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Kirmes - Fahrt auf der Raupe


Lichtgeflacker, Wunschbilder, Luftschlösser: der Gang über unsere Dorfkirmes stößt an, in grellen Farbspektren laden Fahrgeschäfte in Wunderwelten ein, es ist laut, Musik dröhnt aus Lautsprecherboxen.

Vier Tage lang verwandelt das Kirmestreiben unseren Marktplatz. Diesseits und jenseits des Platzes breitet sich jede Menge Rummel aus, und mit Kindern ist es unvermeidbar, sich diesem Treiben zu entziehen. Zehn Jahre, so alt ist unsere Kleine nun, und so starte ich mit unserer Kleinen den Gang über die Kirmes, der vielleicht eine Viertelstunde dauert, wären da nicht all diese Buden und Fahrgeschäfte.

In unserem Dorf am Niederrhein, wo ich groß geworden bin, gab es früher diese Welt aus Lichtgeflacker, Wunschbildern, Luftschlössern. Seit langem ist die Kirmes in dem besagten Dorf am Niederrhein stark geschrumpft, aber es gibt einen schönen Festumzug mit einem Schützenkönig, einer Schützenkönigin, einem Schützenverein, mit Musik und jede Menge Vereinen, die durch ihre bunt gemischte Kleidung auffallen.

Mit zehn Jahren, so alt war ich damals, fühlte ich mich magisch angezogen vom Auto-Scooter und von der Raupe, so lange, bis alles Kirmesgeld verprasst war. Ich lullte mich ein in dem Rausch der Geschwindigkeit, wobei der Sound Ende der 1960er Jahre nachhaltig hängen geblieben ist. Beat, Rock, Pop, Bubble-Gum: die Rolling Stones, The Who, Manfred Mann, Ohio Express, Zager & Evans sangen damals. Und „haha said the clown“, „yummy yummy“ oder „in the year 2525“ konnte ich mitsingen, ohne auf der Grundschule jemals einen Brocken Englisch gelernt zu haben.

Dieses Gefährt, welches sich im Kreis dreht, eine irres Tempo aufnimmt, einen im Kreis von ganz oben nach tief unten durch schüttelt, hat Phasen einer Begriffsverwandlung durchlebt. In meiner eigenen Kindheit hieß es „Raupe“, mein Schwager nannte es „Hitparade“, nun heißt es „Musik-Express“. Dass Musik das Hauptthema ist, das belegen allerlei Noten, die in Winkeln und Ecken zielsicher den Musik-Express begleiten.

Also generationenübergreifend nichts wie los, Vater und Tochter in demselben Wagen. Rasch stelle ich fest, dass nichts so ist, wie es früher mal war. All die Melodie, die die Musik Ende der 1960er Jahre hatte, ist verflogen. Die Melodie ist zu einem reinen Gehämmere verkommen. Es muss Techno-mäßig klingen. Der maschinelle Klang von Schlagzeugen peitscht vorwärts, unterstrichen von einem horrormäßigen Gebrumme von Bässen. Einmal hat sich der Disc-Jockey offensichtlich vertan: eine Minute lang läuft Cold Play mit „Sky of Stars“, das augenblicklich erstickt wird vom technisch kalten Atem einer Drummaschine, gefolgt von einer Gesangsstimme, die nur nach einem hörnernen Bumbum klingt.

Indes heitert sich das Gesicht unserer Kleinen zunehmend auf, als die Raupe an Fahrt aufnimmt. Die Schwerkraft presst uns nicht nur enger an den Rand unseres Gefährts, sondern die Raupe rast so sehr im Kreis herum, als renne sie um ihr Leben.

Entfesselt, losgelöst von jeglicher Bodenhaftung, in der Phase von Sturm und Drang, reckt unsere Kleine locker ihre Arme in die Höhe, während mich das Tempo, das herunter donnert wie ein Wasserfall, fast um den Verstand bringt. Ich harre der Dinge aus, warte ab, unbarmherzig schüttelt mich das Tempo durch, auf und nieder, rauf und runter. Ich spüre, wie mein sorgsam zusammengesetzter Knochenapparat durcheinander gewirbelt wird. Meine Hände suchen Halt an der Eisenstange, doch gegen die fluchtartigen Bewegungen sind sie machtlos. Meine Wirbelsäule fühlt sich an wie eine hölzerne Stange, die knackend zerbräche, wenn ich sie gewaltsam zurecht biegen wollte.

„Highway to Hell“, ungefähr so wie in dem Stück von AC/DC rase ich ungebremst im Kreis herum:

„No stop signs Speed limit Nobody's gonna slow me down Like a wheel Gonna spin it Nobody's gonna mess me around I’m on a highway to hell … “

Schließlich heulen sirenenartigeTöne auf, bei denen ich unvermittelt an einen Chemie-Unfall, einen Flugzeugabsturz oder andere Horrorszenarien denke, gefolgt von Huptönen, die noch mehr nerven, als würde in einem Stau von Autos ein Hupkonzert ertönen.

Mit gemischten Gefühlen steige ich aus, indem meine Füße standfesten Boden betreten. Die Gefühlswelten klaffen sichtlich auseinander, als ich in das Strahlen unserer Kleinen hinein schaue, welches nicht enden will. Ich lese die Wunschbilder in ihrem Gesicht, solche Fahrten auf der Raupe bis in die Unendlichkeit zu wiederholen. Als Mittfünfziger stelle ich fest, dass ich mir so etwas nicht zwingend antun muss. Heldentum sieht anders aus. Sturm und Drang steht unserer Kleinen viel besser ins Gesicht geschrieben.

Zurück von der Raupe, betreten wir den Marktplatz, auf dem sich all das Gewimmele von Menschen gehörig zusammen quetscht. Menschen kommen, gehen, schieben Kinderwagen, sammeln sich in Gruppen und Grüppchen. Gerede und Gequassele setzt sich durch gegen die ohrenbetäubende Musik, die aus der Raupe alles überschallt.

Kinderkarrussels kreisen, an den Bierbuden steht der Zapfhahn nicht still. Der Nervenkitzel des Spiels lockt. An der einen Kirmesbude sind die Gewehre im Anschlag, an der nächsten werden gelbe und rote Plastikenten aus dem Wasser gefischt. Aufgetürmte Blechdosen warten darauf, von Bällen beiseite geräumt zu werden, an der nächsten Bude durchstoßen Wurfpfeile zischend Luftballons. Spielzeugautos, Krieger, Schwerter, Bälle, Sets mit Barbie-Puppen, Plüschtiere und anderen Billigramsch von Kinderspielzeug erwarten dann den treffsicheren Gewinner.

Als alles Geld verprasst ist, verlassen wir die Kirmes. Fünfundzwanzig Euro sind das Limit, das in ich meine Geldbörse gesteckt habe. Damit alle Kirmeseuphorie nicht ausufert.

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