Wochenrückblick #49
multiple Sklerose und die Arbeitsagentur
Es gibt Menschen, die hat das Leben mir ihren Leiden gestraft. 40 Jahre jung, alleinstehend und multiple Sklerose. Die Medikamente haben aufgehört, den Körper wieder in Schwung zu bringen. In Schüben macht sich die tückische Krankheit über sie her: alles dreht sich im Kreis, die Muskeln verkrampfen, Arme und Beine werden lahm, Bewegungsabläufe brechen ab. Autofahren ist kritisch, da sie den Schaltknüppel nicht mehr richtig packen kann. Der abendliche Rundgang mit dem Hund wird zur Tortur. Jedesmal, wenn ich unsere Nachbarin sehe, bewundere ich sie, wie stolz sie sich auf den Beinen hält. Dass eine solche Krankheit die Berufstätigkeit beeinträchtigt, liegt nahe. Als gelernte Großhandelskauffrau hatte sie zuletzt im Versand eines Betriebes gearbeitet, der Karnevalsartikel vertreibt, aber auch Orden und Kostüme jeglicher Art. Nicht jeder Arbeitgeber kriegt es hin, Arbeitsplätze für Schwerbehinderte, zusätzlich geeignet für deren spezifisches Krankheitsbild, zur Verfügung zu stellen. So blieb ihrem Arbeitgeber bei einer Arbeitsleistung, die langsam gegen Null ging, nichts anderes übrig als ihr ordentlich zu kündigen. Sechs Monate Kündigungsfrist, eine angemessene Abfindung: ohne großes Gepoltere gingen die Dinge ihren Gang, in der Übergangszeit gibt es Hartz IV, ab Februar 2016 Erwerbsunfähigkeitsrente. Die Abfindung war so bemessen, dass sie sich einen Gebrauchtwagen mit Automatikschaltung leisten konnte. Doch da ist der Gesetzgeber rigoros und die Sozialgesetzbücher haben wenig Verständnis für Menschen, die mit ihren Krankheiten bestraft sind. Hartz IV wird erst dann bewilligt, wenn keine eigenes Vermögen für die Lebenshaltung aufgebraucht werden kann. Es gibt zwar Ausnahmevorschriften, dass Fernseher, Kücheneinrichtung, eine selbst genutzte Immobilie oder ein PKW als sogenanntes Schonvermögen nicht zu betrachten sind. Aber genau dieser spezifische Fall, der Kauf eines Gebrauchtwagens zur Hilfestellung bei einem spezifischen Krankheitsbild, hat bei all diesen Vorschriften niemand im Blickfeld gehabt. Also gibt es nix. Ich wünschte, an anderen Ecken würden die Bürokraten in den öffentlichen Verwaltungen genauso geizig mit öffentlichen Geldern umgehen. Bei Großprojekten, Infrastrukturvorhaben oder öffentlichen Bauten ist der Handlungsbedarf sehr, sehr hoch.
unser altes Haus
Immobilien sind eine Welt für sich. So muss man im Speckgürtel von Köln und Bonn ein dickes Einkommen haben, um sich ein eigenes Häuschen leisten zu können. Die Immobilienpreise schnellen mit den Grundstückspreis in die Höhe, wobei unsere Stadt im Rhein-Sieg-Kreis mit 290 Euro pro Quadratmeter den zweiten Tabellenplatz hinter Bad Honnef einnimmt. Da bleibt es nicht aus, dass so mancher Interessent vor einem Immobilienkauf zurück schreckt, da die Preise effektiv nicht mehr bezahlbar sind. Eine faustdicke Überraschung haben wir zuletzt bei www.immobilienscout24.de erlebt, denn unser eigenes Haus, aus welchem wir 2008 ausgezogen waren, wurde zum Verkauf angeboten. Bei dem Verkaufspreis, 295.000 €, schauten wir uns sogleich jede Ziffer einzeln an, ob wir auch richtig gelesen hatten. Es waren tatsächlich 295.000 €. Man muss den Besitzern sicherlich zugute halten, dass sie handwerkliches Geschick haben und einiges renoviert haben, davon sieht man von außen die Pflasterung vor der Garage und die Umzäunung vor dem Hauseingang (die Klinkerfassade war vorher). Wie Nachbarn uns