besserung, Alia !
31. Januar 2016
Karneval kann subversiv sein. Die Wagenbauer treffen sich hinter verschlossenen Toren in Hallen und Hinterhöfen. Niemand lassen die Karnevalisten hinein schauen. Dass sie aktiv sind, ist nicht zu überhören, denn ihre Kölschen Lieder klingen laut bis in den Getränkemarkt hinein. Es kann auch eine Scheune sein – wie in Bonn-Schwarz-Rheindorf. Love, Alaaf, Peace, so lautet die Botschaft dieses Mottowagens. Also vollkommen harmlos, nicht subversiv. Die Botschaft will nicht das politische Tagesgeschäft unterwandern. Das war aber nicht immer so. 1844 war es das Selbstverständnis eines Franz Raveaux, im Kölner Karneval in seinen Büttenreden die Herrscher, das waren damals die Preußen, mit seinem deftigen rheinischen Humor ins Lächerliche zu ziehen. Dabei zog er alle Register seiner Redekunst. Als er sich im Sommer 1844 mit seinem Karnevalsverein auf der Insel Nonnenwerth traf, befürchteten die Preußen Subversion, Agitation und Propaganda gegen die Preußische Obrigkeit, um diese umzustürzen. Zusammen hatten sie das Karnevalslied gesungen: „Hanswoosch hät sich emanzipeet, hä is jitz under mündig!“ Polizisten rückten am, um die Versammlung aufzuheben. Sie drohten damit, den Kölner Rosenmontagszug im Jahr 1845 zu verbieten. Es kostete Franz Raveaux eine gehörige Menge an Überzeugungsarbeit, die Polizisten aufzuklären, dass das Zusammentreffen keinen subversiven Charakter hatte. Der Rosenmontagszug konnte im Jahr 1845 stattfinden.
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