berichtet haben, haben sie außerdem den Keller komplett ausgebaut, und genau das ist die Problemzone des Hauses: das Haus liegt ungefähr im tiefsten Punkt des Ortes, und bei Rekordhochwassern des Rheins drang Grundwasser in die Kellerräume. Solange wir dort gewohnt hatten, füllte sich innerhalb von 16 Jahren viermal der Keller mit Grundwasser. Genau deswegen hatten wir den Verkaufspreis bewusst niedrig angesetzt. Den Kaufinteressenten hatten wir offen die Problematik beschrieben, dass so etwas vorkommen kann, dass in diesen Fällen das Wasser abgepumpt werden muss und dass die Kellerräume nur eingeschränkt nutzbar sind. Manche Interessenten verschwanden sofort wieder, anderen erschien das Angebot eines niedrigen Preises bei einer gewissen Wahrscheinlichkeit von Hochwassern durchaus lukrativ. Schließlich kamen wir mit einer russischen Familie aus Kasachstan überein, dass diese unser Haus, Altbau, Baujahr 1955, in großen Teilen renoviert, 100 Quadratmeter Wohnfläche, 425 Quadratmeter Grundstück, 1 Kinderzimmer, Garage, Garten mit Südseite, für 147.000 € kauften. Die russische Familie hat zwischenzeitlich dasselbe Schicksal ereilt wie uns: auf drei Kinder hat sie sich vergrößert. Die Not dürfte mittlerweile groß sein, von irgendwo die Räume wegzunehmen, aus zwei (etwas) größeren Räumen ein Elternschlafzimmer und drei Kinderzimmer heraus zu schneiden. Sofern die russische Familie ehrlich ist, werden sie das Haus für die 295.000 € nie und nimmer verkauft bekommen. 9,38 Meter, 9,71 Meter, 10,63 Meter, 10,69 Meter, das waren die Pegelstände in Köln, als Grundwasser in unseren Keller eindrang, davon reichten die beiden letzten Rekordhochwasser bis zu den Knien, so dass zeitweise vier Pumpen Schwerarbeit leisteten. Solche Hochwasser würden den schön ausgebauten Keller hinweg spülen. In den sieben Jahren, in denen sie dort wohnen, hat die russische Familie lediglich ein Hochwasser von 8,91 Meter erlebt, das war 2011. Wasser drückt von unten und bahnt sich seinen Weg. Das nächste Hochwasser kommt, irgendwann. Bei einem Verkaufspreis von 295.000 € sollte man nicht die Bodenhaftung verlieren.
Finanzamt Siegburg
Kompetent, kundenorientert, flexibel, hohes Fachwissen, freundliche Mitarbeiter, meine Begegnungen mit dem Servicestelle beim Siegburger Finanzamt haben in der Vergangenheit ein Beamtenbild geformt, das so positiv auf mich ausgestrahlt hat, dass es Vorbild sein könnte für Stadtverwaltungen, Kreisverwaltungen oder wo sonst wo Beschäftigte an der Exekutive des Staates mitwirken. In diesem Jahr muss ich meine Meinung grundlegend revidieren. Seit zwei Jahren geht meine Ehefrau zur Abendschule. Da sie einen 450 €-Job ausübt, hat sie keine relevanten Einnahmen in unserer gemeinsamen Steuererklärung, während wir all ihre Kosten, die mit der Fortbildung zusammenhängen, wie Bücher, Kopien, Bürobedarf, Fahrtkosten, Drucker, Laptop, Lerngruppen, Internetnutzung und einiges mehr fleißig von der Steuer abgesetzt haben. Im letzten Jahr hat das Finanzamt all diese Positionen als vorweggenommene Werbungskosten anerkannt. In diesem Jahr hat sich allerdings ein grundlegender Gesinnungswechsel vollzogen. Das Finanzamt äußerte sich dazu im Steuerbescheid vom 18.6.2015: „Laut den vorliegenden Unterlagen ist Ihre Ehefrau seit mehreren Jahren nicht mehr berufstätig (Hausfrau). Die Werbungskosten können daher nicht anerkannt werden, da eine Einkünfteerzielungsabsicht nicht klar und eindeutig erkennbar ist“. Da wir davon absehen, in unseren Steuererklärungen Berge von Papier mitzuschicken, hatten wir zunächst eine innere Logik gesehen, dass das Finanzamt weitere Erklärungen brauchte. Sorgsam, wie wir sind, hatten meine Ehefrau alles gesammelt, auf welche Stellenanzeigen sie sich beworben hatte. Leider hatte sie nur Absagen erhalten, wovon wir eine Anzahl von sieben schriftlich nachweisen konnten. Unsere Hoffnung, dass mit der Vorlage der Absagen beim Finanzamt das Thema erledigt sei, war falsch. Vierzehn Tage später schrieb das Finanzamt zurück, wobei das Finanzamt die Sätze aus dem Steuerbescheid vom 18.6.2015 gebetsmühlenartig wiederholte: „Voraussetzung für die Anerkennung von vorweggenommenen Werbungskosten ist, dass zwischen den Ausgaben und den erwarteten späteren Einnahmen ein ausreichend bestimmter wirtschaftlicher Zusammenhang besteht … Laut den vorliegenden Unterlagen ist die Ehefrau seit mehreren Jahren nicht mehr erwerbstätig. Mit der Aufnahme einer Tätigkeit ist auch in Kürze nicht zu rechnen.“ Dieses Schreiben versetzte uns in eine Art von Schockstarre. Diskriminierung. Geringschätzung. 51 Jahre alt, wird meine Ehefrau zum Alteisen geworfen, obschon sie sich weiter bildet, noch voller Tatendrang steckt und einen Karriereschub hinlegen will. Im Antwortschreiben mussten wir uns zurückhalten, einen Ton der Höflichkeit zu wahren und das Wort „Altersdiskriminierung“ zu vermeiden. Schließlich rechnen wir mit einer weiteren dicken Steuererstattung. Wir zitierten den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes und die Gleichmäßigkeit der Besteuerung laut § 85 der Abgabenordnung, die anderen Steuerzahlern zugestanden hätte, wenn sie einige Jahrzehnte jünger wären, und jagten unsere Rückantwort vierzehn Tage später, also Ende Juli, an das Finanzamt heraus. Wir warteten. Mitte September befürchtete ich, dass unsere Rückantwort im Nirwana verschwunden sein könnte und rief beim Finanzamt an. Ja, sie war angekommen, so beruhigte mich die Dame an der telefonischen Nebenstelle, die im Steuerbescheid angegeben war. Einspüche bearbeitet eine andere Abteilung, und sie konnte mir sogar das genaue Datum nennen, wann sie den Einspruch dorthin weiter geleitet hatte. Also warteten wir weiter. Als die Warterei sich in den Dezember hinein zog, gewannen wir den Eindruck, dass sich das Finanzamt für unsere Aufmüpfigkeit rächen wollte, indem es alle Tätigkeiten einstellte und dass uns dies, völlig ermattet, gleichgültig wäre. Um dies auszuschließen, suchte ich die Mitarbeiter in der Servicestelle auf, denen ich sonst so kompetent, kundenorientert, flexibel und fachkundig begegnet war. Diesmal mitnichten. Nach zwei Sätzen war das Gespräch zu Ende. Zu Einsprüchen könnten sie überhaupt nichts sagen. Da müsse ich direkt mit dem Kollegen sprechen, auf dessen Aktenstapel der Einspruch vor sich her schlummert. Entnervt verließ ich diesen Ort des Vergessens. Tagsüber telefonierte ich mich über ein paar Nebenstellen durch zu derjenigen Kollegin, auf dessen Schreibtisch unser Einspruch sogar „eine der jüngeren Fälle“ sei, die zur Bearbeitung anstünden. Anfang Januar, visierte sie an, dass wir mit einem endgültigen Widerspruchsbescheid rechnen könnten. 2016 ? Ungläubig fasste ich nach der Jahreszahl nach und entwickelte Horrorvorstellungen von Bearbeitungszeiten, die sich in Zeiträumen von Jahren und Jahrzehnten auszudehnen drohten. 2016, bestätigte sie schmunzelnd. Bei so viel Bürokratie war mir nicht nach Schmunzeln zumute.